30. Session (25. Juni 2013)
Die Igniculi überlegen, wie sie am besten in das Fort hineinkommen. Wolfram in Vogelform über das Fort fliegen zu lassen, könnte riskant sein, weil ein Teil von Hernes Leuten sich selbst in Vögel verwandeln kann und vielleicht gerade bereits in der Gegend patroulliert. Hineinschleichen ist wohl auch nicht zu machen, weil das erstens keiner aus der Gruppe so richtig gut beherrscht, und weil es sich zweitens bei den Feen ja allesamt um Raubtiere handelt, die mehr Sinne aktivieren können als nur das Gehör.
Knut der Baum riecht zwar nicht nach Mensch, aber in Baumgestalt kommt er nur sehr langsam vom Fleck, außerdem würde es wohl auffallen, wenn plötzlich ein Baum mitten im Fort herumstehen würde, und drittens wäre Knut dann ganz alleine dort drinnen, was auch nicht der Sinn der Sache sein kann.
Man könnte Kjempe, den Riesenblütigen von der Brücke (der von den Igniculi mit diesem nordischen Wort für ‚Riese‘ benannt wurde, weil er seinen wahren Namen nicht verraten wollte), gegen Tora aufbringen und ihn das Tor stürmen lassen – das ist aber auch keine so brilliante Idee angesichts der Tatsache, dass Kjempes Kumpel von Hernes Feen relativ problemlos zur Strecke gebracht wurde. Sogar von Welpen, erläutert Gauwron dann, die bei der Großen Jagd durch das Erlegen dieser Beute ihre Volljährigkeit erreicht hatten.
Große Erheiterung am Tisch übrigens, als zweien der Spieler erst genau in diesem Moment klar wird, dass Kjempes Kumpel kein anderer ist als der Riese oder Oger oder etwas in der Art, der damals bei der Rückblende zur Jagd im Feenwald die Kriegerin aus dem fremden Bund geschnappt hatte, und den die von uns an diesem Abend gespielten NSCs besiegt hatten, während Wolfram und die NSC-Fuchsfee sich um die Kriegerin stritten.
Es gebe da einen Weg, sagt Gauwron dann, aber der werde ihr – er zeigt auf Gudrid – nicht gefallen. Was für ein Weg das sei, will die Merinita natürlich gleich wissen. Wenn die Herrin als Hernes Verlobte auftrete, dann dürfe Tora als Hernes Champion sie nicht feindselig behandeln. Diese Idee schmeckt Guri natürlich kein bisschen, genauso wenig wie die Tatsache, dass die indiskrete Ethelred ständig weiter auf dem Thema herumreitet. Auch und vor allem, als die Nordländerin gleich die nächste Frage aufwirft: Herne sei ja angeblich völlig lethargisch geworden. Wie ihn aus der Starre reißen? Tja, erwidert die Kräuterfrau nicht ohne Genugtuung, wenn ihn seine Verlobte nicht beleben kann, wer sonst…?
Das Wort ‚Verlobte‘ wird nicht in den Mund genommen, stellt die Principa klar, nachdem sie ihren aufgebracht hin und her schwingenden Kuhschwanz unter Kontrolle gebracht hat. Denn das würde Fakten schaffen, die sie keinesfalls geschaffen sehen will, über eine Linie treten, hinter die sie nicht mehr zurücktreten könnte. Die Sodales werden da reingehen, als hätten sie jedes Recht dort zu sein, als Geschäftspartner oder gute Bekannte oder was auch immer, jedenfalls nicht wegen irgendwelcher Verlobungsbeziehungen. Punkt.
Gesagt, getan. Vor dem Tor halten zwei von Toras Leuten Wache, in Wolfsmensch-Gestalt (also aufrecht gehende Zweibeiner mit Wolfskopf und hellem, wenn auch nicht rein weißem, Fell) auf ihre Speere gestützt. Guri antwortet sehr vage auf die Frage, was sie hier wolle, was der Winterwolf zwar kommentiert, aber mit einem Klopfen ans Tor und einem knappen „Sagt Tora, hier ist 'ne Huldra“ ansonsten übergeht.
Die Gruppe wird eine ganze Weile draußen stehen gelassen, dann jedoch von einem weiteren der Nordlandwölfe ins Fort und über den Platz geführt. Wolfram ist übrigens nicht dabei - sein Spieler war an dem Abend verhindert, und so hielt der Bjørnær eben in Rabengestalt draußen Wache.
