Geht das nicht am Problem vorbei? Nicht der Festlegungsgrad des vorgeschriebenen Plots ergibt den Ärger. Der Plot kann noch so fest vorgeschrieben sein, niemand kann die Gruppe (ich fasse hier SL und Spieler zusammen) zwingen, diesem Pfad dann auch zu folgen. Wenn der SL nicht zulässt, abseits der Schienen zu spielen bzw. die Spieler zu einfallslos sind, eigene Aktionen ins Abenteuer einzubringen, ist das nicht der Fehler des vorgegebenen Handlungsstranges.
Damit wird das Problem nur dem SL zugeschoben. Keine Frage, ein schlechter Spielleiter kann jede Art von Rollenspiel ruinieren, aber bei plotoniumgetriebenen Abenteuern wird er dazu geradezu ermutigt. Das Problem liegt aber auch darin, dass schlimmstenfalls solche Abenteuer keine Alternativen des Abenteuerverlaufs aufführen und dann den SL im Stich lassen, wenn ein Spieler eine ungewöhnliche Idee hat.
Solche Abenteuer entbinden allerdings auch die Spieler extrem stark von der Mitverantwortung für einen gelungenen Spielabend, der
auch in einer spannenden Geschichte reusltieren kann (nicht muss). Wenn die Spieler davon ausgehen, dass der SL ihnen einen Plot servieren wird, egal was sie machen, dann bleibt alle Arbeit beim SL hängen - und wenn der dann noch durch starre Plotvorgaben gefesselt ist, tut das doppelt weh.
Hier sehe ich das Problem eher in mangelnder Vorbereitung des SL (und auch am Unwillen, sich wenn nötig vom Plot zu lösen). Wenn ich einen vorgefertigten Plot habe (noch dringlicher wird das, wenn es kein selbstgeschriebener Plot des SL ist), umso wichtiger ist es, die Ereignisse HINTER den Kulissen gut zu kennen. Wenn dann die SCs auf "unerwartete" Ideen kommen, kann der SL die NSCs angemessen und spontan darauf reagieren lassen.
Warum brauche ich dann überhaupt einen Plot, anstelle einer einfachen Beschreibung der Personen (einschließlich ihrer Motive und Ressourcen) und Ortschaften im Abenteuer?
Schreibe ich selbst einen Plot, dann versuche ich das ganze erst einmal bis auf die NSCs runterzustrippen, also: Was passiert, wenn die SCs sich NICHT in den Plot einmischen (also quasi der Masterplan der Gegenseite)? Dann bastle ich mir einen optimalen Verlauf. Aus dem Übereinanderlegen der Schablonen ergeben sich Knotenpunkte wichtiger Entscheidungen (greifen die SCs vor Punkt A ein, dann passiert X und Y nicht, greifen sie erst an Punkt B ein, dann ist X schon passiert und Y hat sich so und so geändert). Ebenso ergeben sich für mich schon einmal Ideen, wie ich reagiere, wenn die SCs an wichtigen Punkten vorbeizulaufen drohen: Gibt es eine logische Alternative, den SCs die an diesen Punkten verfügbaren Infos anderweitig zugänglich zu machen?
Ok, der Sinn eines "Masterplanes" für den Fall, dass die "Helden" nichts tun, leuchtet mir ein (leider). Aber selbst darin würde ich noch keinen Plot sehen, dass ist nur eine Ereignisfolge mit einem Countdown. Um es klar zu machen:
Unter Plot verstehe ich eine feste Kette von Szenen mit festem Verlauf und festen Ergebnissen, wobei der Grad der Festigkeit ausschlaggebend dafür ist, wie linear der Plot ist.
Am Beispiel:
1. SL bringt zum Spielabend eine Karte von Lahnstein mit, eine Liste mit Namen, einige Gebäudeskizzen + ein paar Monsterwerte und ein Abenteuer, das so aussieht: "Lahnstein-Nord: in den letzten vier Tagen verschwanden vier Personen. Lahnstein-Süd: am Himmel wurden unheimliche Lichter gesehen."
Das ist kein Plot - unabhängig davon, wieviel Mitspracherecht die Spieler während des Abenteurers haben (auch Imrovisieren kann sich railroadig anfühlen).
2. SL hat dem Abenteuer einen dritten Satz hinzugefügt: "Hinter den verschwundenen Personen steckt ein Kult der Großen Alten, hinter den Lichtern ein Versuch der Zeitreise."
Immer noch kein Plot, auch wenn der Hintergrund genauer definiert ist.
