Ich muss sagen, ich finde es HERVORRAGEND wenn ein Grundregelwerk alles Mögliche, aber eben gezielt KEINE vorgegebene Welt liefert! Über 90% der vielen Rollenspiele, die ich besitze, haben im GRW keine Weltvorgabe und kein verpflichtendes "Setting", allenfalls Hinweise und Anspielungen auf ein Setting.
So bin ich auch in dieses Hobby reingekommen: Das erste Rollenspiel, das ich mir selbst gekauft habe, war zwar für eine bestimmte Welt geschrieben worden, aber diese Welt hat mich nach wenigen Monaten schon nicht mehr besonders interessiert, weil ich in der Zwischenzeit sowohl ganz viele eigene Ideen gehabt hatte (damals habe ich noch ganz frei und ohne Regeln Notizblöcke und DINA A4-Schulhefte mit Charakteren und ihren Namen vollgekritzelt... ach ja, schöne Jugendzeit!
) als auch die Settings gesehen hatte, die meine Freunde kannten und bespielten. Also weg mit der vorgenerierten Welt! Das zweite Regelwerk, das ich mir gekauft habe, hatte dann bereits keine Hintergrundwelt mehr. Das dritte Regelwerk war für mich dann GURPS, das mir erstmals konkret zeigte, wie man ein einheitliches Regelsystem (wenn auch mit ein paar Schwächen und viel Rechnerei) für diverse Genres, Zeiten und Welten anwenden konnte. Mein
viertes gekauftes Regelbuch war dann RuneQuest. Ich betrachtete RQ also von Beginn an aus dem Blickwinkel eines SL, der schon daran gewöhnt war, fast alles selbst zu erfinden oder sich Versatzstücke aus den Romanen, Fernsehserien, Spielfilmen oder Videospielen zusammenzuklauen, die er gerade für toll hielt.
Daher bin ich mit Setting-Fetisch-Spielrunden wie DSA nie wirklich warm geworden. In meinen Runden war in der Regel rund 80% bis 90% selbsterfunden oder von mir selbst zusammengereimt. Das war bis etwa 2000 so, als ich mir Hero Wars kaufte und konkret das Glorantha aus Hero Wars und aus Greg Staffords Prosatexten, kryptischen Hinweisen und Kolumnen im Internet bepielen. Selbstverständlich stellte ich dann recht schnell fest, dass sich das Glorantha von Hero Wars stark von dem Glorantha aus RQ unterschied, zumal es auf einmal unterschiedliche Begriffe für Magie, Kulte, Zauber und Kreaturen gab und der typische Anfängercharakter ganz andere Dinge (Betonung auf ANDERE, nicht unbedingt mehr oder weniger als vorher) tun konnte. Ich bin zum Beispiel heute der Meinung, dass ein ordentlicher Sorcerer in RQ3 ziemlich etwas hermachen konnte, aber die Sorcery als buch- und artefaktabhängige Spezialistenmagie in Hero Wars ziemlich unattraktiv war. Es gab viel neuen "flavor text", der mir damals vor 10-12 Jahren auch zusagte, aber wenig brauchbare Spieleffekte. Deswegen auch meine Kehrtwende und mein jetziges Interesse an RuneQuest.
Generell denke ich jetzt auch nicht, dass RQ6 spezifisch griechich oder gräko-römisch geprägt ist. Auch wenn es abgedroschen klingt: Es ist alles nicht real, es ist kein Historikerspiel, es ist eine Fantasiewelt mit Fantasievölkern und Magie, und die dürfen von mir aus so ausschauen wie sie wollen! Es gibt andere Rollenspiele - da fallen mir konkret Midgard, aber auch Seventh Sea ein - die sich wesentlich enger an reale Länder und Epochen halten und einen bestimmten Kulturkreis sozusagen nachbauen: Griechenland, Deutschland, Spanien, Russland, Irland ...
Die graphische Festlegung, sofern es denn eine gibt, auf griechisch-römische Dinge - und übrigens fällt die griechisch-römische Antike zum größten Teil in die EISENZEIT, nicht in die Bronzezeit (Bronzezeit waren eher die Minoer und die Völker Kleinasiens vor 1000 v. Chr.) - stört mich überhaupt nicht. Ich fand das Kuddelmuddel an Figurendarstellungen in MRQ weitaus schlimmer. Dort hattest du basierend auf den Illustrationen römische Legionäre neben Ritterrn des 15. Jahrhunderts und Musketieren à la Alexandre Dumas auf derselbern Seite oder zumindest im selben Kapitel. Rapiere und Florette neben Vollplattenpanzerung, Erfindungen des Barockzeitalters wie große Segelschiffe neben römischen Triremen auf See? Und so weiter...
Dazu packte MRQ 1. Ed. noch ein ziemlich beknacktes Runenmagiesystem, nämlich das mit den Runen als physischen Artefakten, quasi Steinchen, die man irgendwo in der Natur finden oder einem besiegten Gegner abnehmen konnte, in das Grundregelwerk und verknüpfte es völlig unnötigerweise mit den alten Spirit Magic-Zaubern aus RQ3 (Battle Magic in RQ2, soweit ich weiß). Um einen Runenzauber egal welcher Art zu wirken, musste man nun zuerst die dazugehörige Rune finden und das "attunement" mit dieser Rune erreichen. Keine schlechte Idee, aber in den Spielregeln ziemlich lästig und ziemlich unbrauchbar. Soll heißen, die Charaktere bekamen nicht notwendigerweise die Magie, die sie eigentlich haben wollten und die nach allen Regeln der Kunst zu ihrem Charakterkonzept gepasst hätte. Zum Glück ist diese Anbindung der einfachen Zauber an bestimmte Runen jetzt in Legend und in RQ6 nicht mehr drin. Und ich bin übrigens sehr angetan von dem Einbezug von Sorcery und Mysticism als spielbare Magieformen in RQ6. Damit möchte ich auf jeden Fall etwas machen.
Eines noch: Das Wort "runa" in den alten germanischen Sprachen soll doch ursprünglich so viel wie "Geheimnis" bedeutet haben. Warum also sollte ich mich dann darauf festlegen, dass damit die Futhark-Buchstabenzeichen aus dem nordgermanischen Raum gemeint sind? In Fantasyromanen, Spielen und Comics wird "Rune" sehr häufig als Wort für alle Arten von Alphabeten, Schriftzeichen und magischen Symbolen verwendet.