Autor Thema: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")  (Gelesen 52856 mal)

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Offline Timberwere

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Ja, der war dabei - der musste sich ja nur von James Vanguard kurzzeitig seinen Wutdämon sedieren lassen. Der nächste Teil kommt auch bald, an dem schreibe ich gerade noch. :)
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Timberwere

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15. März

Tío. Gut, dass das hier außer mir selbst niemand zu sehen bekommt, sonst hätten sich eventuelle Leser möglicherweise schon gewundert, warum ich heute erst aufschreibe, was bei dem Ritual passiert ist. Aber direkt danach war ich zu fertig, dann musste ich ausschlafen, und dann sind gleich schon wieder Dinge passiert. Aber jetzt habe ich etwas Ruhe, also wird das jetzt alles nachgetragen.

Wie ich letztens schon schrieb: Nachdem das Feuerwerk abgebrannt war, Lidia und die Mädchen sich verabschiedet hatten und wir uns auf dem Ritualplatz versammelt hatten, war ich derjenige, der die ganze Sache mit der Ode an Miami anstieß. Wie mit der Stadt abgesprochen, durften wir das Tor zum Park abschließen, um darin ungestört zu bleiben (damit ich die Schlüssel anvertraut bekam, hatte ich meine Beziehungen zum Bürgermeister spielen lassen – etwas, das ich normalerweise lieber vermeide, aber in diesem Fall ging es nicht anders), und nachdem wir alle unsere Positionen eingenommen hatten, ging es los. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man den Trubel des Festivals in der ganzen Calle Ocho gehört – das Lachen der Menschen, das Kreischen der Kinder, bellende Hunde, zwitschernde Vögel, aber in dem Moment, wo die Musik begann, verstummten diese Außengeräusche. Oder vielleicht traten sie auch nur in den Hintergrund, und ich hörte sie nicht mehr, weil ich mich so auf das Ritual konzentrierte. Die Melodie, die los Flamencos geschrieben hatten, passte ganz ausgezeichnet zu meinem Text – und sie war auch machbar für meinen zugegebenermaßen nicht ganz regelmäßigen Bariton. Hey, ich bin Schriftsteller, kein Opernsänger! Aber es klappte alles ziemlich gut, ich versang mich auch nicht (hatte ich vorher auch lange genug geübt – fragt nur mal meine Ladies), und wenn ich doch irgendwo wackelte, dann ging es in der Musik der Flamencos unter. Es war vielleicht nicht perfekt, aber so gut, wie ich es eben konnte.

Als ich fertig war, trat Ilyana Elder in den Kreis. Ich weiß gar nicht so recht, was ihre Aufgabe bei dem Ganzen ganz genau sein sollte – ich glaube, die wilden, naturverbundenen Teile Miamis und der Everglades für das Ritual betonen –, aber was es auch war, es klappte nicht richtig. Sogar ich konnte erkennen, dass Ilyana Schwierigkeiten hatte, und für einen Moment sah es sogar so aus, als würde sie die Kontrolle verlieren und sich in ein Krokodil verwandeln. Ich glaube, sie ist es einfach nicht gewohnt, andere Magie als ihre Wer-Verwandlung ohne die Yansa-Maske zu wirken – und ihre Masken hatten sie und Cicerón ja ebenso zuhause gelassen, wie Totilas, Edward, Roberto, Alex und ich die Einflüsse unserer externen patrones unterdrückt hatten.
Zum Glück gelang es Ilyana dann aber doch gerade so, sie selbst zu bleiben und ihren Teil des Rituals angemessen zu beenden, bevor sie in den Kreis der Wartenden zurückstolperte und Bjarki Lokison ihren Platz einnahm. Sein Teil des Rituals verlief, soweit ich das beurteilen konnte, völlig unspektakulär, und nach ein paar Minuten machte er Alex den Platz frei.
Der begann seinen Ritualabschnitt damit, die Unterschriften und Widmungen auf dem von ihm hergestellten Schlüssel zur Stadt vorzulesen, und ich konnte richtiggehend spüren, wie die Namen all dieser Bürger Miamis etwas bewirkten, auch wenn ich es nicht hinreichend beschreiben kann. Aber mit jedem Namen zog sich etwas zusammen, wurde die Atmosphäre, die sich mit den Worten der Ode zu bilden begonnen hatte, irgendwie... dichter. Einzig die Aussprache von 'John T. Galway' wirkte in diesem Moment wie ein Missklang, änderte aber inmitten all der vielen echten Bürger, deren Namen verlesen wurden, nichts am großen Ganzen.

Ich wusste, dass Alex' Aufgabe war, nach dem Verlesen der Namen das Ventil zu öffnen, das wir ja in unser Ritual einbauen wollten: ein kleines Loch in die Grenzen zum Nevernever, um ein bisschen Magie hereinzulassen, ansonsten aber dem immer größer werdenden Druck, dem die Grenzen hier unterliegen, besser standhalten zu können. Das klappte auch – aber dass es so aussehen würde, davon war in unseren Vorbesprechungen nicht die Rede gewesen. Als Alex nämlich an den Punkt kam, wo er das Ventil öffnete, verdrehte er für einen Moment die Augen und sah so aus, als habe er einen starken elektrischen Schlag erhalten. Wir konnten regelrecht sehen, wie die Magie sich in das bzw. durch das Nevernever entlud: Für einen Moment wurde die Grenze zum Nevernever durchsichtig, konnten wir in das Nevernever hineinsehen; ja, ich hatte sogar das Gefühl, in diesem Moment sehe ich das gesamte Nevernever auf einmal. Man konnte die Magie sehen, die sich an der Grenze zu unserer Welt gesammelt hatte und die auf diese viel zu dünne Membran einpresste, und, als sich ein Weg öffnete, durch dieses Loch hineinströmte.
Und noch etwas kam hindurch. Nichts so Diffuses wie gesammelte Magie, sondern eine Wesenheit, eine Existenz, mit dem überwältigenden Eindruck von schwarz und rot, die hier auf unserer Seite zu einem älteren, in einen eleganten, aber etwas altmodischen Anzug gekleideten schwarzen Herrn wurde, der uns schelmisch angrinste, bevor er sich neugierig neben den Ritualkreis stellte. Und ich kannte diese Gestalt. Alex hatte ihn schon oft genug beschrieben, und ich hatte auch schon Bilder gesehen: Das war Eleggua.

Unterdessen hatten unsere Aktivitäten außerhalb des Parks Aufmerksamkeit erregt. Leute rüttelten am verschlossenen Tor, und etliche fingen an, über die Mauer in den Park zu klettern. Zum Teil waren das einfach ganz normale, betrunkene Feiernde, aber ein paar von ihnen bewegten sich mit den typischen, etwas abgehackten Bewegungen, die wir inzwischen nur allzu gut von Adlenes Geistern kannten. Diese beiden bewegten sich, sobald sie die Mauer überwunden hatten, zielstrebig auf Cicerón Linares zu, der nun, da Alex fertig war, den Ritualkreis betreten hatte.

Totilas wandte sich in Richtung der Besessenen und versuchte sie einzuschüchtern; das kaufte uns auch tatächlich etwas Zeit, weil sie zögerten und sich in seine Richtung drehten. Ich selbst redete auf die normalen, unbesessenen Menschen ein und versuchte sie zu überzeugen, dass das hier völlig langweilig sei und die Festivitäten draußen viel spannender. Sie waren entweder auch betrunken genug oder gerade noch nüchtern genug, dass sie anstandlos auf mich hörten und den Rückzug antraten – und einen der Besessenen zogen sie erstaunlicherweise sogar mit sich. Der andere Besessene allerdings schien sich jetzt wieder auf seine Programmierung zu besinnen und wandte sich zurück in Richtung des Ritualkreises, woraufhin Roberto ihn ungeniert anflirtete und mit einem heißen Kuss bedachte, der den Geist auch tatsächlich erst einmal aufhielt.

Cicerón hatte inzwischen mit seinem Teil des Rituals begonnen, aber er wirkte nicht so souverän dabei wie sonst: Es war ihm anzusehen, dass Elegguas Anwesenheit ihn ablenkte, dass er sich Gedanken darüber machte, dass der Orisha einfach so in die echte Welt getreten war, und vielleicht ging es ihm doch immer noch nach, dass er nicht den Anfang gemacht hatte, oder er drohte, von der vielen Magie überwältigt zu werden. So oder so brachte er seinen Teil irgendwie zuende und trat aus dem Kreis heraus, um den Platz für den nächsten Teilnehmer freizugeben.
Das Problem war nur: Der nächste Teilnehmer war Roberto. Und da der jetzt den Kreis betreten musste, musste er wohl oder übel den Besessenen freigeben, und dieser folgte ihm wie an der Schnur gezogen. Sofort darauf prallte er an unserem Schutzkreis ab, aber das hinderte ihn nicht daran, mit viel zu großer Kraft einen Pflasterstein aus dem bunten Mosaikboden zu reißen. Bevor er ihn allerdings auf Roberto werfen konnte, ging Totilas auf den Besessenen los und schlug ihn – auch ganz ohne White Court-Kräfte – bewusstlos.

Im Kreis hatte Roberto indessen mit seinem Teil des Rituals begonnen. Ich habe ihn ja in all den Jahren schon häufiger Magie wirken sehen, und mir war klar, dass er diesmal besonders viel magische Energie in seinen Zauber kanalisierte. Über dem Kreis schienen wie bei einer Fata Morgana Bilder und Geräusche aus der Stadt zu entstehen, und mit einem Mal wurden die Leylinien sichtbar, leuchteten in den buntesten Farben, wie man sie sonst vor allem aus alten Wiederholungen von Miami Vice kennt. Draußen vor dem Park hatten sie ein Kinderkarussell aufgebaut, und durch die Gitter des Tors konnte ich erkennen, dass einer der Plastikflamingos darauf plötzlich den Eindruck machte, sich unabhängig vom Auf und Ab seiner Karussellstange zu bewegen.
Dee war die nächste im Kreis, wobei ihr Teil des Rituals deutlich weniger spektakulär verlief. Ihre Aufgabe, das wusste ich aus den Vorbesprechungen, war es, die durch das Ventil einströmende Magie sicher zu machen, oder jedenfalls so sicher wie möglich, und wie sie das auch anstellte, es schien genau nach Plan zu klappen. Ximena, die als Nächste drankam, war richtiggehend aufgeblüht, als die Magie durch das Ventil in die Stadt zu strömen begann. Auch sie ging ihre Aufgabe mit der ihr eigenen Professionalität an, aber bei ihr schlug die Begeisterung durch, und so gab sie vielleicht ein bisschen zu viel. Die Leylinien, deren Farbenspiel sich während Dees Abschnitt zu einem leichten Glimmen abgeschwächt hatte, begannen wieder zu leuchten, und jetzt leuchteten auch Menschen in einem beinahe Times Square-mäßigen Neonglanz auf. Und nicht nur Menschen: Haley – Hel Lokisdatter – hatte offenbar auch Wind von unserer Aktion bekommen und war jetzt im Park aufgetaucht, und auch sie hatte dieses neonartige Leuchten.

Die ersten Geisterbesessenen waren wir losgeworden, aber es wäre naiv gewesen zu glauben, das Adlene und/oder Jak so schnell aufgeben würden. Und tatsächlich kam jetzt eine weitere Welle an Besessenen auf den Park zu, von denen es drei über die Mauer schafften. Zwei von ihnen – ein Mann und eine Frau – hoben Steine auf, um sie nach uns zu werfen, weil sie nicht durch unseren Schutzkreis hindurch konnten, aber der dritte Geist hatte eine Pistole. Geistesgegenwärtig riss Roberto die Hände hoch und wirkte einen Schutzzauber, und tatsächlich prallte im nächsten Moment die Kugel von dem magischen Schild, den Roberto damit errichtet hatte, ab.
Edward schlug nach dem zweiten Besessenen, konnte ihn aber nicht richtig treffen. Immerhin gelang es ihm damit aber, den Geist an sich zu binden, der nun nicht mehr auf Ximena im Kreis losging, sondern auf Edward. Und der musste ganz schön einstecken – nicht nur verfügte er gerade nicht über seine Lykanthropen-Kräfte, sondern der Geist war auch noch ungewöhnlich stark.
Während Ximena aus dem Kreis trat und Ángel Ortega ihren Platz einnahm, griff ich die dritte Besessene mit meinem Schwert an, allerdings ohne Jade aus ihrer Scheide herauszuziehen. Es gelang mir zwar, die Frau zu treffen, aber ich konnte sie nicht ausschalten, und so gab sie mir in ihrem Gegenangriff einen Schlag mit, der mich zwar nicht schwer verletzte, aber für eine unangenehme Prellung sorgte. Mit meinem zweiten Treffer dann konnte ich die Besessene dann aber bewusstlos schlagen. Totilas war indessen Edward mit dessen Gegner zu Hilfe gekommen und knockte ihn aus, so dass Edward wieder etwas Freiraum bekam. Diesen Freiraum nutzte er, um mit einem schnellen Zauber einen Teil der in der Luft liegenden Magie durch sich hindurch und in den Geist zu kanalisieren, und von der daraus resultierenden magischen Überladung fiel der Besessene tatsächlich um, auch wenn das Manöver Edward selbst auch sichtlich mitnahm.

Ángels Teil des Rituals hatte anstandslos, wenn auch nicht sonderlich spektakulär geklappt, und irgendwie war durch unser aller Verbindung zu spüren, dass er nicht zufrieden mit seiner Leistung war. Es war ganz deutlich, dass das Ritual noch alles andere als beendet war, dass wir mit unseren Anstrengungen deutlich weniger weit gekommen waren, als wir zu diesem Zeitpunkt eigentlich hatten sein wollen und sollen, dass wir aber nur noch drei Personen hatten, die das Fehlende auffangen konnten.
Edward war der Nächste. Schon als er in den Kreis trat, war zu erkennen, dass er sich seiner Verantwortung mehr als bewusst war, und die Art und Weise, mit der er seinen Abschnitt des Rituals begann, zeigte mir, dass er alles, aber auch alles, hineinlegte, was er hatte. Die Anstrengung war ihm deutlich anzumerken, aber es war auch zu spüren, dass diese Anstrengung sensationelle Ergebnisse zeigte. Ich hatte zwar keinerlei Zugang zu meiner Sommermagie, und Edwards hermetische Magie kann ich ohnehin nur von außen betrachten, aber es war nicht zu verkennen, dass Edward gerade einen guten Teil des noch fehlenden Ritualvolumens abgedeckt hatte.
Bevor er den Kreis betrat, holte Totilas, an den Edward nun übergab, aus einem Koffer eine Kette, an der er mehrere Gegenstände befestigt hatte: offenbar alles Dinge, die bei seiner Sammelaktion abgegeben worden waren und die ihm wohl als am besten geeignet erschienen, um Miami zu verkörpern. Darunter befanden sich ein Plüschalligator, ein paar große Goldcreolen und ein Paar teure Markenturnschuhe, die er nun zusammen mit den anderen Dingen an der Kette in seinem Teil des Rituals verwendete. Verbunden, wie wir alle miteinander waren, konnten wir spüren, dass sein Vorhaben gelang und dass er das große Ganze ein weiteres gutes Stück voranbrachte, aber wir merkten auch, dass in dem Moment, als er die magische Energie durch sich leitete, irgendwas in Totilas passierte. Es war keine vollständige geistige Verbindung, keine Telepathie oder dergleichen, aber irgendwas, eine andere Verbindung als diejenige zum Rest der Genius Loci-Gruppe wurde in dem Moment beschädigt. Oder blockiert? Verschoben? Ich kann es schwer beschreiben.