3. Der SL arbeitet vor dem Spiel Spuren an den Tatorten (bei den Zeugen) aus, welche die Spieler zu dem Kult bzw. zu dem Zeitreisenden bringen können. Den Spielern steht es immer noch frei, welche Spuren sie verfolgen wollen (welche Tatorte sie untersuchen, welche Zeugen sie befragen) und wie sie diese verfolgen (wie sie an die Tatorte kommen, wie sie die Zeugen befragen etc,). Immer noch kein Plot. Wenn der SL die NSCs mitsamt ihrer Taktiken ausgearbeitet hat, kann natürlich ein Pet-NSC dabei sein.
4. Der SL verknüpft seine beiden Ereignisse vor dem Spiel zu einem Gesamtereignis: "Der Kult will ein Tor öffnen, das einen Großen Alten auf die Erde bringt. Der Zeitreisende versucht, an Waffen aus der Zukunft zu kommen, die er gegen den Kult/den Großen Alten einsetzen will."
Immer noch kein Plot! Aber die Gefahr, dass die Spieler jetzt in einen Plot geschmissen werden, hat sich erhöht.
5. Der SL legt eine SC-unabhängige Ereignisfolge fest: "Wenn die Spieler am vierten Tag nachmittags den Kult noch nicht gestoppt haben, findet ein Ritual statt, das den Gr. Alten beschwört. Wenn die Spieler am 4. Tag abends den Zeitreisenden noch nicht gestoppt haben, zündet er eine taktische Nuklearwaffe, um den Gr. Alten (mitsamt Lahnstein) zu vernichten."
Immer noch kein Plot, aber starke Festlegung des Abenteuerergebnisses.
6. Der SL entwirft einige Strategien, wie Schlüssel-NSCs auf die SCs reagieren werden: "Wenn die Spieler den Kultisten zu nahe kommen und diese es erfahren, versuchen sie, die SCs auf die Spur des Zeitreisenden zu locken. Die Kultisten können auf die SCs aufmerksam werden, wenn die SCs sich wegen der verschwundenen Personen an die Polizei wenden, da der ermittelnde Kommisar selbst Kultist ist."
Noch immer kein Plot, solange die Szenen verlaufsoffen gespielt werden. Vielleicht wenden sich die Scs nicht an die Polizei. Vielleicht täuschen sie dem Kommisar vor, keine Bedrohung für den Kult zu sein, vielleicht enttarnen sie ihn usw.
7. Auf dem Zettel des Spielleiters steht:
"Am ersten Tatort, an dem die SCs ermitteln(egal welchem!), treffen sie auf Kommisar Falk, der als
Mitglied des Kultes Oberkultist versucht, ein paar Spuren zu verwischen. Er gibt lässt ihnen Schlüsselinformationen zukommen, die sie auf die Spur des Zeitreisenden setzen. Außerdem hetzt er ihnen Kultschläger auf den Hals, die über weitere Hinweise verfügen, welche es den Spielern erlauben, den Zeitreisenden aufzustöbern, nachdem sie die Kultistenbande besiegt haben.
Die Spuren führen in ein verlassenes Labor in der Nähe der ersten Sichtung der Himmelslichter, wo der Zeitreisende ein paar Kampfroboter aus dem 22. Jahrhundert stationiert hat, welche die SCs angreifen, wenn diese eindringen. Nach dem Kampf können die Spieler Spuren und Daten herstellen, aus denen hervorgeht, dass der Zeitreisende eine taktische Neutronenbombe besitzt (oder aus einer anderen Epoche stehlen will).
Danach verhaftet die Polizei die SCs wegen einem der vorangegangenen Kämpfe. Die Staatsanwältin - keine Kultistin - macht sich mit aggressiven Fragen verdächtig. Kommisar Falk kann die Spieler aber befreien, wenn diese ihm Informationen über den Zeitreisenden zukommen lassen. Er weiht die SCs ein, dass der Zeitreisende ein fanatischer Agent eines feindlichen, "bösen" und zu allem entschlossenen Geheimbundes ist, der nur durch äußerste Gewaltmaßnahmen aufgehalten werden kann.
