Grundlegendes zur Argumentation:Es gibt viele Arten von Sandboxen, für meine Argumentation nutze ich aber das "Hexcrawling" als Basis.
Kapitel 1 - Grundlegendes zum Hexcrawling:In seiner klassischen Ausprägung ist Hexcrawling eine einfache Technik um Wildnissabenteuer zu spielen. Die Weltkarte wird mit einem nummerierten Hexfeld überlagert und stellt alle wichtigen geographischen Merkmale dar (Straßen, Städte, Flüsse, Berge, etc.). Die Spieler erhallten eine unvollständige Version dieser Karte mit den gröbsten benötigten Daten (Startpunkt, Kontinentumrissen, Küstenlinien, etc.)
Die abgebildete Karte benutzt große 5-Meilen Hexfelder, welche im Detail in nummerierte 1-Meilen-Hexfelder unterteilt werden.
Die Spieler erforschen diese Karte indem sie sich von Hexfeld zu Hexfeld begeben, herausfinden was dort vor sich geht und, erst mal banal gesagt, Dinge erleben.
Wie man diese Hexfelder füllt ist eine Sache des persönlichen Geschmacks. Die Bandbreite geht von unangepassten Zufallstabelen, angepassten Zufallstabellen, Platzieren nach eigenem Gutdünken bis zu diversen Mischformen.
Wichtig ist zu bedenken dass es hier keine Grenzen gibt und keine "Roadblocks" zu überwinden sind. Ein Roadblock stellt in diesem Fall eine künstliche Barriere durch die Story dar, die man erst durch Erfüllung bestimmter Schlüsselaktionen überwindet. Man kann vom Start an jede Richtung einschlagen und überall hinreisen wo es sinnvoll möglich ist.
Wie bespielt man das ganze denn nun?In jedem Hex findet sich eine Begegnung, ein Ort, etwas sehenswertes, etc. wenn man so will, die Bausteine für ein Abenteuer oder eine Geschichte. Es obliegt alleine den Spielern zu Entscheiden wo und warum sie irgendwo hin wollen. Das was sie Unterwegs erleben, ist der Plot und ergibt, wenn alles gut läuft, einen größeren Kontext.
Klingt das jetzt für viele Leser unglaublich unspannend? Das wette ich doch mal!
Interpretation der EreignisseEs obliegt dem Spielleiter die Ereignisse in einen gewissen Kontext zu führen. Wenn sich die Spieler für ein bestimmtes Ziel und den Weg dorthin entschieden haben, dann kann man, rein optional, sich hinsetzen und versuchen gewissen Zusammenhänge herzustellen um den entstehenden Plot zu vertiefen und zu erweitern.
Basic - SettingGrundlegend bedient Setting erst mal zwei Informationen. Das "Wo", also die Karte und das "Was", also die ganzen anderen benötigten Informationen wie Götter, Rassen, Klassen, Kulturen, etc.
Setting gibt erst mal die Antworten darauf, worum sich das Spiel dreht und stellt die eine Hälfte der Schnittstelle dar, mit deren Hilfe ein Spieler mit der Spielwelt (in Form seines Charakters) interagiert. Alle Beteiligten müssen das Setting kennen um informierte Entscheidungen treffen zu können.
Basic - RegelnDie Regeln bedienen die Antwort auf die Frage "Wie". Die Regeln müssen keine Spielinhallte darstellen, sondern in jeder Situation die im Spiel auftaucht und bei der man nicht gemeinsam zu einem Konsens kommt eine endgültige Entscheidungshilfe bieten. Die Regeln (und entstehenden Regelungen) müssen unumstößlich und bekannt sein damit Spieler informierte Entscheidungen treffen können.
Ende Kapitel 1 - Kurzes ZwischenresümeeAn dieser Stelle sind wir mit den ganzen grundlegenden Elementen durch und haben einen etwas nüchternen, wenn aber funktionellen Spielstil der alles ist, nur nicht linear und bei dem an dieser Stelle die Chance ziemlich gut steht dass sich aus dem laufenden Plot ein funktionelle Geschichte ergibt oder einfach nur Mist bei rauskommt.
Kapitel 2 - Spaßfördernde Maßnahmen IAb dieser Stelle befasse ich mich damit wie man spaßfördernde Maßnahmen einführt ohne dabei die Grundprämisse dieser Art zu Spielen zu demontieren.