Robertos Exfreundin Febe Gutiérrez von den Santo Shango trat als Letzte in den Kreis. Draußen vor dem Park tauchten weitere Besessene auf, aber keiner von ihnen schaffte es über die Mauer, weil Eleggua und Haley sie vorher aufhielten und die Geister in den Menschen ohne sichtbare Mühen zu bannen schienen, und so konnte Febe ihre Aufgabe mit Bravour und ohne jegliche Störung absolvieren. Als sie das letzte Wort sprach und die letzte Geste vollführte, ging von unserem Ritualkreis aus ein Puls über die gesamte Stadt. In diesem Moment konnten wir mit einem einzigen Blick die gesamte Stadt sehen, mit Fokuslichtern auf unseren Lieben – Lidia, Alejandra und Monica, Mamá und Papá und Yolanda für mich, Cassius und Schneeball für Edward, ihre eigenen Familien für Totilas und Roberto –, bevor der Puls sich wieder zurückzog. In der Mitte unseres Ritualkreises stand, wortwörtlich aus dem Nichts erschienen, die Gestalt einer jungen Latina. Ich wunderte mich ein wenig, dass sie haargenau so aussah, wie ich mir Catherine Sebastian immer vorgestellt hatte – erst später wurde uns klar, dass sie für jeden von uns ein leicht anderes Aussehen hatte. So ähnelte sie beispielsweise für Roberto stark dessen Orisha Oshun, nur etwas europäischer, für Totilas sah sie aus wie eine richtig teure Edelprostituierte, für Edward trug sie gewisse wölfische Züge, und für Alex wandelte sich ihr Aussehen ständig. Aber eines war unbestritten: Das war Miami.

Vor allem Cicerón Linares machte ein Gesicht, als sei er völlig hin und weg, aber als Miami sich uns zuwandte, gab sie uns allen das Gefühl, dass ihre Aufmerksamkeit jedem und jeder einzelnen von uns ganz besonders galt. Dann sprach sie. Sie hatte eine wohlklingende und gebildete Stimme mit einem leichten, aber erkennbaren örtlichen Akzent.
„Jetzt bin ich hier“, sagte sie, „und jetzt?“
Ich schreibe es nur ungern auf, weil das definitiv keine meiner brillanteren Erwiderungen war, aber hey, außer mir liest es ja keiner. Meine Literatur-Nobelpreis-verdächtige Reaktion war es, ihr ihre Frage ungefiltert zurückzugeben: „Jetzt bist du hier.“
„Ich war schon immer hier“, antwortete Miami, was mich ein weiteres Mal den Mund aufmachen ließ: „Jetzt bist du in Persona hier.“
Totilas rettete den potentiell hochnotpeinlichen Moment. „Es ist mir eine Freude, dich persönlich kennenzulernen.“
„Es freut mich auch, euch alle persönlich kennenzulernen“, erwiderte Miami, „Hallo, Ritter.“ Und dann: „Sollen wir feiern gehen?“
Unser „Ja“ kam einstimmig aus aller Munde.

Eigentlich waren wir alle ziemlich fertig, und vor allem Edward, Totilas und Alex hatten einiges abbekommen,  aber davon spürten wir in dem Moment nicht einen Kratzer. Im Gegenteil, wir fühlten uns alle blendend. Miami wollte Party machen, also machten wir Party. Wir feierten die ganze Nacht hindurch – Miami tanzte mit allen von uns, und sie flirtete mit allen, die mit sich flirten lassen wollten – bis in den Morgen. Dann verabschiedete Lady Miami sich mit einem „Okay, wenn irgendwas ist: Ich bin immer für euch da. Und ihr für mich.“... und kaum war sie verschwunden, holten unsere Blessuren uns ein. Das Durchtanzen hatte uns nicht gerade gut getan, und vor allem Totilas, aber auch Edward, klappte beinahe zusammen.
Eigentlich wäre jetzt der Moment gewesen, nach Hause zu gehen und für den Rest des Tages ins Bett zu fallen – aber dummerweise war es auch der Moment, in dem wir alle spürten, dass etwas nicht stimmte. Dass da eine Bedrohung war. Dass Miami sich in Gefahr befand.

Das Gefühl, das wir alle in dem Moment hatten – und das wir seither auch immer noch haben – lässt sich schwer in Worte fassen, aber ich versuche es dennoch. Die Ritter von Miami waren wir fünf ja zuvor auch schon gewesen, in dem Sinne, dass wir uns für unsere Stadt verantwortlich fühlten und sie beschützen wollten, aber jetzt... jetzt, hm, jetzt sind wir es wirklich. Jetzt ist es nicht mehr nur ein Name. Jetzt sind wir wirklich mit Miami verbunden. Ich (und die anderen Mitglieder unserer Genius Loci-Gruppe genauso) bin mir sicher, dass ich mich in dieser Stadt nie wieder verlaufen werde, ich habe immer ein instinktives, aber umfassendes Wissen darum, wo ich mich gerade befinde, und ich kann spüren, dass das auch der Fall wäre, wenn man mir die Augen verbinden, mich minutenlang im Kreis herumwirbeln und in einem geschlossenen Auto irgendwohin fahren würde. Wenn wir uns darauf konzentrieren, können wir auch die Leylinien Miamis spüren und wo in der Stadt die anderen sich jeweils befinden. Und wenn eine Bedrohung hochkocht, dann merken wir das – so wie in diesem Moment. Aber wir merkten auch, dass die Gefahr sich zwar näherte, aber noch nicht angekommen war. Zum Glück - denn wir waren alle viel zu fertig, um uns einer weiteren Bedrohung unausgeschlafen anzunehmen. Deswegen fuhren wir alle doch erst einmal heim und kippten ins Bett. Zumindest für ein paar Stunden.
« Letzte Änderung: 2.06.2020 | 19:28 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
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Zitat von: Shield Warden
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Offline sindar

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Offline Timberwere

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Haha, vielen Dank! :)

Teil 3 und Teil 4 des Berichts folgen die Tage - bis zum Wochenende müssen sie fertig sein, dann spielen wir weiter! :)
« Letzte Änderung: 4.06.2020 | 23:15 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
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Zitat von: ErikErikson
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Zitat von: Shield Warden
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Als mein Wecker gegen Mittag klingelte, wusste ich, die Gefahr war konkret geworden. Die Bedrohung für Miami, die wir da spüren konnten, kam vom Strand, aus der Nähe von Pans Palast. Als wir dort ankamen (alle außer Roberto und Ilyana Elder – Roberto hatte einen dringenden Notfall, a.k.a. seine patrona Oshun besänftigen, die es gar nicht lustig fand, dass er sich nach dem kleinen Intermezzo als Titanias Richter schon wieder mit einer anderen übernatürlichen – weiblichen und wunderschönen wohlgemerkt – Wesenheit eingelassen hatte, und Ilyana hatte sich noch nicht richtig von dem Ritual erholt; Cicerón erzählte, dass sie sich ständig in ein Krokodil verwandeln wolle), sahen wir auch, was es war: wieder solche Riesen wie der, den die Einherjar besiegt hatten, aber diesmal deutlich mehr als einer. Wir konnten auch spüren, dass die Kreaturen aus der Richtung des Winterhofs kamen – so zielstrebig, wie sie unterwegs waren, ließ das überhaupt nichts Gutes für den Winterhof erahnen. Sie durften Pans Residenz nicht erreichen – nicht, wenn ich das verhindern konnte!
Es waren auch nicht nur Riesen am Strand. In der Masse der Angreifer befanden sich auch seltsame Kreaturen, die mir so überhaupt nichts sagten. Sie hatten einen humanoiden Körperbau – Kopf, Rumpf, zwei Arme, zwei Beine, mittelgroß –, aber mit einem Menschen verwechseln konnte man sie trotzdem nicht. Dafür war ihre Haut zu blass, ihr Mund viel zu breit, die Hände viel zu groß, und auch ihre hervorquellenden Augen und die extrem flachen Nasen waren nichts, was man je an einem Menschen sehen würde. Wie aufrecht gehende Frösche, fuhr es mir durch den Kopf, nur dass sie Haare hatten.

Während die Riesen vor allem auf Zerstörung aus waren, sah es so aus, als wollten diese Froschartigen auf ihrem Weg zum Sommerpalast so viele Menschen entführen, wie sie konnten. Das wunderte mich, denn was für einen Zweck sollte das haben? Lösegeldforderungen? Wohl kaum.
Die Einherjar und restlichen Sidhe-Ritter waren bereits dabei, gegen die Angreifer zu kämpfen - Unterstützung hatten sie dabei erstaunlicherweise von einem Eistroll. Dass dieser Winterfae mit den Kriegern des Sommers gemeinsame Sache machte, ließ mich noch Schlimmeres für den Winterhof befürchten. Aber jetzt war keine Zeit, darüber nachzudenken. Jetzt warfen wir uns in die Schlacht.

Es war die Domäne meines Herzogs, die in Gefahr war, also durfte ich nicht zögern. Ich jagte den Froschmenschen meinen patentierten Sonnenlichtzauber entgegen, um sie zu blenden und zu verwirren, bevor ich Jade zog und losstürmte. Die anderen waren direkt hinter mir, und nicht nur die Jungs. Hm. Ich brauche echt einen griffigeren Namen als „Mitglieder der Genius Loci-Gruppe“, wenn ich von uns allen schreibe. „Ritter“ ist natürlich besetzt, aber hm, wie wäre es stattdessen mit „Hüter“? Aber jedenfalls waren auch die anderen da und griffen ein, alle nach ihren jeweiligen Spezialitäten. Febe Gutiérrez warf mit Blitzen um sich, Cicerón Linares kanalisierte Shango, Ángel Ortega stürzte sich in den Nahkampf, und so weiter.
Ein Riese schlug nach mir, aber ich konnte ihm einigermaßen ausweichen, so dass sein Schlag mich nur streifte – den fiesen Bluterguss, den mir dieser nicht-ganz-Treffer bescherte, bemerkte ich erst hinterher. Überhaupt waren nur Riesen im Getümmel - die Froschmenschen hielten sich im Hintergrund. Und es dauerte nicht lange, bis ich erkannte, warum: Die pendejos hatten Magie! Ihre Angriffszauber nahmen die Form von Feuerfischstacheln an, oder sie verschossen echte Feuerfischstacheln mittels Magie. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es machte im Endeffekt auch keinen Unterschied, was es nun genau war, denn so oder so sahen die Dinger verdammt spitz und schmerzhaft aus. Ich hatte auch gar keine Zeit, bewusst darüber nachzudenken, denn viel zu viele von diesen Stacheln flogen direkt auf mich zu. Vielleicht hätte ich ihnen ausweichen können, indem ich zur Seite gesprungen wäre oder mich in den Sand geworfen hätte, aber ich reagierte instinktiv. Erst hinterher, als alles vorüber war, wurde mir bewusst, dass das eigentlich ziemlich albern gewesen war, aber wie gesagt: Ich reagierte instinktiv. Zu Kampfbeginn hatte ich ja Jade gezogen, und jetzt gelang mir tatsächlich, das Bombardement komplett abzuwehren. Edward meinte hinterher, das hätte fast jedi-mäßig ausgesehen, wie ich diese Stacheln mit dem Schwert ablenkte – aber naja, da war bestimmt auch ein gutes Stück Sommermagie dabei, dass es so aussah, als sei die Macht mit mir.

Alex zog währenddessen auf seine ganz eigene Art und Weise in den Kampf. Er schnappte sich ein Quad-Bike, das da verlassen am Strand stand, um möglichst viele Riesen in eine für uns andere günstige Position zu treiben – und wenn dabei ein Riese einen der Froschartigen umtrampelte, dann um so besser.
Anfangs klappte sein Plan auch wie am Schnürchen, aber dann verlor Alex über seinem Manöver den Verlauf der Schlacht aus dem Auge und landete selbst mitten in einem Pulk aus Gegnern, wo einer der Froschmenschen einen arkanen Schlag auf ihn abschoss, der Alex gut und gern 60 Fuß wegschleuderte.
Edward nutzte die durch Alex' Manöver entstandene Verwirrung aus und ging in den Nahkampf gegen die Riesen. Mit seinem magischen Handschuh prügelte er auf sie ein, und tatsächlich erschlug er gleich zwei der Kreaturen, die – genau wie der Riese, den die Einherjar vor ein paar Tagen erledigt haben – zu Matsch zerfielen und nur Knochen übrig ließen. Aber mit dieser Aktion hatte Edward sich bei den Froschmenschen als Gefahr zu erkennen gegeben. Gleich mehrere von ihnen feuerten ihre magischen Stacheln auf ihn ab – und Edward hatte kein Sommerschwert, das ihm dabei helfen konnte, sie abzuwehren. Mindestens eines der nadelspitzen Geschosse traf ihn da, wo seine Haut nicht geschützt war.
Die Riesen waren zwar groß und furchteinflößend, aber die Froschmenschen mit ihrer Magie waren die größere Bedrohung. Mit seiner übernatürlichen Geschwindigkeit fegte Totilas an den Kolossen vorbei und ging in den Nahkampf gegen die breitmäuligen Humanoiden. Das war die perfekte Strategie, denn auf diesem Gebiet waren die Froschlinge nicht gut, und anfangs ging Totilas durch sie hindurch wie das sprichwörtliche Messer durch weiche Butter. Dann aber taten sich drei von ihnen gegen unseren White Court-Kumpel zusammen, und als Totilas diesem koordinierten magischen Angriff ausweichen wollte, stockte er plötzlich auf eine Weise, wie wir das sonst nicht von ihm kennen. Der arkane Schlag traf ihn mit voller Wucht, und er ging zu Boden.

Einer der Froschlinge begann großspurig zu deklamieren, dass unser Ende gekommen sei und dass wir keine Chance hätten, aber die Wahrheit sah anders aus. Das helle Sonnenlicht meines Zaubers, das noch immer über dem Platz lag, schmeckte ihnen ganz und gar nicht, das konnte ich sehen; Edward hatte zwei Riesen erwischt, Totilas einen Froschmenschen, und auch die anderen waren alles andere als untätig gewesen und noch immer kräftig dabei, den Angreifern einzuheizen.
Während Edward vorstürmte, um Totilas aus der Kampfzone zu ziehen, und ich zu Alex rannte, machten die Froschmenschen Anstalten, das Feld zu räumen – aber nicht, bevor nicht der eine, der eben schon das große Wort geführt hatte, einen weiteren Spruch losließ. „Ihr mögt die Schlacht gewonnen haben“, höhnte er, „aber das war nicht das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben!“
„Raus aus unserer Stadt!“ schoss Edward ihm entgegen, aber das ließ den Kerl nur klischeeschurkenmäßig auflachen. „Hahaha, wir sind zurück, jetzt bleiben wir!“
Und damit zog sich die ganze Horde – Froschlinge wie Riesen - in Richtung Meer zurück.
Alex, der – Himmel sei Dank – bei Bewusstsein war, auch wenn er stark mitgenommen aussah und nur ein Bein belastete, weil das andere in einem unnatürlichen Winkel abstand, machte sich mit ein paar schnellen Handgriffen an dem arg demolierten Quad-Bike zu schaffen und schickte es den Gegnern fahrerlos hinterher. Es krachte in einen der Riesen und explodierte in einem geradezu filmtauglichen Feuerball, was das Monstrum nicht überlebte.

Dann waren die Gegner fort. Zurück blieben die Gebeine zahlreicher zu Matsch zerfallener Riesen und ein toter Froschmensch. Aus der Ferne waren Polizeisirenen zu hören, aber bis die da waren, kümmerten wir uns umeinander. Ich war zwar von keinem dieser Stacheln getroffen worden, aber jetzt machte sich der Streifschlag des Riesen bemerkbar. Trotzdem hatte ich noch Glück gehabt – die anderen hatte es teils deutlich schwerer getroffen, und wir waren alle mehr oder weniger mitgenommen. Alex musste mit seinem gebrochenen Bein dringend ins Krankenhaus, und bei allen, die Stacheln abbekommen hatten – Edward war einer davon, Dee eine weitere, auch Febe und Ángel und mehr als ein Einherjer – wurde sehr schnell klar, dass die Dinger vergiftet gewesen waren. Edward hatte einen alchimistischen Trank dabei, der die Ausbreitung des Gifts bei ihm und den anderen aufhielt, aber ein echtes Gegenmittel war das nicht.
Mit Totilas stimmte auch etwas ganz und gar nicht. Als Edward ihn aus der Gefahrenzone trug, merkte er, dass unser White Court-Freund in Wellen schwerer und leichter wurde, ganz so, als habe er phasenweise nicht seine volle Masse – eindeutig ein magischer Effekt.

