Soeben fertig gelesen: "Providence" von Alan Moore und Jacen Burrows.
Der Comic lässt mich mit gemischten Gefühlen zurück. Es handelt sich um Lovecraft'schen Horror und er ist atmosphärisch meisterhaft umgesetzt. Wir befinden uns im Jahr 1919 in den USA und folgen den Recherchen eines jungen Reporters/Autors, der auf der Suche nach Inspiration in düstere Geheimnisse hineintappt. Dabei spiegeln seine Erlebnisse auch seinen inneren Selbstfindungsprozess rund um ein paar von ihm gehütete Geheimnisse. Dass der Protagonist sehr arrogant und dünkelhaft rüberkommt und nur bedingt zum Sympathieträger taugt, ist wahrscheinlich Absicht.
Wie bereits in Watchmen, so präsentiert Moore auch diesmal dem Leser zwischen den Kapiteln Prosa-Auszüge aus Schriftstücken, die im Szenario vorkommen. An dieser Stelle setzt leider mein erster Kritikpunkt ein: Für meinen Geschmack hat Moore es diesmal übertrieben. Die Auszüge aus dem Tagebuch des Protagonisten geben eine deutlich umfangreichere Handlung wieder, von der der eigentliche Comic nur einen Teil zeigt. Das Gesamtwerk wirkt eher wie ein Briefroman mit eingeschobenen Comic-Sequenzen. Auch sind die beigefügten Recherchequellen in ihrem Umfang und ihrer Komplexität "ein bisschen viel".
Die vier Kapitel sind zwar durch wiederkehrende Motive, die ein zentrales Mysterium andeuten, miteinander verbunden, bleiben aber episodenhaft und eben jenes Mysterium bleibt auch am Ende ungelüftet. Vermutlich könnte ich es mir als Leser durch eingehende Beschäftigung mit den Prosa-Quellen zusammenpuzzlen, aber ich hätte mir schon einen gewissen Aha-Effekt am Ende des Szenarios gewünscht. Dieser bleibt aus.
Dem Nachwort entnehme ich, dass ich die Geschichte(n) vermutlich anders hätte würdigen können, wenn ich die literarischen Vorlagen kennen würde. Jedes der vier Kapitel stellt im Grunde eine Variation auf eine Geschichte von Lovecraft dar. Wie schon bei Watchmen ist Moore auch hier den Ansatz gefahren, vorhandene Tropes unter der Prämisse neu zu erzählen: "Wie würden reale Menschen sich in einem solchen Szenario glaubwürdigerweise verhalten?" Aber im Gegensatz zu Watchmen, dessen Handlung eigenständig funktioniert, auch wenn man vorher noch nie einen Superheldencomic gelesen hat, wirkt Providence durch das Fehlen eines eigenständigen, verbindenden Plots am Ende eher unbefriedigend.
Mein Fazit: Ein kraftvoller, atmosphärischer Horror-Comic, dessen (durchaus substanzieller) Tiefgang leider am Ende im Leeren verpufft. Ich vergebe 3 von 5 Sternen.