Erweitert - ZieleUm informierte Entscheidungen treffen zu können, müssen Ziele vorausgesetzt sein. Dies potentiellen Ziele ins Spiel zu bringen obliegt dem Spielleiter. Hier wird das Setting konsultiert und den Spielern mögliche Ziele mitgeteilt. Diese ergeben sich aus der Hexmap an sich, als auch einen logisches Zusammenspiel mit dem festgelegten Setting. Je mehr Ziele zur Auswahl stehen, umso größer also auch die Möglichkeit dass aus reinen Plots auch eine Geschichte entsteht.
Erweitert - Vordefinierter Plot und SL-VorbereitungMan könnte bisher annehmen, alles was sich hier abspielt wäre Ad-Hoc. Mitnichten. Im Idealfall geben die Spieler am Ende einer Sitzung oder nach Erreichen eines Ziels bekannt, wo es als nächstes hingehen soll und geben so dem SL die Chance, diesen Teil des Geschehens besser aus zu arbeiten und ihm mehr Tiefe zu geben. Wenn es der Gruppenvertrag zulässt, findet hier auch eine kurzzeitige Transformation hin zum linearen Abenteuer statt. Der Übergang ist hier fließend und schließt auch andere Arten zu Spielen nicht aus. Wichtig ist nur zu beachten dass auch lineare Abenteuer den grundsätzlichen Regeln unterworfen sind und die Entscheidungsfreiheit der Spieler weiterhin gewahrt bleibt.
Erweiter - Übergänge des SpielstilsNahtlose Übergänge des Spielstils sind nicht zu unterschätzen und müssen als solches auch erkannt und bekannt sein. Wer mitten im dritten Untergeschoss eines Dungeons steht, kommt nicht einfach so heraus. Wer sich in einer Intrige verstrickt hat, entkommt dieser nicht einfach so. Der Übergang von Ergebnisoffenen und Ergebnisbezogenen Spiel findet also nahtlos statt.
Ende Kapitel 2 - Kurzes ZwischenresümeeMittlerweile dürfte klar sein dass sich hinter dem Hauptspielstil auch mehrere weitere Spielstile verbergen können. Hexcrwaling schließt weder lineare Abenteuer noch Railroading aus, sofern man sich freiwillig in diese Situationen begibt.
Kapitel 3 - Spaßfördernde Maßnahmen IIÄhnlich wie Kapitel 2, nur bringen wir die Grundprämisse diesmal an ihre Grenzen.
Champion - Einfluss der RegelnDie gewählten Regeln werden einen enormen Einfluss auf das Spielgeschehen haben können. Reisezeiten, Bewegung, Wetter. Das Alles fängt an eine Rolle zu spielen wenn man den sicheren Startort verlässt.
Champion - Erweitertes Setting und KontextIn Kapitel 1 und 2 hatte das Setting nur eine Hintergrundrolle. Man kann das Setting auch weiter in den Vordergrund stoßen, was dann bedingt dass es sich in den Kontext des Erlebten einbringt.
Champion - Der Meta-PlotBisher sollte erkenntlich sein dass es zwei Arten von Plot gibt: Den Plot der sich aus dem Spielgeschehen ergibt und den Plot der für vorbereitete Szenen benutzt wird. Fügen wir dem eine dritte Art hinzu: den Meta-Plot. Dieser ist eine Art von übergreifenden Geschichtsbogen der sich im Setting begründet und einzig dazu dient den untergeordneten Plots einen erweiterten Kontext zu bieten.
Ende Kapitel 3 - Kurzes ZwischenresümeeWir haben nun das aktuelle Spielgeschehen erweitert, ohne direkt in die Optionen der Spieler einzugreifen.
Kapitel 4 - Full CircleHier sehen wir uns an wohin uns das ganze führt
Meister - Die lebendige SpielweltWir haben unseren Spielern bis jetzt Ziele gegeben, ihnen die Regeln gezeigt anhand derer sie ihre Ziele erreichen/umsetzen können, wir wissen nun wie man mit dem Kontext arbeitet.
Der nächste Schritt ist die Lebendige Spielwelt.
"N" Ziele zur Wahl zu haben, bedeutet "N+X" mögliche Entscheidungen. Kurz gesagt, man kann gemeinsam ein Ziel, getrennt zwei Ziele (usw) angehen, eigene Ziele angehen, gar kein Ziel angehen. Das sind alles legitime Entscheidungen.