Sobald Alex im Krankenhaus war, brachten Edward und ich Totilas ins Hotel Fountainebleu zurück – gut, dass das direkt in der Nähe liegt. (Raith Manor ist zwar eigentlich schon fast wieder fertiggestellt, aber noch hat Totilas den Familiensitz nicht wieder aus dem Hotel dorthin verlegt. Denn momentan haben Richard, Sancía und Canché dort Zuflucht gefunden, und das soll ja möglichst geheim bleiben, ganz abgesehen davon, dass die drei keine White Court-Vampire sind). Wir gaben unseren Freund, der gar nicht so recht zu wissen schien, wo er gerade war, in die Obhut seiner Familie – so schwer es uns fiel, ihn alleine zu lassen, er ist nun mal ein Weißvampir, und als solcher können seine Verwandten sich besser um ihn kümmern. Und so silbrig, wie seine Augen immer wieder aufgeglänzt hatten, würde er sich auch ernähren müssen, und das war nun nichts, bei dem wir dabei sein sollten.

Außerdem musste, wollte, ich zu Pan, Bericht erstatten und dafür sorgen, dass die Leiche des Froschwesens im Sommerpalast zwischengelagert werden kann, bis wir dazu kommen, sie zu analysieren. Und die Einherjar und verbleibenden Sidhe-Ritter hatten tapfer gekämpft, hatten teilweise auch gar nicht so triviale Verletzungen davongetragen, also wollte mich um sie kümmern, Präsenz zeigen, sie aufbauen. Was man als Erster Ritter seines Herzogs eben so macht nach einer Schlacht, um die Moral der Truppe aufrecht zu erhalten. Oder jedenfalls, bis einem das Adrenalin ausgeht. Irgendwann wankte ich in das Zimmer, das mir dort zur Verfügung steht, auch wenn ich es bisher noch so gut wie nie in Anspruch genommen habe, fiel auf das Bett und war für den Rest des Tages und die folgende Nacht für die Welt gestorben. Immerhin hatte ich ja auch noch von der Nacht zuvor einiges an Schlaf nachzuholen!

Vorgestern musste ich dann erst einmal Lidia beruhigen und ihr alles erzählen, und nachmittags trafen wir uns mit Roberto, um den auf den neuesten Stand zu bringen und danach gemeinsam nach Alex und Totilas zu sehen. Ersterer hatte sein Bein geschient bekommen und sagte, sie wollten ihn einige Tage im Krankenhaus behalten*; letzterem ging es noch nicht so richtig viel besser. Wenn Totilas bei sich war, wirkte er beinahe ganz wie der Alte, aber er hatte immer wieder diese, hm, wie nenne ich das, Anfälle von Phasenverschiebung. Roberto und Edward sahen sich das an und befanden, dass Totilas bei dem Ritual offenbar zuviel Magie kanalisiert und damit zum einen die Verbindung zu seinem Hungerdämon beschädigt hatte, so dass der sich weder artikulieren noch mit Totilas interagieren oder dem seine übermenschlichen Kräfte geben konnte. Das war aber nicht das größte Problem – die Verbindung war schon wieder hergestellt worden, zumal Totilas sich in der Nacht tatsächlich ernährt hatte. (Ohne jemanden umzubringen, wie er sich beeilte zu erwähnen.) Die eigentliche Krux war eben wirklich die Sache mit der Phasenverschiebung. Totilas hatte bei dem Ritual auch einen Teil seines Halts verloren, war in der übermäßig kanalisierten Magie verloren gegangen, also musste er wieder neu in Miami verankert, seine Verbindung zu unserer Stadt wieder gestärkt werden.

Aber wie das am besten anstellen? Blöde Frage. Edward war mit von der Partie, Römer und Patrioten, also natürlich mit einem weiteren Ritual. Aber das war nichts, das man einfach mal so aus dem Ärmel schüttelt, also machten wir das nicht sofort. Es war aber zum Glück um Welten weniger komplex als das Genius Loci-Ritual, also konnten wir gestern alles vorbereiten und es heute dann durchziehen, nachdem ich vormittags erst wieder eine Weile bei Pans Rittern gewesen war.
Zur Verankerung verwendeten wir ein Foto von Raith Manor für das Sehen und eine Broschüre des Hotels Fountainebleu für den Geist. Wir führten das Ganze in dem Spa durch, in dem wir uns als Hüter Miamis aufeinander eingestimmt hatten – so konnten wir die Atmosphäre dort gleich als Komponente für die Seele verwenden. Die Massage, die Totilas in einem schaumbadgefüllten Whirlpool von einer leicht bekleideten jungen Dame erhielt, diente dem Fühlen, und der Duft des Schaumbads dem Riechen. Dazu gab es ein 'Lido Elixir' – ein eigens für das Spa kreierter Cocktail aus Gin, Aperol, Zitronensaft, Zuckersirup, Gurkenwasser, ein paar Gurkenscheiben, Minzeblättern und Ginger Ale – für das Schmecken, und zum Hören trug ich noch einmal die Ode an Miami vor. Zusätzlich war auch noch Blei eine Komponente, um Totilas' Körper, der immer noch in Wellen abzuheben drohte, symbolisch wieder zu beschweren. Während sich unser Freund in dem Bad bei seiner Massage entspannte, führten wir – besser gesagt, führten Edward und Roberto; mein eigener Anteil war nur die Ode - am Beckenrand das Ritual durch. Es hatte auch den gewünschten Erfolg, allerdings – wie so oft – nicht sofort, oder besser: nicht vollständig sofort. Der Anfang ist gemacht, ab jetzt wird es besser, aber es wird wohl noch eine Weile dauern, bis Totilas' Anfälle von Phasenverschiebung völlig verschwunden sein werden. (Bei mir war es vor ein paar Jahren am Crater Lake mit meinem von Elena eingepflanzten Hass auf die Jungs ja ganz ähnlich.)

Brrrr. Jetzt habe ich allein von der Erinnerung doch tatsächlich eine Gänsehaut bekommen. Tío. Ich höre mal auf für jetzt. Ich sitze sowieso schon den ganzen Abend an diesem Eintrag – nicht, dass Lidia noch vergisst, wie ich aussehe. 



*Achtung, Wortspiel-Alarm – aber nicht meiner; der Spruch kam wohl von einer Ärztin oder Krankenschwester, die Alex schon die letzten paar Male behandelt hat (oder ist er sogar auf Alex' Mist selbst gewachsen?): Unser Kumpel hat im Mount Sinai Medical Center schon einen Viellieger-Bonus**, so oft war er in letzter Zeit dort.

**ich sage doch, der Witz war flach.

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18. März

Vorhin wurde Alex schon entlassen. Sein Bein ist natürlich noch geschient, und er geht auf Krücken, wenn er nicht in einem Rollstuhl sitzt, um das Bein zu schonen, aber eigentlich hätte er noch länger im Krankenhaus bleiben sollen. Die Ärzte seien erstaunt gewesen, dass der Bruch so gut aussehe, erzählte Alex, aber das liegt wohl auch und vor allem an Elegguas Schirmherrschaft, dass er schneller heilt als normale Menschen. Diese Schirmherrschaft erweist sich aber gerade auch in einer anderen Hinsicht als sehr nützlich: Wir haben in den letzten Tagen viel Zeit mit Totilas verbracht, und Alex zieht ihn wortwörtlich zurück, wenn er wieder einmal außer Phase gerät. Auch Lady Miami ist häufig bei uns aufgetaucht, und wenn sie da ist, hilft sie ebenfalls dabei, Totilas wieder ins Hier und Jetzt zu holen.

Totilas sagte gestern übrigens, er wolle besser verstehen lernen, wie diese Grenze zwischen der echten Welt und dem Nevernever funktioniert. Edward, Alex und Roberto haben alle angeboten, ihm dabei zu helfen, jeder mit seiner jeweiligen Spezialisierung und aus seinem jeweiligen Blickpunkt – ich würde auch, wenn ich könnte, aber zu dem Thema habe ich leider nicht so richtig viel beizutragen.

Aber jetzt, wo wir alle wieder so einigermaßen – ja, Krücken, ja, gelegentliche Phasenausfälle, aber trotzdem – wieder auf dem Damm sind, müssen wir dringend die Leiche des Froschmenschen untersuchen. Denn nicht nur müssen wir versuchen, so viel wie möglich über diese Wesen herauszufinden, sondern Edward, Dee und die anderen von den Feuerfischstacheln Getroffenen sind immer noch vergiftet, und Edward hat das Gift mit seinen alchimistischen Fähigkeiten mangels Zeit zur Analyse bisher nur unterdrückt und zurückgedrängt, aber noch nicht richtig heilen können. Das müssen wir dringend ändern!

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Später. Fertig mit der Untersuchung. Die Leiche des Froschwesens war, magische Aufbewahrung sei Dank, auch noch im selben Zustand wie vor einer Woche, so dass die Analyse nicht zusätzlich erschwert wurde. Durchgeführt wurde sie von Alex, unterstützt von Totilas und mir, auf der rein wissenschaftlichen Ebene, während Edward und Roberto sich um die magischen Aspekte kümmerten. Es stellte sich heraus, dass die Kreaturen tatsächlich Geschöpfe der echten Welt sind und nicht aus dem Nevernever kamen. Sie sind auch wirklich menschenartig, haben keinen Schildkrötenpanzer oder Fischschuppen oder dergleichen. Aber sie haben Kiemen, was darauf hindeutet, dass sie wirklich unter Wasser leben; an der Luft atmen können sie aber auch. Aus der Anatomie der Kreatur wurde auch deutlich, dass die Froschmenschen große Druckunterschiede aushalten können: Sie scheinen also nicht nur unter Wasser, sondern tatsächlich in großer Tiefe zu leben. Und auf kaltes Eisen reagierte der Leichnam – nicht so extrem wie eine Fee, aber eine Reaktion zeigte sich doch. Eine Art Feenerbe vielleicht? Und die Zellen des toten Wesens wirkten sehr wandelbar – Hinweise darauf, dass es sich bei den Froschartigen um Gestaltwandler handelt?

Als Rückschlüsse für eventuelle zukünftige Konfrontationen zogen wir aus unseren Untersuchungen, dass man sie vermutlich recht gut austrocknen kann und dass sie große Hitze mit einiger Sicherheit nicht mögen dürften. Hmmm. Austrocknen und Hitze? Ja hallo auch, Sommermagie!

Dass die Froschlinge Magienutzer sind, hatten wir am ja eigenen Leib erlebt. Kein Wunder also, dass, wie sich herausstellte, die von ihnen verschossenen Stacheln magisch heraufbeschworen worden waren und nichts Natürliches an sich hatten.
In seinem Labor analysierte Edward den Stachel, der ihn getroffen hatte, sowie eine Probe seines eigenen Blutes – immerhin trägt er ja das Gift ja selbst auch in sich – und fand heraus, dass es sich dabei um eine lähmende Substanz handelte, die unbehandelt früher oder später tödlich gewesen wäre. Glücklicherweise hat der bisherige Trank die Wirkweise des Toxins sehr stark verlangsamt, und jetzt kennt Edward die genaue Zusammensetzung des Giftes und kann sich daran machen, ein echtes Gegenmittel zu entwickeln.
« Letzte Änderung: 4.06.2020 | 23:52 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Timberwere

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21. März

Die Formel für das Gegenmittel ist gestern fertig geworden. Gemeinsam mit den anderen Magiebegabten unter den Hütern haben wir heute genug davon hergestellt, um alle Vergifteten zu heilen. Ich sage 'wir', weil ich mich diesmal ebenfalls beteiligen konnte. Erneuerung und Wiederherstellung und Heilung sind alles Aspekte, die von Sommer abgedeckt werden, also konnte ich mit der Sommermagie dabei helfen, das Mittel zu brauen.
Wir haben es schon allen Vergifteten verabreicht, und es ist sogar etwas übrig geblieben, um das für einen zukünftigen Angriff der Froschartigen schonmal in petto zu haben.

Totilas hat inzwischen auch mit den Jungs geredet, um mehr über die Grenzen zwischen hier und dort zu erfahren und ich glaube, neben all dem theoretischen Wissen, dass er erfahren hat, hat war Robertos Hilfe die praktischste. Der hat ihm nämlich die Sight beigebracht hat: die Technik, wie man sein Drittes Auge öffnet.

Ach ja. Und den Winterhof hat es bei dem Angriff tatsächlich schwer gebeutelt, glaube ich. Tanits Anwesenheit können wir spüren, aber von Hurricane fehlt, zumindest in unserem jetzt erweiterten Bewusstsein von Miami, jede Spur. Winter oder nicht, ich hoffe sehr, er ist nur gerade nicht in der Stadt – im Nevernever vielleicht? –  und nichts Schlimmeres.

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23. März

Wir haben etwas nachgeforscht und versucht, ein paar Infos über diese Froschlinge zusammenzutragen. So aus dem Kopf heraus sagten sie keinem von uns etwas, aber in ein paar uralten Unterlagen, die Roberto auftat, und aus dem, was ich aus Pan herausbekam, als ich mich mit ihm und den Einherjar nochmal über die Sache unterhielt, kristallisierte sich Folgendes heraus:
Die froschartigen Wesen heißen Fomor oder Fomori – was nun tatsächlich der Plural ist, oder ob beides zutrifft, ist mir noch ein wenig unklar. Vor Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden, als die Fae noch in der normalen Welt lebten und nicht im Nevernever, kam es zum Krieg gegen die Fomori, hässliche, froschähnliche Gestaltwandler, die das Aussehen von Menschen annehmen konnten, wenn sie wollten. Sie hatten sich zum Teil mit den Feen vermischt (was wohl zu der leichten Eisenallergie führte, die wir bei der Leiche festgestellt haben). Unter Beteiligung des Vorläufers des Weißen Rates drängten die damaligen Sidhe die Fomori ins Meer – das war notwendig, weil die Fomori die Angewohnheit hatten, Menschen und Fae, auch und gerade magisch begabte Menschen und Fae, zu entführen und zu versklaven, und nicht nur das, sondern ihre Sklaven auch körperlich zu verwandeln. Sie genossen es geradezu, andere unter ihre psychische Dominanz zu bringen. Damals wurden die Fomor also ins Meer getrieben und wurden nicht wieder gesehen – aber jetzt, wo mit dem Verschwinden des Roten Hofs ein derartiges Machtvakuum entstanden ist, scheinen sie das wohl irgendwie mitbekommen und für ihr Wiedererscheinen genutzt zu haben.

Die Riesen, die sie bei sich hatten, stammten übrigens aus dem Nevernever, bekamen wir ebenfalls heraus. Sie leben in einem völligen Ödland, oder besser: Alles Land, wo sie sich aufhalten, wird früher oder später zu Ödland, weil sie alles, aber auch alles verschlingen. Bevorzugt ernähren sie sich von intelligenten Lebewesen, aber wenn sie die nicht bekommen können, dann fressen sie auch Schafe, Insekten, Bäume –sogar Steine, wenn sonst nichts anderes da ist.

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25. März

Gestern vormittag, als es in Österreich Nachmittag war, hat Edward seine österreichische Magier-Bekannte Vanessa Gruber angerufen und von dem Angriff erzählt. Dabei erfuhr er, dass die Fomori auch überall in Europa aufgetaucht sind – ihr Wiedererscheinen scheint ein weltweites Phänomen zu sein.
In Österreich kamen die Fomori aus zwei großen Binnenseen im Westen und Osten des Landes, hatten dort aber keine Riesen dabei, sondern versklavte Menschen. Das veranlasste Totilas hinterher zu der Theorie, dass die Froschlinge ihre Gegner kennen und geplant diejenigen Diener mitnehmen, die sie für die jeweilige Situation als am Effizientesten erachten. Aber das war eben genau das: eine Theorie, die wir zwar im Hinterkopf behalten, aber nicht beweisen können.