Die Fae machen allesamt einen etwas ausgemergelten und vor allem hungrigen Eindruck, und sie beäugen die Igniculi eingehend. Ethelred hält sich unwillkürlich enger an die vorausgehende Gudrid – ein Anzeichen von Schwäche, das dazu führt, dass die Raubtier-Feen ihre Aufmerksamkeit sofort auf die Kräuterfrau richten und sich förmlich über die Lippen lecken.
Es geschieht jedoch nichts weiter, bis die Sodales bei einer kleinen Hütte angekommen sind und ihnen bedeutet wird, hineinzugehen. Drinnen wartet Tora, die sich in Persona als hochgewachsene, schlanke Fae mit langen, reinweißen Haaren und filigranen Händen herausstellt. Sie sagt gar nichts, sieht die Gruppe nur prüfend und abwartend an. Ehe das Schweigen peinlich werden kann, stellt Guri sich wieder als „Gudrid Tryggves Datter“ vor und erklärt, sie sei gekommen, um mit Herne zu sprechen.
Der Name der Halb-Huldra ist der Eiswölfin offensichtlich bekannt, denn ihre Augenbrauen wandern in die Höhe, und sie sagt etwas von wegen „Ihr seid das also“ oder in der Art. Auf Toras Frage, warum sie mit Herne sprechen wolle, antwortet Gudrid erst ausweichend und dann, dass es um das gemeinsam genutzte Vis gehe. Was nicht einmal gelogen ist, denn die Principa hat ja vor dem Aufbruch der Gruppe aus dem Bund bereits die Hoffnung geäußert, dass eine erfolgreiche Rettungsaktion vielleicht ja sogar auch dazu führen könnte, dass Herne den Igniculi einen Teil des im Frühjahr gewonnenen Vis abtreten möge, oder ihnen für eines der kommenden Jahre das Sammelrecht überlassen könnte, oder was auch immer.
Tora hakt zwar nach, dass der Kampf um das Vis doch im Frühjahr entschieden worden sei, soweit sie wisse, gibt sich aber mit Gudrids Erklärung, das könne man ja vielleicht neu verhandeln, zumindest dem Anschein nach zufrieden.
Es sei aber gar nicht so leicht, mit Herne zu reden, erklärt Tora dann, scheinbar wirklich bedauernd, denn er sei indisponiert. Was ihm fehle, könne Tora nicht sagen, sie sei keine Ärztin – Gudrid etwa?
Ethelred mischt sich in das Gespräch ein: Sie sei Ärztin, und sie wolle sich den Patienten gerne einmal ansehen. Nach einem kleinen launigen Wortwechsel mit Constantia ex Flambeau führt Tora die Sodales also tatsächlich zu einer anderen Hütte, vor der zwei weitere ihrer Winterwölfe Wache stehen. Hier sitzt Herne in einem geschnitzten Holzstuhl vor dem Feuer und starrt teilnahmslos in die Flammen. Auf Ansprache reagiert er erst nur minimal, dann gar nicht mehr.
Tora stellt sich mit gekreuzten Armen in eine Ecke und beobachtet. Das ist zwar ärgerlich, aber fürs erste nicht zu ändern, und zum Glück braucht Constantia ja weder Worte noch Gesten zum Zaubern. So untersucht sie unauffällig die Flammen und den Stuhl, auf dem Herne sitzt, auf Magie, findet aber keine. Auch Ethelreds Riechprobe der Kräuter, die in einer Feuerschale verbrannt werden und einen aromatischen Rauch erzeugen, fällt negativ aus. Diese Kräuter haben nichts Einschläferndes an sich, sondern sollen offensichtlich sogar eher anregend wirken.
Aber der Herr des Waldes trägt eine Kette um den Hals, fällt den Sodales dann ziemlich sofort auf: eine schwere Kette aus grob gefertigten Gliedern eines schwarzen Metalls. Was es ist, können die Gefährten nicht sagen; nur Eisen kann es nicht sein, denn Eisen kann keine Fee vertragen.
