Angeregt durch
diesen Post von Grimnir, musste ich an meine allererste Berührung mit Rollenspiel im weitesten Sinne denken: Das Fantasy-Spielbuch „Die Höhlen der Schneehexe“ von Ian Livingstone. Da mag ich vielleicht 11 oder 12 gewesen sein. Bereits die ersten paar Sätze schlugen mich in ihren Bann, obwohl sie denkbar unspektakulär waren:
„Die Winter im Norden Allansias sind streng. Schnee und der eisige Wind lassen jeden zum Eiszapfen werden.
Seit einigen Wochen arbeitest du für den Kaufmann Big Jim Sun und begleitest seine Handelskarawanen auf ihrem langen Weg nach Norden zu den eingeschneiten Vorposten, um sie vor Überfällen zu schützen. (...)
Zur Zeit führst du einen Zug von sechs Karren über einen gefrorenen See. In der Ferne ragen die schneebedeckten Spitzen der Eisfingerberge aus einer tiefhängenden Wolke. (...) Es schneit, aber nicht allzu heftig. Du hältst an, um mit dem Schwert zu prüfen, ob das Eis die Wagen tragen kann. Plötzlich durchbricht der weit hallende Klang eines Jagdhorns die Stille.“Es war das Gefühl, in eine lebendige Welt einzutauchen. Die Kälte, dein kondensierender Atem, die schroffen Berge am Horizont und der Geruch von frischem Schnee in deiner Nase. Ein Pelzhändler namens Big Jim Sun redet mit dir, ein großer Kerl mit einem dicken Vollbart und einer Pfeife, hey, ein richtiger Erwachsener. Du bist nur Kerl mit einem Schwert, kein Auserwählter, kein übernatürliches Wesen, kein Arschtreter vor dem Herrn. Selbstbewusst genug, dass du 50 Goldstücke dafür forderst, eine Bestie zur Strecke zu bringen, die sechs Männer getötet hat. Aber auch vorsichtig genug, um dir zweimal zu überlegen, ob du dich auf eine vereiste Brücke wagst. Und als du im Schneetreiben das Heulen von Wölfen hörst und kurz darauf zwei dich anfallen, kämpfst du um dein Leben.
Klar kann man sich auch vorstellen, ein Typ wie eine Figur aus Soul Calibur zu sein, mit krassen, optisch spektakulären Kampfmoves. Dann sieht es in deiner Vorstellung eben aus wie eine 3D-Animation auf der X-Box. Aber dann wird dieses Plastische, dieses Reale wegfallen, du wirst dich nicht so in die fiktive Umgebung hinein versetzen, sie nicht als so
real empfinden, dich nicht so mit deiner Spielfigur identifizieren. Ob man damit die Kids eher von der X-Box weglockt? Oder ob nicht, was damals für uns alle den Reiz ausmachte, auch heute noch besser funktionieren würde?
Sind wirklich Action, Action, Action und Badassery das Patentrezept, wie es so oft proklamiert wird? Oder sind es vielmehr die kleinen Details, die einem das Gefühl geben, man selbst könnte dort sein, selber dieses phantastische Abenteuer erleben? Was wird deinen Herzschlag mehr beschleunigen: Dir vorzustellen, als eine Art Fantasy-Superheld spektakuläre Action-Kämpfe gegen riesige Drachen und Dämonen auszutragen? Oder als ein einfacher Bursche mit einem Schwert in der Faust gegen einen Schneewolf anzutreten, an einer verschneiten Bergflanke, während ein eisiger Wind dir Tränen in die Augen treibt, und zu hoffen, dass du nicht ausrutscht und das Schwert nicht deinen tauben Fingern entgleitet? Ich kann nur für mich sprechen, aber die Antwort ist eindeutig, damals wie heute. Es sind die stimmigen „Color“-Details, die den Unterschied machen.
Klar, irgendwann, wenn man eine Weile dabei gewesen ist, dann ist diese anfängliche Faszination alleine nicht mehr ausreichend, dann fängt man an, sich stärker zu orientieren, ein darüber hinausgehendes Spielziel, eine Richtung zu suchen. Dann mag man über Sachen wie Story oder Herausforderung nachdenken. Aber bei allem, was ich in den letzten zehn Jahren so Neues ausprobiert habe, kann ich heute im Rückblick mit Sicherheit sagen, dass das „Color is overrated“-Postulat eines gewissen Elches für mich ein Irrweg war. Wenn keiner mehr wissen will, ob die Luft nach frischem Schnee riecht, dann ist für mich ein ganz wesentlicher Reiz flöten. In diesem Sinne: Color does matter!