Edward fragte Vanessa auch nach dem Verschwinden des Red Court. Wie wir ja schon von Richard gehört hatten, wollte der Rote König ein Ritual durchführen, um über einen seiner Nachfahren den Blackstaff zu töten, den Magier, der dem White Council als Scharfrichter dient. Es gelang den Ratsmagiern, das Ritual umzudrehen, so dass der jüngste Angehörige des Roten Hofs davon getroffen wurde und sich in einer rückwärtsgerichteten Kettenreaktion alle Rotvampire auflösten.
Daraufhin wollte Edward wissen, wie wichtig dieser Blackstaff denn sei und wieviele Nachfahren er habe, dass ein solches Ritual greifen könne. Die Zahl seiner Nachfahren kannte Ms. Gruber nicht, aber was die Wichtigkeit des Blackstaff beträfe: Er habe einen Satelliten auf eine vom Roten Hof betriebene Farm herabstürzen lassen – der Rote König müsse einen abgrundtiefen Hass auf den Mann verspürt haben.
Edward versprach Vanessa noch, ihr alles zuzusenden, was wir über die Fomori herausgefunden hatten, und sie versprach im Gegenzug, ebenfalls Nachforschungen anzustellen und die Informationen zu teilen, falls dabei etwas herauskäme. Außerdem fragte die Österreicherin nach Warden Declan. Als Edward wahrheitsgemäß antwortete, dass der verschollen sei, fragte sie, ob wir jemand Neuen bräuchten und schlug vor, dass wir uns an den in Chicago ansässigen Warden wenden sollten, falls ja. Angesichts der Tatsache, dass der in Chicago ansässige Warden dieser unsympathische Typ ist, mit dem Edward vor ein paar Jahren dieses unerfreuliche Gespräch hatte, war er nicht gerade begeistert von dieser Idee, brummte aber ein unverbindliches „Vielleicht“.

Abends dann, nachdem ich mich vorher (wie alle paar Tage in letzter Zeit) um die Einherjar und verbliebenen Sidhe-Ritter gekümmert hatte, trafen wir uns dann mit den anderen Hütern. Cicerón war noch etwas angeschlagen, weil er sich gegen die Fomori eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte, aber es ging schon wieder. Bjarki Lokison, der ja selbst Gestaltwandler ist und den ich nach dem Kampf am Strand tatsächlich völlig aus den verloren hatte, sagte, er sei den Froschlingen in Fischgestalt gefolgt. Nach ihrem Rückzug seien sie weit hinaus aufs Meer geschwommen und dann ganz tief abgetaucht. Dort hätten sie eine richtige Stadt, sagte Bjarki – es handele sich also nicht nur ein paar Gestalten, sondern tatsächlich um ein ganzes Volk. In die Stadt hinein folgte er ihnen lieber nicht, weil er nicht das Risiko eingehen wollte, entdeckt zu werden.
An diesem Punkt warf Totilas die Frage auf, ob die Fomori einfach so wegen des Machtvakuums wieder aufgetaucht seien, oder ob Jak sie gerufen haben könne. Edward hielt allerdings dagegen, dass wir keine unnötige Paranoia entwickeln sollten: Nicht alles Schlechte, das uns widerfährt, kommt von Jak. In diesem Zusammenhang konnte Alex jetzt eindeutig bestätigen, dass die Geister, die uns ständig gestört hatten, von Adlene gekommen waren und nicht Jak dahintersteckte.
Die Geister sind ein echtes Problem, waren wir uns alle einig, und zwar eines, das wir demnächst irgendwann einmal angehen müssen, ebenso wie wir uns um Adlene kümmern müssen.
Totilas war anderer Ansicht: „Jak ist das Problem“, erklärte er voller Überzeugung, was aber Cicerón zum Widerspruch anregte: „An Jak kommen wir aber nicht heran“.
Ich versuchte, zwischen den beiden Ansichten zu vermitteln. „Der Weg zu Jak führt über Adlene“, sagte ich – denn immerhin sind die beiden ja nach allem, was wir wissen, Verbündete, und ich denke schon, dass es uns gegen Jak helfen kann, wenn wir Adlene unschädlich machen oder von seinem Outsider-Partner lösen.

Der nächste Punkt, den wir diskutierten, auch wenn ich gar nicht mehr genau weiß, wer die Frage in den Raum warf, war es, ob wir uns beim Rest der übernatürlichen Gemeinschaft als die Hüter Miamis zu erkennen geben sollten. Totilas bekannte sich sofort für die Idee, aber sowohl Cicerón Linares als auch ich sprachen uns, wenn nicht direkt gegen die Idee aus, so doch dafür, das sehr genau abzuwägen. Linares war der Auffassung, es sei zumindest riskant, wenn das alle wüssten, und ich fand auch, wir sollten den Ball vorläufig lieber erst einmal ein bisschen flach halten. Aber irgendwer - Mierda, ich weiß gar nicht mehr, wer genau, ist aber vielleicht auch nicht so wichtig – brachte die Unseelie Accords ins Spiel. Dass es vielleicht gar nicht schlecht sei, wenn wir Accords als Fraktion beiträten, und das wiederum war eine Idee, die unerwartet kam, die wir aber alle ziemlich interessant fanden. Allerdings waren wir uns auch einig, dass es -falls das möglich ist- vermutlich besser wäre, den Vertrag erst zu unterzeichnen und uns dann als Hüter zu outen, weil wir dann nämlich schon von den Bestimmungen des Vertrags geschützt wären. Aber das sind alles noch ungelegte Eier.
Eines war uns aber allen klar: Wir müssen mit unseren neu erhaltenen Fähigkeiten üben, damit wir, wenn es ernst wird, genau wissen, wie wir sie am besten einsetzen und wo ihre Grenzen liegen.
Also lag es vielleicht nahe, dass Edward beim Thema neu erhaltene Fähigkeiten einfiel, dass wir dank unserer besonderen Verbindung zu Miami jetzt vielleicht auch ein Bewusstsein für unsere Feinde haben. „Es wäre interessant, ob wir spüren können, falls Declan und Donovan wieder auftauchen“, sagte er nachdenklich, bevor er die anderen Hüter informierte: „Die haben aber Dämonenkräfte.“
„Stefania Steinbach auch“, ergänzte ich – und weil ich in dem Moment an die korrumpierte Kirchenvertreterin dachte und mich somit aktiv auf sie konzentrierte, fiel mir auf, dass ich ihre Gegenwart eben tatsächlich nicht spüren konnte, und mir entfuhr ein heftiges: „Puta madre!
„Anstand!“ tadelte Ángel mich sofort, was mich gar nicht wunderte. Irgendwie muss ich bei ihm immer an den klassischen Fantasy-Paladin denken.
Ich verzog etwas das Gesicht – normalerweise bin ich ja (außerhalb der Privatsphäre dieser Seiten jedenfalls) selbst niemand, der sich zu allzu kruden Flüchen hinreißen lässt. „Ja, tut mir leid“, erwiderte ich deswegen leicht zerknirscht, bevor ich dann aber doch fortfuhr: „Aber extreme Situationen erfordern eben manchmal extreme Sprachwahl.“
Unser Paladin lenkte auch ein. „Stimmt. Sorry.“
Das war der Punkt, an dem Ximena aufsprang und laut in die Runde pfiff, bevor sie eine leise klirrende Kühltasche auf den Tisch hievte. „Meine Güte, jetzt lasst uns erstmal feiern! Wir haben immerhin ein verdammt großes Ritual hinter uns gebracht!“

Die Kühltasche enthielt Sekt und Gläser, also taten wir genau das. Ich gebe zu, es wurde wieder ein bisschen spät.

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26. März

Heute hatte Edward das um zwei Wochen verschobene Gespräch mit der Abteilung für innere Angelegenheiten. Keine Ahnung, warum die ursprüngliche Vorladung partout an einem Sonntag hatte stattfinden sollen – vielleicht hatten sie sonst keine anderen Termine frei, oder es sollte Teil einer Zermürbungsstrategie für Edward sein oder was weiß ich. Wie dem auch sei, er hat sich mit Internal Affairs auf einen Handel geeinigt: Edward quittiert den Dienst beim Miami PD. Er erhält keine Pension, wird aber ehrenhaft entlassen, und es wird keine weiteren Untersuchungen in seine Person und seine Beziehungen zu Totilas Raith bzw. den Geschäften der Familie Raith in Miami mehr geben. Internal Affairs war nicht begeistert, aber das war ein Kompromiss, auf den sich beide Seiten einlassen konnten.
Edward will sich als Privatdetektiv selbständig machen, sagte er. Darüber hatte er in letzter Zeit ja schon häufiger nachgedacht.

Ich habe in letzter Zeit auch häufiger über etwas nachgedacht. Schon lange eigentlich, auch wenn ich es auf diesen Seiten noch nie explizit ausgeschrieben habe. Ich liebe Lidia, und ich würde unsere Beziehung gern auf die nächste Ebene heben, falls sie zustimmt. Oh Dios, wie trocken das klingt. De verdad, Alcazár, dafür, dass du Schriftsteller bist, kannst du dich manchmal echt ganz schön hölzern ausdrücken.

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27. März

Totilas hat in den letzten Tagen viel Zeit in Raith Manor verbracht. Er wollte sich ganz aktiv mit seiner Mutter versöhnen und das Verhältnis zu seinen Eltern wieder herstellen, jetzt wo die beiden ein bisschen Zeit hatten, um erst einmal zueinander zu finden. Totilas hat angedeutet, dass es seiner Mutter gar nicht gefällt, dass er ein Verbrecher ist, der in durchaus größerem Stil mit Drogen und in gewissem Maße auch mit Menschen handelt, aber er ist ihr Sohn, und moralische Diskussionen können und werden später kommen, jetzt wollen sie erst einmal wieder ein gutes Verhältnis zueinander herstellen. (Das geht mir ja ganz ähnlich – ich kann diese Machenschaften ja auch nicht gutheißen, und eigentlich müsste ich mich längst von Totilas distanziert haben... aber er ist nun mal mein Freund, und ich toleriere seine Machenschaften, was auch immer das nun über mich aussagt. Dass ich kein so netter Kerl bin, wie ich das eigentlich gerne von mir glauben würde, vermutlich. Mierda.)

Wie dem auch sei, als wir uns letztens mal mit Richard und Sancía getroffen haben, war sehr deutlich zu merken, dass die beiden nicht nur neu verliebt sind, sondern dass sie in wahrer Liebe verbunden sind. Tatsächlich sah Totilas so aus, als würde es ihm Schmerzen bereiten, wenn sein Vater oder seine Mutter seine Hand griffen oder ihm über die Wange strichen – nicht so stark, dass es ihm eine Brandblase zufügen würde, aber er versucht ja auch nicht, sich von den beiden zu ernähren. Und es ist ein Zeichen dafür, wie sehr er seinen Eltern zugeneigt ist, dass er die Berührungen trotzdem über sich ergehen lässt, ohne mit der Wimper zu zucken, und sich sogar darüber zu freuen scheint. Gerade Sancía, emotional, wie sie ist, scheint Totilas ihre mütterliche Zuneigung durch liebevolle kleine Berührungen zeigen zu wollen. Jetzt, wo ihre Seele wieder mit ihrem Körper vereint ist, erinnert sie sich wieder, sagte Totilas letztens, und sie ist sehr betroffen darüber, was sie ihm damals angetan hat. Jetzt will sie ihn neu kennenlernen, und Totilas ist mehr als einverstanden – das ist ja genau auch sein Ziel.

Richard Raith wirkte nicht nur überglücklich, sondern auch sehr erleichtert, tatsächlich so, als sei eine riesige Last von seiner Seele genommen. Er erwähnte etwas davon, dass er sich jetzt wieder ganz der Magie widmen könne und wolle und vielleicht sogar versuchen wolle, einen Platz im Weißen Rat zu erlangen. Hmmm – er war ja der Lehrling von Lafayette duMorne, dem Warden vor Spencer Declan... Vielleicht stehen seine Chancen dafür, in den Magierrat aufgenommen zu werden, gar nicht so schlecht. Und vielleicht wäre er irgendwann ein Kandidat für das unbesetzte Warden-Amt hier? Hmmm. Hmmmm!
Unter Lafayette duMorne gab es übrigens nie 'Steuern', bestätigte Richard uns, und auch sonst war ihm das Konzept völlig unbekannt – damit haben wir jetzt ein für alle Mal den Beweis, dass Spencer Declan sich da lediglich in Schutzgelderpressung betätigt hat.

Sancía sagte noch, jetzt, wo sie wieder ein Mensch sei, wolle sie ihre Tochter suchen. Momentan ist Cherise ja spurlos verschwunden, nachdem wir damals vor sechs Jahren zu ihrer eigenen Sicherheit den Tod des Mädchens fingiert hatten und sie von Castor Elfenbein so weggebracht wurde, dass niemand, vor allem nicht Totilas, Richard oder sonst einer der Raiths, wussten, wohin.

Richard und Sancía wollen übrigens einen neuen Nachnamen annehmen – weder 'Raith' noch 'Canché' wären sonderlich geeignet dafür, um unauffällig als normale Menschen weiterleben zu können.

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3. April

Edwards Visitenkarten sind angekommen. Ich hatte die Ehre, die erste von ihm überreicht zu bekommen: „Parsen Investigations. Rituale & Recherchen“. Sehr schön. Das gefällt mir.

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5. April

Eben habe ich die hijas beiseite genommen und ihnen gesagt, dass ich Lidia gerne fragen möchte, ob sie meine Frau werden will, und was sie davon halten würden. Sie kicherten und nickten eifrig und freuten sich beide riesig. Ich nahm ihnen dann noch das Versprechen ab, dass sie Lidia nichts davon erzählen sollen, weil ich schon gerne möchte, dass sie die Frage direkt von mir hört. Sie müssen auch nur bis morgen Abend stillhalten, denn morgen Abend will ich fragen.

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6. April

Alles soweit fertig. Oh Mann, bin ich aufgeregt.

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Sie hat ja gesagt!!

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7. April

So, nachdem ich gestern kaum einen klaren Gedanken fassen, geschweige denn ein klares Wort zu Papier bringen konnte, jetzt nochmal in Ruhe.

Ich hatte kurz überlegt, ob ich Lidia vielleicht zum Essen ausführen sollte, aber irgendwie fand ich den Gedanken schöner, die Frage zuhause zu stellen. Ich koche ja auch sonst gelegentlich für uns, deswegen war das nichts so Besonderes, aber diesmal lag, zumindest für mich deutlich spürbar, ein gewisses Etwas in der Luft. Schon den ganzen Tag lang hüpften die Mädchen beide aufgekratzt herum wie die Gummibälle und waren ständig am Tuscheln, und sie gingen ohne jegliche Verzögerungstaktik brav früh ins Bett.

Ich hatte costillitas gebraten und Salat gemacht, dazu eine gute Flasche Wein geöffnet und den Tisch schön gedeckt, und als Nachtisch gab es flan de leche.
Nach dem Essen standen wir am Fenster und sahen auf die Lichter von Miami Beach und das nachtdunkle Meer hinaus, und das war der Moment, in dem ich Abuelitas Ring herausholte. Ich weiß gar nicht genau, warum Enrique den nie bekommen hat – er ist immerhin der Ältere von uns beiden –, aber vielleicht weil es bei ihm und Evelia nie so aussah, als würde es ernst werden. Jedenfalls hatte Mamá mir den Ring vor einer Weile mit der Erklärung zugesteckt, dass das der Ring sei, mit dem sowohl Abuelo um die Hand meiner Großmutter und Papá um Mamás Hand angehalten habe, und ich könnte ihr keine größere Freude machen, als wenn ich ihn auch irgendwann einmal zu diesem Zweck einsetzen würde.
Ich ging nicht vor Lidia auf die Knie, auch wenn ich kurz mit dem Gedanken spielte, aber dazu hätte ich mich aus unserer Umarmung lösen müssen, und irgendwie kam mir das in diesem Moment unpassend vor. Stattdessen hielt ich sie mit einem Arm weiter an mich gezogen und präsentierte ihr dabei den Ring auf der Handfläche der freien Hand, während ich – mit ein bisschen zittriger Stimme, ich muss es zugeben – die Frage stellte. Lidia drehte sich zu mir und strahlte mich an und sagte: „Ja, Cardo, das will ich!“, und ich steckte ihr den Ring an den Finger und war in dem Moment der glücklichste Mensch auf diesem Planeten. Bin ich auch immer noch. Ich kann es tatsächlich kaum fassen.