Diese Kette untersucht Constantia nun ebenfalls per Intellego Vim und stellt fest: ja, diese Kette ist magisch. Sobald sie die Kette aber berührt, um sie Herne auszuziehen, wird sie selbst von großer Trägheit überwältigt und kann das Ding gerade noch so fallen lassen. Per Magie lässt sich die Kette aber auch nicht bewegen - zumindest nicht, als Constantia es versucht. Ethelred, die sich ihre Handschuhe überstreift, ehe sie die Kette anfasst, wird von derselben Müdigkeit befallen.
Gudrid öffnet inzwischen ihr Drittes Auge, um sich die Kette darüber einmal anzusehen. Während sie eigentlich erwartet hätte, Illusionen aufzudecken oder um die Kette herumwabernde Geister zu sehen, sieht sie statt dessen einige vage Bilderfetzen aufblitzen: von Alben, wie sie gerade die Kette schmieden, dann einen riesigen Wolf, der wild um sich beißt und etliche Opfer fordert, zwei andere Ketten mit Leichtigkeit zerreißt. Derselbe Wolf, jetzt still stehend, vor ihm ein Mann, der ihm seine rechte Hand ins Maul gelegt hat. Die Kette, wie sie sich um des Wolfes Hals legt und ihn offensichtlich unterwirft, so dass die Bestie in ihrer Wut dem Mann die Hand abbeißt. Fenrir, weiß die Nordländerin aus diesen Bilderfetzen zu entnehmen, und Tyr, der Herr des Krieges, der ihm Gleipnir unter Verlust seiner Hand anlegte. Es ist also extrem mächtige nordische Feenmagie, die Herne da in ihrem Bann hat – denn offensichtlich trägt er ein Stück der legendären Kette um den Hals.
Man kann Gleipnir also nicht berühren, ohne selbst seinem einschläfernden Zauber zu erliegen. Tora sieht sich die Bemühungen nach außen hin ungerührt und sogar besorgt um Herne an, doch dann wird sie irgendwann von ihren Leuten nach draußen gerufen und lässt die Igniculi alleine in der Hütte zurück. Nun kann Guri ihren Gefährten von ihrer Vision erzählen, und nun gelingt es den Igniculi auch, die Kette zu entfernen, indem Ethelred sie anfasst und selbst zwar müde wird, Constantia ex Flambeau aber per Rego Corpus Ethelreds Arme nach oben bewegt und die Kette „mitnimmt“.
Nun dauert es nicht mehr lange, bis Herne wieder zu sich kommt. Sein erster Blick fällt auf Gudrid, die er sogleich anstrahlt. „Ihr seid gekommen! Wir müssen ein Fest feiern!“
Es kostet die Merinita ein wenig Mühe, den Herrn des Waldes davon zu überzeugen, dass es Wichtigeres gibt als ein Fest. Ihm war gar nicht bewusst, dass er unter diesem Wachschlafzauber lag, genausowenig wie die Tatsache, dass er seinen Leuten das Jagen verboten hatte. Erbost greift sich Herne seinen Speer aus einer Ecke der Hütte, die eigentlich völlig leer gewirkt hatte, und stürmt nach draußen, um seinen Champion zur Rede zu stellen. Die Igniculi folgen ihm zwar nicht nach draußen, dass Gespräch ist aber laut genug, dass sie ihm vom Eingang aus trotzdem folgen können.
Allem Anschein nach ist Tora hocherfreut, dass es Herne besser geht. Auf seinen Vorwurf, sie habe ihn mit ihrem Geschenk betäubt und willfährig gemacht, weist sie strikt zurück. Was es mit der Kette auf sich habe, das habe sie nicht gewusst; ihr Vater habe ihr diese als Geschenk für Herne mitgegeben. Und Herne wisse ja: Als sein Champion sei es ihr unmöglich, ihn anzulügen, er wisse also, dass sie die Wahrheit sage.
Grummelnd stimmt der Feenlord dieser Aussage zu und kehrt zu den Sodales zurück. Was es mit der Aussage, Tora könne ihn nicht anlügen, auf sich habe, wollen die wissen. Zwischen einem Herrscher und seinem Champion bestehe ein gewisses Band, erklärt Herne. Unter anderem kann der Champion dem Herrn kein Leid zufügen, ihn nicht anlügen, und er ist verpflichtet, die Interessen des Lords zu vertreten. Dafür erhält der Champion gewisse Privilegien.