Die Spielwelt erwacht aber erst dann zum Leben, wenn es auch Konsequenzen zu den Entscheidungen gibt. Diese werden dann anhand der Regeln abgebildet. Nichts bleibt auf die Dauer passiv, außer es ist seine Natur und das Spielgeschehen sollte dies wiederspiegeln. Die Charaktere sind zwar Mittelpunkt der Handlung, trotzdem aber Teil der Spielwelt.
Meister - Ausmaß der Spielwelt, Ausmaß der Ziele.Die Nutzung des Meta-Plots fördert Ziele, die außerhalb des unmittelbar Wahrnehmbaren liegen. Hier zeigt sich dann die wahre Größe des Settings in dem man spielt. Man ist nicht nur auf sein unmittelbares Umfeld beschränkt sondern erweitert sein Wissen und die damit einhergehenden Ziele ungemein.
Meister - Der lange WegLangzeitmotivation wird nur erreicht, wenn man sowohl bei Kurz- als auch Fernzielen eine gute Mischung aus SL-Seitigen Zielen und Spielerseitigen Zielen erreicht und dabei die lebendige Spielwelt mit einbezieht.
Immortal - MultiplayerspielDer letzte und ganz große Schritt ist es, seine Hexcrawling-Kampagne zu teilen. Mehrere SLs und Spielergruppen können hier tielnehmen.
Ende Kapitel 4Das ganze nun mal exemplarisch an der anfänglichen Karte durchexerziert.Ausgangspunkt der ganzen Handlung ist Hommlet (wäre mit Raster Hex 0303).
Bekannte Größen sind: Das Moathouse (Hex 0503), die Trollhöhle (Hex 0505), der Orkstamm (0607), die Stadt Nulb (Hex 0710).
Sich ergebende Punkte sind: der alte Handelweg zum Motahouse (Hex 0403), der Weg von Moathouse zur Trollhöhle (Hex 0504) und so weiter.
Die sich ergebenden Punkte und alle weiteren Felder im Umkreis, befülle ich mittels angepasster Zufallstabellen (Wald, Berge, Ebene, etc.) und erhallte einige zusätzliche Angaben, etwa Hex 0404 - ein altes Schlachtfeld voller nicht vergrabener Überreste, wenn man hier sucht, kann man entweder eine magische Waffe finden, einen Schatten aufschrecken oder beides. Hex 0403 bietet eine verwüstete Karawane, Hex 0402 1d4+2 Riesenfrösche, Hex 0502 einen See mit amphibischen Humanoiden. Usw.
Die 3 ausgegeben Ziele könnten bisher so aussehen:
- Im alten Moathouse haben sich Banditen eingenistet
- Trolle überfallen regelmäßig die Viehweiden. Wenn es so weiter geht, kommt es zu einer Nahrungsmittelknappheit
- Die Orkstämme haben den direkten Weg nach Nulb unpassierbar gemacht
Damit kann man jetzt schon etwas anfangen und einfach mal loslegen, vielleicht ergibt sich was Spannendes.
Nehmen wir jetzt die nächste Ebene hinzu: Zeit.Ein Hexcrawl-Kampagne lebt von Überlandreisen, daher werden hier Regeln benötigt. Aus diesen Regeln ergibt sich ein: ein Zeitverlauf. Wetter, Untergrund, Umgebung, all das beeinflusst wie schnell oder langsam man vorran kommt und wie lange es von A nach B dauert. Dies sollte mitgehallten werden, den die dabei entstehende Zeitlinie wird noch wichtig.
Angepasster Kontext IUnsere Spieler haben uns ihren geplanten Weg mitgeteilt. Wir wissen, sie wollen über die alte Straße zum Moathouse. Jetzt ist es Zeit sich mal anzusehen ob man irgendwo einen Kontext schaffen kann. Gut, die geplünderte Karawane und die Banditen im Moathouse gehen Hand in Hand, da muss man nichts machen. Frösche und Amphibien? Geht da was zusammen? Da biten sich z.B. zwei Dinge an:
- Die Banditen und Amphibien sind verbündet, die Frösche wurden als Frühwarnsystem postiert
- Die Banditen und Amphibien sind verfeindet, die Frösche dienen als Grenzwachtiere.
Da wir eh dabei sind das Szenario etwas auszubauen, wählen wir Version A und fügen dem Moathouse gleich mal weitere Riesenfrösche und einen Botschafter der Amphibien hinzu, behallten dabei im Hinterkopf dass wir später noch etwas mit dem Amphibienstamm anfangen können.
Bisher sind wir ja schon einen recht weiten Weg gekommen, nur, welche Langzeitmotivation haben wir erreicht?
