Ich persönlich schätze an Vampire am ehesten die Kombination aus moralischer Ambivalenz und der Verschiebung von Werten und Idealen (insbesondere bei den weniger heuchlierischen und selbstbelügenden Sabbats, wobei auch der institutionalisierte Selbstbetrug der Camarilla einen gewissen Reiz ausströmt) Diese Verschiebung der Perspektive bei ethischen Fragen finde ich recht reizvoll, gerade weil sie meines Erachtens recht unalltäglich ist. Wenn die Moralvorstellungen der Spieler mit der 'Realität' der von vorne herein misanthropischen Spielwelt und den Bedürfnissen der Charaktere aufeinanderprallen; ich schätze es daher, gerade die monströsen Aspekte des Vampirismus in den Vordergrund zu stellen, ohne diese dann zu zelebrieren. Letztendlich aber sind es die ethischen Fragen, die ich interessant finde und die ein zusätzliches Hintergrund- oder Farbelement bietet, das an sich auch die relativ banalen Geschichten, die beim Rollenspiel die überwältigende Mehrheit ausmachen, mit etwas mehr Nachdenklichkeit und Substanz unterfüttert und aufwertet.
Ein guter Protagonist bei Vampire bewegt sich relativ kontinuierlich auf der Kippe zwischen sympathisch genug, um mitzufiebern und unsympathisch genug, um ihn ernsthaft hassen zu können, wobei sich allzudeutliche Ausschläge in die eine oder andere Richtung entweder durch die misantropische Ausrichtung des Settings oder durch die ungeschriebenen Regeln des sozialen Zusammenseins am Spieltisch eigentlich verbieten.
Ansonsten ist Vampire einfach das Spiel, dass ich am ehesten mit spieleraktionsmotivierten, sandkastenartigen Kampagnen verbinde, bei der die Handlung konsequent aus dem Zwischenspiel aus Spieleraktionen und Umweltreaktionen erwächst; das ist zwar kein wirkliches Alleinstellungsmerkmal von Vampire, aber eines, das ich sehr stark mit dem Setting verbinde, und das sich auch sehr gut mit der grundlegenden Ambivalenz der Spielwelt und der Protagonisten ergänzt.
Und letztendlich ist Vampire ein Horrorrollenspiel, und wie bei allen Horrorrollenspielen gehört es halt dazu, sich von Zeit zu Zeit gehörig zu gruseln, wobei hier der übliche Kontrollverlust als Antreiber eben nicht bloß über äussere Einflüsse ("was wird mit mir geschehen?") sondern auch und gerade über innere Einflüsse ("Was habe ich getan?") vorangetrieben wird. Da das aber in aller Regel das Szenario um die äussere Bedrohung nicht ausschließt (man bedenke nur die ausgeprägte Hilflosigkeit der vampirischen Protagonisten bei Tag) hat man die beiden essentiellen Szenarien des Gruselgenres zur Hand. Und da ich eh in locker zwei von drei Rollenspielrunden, an denen ich beteiligt bin, letztendlich im Spielleiterstuhl lande, bin ich entsprechend dankbaren Zugangsmöglichkeiten zu potentiel intensiveren Plots und Szenen nicht abgeneigt.