Nun, gelogen hat die Winterwölfin offensichtlich nicht, aber Fakten verschweigen und nicht die ganze Wahrheit sagen, das kann sie sehr wohl. Direkt Leid zugefügt hat Tora ihm mit Gleipnir auch nicht. Und die Interessen des Lords können offensichtlich auch in einer recht großen Spannbreite ausgelegt werden.
Wer Toras Vater ist, weiß Herne leider genausowenig wie die Igniculi, diese Frage muss also fürs Erste unbeantwortet bleiben.
Die Worte der Eiswölfin und ihr ganzes Gebaren wirkten übrigens ziemlich aufrichtig auf die Gruppe, auch wenn ihr Verstand ihnen sagt, dass sie vermutlich doch nicht ganz so unschuldig sein kann, wie sie tut. Lediglich Constantia durchschaut die Nordlandfee und weiß mit großer Sicherheit: Diese neueste Entwicklung der Dinge passt Tora gar nicht, und sie weiß genau, was hier läuft.
Vor dem Aufbruch der Gruppe aus dem Bund hatte Gudrid auch noch kurz mit Thorfinn gesprochen und den Wikingerjungen nach Tora gefragt. Der kannte sie aber gar nicht, hatte weder den Namen gehört noch Askeladd sich je in einen Wolf verwandeln sehen.
Damit ist eine Vermutung, die die Igniculi längere Zeit gehegt hatten, hinfällig geworden: Nach der Großen Jagd war die Gruppe ja noch davon ausgegangen, dass die eisblaue Spur aus dem Feenwald zu Askeladd und seinen Leuten gehört hatte, vor allem, da ja am Ende der Spur dieselben Runen gefunden worden waren, wie auch Askeladd sie verwendet. Deswegen die Vermutung, der Aschenkerl könne Wolfsgestalt annehmen, und er habe sich und seine Leute unter Verwendung der Runenmagie dann leichter gemacht, um fortfliegen zu können.
Aber jetzt wissen die Sodales, dass es bei den Eiswölfen von der Großen Jagd um Tora und ihr Rudel gehandelt hat. Dass sowohl die Winterwölfin und der Aschenkerl dieselbe Art der Runenmagie verwenden, ist bei näherer Überlegung nicht sonderlich erstaunlich, weil sie ja beide aus dem Norden stammen. Die von der Huldra angewandte Runenmagie ist zwar ein wenig anders: sie zeichnet nichts in die Erde, sondern wirft Runensteine zum Zaubern, aber sie ist ja auch etwas mehr von der hermetischen Magie ihres Merinita-Lehrmeisters beeinflusst als ihre Gegner.
Tora ist eindeutig eine Fee, während Askeladd definitiv ein Mensch ist. Dass Thorfinn die Winterwölfin nicht kennt und nie von ihr gehört hat, lässt für die Igniculi drei Möglichkeiten zu: Entweder die Verbindung zwischen Askeladd und den Nordlandfeen entstand erst, als der Junge den Aschenkerl bereits verlassen hatte. Oder aber bei den Angriffen der Wikinger und der Winterwölfe handelt es sich um zwei völlig voneinander unabhängige Baustellen, die nur zufällig zur selben Zeit in der mundanen Welt und dem Feenreich stattfinden. Oder hinter beiden steht ein gemeinsamer Fadenzieher, der diese beiden Zweige seiner Strategie strikt voneinander getrennt hält, aber einen wohl koordinierten Plan verfolgt, der die mundane Welt und das Feenreich abdecken soll. Und diese Möglichkeit wäre wohl die erschreckendste von allen.
Herne ist übrigens überzeugter denn je. "Ihr habt Euch Sorgen um mich gemacht, wie schön!"
Gudrids entschiedene Erklärung, sie werde ihn nicht heiraten, jetzt nicht und in Zukunft ebensowenig, tut er ab. "Das sagt Ihr jetzt. Aber ich weiß genau: Tief im Inneren wollt Ihr es auch."
Was den Rest der Gruppe zu der Vermutung veranlasst, für Herne, den Jäger, sei eben die Jagd spannender als hinterher der Genuss der Beute, und falls Guri doch jemals zusagen sollte, würde ihm die Sache schnell langweilig werden. Und das wiederum führt zu dem Vorschlag: "Heirate ihn doch gleich, dann hast du Ruhe und kannst dich wieder von ihm trennen!" Aber auch das lehnt die Huldra entschieden ab.