Ich frage mich hier nur (noch mehr als bei anderen Theoriethemen). Wo ist der Payoff von der Überlegung. Was bringt das am Spieltisch?
*seufz* Ja, das ist bei Theoriethemen leider immer so. Aber prinzipiell kann ein Mensch das verstehen und deswegen versuche ich es mal wieder zu erklären.
Erster Erklärungsansatz, allgemein: Zwischen Grundlagen und Endanwendung können viele Zwischenschritte liegen. Wer nur den ersten und letzten Schritt im Auge hat, erkennt keinen Zusammenhang. Aber ohne den ersten Schritt kann es den letzten nicht geben. Beispiel: Wenn du dich ins Auto setzt, ahnst du auch nicht, an welch abstrakten Theorien Physiker, Ingenieure und Chemiker arbeiten
mussten, damit wir heutzutage (und nach sehr sehr vielen Zwischenschritten) auf Autos zurückgreifen können.
Zweiter Erklärungsansatz, speziell: Jede Rollenspielrunde ist individuell und einzigartig. Aber alle Rollenspielrunden haben auch Gemeinsamkeiten. Im aktuellen Fall suche ich Gemeinsamkeiten. Vielen Runden ist gemein, dass sie sich offenbar der Erzählstruktur von Trickstermythen bedienen. Hinter so einer Gemeinsamkeit steht ein Interesse, das offenbar nicht beliebig ist. Es geht um ein Interesse, das von sehr vielen Rollenspielern geteilt wird. Wozu sollte man über solche Interessen bescheid wissen? Damit du deine Tätigkeit reflektieren kannst. Damit der Spieldesigner sich über das Interesse klar wird und die Spiele besser darauf ausrichtet. Damit der Designer sich auch mal klar wird, dass er sich mal wieder auf ein Interesse fokussiert, das schon tausend andere Spiele bedienen und mit etwas Glück auf die Idee kommt, sich einer anderen Idee und einem anderen Interesse zuzuwenden. Damit du irgendwann nicht die tausendste Kopie eines Fantasy-Trickster-Rollenspiels bekommst, sondern auch mal was wirklich neues, wo du beim Spielen sagst: Hui, das fühlt sich ganz anders und neu an und ist so aufregend!
Du merkst, bei all dem Beschriebenen muss mindestens ein Zwischenschritt zwischen der aufgestellten These und einer Wirkung erfolgen. Meine These ist nur eine Beobachtung (erster Schritt). Wenn diese Beobachtung reflektiert oder in einen Designprozess eingebunden wird (zweiter Schritt), kann sich daraus echter Nutzen ergeben (Endprodukt). Muss nicht, kann aber.
Ich vermute jedenfalls das hier der äußere Schein ein wenig trügt... Wie anfangs ja schon gesagt wurde, der Trickster "kennt die Begriffe" - Du hast sicherlich recht, dass Kinder wissen wie heldenhaftes Verhalten aussieht und das sie es gut finden - das wird ihnen schließlich auch aus gutem Grund so vorgelebt in der Erziehung - ich glaube allerdings, dass sie in dem Alter noch dabei sind zu lernen warum es eigentlich gut ist, d.h. dass sie diese Dinge noch nicht reflektiert haben, bzw. es noch nicht aus sich selbst heraus "erfühlen" können...
Exakt!
1. Mir war Aarne-Thompson-Index bisher unbekannt, aber wenn Märchen und deren Aufbau eine Rolle spielen, lohnt es sicherlich, sich auch einmal mit Vladimir Propps Morphologie des Märchens auseinanderzusetzen.
Ist indirekt schon geschehen, weil Norbert Bischof genau mit Propps Morphologie arbeitet. Bischof geht noch weiter, indem er erklärt, warum die Morphologie so ist, wie sie ist. Und weil er nicht nur eine Klasse von Mythen untersucht, sondern gleich alle, die in der Entwicklung bis zum Erwachsenenwerden relevant sind. Damit hält er Dinge auseinander, die von anderen Autoren (z. B. Campbell) gern und oft in einen Topf geworfen werden.
2. Ich kann viele Ansätze und Gedanken verstehen. Dabei gibt es vor allem ein Problem, dass ich auch immer wieder erlebe oder erlebte. Rollenspiel ist ein Geschichten bildendes Medium. Und während die grundsätzliche Struktur einer Geschichte, und das kommt letztendlich beim Rollenspiel hinten raus, noch einigermaßen zu gestalten ist, sind die Funktionen der Charaktere nicht mehr so leicht zu greifen. Das liegt in meinen Augen vor allem daran, dass man dazu neigt, sie zu starr zu betrachten*.
Sehr schöner Punkt. Bei meiner Analyse geht es gar nicht darum, die
Spielerchars auf ein Muster festzunageln, sondern mehr den
allgemeinen Erzählcharakter, der beim Spiel verwendet wird. Eine 1-zu-1 Übertragung von Mythen auf die Rollenspielrunde ist ohnehin nicht möglich, weil Rollenspiel von dynamischen Interaktionsprozessen mitbestimmt wird. Die Eigendynamik dieser Prozesse ist schwer vereinbar mit einer strikten Erzählstruktur. Das Problem kann man bei
Heldenreise beobachten. Die in Rollenspielen übliche Spielerinteraktion mit offenem Ausgang, und eine Geschichte, die konsequent dem Heldenmythos folgt, sind zusammen praktisch unvereinbar. Das eine muss dem anderen geopfert werden.
Ich denke, dass die Interaktionsdynamik der Rollenspielrunden dafür sorgt, dass eine längere Struktur, wie sie bei Mythen vorliegt, aufgebrochen wird. Wir werden wohl eher fündig, wenn wir nach
Fragmenten der Mythen suchen. Und es ist sehr gut möglich, dass sich die Fragmente verschiedener Mythen zu einem fröhlichen Wirrwarr vermischen. Ein Mythos in ganzer Länge ist ohnehin selten, selbst bei Erzählungen.
Übrigens hat der Trickstermythos von allen Mythen am wenigsten strukturelle Vorgaben. Er ist der flexibelste von allen, und das mag ein wichtiger Grund dafür sein, dass er sich dem Rollenspiel aufdrängt. Die anderen Mythen sind zu strukturiert, um sich mit der Interaktionsdynamik des Rollenspiels zu vertragen. Das wäre ein
struktureller Grund für das Aufgreifen des Trickstermythos. Es muss aber auch inhaltliche geben. So haben emotionale partnerschaftliche Beziehungen bei Rollenspielen eine sehr nachgeordnete Bedeutung - was typisch für den Trickster ist. Sie müssten aber auftauchen, wenn der Heldenmythos stilgebend für Rollenspiel wäre. Es ist nicht nur der Zwang, der zum Trickster greifen lässt, nach dem Motto, wenn alles andere unvereinbar ist, nehmen wir eben den Trickster. Er hat auch seinen eigenen Reiz und fasziniert von sich aus, und das merkt man im Spiel auch immer wieder.