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12. April

Irgendwie tauchen in letzter Zeit immer häufiger Gottheiten und Halbgötter und dergleichen in Miami auf. Es waren ja schon immer welche in der Stadt – siehe Bjarki und Haley oder Ahalphu – aber entweder es sind mehr geworden, oder sie waren die ganze Zeit über getarnt, und jetzt lassen sie die Tarnung fallen. Oder noch besser: für die meisten Leute sind sie immer noch getarnt, aber jetzt können wir sie erkennen.

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13. April

Es sind tatsächlich mehr geworden. Bei dem Ritual haben wir ja ein Ventil geöffnet, um zum Druckablass magische Energie in die Stadt zu lassen. Das war offenbar nicht nur einfache magische Energie, sondern auch ein Gutteil göttliche Energie. Und Alex sagte, dass gerade Eleggua extrem zufrieden ist. Das war wohl wirklich haargenau das, was Alex' patron wollte. Tío.
« Letzte Änderung: 25.12.2022 | 13:48 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
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17. Juni

Ich habe doch vor einer Weile geschrieben, dass wir mit unserem Genius Loci-Ritual göttliche Energie in die Stadt gelassen haben und dass immer mehr Gottheiten und Halbgötter in Miami auftauchen. Was das konkret bedeutet, das macht sich inzwischen immer stärker bemerkbar. Seufz.

Alex erzählt, dass auf seinem Hausboot jetzt immer häufiger Geschenke und Opfergaben für Eleggua abgeben und dass Eleggua in regelmäßigen Abständen bei ihm vorbeikommt, um die Sachen abzuholen. Und sein patron hat Alex dazu aufgefordert, dass er die ganzen anderen Trickster, die hier in der Stadt unterwegs sind, also Loki, Coyote und dergleichen, doch bitte mal in ihre Schranken weisen solle. Moment... dass Loki sich gelegentlich hier in der Stadt herumtreibt, das wussten wir ja schon, aber Coyote? Und vielleicht noch andere Trickster-Gestalten? Und Alex soll denen jetzt klar machen, wer der Ober-Trickster am Ort ist? Santisíma madre.

Mir selbst ist auch etwas aufgefallen. Herzog Pan sieht nicht mehr so menschlich aus wie früher immer. Oder besser, er bekümmert sich nicht mehr so viel um den menschlichen Glamour wie früher. Er trägt seine Hörner und Bocksbeine jetzt offen und ist so auch schon draußen außerhalb seines Hofs unterwegs gewesen.
Als ich ihn direkt darauf ansprach, bestätigte Pan mir gutgelaunt auch noch einmal, dass wir mit unserem Ritual ein Tor für die alten heidnischen Gottheiten geöffnet haben und er sich jetzt seines früheren Selbst bewusster ist als zuvor. Er war auch sehr zufrieden mit der neuen Situation – eigentlich hätte ich unser Vorhaben natürlich vorher mit ihm als meinem Herzog absprechen sollen, sagte er aufgeräumt, aber vielleicht sei es ganz gut, dass ich es nicht getan habe.
Dann bot er mir Wein an und beschwerte sich, als ich höflich ablehnte, ich sei viel zu zugeknöpft. "Aber hey, die große Party kommt ja noch", zwinkerte Pan mir dann zu, "da hat sich das mit dem zugeknöpft ganz schnell erledigt!" Er habe auch schon etliche Dinge bestellt und die Vorbereitungen in Auftrag gegeben, seit ich ihm von der Hochzeit erzählt hätte. Denn ich habe meinem Herzog von der Hochzeit erzählt. Das musste ich ja – das hätte sich auf Dauer nicht geheim halten lassen. Pan war sofort Feuer und Flamme gewesen, als er davon gehört hatte: katholisch heiraten sei schön und gut, aber ich müsse die Hochzeit definitiv auch am Feenhof feiern. Und den Junggesellenabschied sowieso. Und jetzt also die Ankündigung einer großen Party.
"Oha", witzelte ich, "muss ich mir Sorgen machen?"
Pan verzog keine Miene. "Ja!"
"Oha", wiederholte ich, und jetzt war das nur noch ganz andeutungsweise ein Witzeln, "alles klar!"
Heilige Mutter, steh mir bei.

Aber nicht nur Pan habe ich von der Hochzeit erzählt, logischerweise: der Familie (Mamá und Papá waren völlig aus dem Häuschen) und den Jungs und sonstigen Freunden natürlich auch. Und Edward habe ich gefragt, ob er mein Trauzeuge sein will. Er hat zugesagt, was mich riesig freut.

---

19. August

Totilas hat, auch wenn sie schon deutlich seltener geworden sind, immer noch gelegentliche Anfälle von Phasenverschiebung. Und als wir uns heute im Dora's trafen, erzählte er, dass er in diesen Episoden immer wieder eine weiße, dunkelhaarige Frau sieht, die mit einem Schwert bewaffnet ist und meist (oder sogar immer?) auf einem Stein sitzt. Anfangs habe Totilas die Frau nur bemerkt, aber nicht weiter darauf reagiert, weil in diesen Phasenverschiebungen ohnehin alles so seltsam sei, aber als er sie immer und immer wieder sah, habe er sie irgendwann einfach angesprochen. Zuerst habe sie sich gewundert, dass Totilas sie überhaupt sehen könne, dann erfuhr er – über mehrere Male verteilt, weil die Episoden immer wieder abrupt endeten – folgendes von der Frau: Sie heiße Eoife und sei 'die Erste'.
Die Erste? Und mit dem gälischen Namen für Eva?
"Sie ist nicht zufällig nackt bis auf ein Feigenblatt?" fragte ich, aber Totilas schüttelte den Kopf. "Nein, sie ist nicht der erste Mensch. Sie ist die erste Tote, die von einem seiner Art getötet worden sei.
Das erste Opfer eines White Court also? Oha.
Hm. Hmm hmm hmm. Ob sie dann etwas mit dem See in Schottland zu tun hat, dem Lochan Dubh nan Geodh? Immerhin sind dort ja die Weißvampire entstanden.

Alex schlug vor, doch ins Nevernever hinüberzuwechseln und nach dieser Eoife zu suchen, aber vielleicht nicht gerade vom Donut-Laden aus. Und außerdem: "Roberto, hattest du da nicht eine Frage, die du stellen wolltest?"
Überrascht sahen wir erst zu Alex und dann zu Roberto, der für seine Verhältnisse ungewöhnlich herumdruckste. Normalerweise ist er doch von rein gar nichts in Verlegenheit zu bringen.
Aber diesmal schien unser Kumpel tatsächlich einen Moment lang nach Worten zu suchen, bevor er damit herausrückte, dass er seit dem Ritual auch ständig Besuch von seiner patrona hat. Oshun taucht so oft in seiner Botanica auf, dass man fast denken könnte, sie wohne da jetzt. Und weil Roberto ihr Priester ist und Oshun die Orisha der Liebe, habe sie gefordert, dass er diese Liebe nicht nur ihr gegenüber zeigen solle, sondern die Liebe auch weitertragen. Also nicht, indem er mit möglichst vielen Leuten ins Bett gehen soll, diesen Aspekt überlässt sie Roberto ganz allein, aber indem er möglichst vielen Leuten, mindestens aber seinen Freunden, dabei helfen solle, ihr Glück zu finden. Ich bin ja zum Glück schön raus, ich habe mein Glück ja schon gefunden, aber Totilas und Edward schauten ein bisschen sauertöpfisch aus der Wäsche, als Roberto sie rundheraus darauf ansprach, wie es denn bei ihnen beziehungstechnisch so aussehe. Er sei nicht so der Typ für Beziehungen, erklärte Totilas, aber er esse regelmäßig.
"Das ist nicht dasselbe", warf ich ein."Und dein Vater hatte auch eine Beziehung", fügte Edward hinzu.
"Hat ja super geklappt", brummelte Totilas.
"Ach wieso" – das war jetzt Alex – "es hat zwar gedauert, aber jetzt sind sie doch glücklich!"
Aber Totilas war nicht zu überzeugen. "Glücklich vielleicht – aber beide keine Vampire mehr!"
Dann lenkte unser White Court-Kumpel schnell den Fokus von sich weg, indem er Alex fragte, wie es denn bei ihm aussehe. Der hielt sich zwar bedeckt, deutete aber an, dass er zwar vielleicht keine feste Freundin habe, aber doch zumindest etwas in der Art. Dallas Hinkle, könnte ich mir vorstellen. Gut für ihn!
Edward… naja. Edward ist schwieriger. Der hat zwar ja vor einer ganzen Weile ein kleines Ritual abgehalten, um seelisch von Cherie loszukommen (was eine ganz eigene Büchse der Pandora ist, wenn ihr mich fragt, Römer und Patrioten), aber eine neue Beziehung ist er, soweit ich weiß, bisher trotzdem nicht eingegangen. Und ich glaube, ich wüsste es, wenn er das wäre, immerhin ist der Junge mein bester Freund. Kein Wunder also, dass Edward bei Robertos Frage etwas das Gesicht verzog.

Wir saßen noch im Donut-Laden, da ging die Tür auf, und Cicerón Linares kam herein. Er sah ganz schön angeschlagen aus (wer es sich noch nicht gedacht hat: Das war ein Euphemismus für 'er sah richtig scheiße aus') und ließ sich mit einer Grimasse auf die Sitzbank fallen.
Natürlich wollten wir wissen, was los sei.
"Shango ist los", knurrte Linares. "Der tocapelotas hängt im Clubhaus rum, krault sich die Eier, säuft, raucht mit seinem brasilianischen Kumpel Eltunchi*, nervt alle, will verehrt werden und greift alle Frauen an den Arsch, ob sie das nun wollen oder nicht."
Während mir ein "Uff, de madre" entfuhr, schüttelte Edward mit einem leisen 'tssss'-Laut den Kopf: "Ich glaub, ich hab das schon mal gesagt – Augen auf bei der Orisha-Wahl."
"Ist ja eigentlich ein guter Orisha", erwiderte Cicerón, "jedenfalls wenn er nicht immer da ist!"
Jedenfalls sei er hergekommen, weil er ja wisse, dass wir öfter hier abhängen, und weil er gehofft hatte, dass er bei Edward etwas Dampf ablassen könne. Bei den Jungs aus seiner Gang geht das ja nicht, weil er da das Anführer-Gesicht wahren muss.
"Bist du hier genau richtig", versicherte ihm Edward.
Das Thema Shango brachte mich auf einen anderen Gedanken. "Wie geht es eigentlich Ilyana mit Yansa?"
"Ilyana und Yansa sind okay", antwortete Cicerón, "aber Ilyana hat da ein anderes Problem. Krokodile."

Krokodile? Klar, die Elders sind Werkrokodile, aber sind sie doch schon lange?
Aber ganz so einfach ist es nicht, erklärte der Bandenboss uns. Ja, die Elders sind Werkrokodile, und wie wir ebenfalls alle wissen, leben in den Glades normalerweise einheimisch eigentlich Alligatoren. Und in letzter Zeit tauchen eben immer mehr Krokodile in den Glades und auch in Miami auf, was seltsam ist, weil hier eben, wie gesagt, eigentlich vor allem Alligatoren hergehören.
Hmm. Wir wissen, dass die Elders irgendwann einmal aus Ägypten eingewandert sind. Und wie man weiß, wurden Krokodile im alten Ägypten als Götter verehrt. Ist jetzt vielleicht einer diese alten Krokodilsgottheiten im Zuge der ganzen Götzenwanderung hier in Miami aufgetaucht? Vorstellen könnte ich es mir.

Aber jedenfalls brachte Linares' Shango-Problem uns natürlich zum Überlegen, was man dagegen tun könne.
"Sind Oshun und Shango nicht verheiratet?" fragte Alex mit einem vielsagenden Blick zu Roberto, was diesen breit grinsen und erklären ließ, es sei an der Zeit, dass die beiden sich wieder einmal miteinander beschäftigten statt mit ihren sterblichen Erwählten. Er will auf jeden Fall versuchen, Oshun sanft in diese Richtung zu schubsen.

Sobald Cicerón gegangen war, brachen wir ebenfalls auf, um uns auf die Suche nach dieser Eoife zu machen.
Bei Edward wurde mir bewusst, dass ich Schneeball eine ganze Weile nicht gesehen hatte. Denn erst jetzt, als ich den Hund wieder zu Gesicht bekam, fiel mir auf, dass auch er sich verändert hatte. Der weiße Spitz…  war kein Spitz mehr. Schneeball war größer geworden und wolfsartiger, deutlich ruhiger, nicht mehr so hektisch wie früher. Edward erklärte das so, dass Schneeball seit dem Ritual offenbar Wolf kanalisiert. Das stört ihn aber nicht weiter, sagte er.

Jedenfalls schlug Alex vor, Eoifes Geistgestalt zu suchen und ihr anzubieten, von Alex Besitz zu ergreifen, damit wir alle mit ihr würden sprechen können. Ein Blick auf die Geisterebene sagte ihm, dass Eoife kein gewöhnlicher Geist war, sondern irgendwie nur halb anwesend. Sie hielt sich in Totilas' Nähe auf, aber nicht vollständig, und sie hatte ihre Aufmerksamkeit zwar auf Totilas gerichtet, aber nicht nur auf ihn. Alex sagte, es sehe so aus, als habe sie gewissermaßen Aufmerksamkeitspunkte verteilt, und einer dieser Punkte lag bei Totilas.

"Ich spreche sie jetzt an", sagte Alex, und dann hatte er plötzlich ein Schwert in der Hand. Die Waffe, das erkannte ich sofort, war Feenarbeit, aber anders als Jade, die ja ihren Aspekt verändert, je nachdem, wer sie führt (und ja nur bei mir überhaupt 'Jade' heißt), war sehr deutlich, dass dieses Schwert unveränderlich war und unveränderlich Eoife gehörte und niemandem sonst. Und ja, Eoife war bereit, mit uns zu reden.
Nachdem wir uns alle kurz vorgestellt hatten, bestätigte Eoife das, was sie Totilas auch schon gesagt hatte, dass sie nämlich das erste Opfer eines White Court-Hungerdämonen gewesen war. Jetzt erfuhren wir außerdem, dass sie sehr genau weiß, wer sie getötet hat, sprich welcher Mensch es gewesen war, der diesen ersten Dämonen aus dem See geholt hatte. Rory McCormac war dessen Name, oder genauer gesagt Ruairidh MacCormac im gälischen Ursprung. Sie will Rache, sagte sie, und die Feen haben zugesagt, ihr bei dieser Rache zu helfen. Nachdem sie ihnen einen Gefallen getan hatte, erhielt sie das Schwert von den Feen, und mit dieser Waffe wird es möglich sein, diesen ersten Dämon zu töten. Da ist nur dieses kleine Problem, dass sie nicht weiß, wo sie ihn finden kann. Das und die Tatsache, dass ihr das "Dritte" fehlt, das sie braucht, um ihre Rache vollenden zu können, sie aber nicht weiß, was dieses Dritte sein könnte.