Der Kommisar verspricht, ein paar seiner eigenen "vertrauenswürdigen" Leute (=weitere Kultisten) auf den Zeitreisenden anzusetzen, aber da er über wenig Möglichkeiten verfügt, müssen die Charaktere (=Expendables) wohl die Kartoffeln aus dem Feuer holen. Dazu gibt er ihnen die Adresse eines Informanten. Nach einer dramatischen Fluchtaktion aus der U-Haft (hoffentlich ohne übertriebene Gewalt) können die Spieler auf den mittlerweile toten Informanten treffen. Eine schnelle Untersuchung der Leiche ergibt, dass dieser von einer Waffe aus einer anderen Zeit getötet wurde (Laser). Er erwacht dann aber als Untoter (erweckt von den Kultisten) und gibt während des Kampfes seine Informationen preis (neben einigem scheinbar zusammenhanglosem Geblubber, das später auf einen weiteren Kult schließen lässt).
Kaum haben die SCs den Zombie niedergerungen, kündigt sich mit Sirenengesang die Polizei an, die - angeführt von der verdächtigen Staatsanwältin - den Tatort so bald erreicht, dass nur wenig Zeit zu weiterer Spurensuche bleibt. Alles in allem finden die Spieler aber bevor sie sich davonschleichen müssen ausreichend Informationen, um das gegenwärtige Labor zu erreichen. Der Zeitreisende ist gerade nicht da, aber sie entdecken die taktische Nuklearwaffe, eingestellt auf den Zeitpunkt X (Abenteuerbeginn + 3 Tage), die sie entschärfen können.
Die Bombe ist gerade entschärft, da materialisiert sich der Zeitreisende mit seiner Zeitmaschine und verstärkten Kampfrobotern aus dem 23. Jahrhundert. Während des Gefechts greift noch der zweite Killertrupp des Kults - unterstützt von Zombies aus den Leichen des ersten Trupps und eines fast unbesiegbaren Dämonen - in den Kampf ein. Der Zeitreisende kommt dabei zu Tode, aber die Spieler haben genug Hinweise auf den zweiten Kult und das verräterische Wirken von Kommisar Falk bekommen, um die nötigen Schlüsse zu ziehen und den Ort der Beschwörung zu finden. Außerdem steht ihnen ein kleines Arsenal aus Zukunftswaffen zur Verfügung, mit denen sie gegen die dämonischen Diener des Kultes eine realistische Chance haben."
DAS ist ein Plot (mit vollem Programm der Spielerentmachtung). Dieser Plot ist so erstickend dicht gepackt, dass man als SL kaum einen Milimeter abweichen kann, ohne das ganze Abenteuer zu knicken. Die einzige Gelegenheit, wo die Spieler/Würfel etwas mit den Ton angeben, sind die Kämpfe, und selbst die folgen teilweise einm Skript!
Auch hier: Ich sehe das Problem nicht beim vorgefertigten Plot, der als Spickzettel für den SL dient. Ich sehe das Problem an der Stelle, an der der SL sich sklavisch an den Vorgaben diesen Plots festhält, obwohl die Spieler mit ihren SCs andere Aktionen bringen, als im Abenteuer vorgesehen. Das Problem ist also das SL-Verhalten. Wenn man allerdings einige Abenteuer/Abende mit einem SL hinter sich hat, sollte man abschätzen können, ob dieser SL zu den zwanghaften Schienenfahrern gehört oder zu denen, die auch vorgefertigte Plots nach Verhalten der SCs variiert. Also: Ob man dem SL vertrauen kann, einen nicht durch den Plot zu prügeln, sondern angemessen zu reagieren.
Genau an der Stelle würde ich jetzt sagen: Wenn der SL an irgendeiner Stelle in dem oben skizzierten Plotabenteuer eine abweichende Lösung zulässt oder eine unerwartete Idee nicht abblockt, ist der gesamte Plot mit all seinen vorgegebenen Spannungsbögen und damit das gesamte Abenteuer für die Füße. Natürlich kann man danach immer noch improvisieren, aber dann hätte man a) den Plot nicht gebraucht und b) die dadurch gesparte Arbeitszeit und -energie sinnvoll in weitere NSCs/Lokalitäten investieren können. Dann käme vielleicht ein ganz anderer "Plot" heraus, der nicht so sehr von Simon R. Green inspiriert ist.
Ich weiß nicht. Auch bei FATE spielt unsere Gruppe gut mit vorgefertigten Plots und nutzt FATE dazu, innerhalb des Plotrahmens Veränderungen zugunsten des Plots im Sinne der Gruppe vorzunehmen. Sicher kann man auch noch freier spielen, allerdings macht uns das dann keinen Spaß.
Ich befürchte, dass sich aus der FATE-Runde, wo ich mitspiele, etwas ähnliches entwickeln wird.