Wir haben einen Quest-Hub, Hommlet und hier wird erst mal alles angearbeitet was uns so angetragen wird. Nur, was dann?
Die naheliegende Antwort ist es sich zum nächsten Quest-Hub zu begeben und dort das Vorgehen zu wiederholen.
Zwischenspiel I - die Zeitlinie.In der Spielwelt ist Zeit vergangen. Sind die Spielercharaktere die einzigen Wesen die aktiv sind? Natürlich nicht.
Je mehr Ziele es zur Auswahl gab, je mehr Hexinhalte bekannt wurden, umso mehr kommt in Bewegung. Die Trolle überfallen weiterhin Viehherden, die Orks sind weiter aktiv, vielleicht sind die Amphibien noch im Spiel.
Auch hier gellten die Reiseregeln. Wie lange braucht ein Troll Jagdtrupp bis Hommlet? Wie schnell können die Amphibien den Fluß entlang schwimmen? Ignorierte Optionen können schnell anfangen ein Eigenleben zu führen, was dann die Spielwelt bereichert.
Zwischenspiel II - Erweiterter Kontext durch den Meta-Plot.Bisher haben wir nur kleine Bereiche des Geschehens in einen örtlichen Kontext gesetzt um aus reinen Zufallselementen etwas mehr heraus zu kitzeln. Gehen wir jetzt einen Schritt weiter und versehen diese Hexcrawling-Kampagne mit einem übergreifenden Story Arc, damit wir mehrere oder alle Begegnungen in einen größeren Kontext setzen können.
"Es ist keine 5 Jahre her, da wurde ein übler Kult in einer Schlacht bei Verbobonc vernichtet. So dachte man. Der Seneschal der Stadt Vervobonc, ein langjähriger Kultist, konnte Relikte, Geld und den Hauptaltar in Sicherheit bringen und nun entsteht in den Bergen von Nulb der Tempel des Elementaren Bösen aufs neue. Der Seneschal plant einen Umsturz in Verbobonc, derweil ein Haufen Söldner unter Anleitung des Hofmagier von Nulb ....." und so weiter.
Hier eröffnet sich nun ein neuer Kontext aus dem heraus wir alle Begegnungen nun anpassen können. Die Banditen im Moathouse? Ein Vorposten. Die Trolle? Liefern Nahrungsmittel an die Tempelbaustelle. Die Orks? Schirmen die Tempelbaustelle auf der Südseite ab.
Dies ins Spiel einzubringen, dient klar der Langzeitmotivation der Spieler.
Damit diese aber auch etwas davon haben, müssen sie eingeweiht sein. Es bringt recht wenig wenn der SL den Kontext sieht, es für die Spieler aber immer noch ein Haufen Zufallsbegegnungen ist.
Der obigen Text kann so ausgegeben werden wie er ist. Verbobonc ist fern und das Handeln des Seneschal erst mal uninteressant, Nulb ist nah, der Ort des Tempels aber unbekannt, etc.
Fazit und Übergang zu den besprochenen ThemenEine Sandbox zu leiten kann verdammt viel Arbeit sein. Von der Karte über die Zufallstabellen, hin zu den einzelnen Orten, Mini-Abenteuer so erschaffen dass sie überall hineinpassen, aus möglichen Begegnungen Ziele formulieren, das ist alles Arbeit die sich der Spielleiter ein klassisch-linearen Abenteuers nicht machen muss.
Als Ausgleich verteilt man die Verantwortung und Last eines erfolgreichen Spielabends/einer erfolgreichen Kampagne mit auf seine Spieler und viele der beliebten Probleme, wie etwa Storylücken und schier unlogische Stellen werden kann anders behandelt, denn man wird nicht gefragt wie man es für die Spieler interpretiert, das machen die schon von sich aus.
Gerade der Punkt "Transparenz" wurde bisher mit recht viel Unverständnis begegnet. "Wo ist denn bitte die Spannung wenn der große Plot schon bekannt ist?". Die Antwort kann daher nur sein: Es gibt keinen richtigen großen Plot, es ist aber eine Spielhilfe für die Spieler um diesen zu erschaffen. Es geht mehr oder weniger darum dass die Spieler das Erlebte in diesen größeren Kontext einbetten können und ihre Geschichte damit fortschreiben.
Kontext is King, ist hier das Motto und eine Gruppe Spieler kann hier wesentlich tiefgreifendere Dinge erschaffen als nur ein einzelnen Spielleiter.