Hier mussten wir natürlich einhaken. Wenn ihr das Dritte fehlt, was sind dann das Erste und das Zweite?
Die Fähigkeit, auch als Geist sie selbst zu bleiben und nicht zu einem reinen Abbild zu werden, habe sie von der Morrigan bekommen, das Schwert hingegen vom König unter dem Hügel, dem Herrn der Steinkreise.
Als sie das sagte, rührte sich die Sommermagie in mir. Ich kann nicht einmal sagen, warum, denn eigentlich konnte ich mit dieser Anrede nichts anfangen, aber obwohl die Bezeichnung mir nichts sagte, fühlte sie sich an wie ein Schlag in die Magengrube und wie Winter.
Aber das versuchte ich mir nicht anmerken zu lassen, sondern ich lenkte mich damit ab, dass ich Eoife fragte, wann sie eigentlich gelebt habe. Zu der Zeit seien gerade die ersten Christen in Schottland entstanden. Also gibt es die Weißvampire etwa seit dem Beginn des 5. Jahrhunderts. Kein unmittelbar nützliches Wissen, aber trotzdem interessant.

Als Eoife mit ihrem Bericht fertig war, boten wir ihr an, ihr zu helfen. Edward vor allem machte den Vorschlag: Vielleicht ist das Dritte ja ein Gerät, das er ihr bauen kann und mit dem sie diesen McCormac – bzw. seinen Dämon – finden kann? Immerhin hat sie mit Gottheiten und Feen gesprochen, warum nicht jetzt mit einem Zauberer?
"Was willst du dafür?" fragte Eoife. "Lass uns erst einmal diesen McCormac finden", erwiderte Edward, "Am Ende kannst du mir zahlen, was es dir wert war und was du geben kannst. Das kannst du vermutlich sowieso erst am Ende sagen."
"Oha, das ist ganz schön viel" brummte Eoife, "blöde Zaubererantwort wieder. Aber was frage ich auch einen Zauberer."
Am Ende ließ sie sich dann aber doch auf den Handel ein, und Edward überlegte noch ein bisschen laut vor sich hin, dass Eoife selbst der 'Gegenstand' sein könnte, den er bei seinem Ritual einsetzen kann, um den Dämon zu finden, denn schließlich kennt sie ihn mit am besten. Huh. Ich bin zwar kein hermetischer Magier, sondern pfusche nur ein bisschen mit Feenmagie herum, aber das klingt, als könnte es noch interessant werden, einen Halbgeist wie Eoife als Fokus für so ein Ritual einzubinden.

Bevor wir Eoife gehen ließen, lud Alex sie noch ein, jederzeit wiederzukommen, wenn noch etwas wäre. Und als wir anderen dann auseinandergegangen waren, ging ich mit den Informationen, die wir von Eoife bekommen hatten, recherchieren, ob ich noch etwas mehr über diesen Rory McCormac herausfinden konnte.
Einen Clan MacCormac gab es früher einmal in der Nähe des Lochan Dubh nan Geodh, aber der Clan wurde ausgelöscht, und zwar so früh, dass er nicht dazu kam, einen eigenen Tartan zu entwickeln.
Aber eine Legende aus dem verschwundenen Clan fand ich auch, die ziemlich genau nach dem klang, was ich suchte: Ein MacCormac, je nach Version Ronald oder Robert oder Rodrick genannt, verliebte sich in eine schöne Maid, doch diese wies ihn ab. Er sei nicht stark genug, um ihrer würdig zu sein, beschied sie ihm, also schloss er einen Handel mit den Feen, damit diese ihm Stärke verliehen. Erstarkt kehrte er zu der Maid zurück, doch nun stieß sie sich an seiner mangelnden Bildung, also ging er zu den Christen und lernte dort das Lesen und Schreiben. Nun jedoch war er nicht charmant genug für die hartherzige Maid, und so schloss er einen Handel mit einem Dämonen, der ihm Liebreiz und Anziehungskraft verlieh. Weil Ronald oder Robert oder Rodrick jetzt so unwiderstehlich war, gab die Maid sich ihm hin, aber in der Hochzeitsnacht erwürgte er sie.

Oder zumindest sprachen die Legenden von 'Erwürgen' – das dürften eher Ruairidh MacCormacs neu erwachte White Court-Kräfte gewesen sein, schätze ich.


*ich gebe zu, ich musste hinterher nachschlagen, wer oder was dieser Eltunchi genau ist. Eine brasilianische Wald-Schutzgottheit, ergab die Recherche. Ey, der soll lieber in Brasilien den Regenwald beschützen, statt hier in Miami mit Shango auf un par de tremendos comemierdas zu machen. Echt jetzt!

---

30. September

Ángel Ortega hat sich heute bei Roberto gemeldet (was einem schon sagen dürfte, dass die Sache ernst für ihn ist): Er macht sich Sorgen um Ximena. Ángel arbeitet ja schon seit einer Weile in Ximenas Privatdetektei und ist deswegen näher an ihr dran als Roberto als ihr Cousin das ist. Jedenfalls erzählte Ángel, seit das magische Machtniveau hier in der Stadt angestiegen sei, habe sie sich mit ein paar der Gottheiten angelegt, die sich seit dem Ritual in Miami aufhalten. Und sie habe in letzter Zeit des Öfteren laut überlegt, dass diese Gottheiten ihre Macht ja irgendwo herbekommen müssten und dass es doch interessant wäre, diese Macht anzuzapfen.

Daraufhin rief Roberto bei Ximena an, erreichte aber nur ihren Anrufdienst, also hinterließ er eine Nachricht und trommelte uns zusammen. Wir beschlossen, Ximena in der Detektei aufzusuchen, trafen dort aber nur Bjarki an, der uns erzählte, Ximena sei mit Febe shoppen gegangen. Während wir warteten, erzählte Bjarki, dass seine Familie jetzt bei ihm wohne, weil das Tor jetzt ja offen sei und alle sich die Erde anschauen kommen wollten.
'Seine Familie' - coño, wir reden von Bjarki Lokison, die Familie ist potentiell groß. Und schräg.

Als Ximena zurück war, gab sie auf Robertos Nachfrage bereitwillig zu, dass sie gerne die Machtquelle der Götter finden würde. Erstens seien Menschen wissbegierig und entwickelten sich immer weiter, zweitens sei das auch nichts anderes als das, was wir (also wir Ritter) ständig machten, und außerdem seien Outsider in der Stadt, gegen die wir momentan noch nicht ankommen. Gerade gegen die bräuchten wir neue Ideen.
Ob sie denn schon etwas herausgefunden habe wegen der Quelle, wollte Edward wissen, worauf Ximena den Kopf wiegte und antwortete, sie habe erst einmal mit Büchern angefangen, mit der Grundlagenrecherche. "Aber Cicerón hat Shango in die Fresse gehauen", fuhr sie fort, "sie sind also schlagbar."
Da musste ich einhaken. "Natürlich, sie sind ja auch nicht allmächtig", entgegnete ich. "Es gibt nur Einen, der das ist."
Ximena nickte heftig. "Genau – ich bin ja selbst eine gute Katholikin: Es geht mir nur um diese anderen."
Mmhmhm. Wenn sie es so sagte… "Okay, dein Plan ist doch nicht so schrecklich, wie er anfangs aussah, aber pass auf dich auf, Ximena."
Ihre Antwort überraschte mich nicht. "Klar. Ich hab das im Griff."
« Letzte Änderung: 24.12.2020 | 20:56 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Timberwere

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Wir wollten gerade aufbrechen, da klingelte mein Handy einmal und brach sofort wieder ab. Gleich darauf nochmal. Und nochmal. Und nochmal. Und… naja. Obwohl ich das Telefon in der Hand behielt und aktiv darauf lauerte, den 'Annehmen'-Knopf zu drücken, dauerte es eine ganze Weile, bis es mir gelang, den Anrufer abzupassen, bevor er wieder auflegte. Es war Halfðan, und er klang einigermaßen gehetzt. "Hallo? Hallo? Ah, jetzt… Tut mir leid, Cardo, irgendwann lerne ich das noch mit diesen Telefonen… Es gibt einen Notfall… Wir haben Ulfr Sverrisson gesehen, der Gunnar getötet hat, ihn, und noch ein paar andere! Wir sind ihnen gefolgt, sie sind in einer, wie heißt das… Mall, glaube ich? Du musst unbedingt kommen, die sind gefährlich!"
Oh, santisíma madre. ¿Que demonios?
"Wo, welche Mall? Rührt euch nicht von der Stelle und unternehmt nichts alleine, ich bin auf dem Weg!"

Weil Alex fuhr, konnte ich von unterwegs bei Haley anrufen. Das hat in der Vergangenheit, je nachdem, wo sie gerade war, ja nicht immer so gut geklappt, aber diesmal war die Verbindung anständig. "Ja", antwortete sie fröhlich auf meine Frage, ob sie Leute aus Helheim rausgelassen hätte, "die wollten auch mal shoppen gehen." Oh Dios. Sie sei aber nicht völlig verantwortungslos, Bjarki würde auf sie aufpassen. Oha. Das war also der Anruf gewesen, den Bjarki bekommen hatte.

In der Mall dauerte es nicht lange, die Einherjar zu finden. Halfðan, Gunnar und zwei andere – Svein und Kjetil – wurden nämlich gerade von zwei Mall-Cops umringt (naja, so gut zwei Sicherheitskräfte eben vier nicht ganz kleine Nordleute umringen können), die höflich auf sie einschrieen. Also ja, laut, und ja, eindringlich, aber eben nicht bedrohlich, sondern noch mit vielen "Sirs" und ohne gezogene Waffen. Mierda. Ich will gar nicht wissen, wie die Situation ausgesehen hätte, wenn das keine weißen Skandinavier gewesen wären.
Da die vier Einherjar keinerlei Anstalten machten, auf die Sicherheitsleute zu hören, sondern immer weiter aufgeregt auf sie einredeten und auch mich gar nicht zu bemerken schienen, pfiff ich einmal schrill durch die Finger, das wirkte. Die Krieger verstummten abrupt und kamen zu mir herüber, als ich sie heranwinkte. Außerdem erkannte mich einer der Mall-Cops und fragte, ob diese Leute zu mir gehörten? Ja, antwortete ich, und ob es Ärger gegeben habe? Ob die vier verhaftet werden sollten? Nein, nein, nicht verhaftet, beeilte der eine Cop sich, mir zu versichern, sie sollten nur bitte einfach die Mall verlassen. Oder wenigstens Ruhe geben. Ob ich dafür garantieren könne? Ich würde dafür sorgen, bestätigte ich, dann zogen die Sicherheitsleute ab.

Ein Stück abseits der kleinen Menschentraube, die sich für das Spektakel gebildet hatte und sich jetzt wieder zu zerstreuen begann, fragte ich, was denn eigentlich los gewesen sei. Nicht viel, tatsächlich, stellte sich heraus: Es war alles ziemlich harmlos und glimpflich geblieben. Die Einherjar waren durch die Mall geschlendert, als Gunnar plötzlich ein bekanntes Gesicht sah, und zwar eines aus seinem früheren Leben damals: Ulfr Sverrison, der ihn damals in der Schlacht getötet hatte. Daraufhin hatte er erst mich angerufen, dann aber doch Ulfr direkt konfrontieren wollen, und dann war es laut geworden und die Mall-Cops hatten eingegriffen.

Ich erklärte, ich würde mich der Sache annehmen, und schickte die Krieger nach Hause, bevor wir Bjarki und seine Schützlinge suchen gingen. Die waren tatsächlich noch da, wo Gunnar sie zuletzt gesehen hatte: in der Eisdiele des Food Court nämlich. Bjarki winkte mir fröhlich zu, als er mich sah, und auch seine Begleiter wirkten eigentlich ziemlich friedlich und umgänglich. Der Isländer bestätigte uns noch einmal das, was Haley auch schon am Telefon gesagt hatte: dass sie nämlich Besucher aus Helheim nach Miami lasse. Das Tor in die nordische Unterwelt befinde sich in Haleys Zimmer in seinem Haus. Und ja, das sei ein bisschen nervig, dass sein Haus jetzt so eine Durchgangsstation für Helheim-Touristen geworden sei, aber das gehe schon irgendwie.
Wir philosophierten ein bisschen darüber, dass es eigentlich ziemlich unfair ist, dass man laut nordischer Mythologie nur zum Einherje wird, wenn man in der Schlacht fällt, dass aber ein Krieger, der selbst alle Schlachten überlebt und später auf andere Weise stirbt – also im Prinzip der bessere Kämpfer ist – das Recht auf Walhalla verwirkt hat. So war es jedenfalls Ulfr Sverrison ergangen, sagte er – aber halb so wild, er habe ein ein langes, gutes Leben gehabt, und in Helheim sei es eigentlich auch ganz nett.
Wir waren mit dem Gespräch eigentlich soweit fertig, da hatte Bjarki noch eine Warnung für mich. Ich habe die Einherjar ja damals ohne offizielle Erlaubnis aus Heorot nach Miami geholt, und Bjarki war sich nicht sicher, wie amüsiert Odin darüber sei – oder sein werde, sobald er davon erführe. Huh. Ja. Das war nichts, was ich damals  - oder überhaupt bis zu diesem Moment - bedacht hatte. Mierda.
Ob er seinen Vater bitten solle, Thor oder Odin mal zu mir zu schicken, fragte Bjarki, aber das wiegelte ich für's Erste ab. Vielleicht komme ich auf das Angebot nochmal zurück, aber darüber will ich erst einmal in Ruhe nachdenken. Dass es eine metaphysische Entität namens Odin gibt, daran zweifele ich jedenfalls nicht – das wäre auch schön doof, nachdem ich anderen metaphysischen Entitäten aus demselben Kulturkreis (und anderen Kulturkreisen) bereits begegnet bin.

"Wir sollten echt sowas wie einen Einreise-Checkpoint für Übernatürliche einrichten", brummte Alex, als wir wieder unter uns waren.
"Sowas wie bei Men in Black für die Aliens, meinst du?" fragte ich. Keine schlechte Idee, tatsächlich, aber wie sowas umsetzen?
"Wir müssen in die Unseelie Accords", sagte Edward unvermittelt. Der Gedanke war ja letztens schon mal aufgekommen, aber da hatten wir irgendwie gerade zu viele andere Sachen um die Ohren, um uns näher damit zu beschäftigen. Jetzt aber fingen wir an, ein paar Ideen zu dem Thema hin- und herzuschieben.
Ich zumindest hatte keine Ahnung, wie man das überhaupt anstellen müsste, aber die anderen wussten zum Glück mehr. Man benötigt drei Sponsoren: drei Parteien, die bereits den Accords angehören und die sich dafür aussprechen, die neue Partei aufzunehmen.
Hm. Da war natürlich die Frage, wer bei uns diese drei Sponsoren sein könnten. Der Sommerhof wäre vermutlich eine Option, eventuell sogar der Winterhof, wenn nicht ich derjenige bin, der den Vorstoß in diese Richtung macht. Der Rat der Magier? Ähm. Nein. Wohl eher nicht. Was für Fraktionen sind denn noch in den Accords? Die Vampirhöfe… hm, vielleicht könnte Totilas als Raith beim White Court in die Richtung wirken. Wobei mir der Gedanke, dem White Court für das Sponsoring etwas zu schulden, ganz und gar nicht gefällt.

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10. Oktober

Alex' Familie hat sich ganz kurzfristig für einen Besuch angesagt. Übermorgen schon wollen sie hier sein. Zumindest hat Dee heute bei Alex angerufen und ihm das erzählt. Ihr Vater hat sich wohl nur bei Dee angekündigt, will aber offenbar mit beiden reden, also wird Alex seine Schwester natürlich an den Flughafen begleiten, um den Rest der Familie abzuholen.

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12. Oktober

Eben hat Alex angerufen. Seine Familie ist hier, und irgendwas Komisches ist los. Alex ist nicht ins Detail gegangen, dafür war keine Zeit, aber er hat erzählt, dass sein Vater von Geistern verfolgt wird. Er hat uns alle zu Dee gerufen. Nachher mehr.

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Später. Wir haben Alex' Eltern (Alex' Vater ist ein hohes Tier in der U.S. Army), Alex' Bruder (der ebenfalls beim Militär ist) und dessen Frau kennengelernt, ebenso deren Tochter. Sowohl General als auch Captain Martin sind auf derselben Base in Arizona stationiert, und diese Base wurde kürzlich von den Froschlingen angegriffen. Bei diesem Angriff kamen einige Soldaten ums Leben, und eben diese Soldaten folgten dem General jetzt als Geister. Alex' Bruder konnte die Geister nicht sehen, dessen Tochter Elaine sah sie aber tatsächlich auch.
Alex lud einen der Soldaten in sich ein, um mit ihm zu reden, erfuhr aber nichts weiter, als dass der Trupp den General, die Zivilisten und das Land beschützen wollten und jetzt dem General folgten, weil er halt der General sei. Daraufhin hatte General Martin die Soldaten explizit aus ihrem Dienst entlassen und Alex sie weitergeschickt, aber einer von ihnen fehlte. Oder genauer gesagt, er verschwand direkt vor Alex' Augen, mit einem überraschten Gesichtsausdruck, als habe er nicht damit gerechnet, dass das jetzt passieren würde.
Alex warf einen Blick ins Nevernever, wo der Boden aufgewühlt aussah, als habe dort ein Kampf stattgefunden oder als habe sich jemand gewehrt. Als Alex danach dem Verschwundenen hinterherspürte, stellte er fest, dass der Soldat weg war, komplett fehlte, als sei er von etwas aufgefressen worden.

Als ich das hörte, rief ich kurz bei Bjarki an, um mich nach den Helheim-Touristen zu erkundigen, aber in der Hinsicht konnte Bjarki mich beruhigen. Von dem kleinen Touristentrüppchen ist niemand verschwunden, sondern er hat sie alle wieder wohlbehalten in Helheim abgeliefert, sagte er.
Okay. Das war immerhin schon mal beruhigend.

Alex öffnete uns ein Tor ins Nevernever, weil uns dort ein bisschen genauer umsehen wollten. Aber als wir auf der anderen Seite ankamen, war Totilas nicht mehr bei uns. ¿Que demonios?
Während Alex unseren White Court-Kumpel suchen ging, versuchten Edward, Roberto und ich, den Spuren des Geisterfressers zu folgen.
Es war spannend zu sehen, wie im Nevernever die Schutzzauber um Dees Haus einen leuchtenden Wall ergaben und wie auch die magischen Schwellen der anderen Häuser zu sehen waren.
Spuren, denen wir so richtig folgen konnten, gab es keine, aber an der Grenze zu Dees Haus, dort, wo der Schutz begann, lag, halb verborgen im Gras, eine Rabenfeder.

Ay, mierda. Stefania Steinbach. Was um alles in der Welt haben die Denarier-Dämonen mit dieser ganzen Sache zu tun?

Etwas später tauchte Alex mit Totilas im Schlepptau wieder auf, der bei seinem Übergang von einer weiteren Phasenverschiebung erwischt und ein ganz schönes Stück weit weggeschleudert worden war. Alex öffnete uns den Weg zurück, und bei Dee im Haus hielten wir erst einmal Kriegsrat.

Dass es aussieht, als seien die Denarier in die Sache verwickelt, ist mehr als unschön, da waren wir uns alle einig.
Außerdem ist Alex aufgefallen, dass er in letzter Zeit sehr wenige von Adlenes bzw. Jaks Halsbandgeistern in der Stadt gesehen hat. Entweder die haben etwas anderes vor und hängen uns deswegen nicht mehr ständig auf der Pelle, oder sie sind auch irgendwie aus der Stadt verschwunden.

Oh, und Alex hat einen neuen Namen für Adlenes Geister geprägt: „Halsbandsittiche“. Vielleicht nicht unbedingt passend, aber lustig.

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20. Oktober

Totilas war zu einem kleinen interfamiliären Therapietermin bei Hilary Anger Elfenbein. Eigentlich sind beide Probleme, die er zuletzt hatte, die Phasenverschiebung und die gekappte Verbindung zu seinem Dämon, ja zumindest im Ansatz erledigt: In Sachen Phasenverschiebung hat ja unser Ritual die Heilung eingeleitet, und es wird jetzt einfach noch eine Weile dauern, bis die letzten Reste davon verschwunden sind, und zu seinem Dämon hat unser Kumpel inzwischen ja auch wieder Kontakt. Aber trotzdem wollte er die beiden Themen bei der White Court-Therapeutin einmal ansprechen, um ihre Meinung darüber zu hören. Und vielleicht hat sie ja noch Ideen, wie man Totilas' Heilung beschleunigen kann.

Wie man die Heilung beschleunigen könnte, wusste sie nicht, aber sie warnte Totilas, dass sein Dämon, oder besser, die mangelnde Kommunikation mit ihm, der ständige Zweikampf zwischen den beiden Persönlichkeiten, Totilas dem Dämon und Totilas dem Nicht-Dämon, ein Problem werden könnte. Also ein noch größeres Problem, als es das ohnehin schon ist.

Totilas sagte, auf diese Bemerkung hätte er Hilary überrascht gefragt, ob das denn auch anders ginge, und sie habe erklärt, in ihrem Bekanntenkreis sei er der einzige White Court, bei dem das so sei. Bei ihr selbst zum Beispiel äußere sich ihr Hunger nicht als eigene Persönlichkeit, sondern als Instinkte, denen sie eben nicht nachgebe. Der Hunger sei einfach eine weitere Seite ihres Selbst – sie habe ihn nicht so verpersönlicht, wie Totilas das tue, und er Hilarys Hunger spreche nicht mit ihr.
Warum das bei Totilas so sei, könne sie nicht sagen, aber als Therapeutin könne sie ihm sagen, dass dieser innere Konflikt ihm irgendwann noch ganz gehörig um die Ohren fliegen könne.

---

Indessen hatte Edward auch ein Treffen, und zwar mit seiner Nachfolgerin beim SID, der neu zum Lieutenant beförderten Allison Townsend. Was sie genau besprochen haben, erzählte Edward nicht im Detail, aber er hat ihr reinen Wein eingeschenkt. Denn das Ende vom Lied war, dass Allison bei ihm zumindest die Grundzüge der Magie lernen will – und Edward will ihr Miami vorstellen.

Wobei. Den Austausch hat Edward tatsächlich detailliert wiedergegben. Es ging wohl darum, dass er irgendwann zu Allison sagte, er beschütze Miami, und das könne er außerhalb der Polizei besser als darin. Darauf fragte Allison, ob er ein Mandat von der Stadt habe, und Edward antwortete: „Ja, das habe ich tatsächlich.“
Darauf Allison, ironisch: „Die Stadt ist zu dir gekommen und hat gesagt 'beschütz mich'?“
Und Edwards Antwort: „Andersrum. Wir haben gesagt, wir wollen das, und sie hat gesagt: 'Macht mal.'“
Und deswegen will Allison jetzt Miami kennenlernen. Ich bin gespannt, wie sie für sie aussehen wird.

---

Und noch ein Gespräch, von dem ich allerdings auch nur die groben Grundzüge weiß: Alex hat mit seiner Nichte über Magie und das Sehen von Geistern und all das gesprochen. Offenbar hat Elaine das Zweite Gesicht, sagte Alex, und hat schon einige Erinnerungen unauslöschlich eingebrannt bekommen. Er hat ihr erzählt, dass man dagegen angehen kann, indem man versucht, auch und gerade schöne Eindrücke mit der Sight zu betrachten, um ein gewisses Gegengewicht zu den schlimmen Bildern zu erreichen, und er hat Roberto gebeten, dem Mädchen beizubringen, wie man das Zweite Gesicht kontrolliert und verhindert, dass es ungewollt anspringt.

---

23. Oktober

Ich habe wegen der Aktion letztens in der Mall nochmal mit Halfðan geredet. Das ist soweit erstmal alles geklärt, und Halfðan hat versprochen, dass seine Leute und er ruhig bleiben werden, wenn weitere Touristen aus Helheim auftauchen (und das werden sie mit ziemlicher Sicherheit, glaube ich), aber da ist ja noch das, was Bjarki sagte und was Halfðan mir jetzt bestätigte. Die Einherjar aus Heorot sind wirklich desertiert, wenn man es sich so überlegt: Eigentlich sollten sie ja in Walhalla auf Ragnarök warten, also das Ende der Welt gemäß der nordischen Mythologie, wenn es gemäß dieser Mythologie zum Krieg gegen die Frostriesen kommen soll. Nun haben sie alle den Marvel-Film „Thor: Ragnarök“ gesehen, aber das zählt ja wohl nicht. Und überhaupt kommen in dem Film viel zu wenige Einherjar für ihren Geschmack vor.
Aber das nur nebenbei. Aus dem Gespräch wurde jedenfalls eines für mich klar. Ich sollte definitiv Odin finden und den Zustand offiziell machen, bevor Odin uns von sich aus findet.

---

26. Oktober

Kriegsrat heute.

Roberto hat erzählt, dass Oshun inzwischen mehr mehr mit Shango zusammen ist, was einen Vorteil und einen Nachteil hat. Der Vorteil: Die Orisha rückt Roberto jetzt nicht mehr so auf die Pelle und geht ihm etwas weniger auf die Nerven; der Nachteil: Dafür bringt sie Shango jetzt gelegentlich mit zu Roberto, und dann hat er sie beide am Hals.

Totilas hatte mit Marshal, Cherie und Vin eine Unterredung über Rory McCormac und die Familienhistorie der Raiths bzw. über den ersten White Court-Vampir. Dabei fragte er, ob seine drei Verwandten wüssten, was passiere, wenn ein White Court den Dämon eines anderen in sich aufnehme. Ob das überhaupt ginge und wie sich das äußere. Marshal habe gesagt, das sei möglich, das habe er schon getan, und das mache einen stärker. Totilas fragte Marshal ganz direkt, ob es möglich sei, dass er den Dämon von Ruairidh MacCormac in sich trage, was der nicht wusste, es aber nicht glaube. In dem Gespräch kristallisierte sich heraus, dass  Ruairidh MacCormac eigentlich vermutlich der erste Weiße König gewesen sein dürfte, und wer dessen Essenz in sich aufgenommen habe, müsste eigentlich ziemlich stark sein.

Nachdem Totilas uns von dem Gespräch berichtet hatte, erzählte ich von meinem Einherjar-Problem. Ich erzählte auch, dass Bjarki angeboten habe, Loki auf die Sache anzusetzen und ihn zu bitten, Odin zu mir zu schicken, dass ich das aber lieber vermeiden würde, weil mir das nicht ganz geheuer sei.
„Ich würde Loki nicht mal trauen, wenn er sagen würde, der Tisch ist blau“, stimmte Totilas mir zu. „Aber wir könnten Odin ein Geschenk oder eine Gabe darbringen, um ihn milde zu stimmen.“
„NEIN.“ Anzuerkennen, dass eine metaphysische Entität existiert, ist eine Sache. Sie anzubeten – und ein Geschenk oder eine Gabe wäre genau das – ist eine ganz andere, und das kommt nicht in Frage.
„Dann eine Audienz vielleicht? Eine Audienz hat mit Religion nichts zu tun.“
Hmmm. Na okay. Eine Audienz würde gehen, schätze ich.

Es gibt da ja in der nordischen Mythologie diesen Heimdall, der angeblich alles hört und sieht, was so passiert. Also blickte ich irgendwo in die Luft hinter den Jungs, räusperte mich und sagte: „Ähm, Heimdall? Hier ist Ricardo Alcazár aus Miami, Florida. Seid gegrüßt. Ich, ähm, würde gerne mit Odin sprechen, wenn sich das irgendwie machen lässt.“

Ja, ich weiß. Super-wortgewandter Schriftsteller und all das. Haha. Keine blöden Sprüche bitte, Römer und Patrioten. Eine direkte Antwort kam natürlich keine. Aber die hatte ich auch nicht erwartet. Ich bin nur mal gespannt, ob überhaupt irgendwann eine Reaktion kommen wird.
« Letzte Änderung: 15.04.2021 | 18:45 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
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Zitat von: Shield Warden
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Nur nicht missverstehen...

@sindar, @Läuterer: Das freut mich! :)

Aber, @Läuterer: inwiefern denn missverstehen?
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
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Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Aber, @Läuterer: inwiefern denn missverstehen?
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Ach so, jetzt. Duh. Einmal aufstehen und vom Schlauch runter. :D
Zitat von: Dark_Tigger
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Offline Der Läuterer

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Ricardos Tagebuch: Ghost Story 1

28. Oktober

Eine Sache habe ich ja bisher noch gar nicht aufgeschrieben – keine Ahnung, warum eigentlich, denn sie ist ja nun ziemlich wichtig.
Lidia war ja schon einmal verheiratet, und nein, sie ist nicht verwitwet. Sie hatte ziemlich jung geheiratet, und als Monica geboren wurde, ließ ihr Mann sie und das Baby kurzerhand sitzen, daher die Scheidung.

Theoretisch könnten wir also gar nicht heiraten. Aber ich habe heute mit Pater Alvaro gesprochen, und er sagte, dass es auch bei uns im Katholizismus zunehmend möglich ist, vorige Ehen annullieren zu lassen, so dass eine zweite kirchliche Hochzeit stattfinden kann. Pater Alvaro sagte, er sei kein Befürworter davon, diese Praxis ausarten zu lassen und mit der Gießkanne auf jede Beziehung anzuwenden, wo die Ehepartner das Interesse aneinander verloren haben, aber er sagte auch, in bestimmten Fällen könne er die Notwendigkeit nachvollziehen und sei offen dafür. Glücklicherweise ist unser Fall so einer: Lidia wurde verlassen, und wenn wir heiraten, ist das besser für die Kinder, wir leben nicht länger in Sünde zusammen und so weiter. Dass ich außerdem der Gemeinde kürzlich einen nicht ganz unbeträchtlichen Betrag für wohltätige Zwecke gespendet habe, hat sicherlich auch nicht geschadet. Ein bisschen unwohl war mir dabei schon, weil es sich irgendwie doch etwas nach Ablass und Annullierung kaufen anfühlte, aber andererseits habe ich die Spende vorher und unabhängig, und ich hätte sie auch getätigt, wenn Pater Alvaro die Annullierung nicht zugesagt hätte, das hat mein Gewissen zumindest ein kleines bisschen beruhigt.

---

03. November

Ich habe gerade einen extrem seltsamen Brief aus dem Briefkasten gezogen. Hochwertiger Briefumschlag mit aufgedrucktem Absender: 'Monoc Securities'. Adresse: Oslo, Norwegen. Im Umschlag: ein Brief auf 120g/m-Papier, unaufdringlich-elegante Schriftart, die ich nicht auf Anhieb identifizieren konnte, Vista Sans vielleicht – keine von den üblichen Standard-Schriften jedenfalls. Ein Logo aus einem dicken Kreis mit einem senkrechten, oben und unten überstehenden Strich hindurch. Dazu wieder der Firmenname. Unterschrieben von einem gewissen 'Donar Vadderung, CEO, Monoc Securities' eine Mitteilung, dass er sich für die Einladung bedanke und gerne zur Hochzeit kommen werde.

¿Qué demonios? Wer ist dieser Typ, und woher weiß er von der Hochzeit und fühlt sich eingeladen? Die Einladungen sind doch noch gar nicht verschickt – tatsächlich wissen außer den Jungs und der Familie noch gar nicht so viele Leute, dass ich Lidia einen Antrag gemacht habe.

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Ich habe den Jungs den Brief gezeigt. Es hat ein bisschen Hirnschmalz und Brainstorming und vor allem Alex', Edwards und Robertos Wissen um die magische Welt gebraucht, aber jetzt ist einigermaßen klar, was es damit auf sich hat: Dieser 'Donar Vadderung' ist niemand anderes als Odin. Klar. 'Monoc Securities'. 'Monoc', Mono Oc, ein Auge. Clever.
Damit habe ich jetzt wohl meine Antwort auf die Frage, ob überhaupt irgendwann eine Reaktion kommen wird. Aber zur Hochzeit, cólera. Eigentlich will ich da kein mythologisches Wesen haben, mit dem sich potentiell ein Konflikt wegen der Einherjer-Geschichte ergeben könnte. Aber absagen kann ich ihm nun auch nicht, wo ich ihn doch mit der Ansprache letztens tatsächlich wohl irgendwie eingeladen habe. Ay, mierda. Okay. Durchatmen und hoffen, dass der Typ keinen Ärger macht.

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10. Januar

Nicht viel Neues zu berichten im Moment. Wir kümmern uns weiter um die ganzen neuen Gottheiten in der Stadt, und in unregelmäßigen Abständen schlagen wir neue Angriffe der Fomori zurück. Offenbar stellt der White Court auch immer wieder Anfragen wegen Spencer Declan, bekommt aber natürlich keine Antwort, weil der Warden ja in den Sümpfen verschwunden ist. Und anscheinend glaubt der Magierrat jetzt, eben weil keine Antwort von Declan kommt, dass Miami von den Fomori überrant worden sei. Das Gerücht passt uns aber tatsächlich ziemlich gut in den Kram, weil dann nämlich auch niemand kommt, um sich näher mit der Sache zu befassen oder uns gar einen neuen Warden aufzudrücken.

Richard, Sancía und Canché haben sich auf die Suche nach ihrer Tochter Cherise gemacht. Totilas bekommt gelegentlich Postkarten von ihnen – wirklich altmodische Postkarten: vor allem wohl wegen der mangelnden Nachverfolgbarkeit, aber so, wie ich Richard einschätze, durchaus auch zu einem gewissen Teil wegen des künstlerischen Aspekts. Das sind nämlich allesamt sehr hübsche Motive, zumindest die, die ich zu Gesicht bekommen habe.

Ximena ist tief mit ihren Forschungen zur Machtquelle der Gottheiten beschäftigt, und Edward hat auch angefangen, das Suchritual für Eoife zu entwickeln und vorzubereiten.
An das 'Hintergrundrauschen' aus unserer Verbindung mit Miami haben wir uns inzwischen alle gewöhnt. Es ist beinahe zur Routine geworden, und manchmal überhören wir es inzwischen sogar komplett, wenn wir uns nicht explizit darauf konzentrieren.
Außerdem haben wir unsere Aufgabengebiete als Hüter von Miami ein bisschen untereinander aufgeteilt. Das war gar nicht groß Absicht und Absprache, hat sich aber so ergeben.
Wobei, 'gar nicht groß Absprache' stimmt nicht so ganz. Eine Sache hat Cicerón von Anfang an betont: Er, in Zusammenarbeit mit Ilyana und Fébe, ist zuständig für den Hafen und ein paar andere nicht sonderlich angenehme Gegenden. Klar, da in der Nähe haben die Santo Shango ja ihr Hauptquartier und beanspruchen das als ihr Ganggebiet. Der Hafen ist auch Fomori-Brennpunkt, aber wenn sie Hilfe brauchen, werden sie sich melden, sagte Cicerón.
Totilas und Roberto befassen sich vor allem mit der Glitzerseite von Miami, mit deren Modewelt und Nachtleben; des weiteren betätigen die beiden und ich uns gewissermaßen als unsere 'Diplomaten'. Bei mir kommt neben der Diplomatie dann auch und vor allem noch der Bereich 'Kultur' dazu, außerdem natürlich das Themenfeld 'Feen', jedenfalls was den Sommer und die Wyldfae betriff; in Sachen Winter ist es besser, Roberto und Totilas machen das, und zwar zusammen mit Ximena. Geographisch habe ich, aufgrund der Nähe zu Pans Domäne, auch noch den Strand übernommen, während Ángel sich um Little Havana kümmert. Bjarkis Baustelle sind natürlich vor allem die Gottheiten in der Stadt, wobei wir die Verantwortung für die tatsächlich untereinander aufteilen, weil das für einen von uns alleine doch etwas viel wäre.
Dee ist natürlich unsere Vertreterin in Sachen Recht und Ordnung, Edward und Alex haben die Praktizierer der Stadt als ihr Portfolio, und Alex' hat zusätzlich noch das Thema 'Geister', ob jetzt die von Toten oder sonstige, auf der Liste.

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24. Februar

Ximena hat angefangen, Fébe Magie beizubringen, was Cicerón nicht so richtig in den Kram passt, glaube ich. Jedenfalls hat er sich des öfteren mal mit Ximena in den Haaren, oder zumindest sind gewisse Spannungen zwischen den beiden zu bemerken. Bjarki ist ziemlich viel mit seiner Familie beschäftigt, deswegen sehen wir ihn in letzter Zeit nicht sonderlich oft. Auch Ángel ist in letzter Zeit ziemlich abgetaucht, weil er offenbar viel um die Ohren hat.
Und Ángel sieht auch alles andere als gut aus – wenn wir ihn doch mal zu Gesicht bekommen, sieht er immer schrecklich übernächtigt aus. Auch hat er abgenommen und wirkt generell irgendwie nicht ganz gesund. Alle möglichen Leute haben beobachtet, dass er in letzter Zeit viel in die Kirche geht und sich lange dort aufhält, auch außerhalb der Gottesdienste. Wenn man ihn darauf anspricht, behauptet er, alles sei in Ordnung, aber Ángel ist einfach kein guter Lügner. Irgendwas stimmt da nicht, und das ist kein Zustand so. Roberto hat gesagt, er will sich mal mit ihm unterhalten.

---

26. Februar

Eben hat Roberto angerufen. Er hat wie geplant Ángel gesucht und ihn tatsächlich in der Kirche gefunden. Treffen gleich.

---

Bah. Coléra. Ich hasse das. Ich hätte lieber falsch gelegen. Aber der Reihe nach.

Roberto erzählte uns Folgendes:
In der Kirche kniete Ángel in einer der Reihen und war in ein inniges, ja verzweifeltes Gebet vertieft – auf die Entfernung und weil Ángel Latein sprach, verstand Roberto nur etwas von 'schützen' und 'Dämonen'.
Als Ángel fertig war, passte Roberto ihn draußen ab und sprach ihn an, fragte, ob er Probleme habe.
Ángel behauptete, es sei alles in Ordnung, und die Hilfe, die Roberto ihm trotzdem anbot, lehnte er ab, er komme zurecht.

Als er ging, folgte Roberto ihm. Bei sich zuhause überprüfte Ángel alle Wards, seufzte tief – Marke 'jetzt muss ich da wieder rein' – und betrat das Haus. Soviel Roberto von den Wards erkennen konnte, beschützten sie nicht das Haus vor Dingen, die hereinkommen könnten, sondern das Draußen vor dem, was darin war. Und er konnte auch irgendwie spüren, dass da etwas nicht stimmte. Irgendetwas war da ungut.

Das war dann der Moment, in dem Roberto uns andere – also nur uns Ritter, nicht alle Hüter – zusammenrief. Alex wollte auch noch Dee hinzuziehen, aber die war gerade anderweitig beschäftigt.

Nachdem Roberto uns alles erzählt hatte, brachte Totilas die Frage auf, ob vielleicht Orunmila ein Problem sein könne, immerhin ist das Ángels Santería-Patron, aber das glaubte Roberto nicht. Das ist ja auch genau Robertos Spezialgebiet, und für ihn fühlte sich das nicht an wie Santería. Mir kam daraufhin aber auch eine Idee: Was, wenn das Ungute, das Ángel in seinem Haus zu verbarrikadieren versuchte, eine von diesen schwarzen Denarii war?

Aber das Theoretisieren half ja alles nichts. Wir klopften also bei Ángel und bestanden, als der uns nicht einlassen wollte, wenigstens darauf, dass er sich draußen mit uns unterhalten solle. 'Draußen' wurde dann eine nahegelegene Bodega, in der wir uns eine ruhige Ecke suchten. Erst wollte Ángel nicht mit der Sprache herausrücken, aber irgendwie fand ich dann doch die richtigen Worte: dass er alleine doch nicht ewig durchhalten könne, dass er irgendwann umkippen würde, und dann wäre das, vor dem er Miami schützen wolle, immer noch da, aber er wäre eben nicht mehr da, um es aufzuhalten. Und das war nicht nur gespielt oder aufgesetzt: Es tat mir echt leid, den armen Kerl so mitgenommen zu sehen.

Wie gesagt, irgendwie muss ich einen Nerv getroffen haben, oder Ángel war doch insgeheim doch froh, sich die Sache von der Seele reden zu können. So oder so jedenfalls berichtete er, alles habe mit einer Stimme angefangen, die ihm ständig Dinge zugeflüstert hätte: Er sei nicht stark genug, er hätte beim Ritual mehr machen müssen, er sei uns anderen Hütern nur eine Last, und so weiter und so weiter. Daraufhin habe er angefangen, mehr zu tun, Magie zu wirken, alleine Missionen zu übernehmen und so weiter, aber die Stimme sei davon nicht leiser geworden. Und dann habe er irgendwann etwas gefunden.
“Eine antike Münze?” fragte Totilas sofort.
Ángel nickte. “Genau.”
Alex drehte sich halb zu mir: “Weißt du eigentlich, dass es ganz schön arschig sein kann, wenn du recht hast?”
Ja, coño, das ist mir bewusst. Es wäre mir deutlich lieber gewesen, ich hätte falsch gelegen!
“Hast du die Münze angefasst?” wollte ich wissen, aber das verneinte Ángel zum Glück mit Nachdruck. Er habe eine Kiste geholt und die Münze mit dem Messer da hineinbugsiert und sehr darauf geachtet, sie nicht zu berühren.

Gut. Dann ist diese Stimme, die Ángel hört, also nicht die des Münz-Dämons, aber das hätte auch vom Timing her keinen Sinn gemacht, weil er die ja schon hörte, bevor er die Münze fand.
Weil es nicht so aussah, als habe es ihm geholfen, sich uns anzuvertrauen, sondern er weiterhin genauso niedergeschlagen aussah wie vorher, oder sogar noch niedergeschlagener, versuchte ich, Ángel ein bisschen aufzubauen. Dass die Stimme lüge und er gar nicht schwach sei, er solle doch nur mal an all die Dinge denken, die er in den letzten Jahren erreicht hat, angefangen bei dem Ritual um das Koyanthropen-Geisterbiest ganz am Anfang, als wir ihn kennenlernten, über seinen Schutz der kleinen Blumenfee Christabella – ja überhaupt seinen Schutz für alle, die diesen benötigen – bis hin zu seiner erfolgreichen Arbeit in der Privatdetektei. Ich habe auch das Gefühl, nach anfänglichem Zweifel kam ich sogar halbwegs zu ihm durch.

Dass Ángel diesen Dämon, oder was es jetzt genau ist, loswerden muss, steht außer Frage. Aber dringender und zuerst einmal musste er sich ausschlafen. Aber nicht bei sich, wo er sich zusätzliche Sorgen um diesen verdammten Denarius machen muss, sondern Roberto hat ihn zu sich eingeladen, während wir anderen jetzt in Alex' Auto sitzen und abwechselnd Ángels Haus bewachen bzw. auf der Rückbank schlafen. Natürlich mussten wir auch noch etwas theoretisieren, was es mit dieser Stimme auf sich haben könnte. Ob sie von einem Fluch komme? Einem Geist? Einem Dämon? Oder ob Ángel an einem großen Oberfluch leidet, weil er einfach jede mierda anzieht wie ein riesiger Magnet? Nicht, dass wir auf ein Ergebnis gekommen wären, versteht sich. Alex soll ihn sich morgen mal auf Geister anschauen, haben wir beschlossen. Oh, und ich für meinen Teil habe auch noch Aufschreiben der Geschehnisse mit in die Rotation genommen. Aber jetzt bin ich damit durch, und ein bisschen aufs Ohr legen sollte ich mich auch, wenn ich nicht morgen völlig nutzlos sein will.

Mir geht nur dieser Denarius nicht aus dem Kopf. Ich frage mich, ob das eine für uns neue Münze ist oder ob sie jemandem vom Denarier-Club hier in der Stadt gehört, den wir schon kennen. Vermutlich eher ersteres, denn warum sollten die uns bekannten Denarier ihre Münzen aufgeben. Aber eigentlich tut es gerade nichts zur Sache. Mach endlich die Augen zu, Alcazár.

---

27. Februar

Sorry für die krakelige Schrift. Wir sitzen gerade im Auto, sind unterwegs zu Byron.

Bei Ángels Haus war über Nacht alles ruhig; bei Roberto und Ángel... so halb. Roberto gab seinem Besucher das Bett und nahm selbst die Couch im Wohnzimmer, achtete aber darauf, nicht einzuschlafen. Und so hörte er irgendwann tatsächlich ein Flüstern aus der Richtung des Schlafzimmers: “Ich hätte nicht gedacht, dass du so schwach bist. Dass du gleich fünf Leute dazuholen musst... Ich sage es doch. Schwach.” Natürlich ging Roberto nachsehen und sah einen dunklen Schatten von Ángels Bett weghuschen. Also holte Roberto sich einen Stuhl, stellte ihn neben das Bett und wachte direkt dort über Ángels Schlaf. Kurz hörte er auch das Flüstern, aber das verstummte recht bald. Ángel schlief bis zum Mittag und war hinterher, auch als wir uns dann zu einer Lagebesprechung im Dora's trafen, schrecklich verlegen und besorgt um Roberto, aber der war zwar ein bisschen übernächtigt, aber ansonsten okay.

Wie gestern abend im Auto geplant, sah Alex sich Ángel jetzt einmal genauer an. Geister konnte er an ihm keine feststellen, aber seine Aura konnte er sehen. Während Totilas' Aura zum Teil aus verführerischem Silber besteht, hatte Ángels Aura etwas von einem wütenden Lila-Rot, ungefähr wie ein Bluterguss. Und diese Stelle sah für Alex schon ziemlich verankert im Rest von Ángels Aura aus – nicht ganz so fest verankert wie bei Totilas, dessen Dämon ja ein (so gut wie) untrennbarer Teil von ihm ist, aber schon recht tief eingewachsen. Aber natürlich, er schleppt dieses Ding, was auch immer es ist, jetzt ja nun schon seit Monaten mit sich herum.

Eines ist klar: Wir müssen etwas unternehmen, damit Ángel diesen Dämon, oder was es ist, loswird. Alex dachte ja erst kurz darüber nach, ob es vielleicht dessen manifestierte Selbstzweifel wären, aber den Gedanken verwarf er schnell wieder. Dafür war es doch zu deutlich, dass das Ding von außen kam und sich von außen an unseren Santero-Bekannten herangezeckt hat.
Das bestätigte dann auch Totilas, als er sich Ángel mit dem zweiten Gesicht  ansah. An dem edlen Paladin, der aber eine abgewetzte Rüstung trug und in der Sight kraftloser wirkte, als er es eigentlich ist, hing eine mehrköpfige, lila-rotfarbene Schlange, die ihn fast komplett umringte und sich an etlichen Stellen mit spitzen Zähnen in Ángel verbissen hatte. Manche dieser Wunden waren neu und bluteten frisch, andere hingegen waren bereits vernarbt. Der Paladin wehrte sich tapfer gegen den Lindwurm, aber Totilas hatte den Eindruck, dass der Widerstand das Untier eher stärker werden ließ.

Wir konnten es zwar nicht wirklich sehen, aber wir merkten es, als Totilas mit einer kleinen Anstrengung sein drittes Auge wieder schloss. Bevor er uns erzählte, was er gesehen hatte, schickte er Ángel weg, damit wir uns untereinander beraten konnten, und das traf den Santero sichtlich. Ich konnte es aber auch nachvollziehen. Cólera, das war doch förmlich die Bestätigung dessen, was der Lindwurm ihm schon die ganze Zeit eingeredet hatte! Zu schwach, nicht vertrauenswürdig! Ich fand, Ángel hätte ruhig hören können, was wir besprechen würden, und sagte das auch, aber Totilas gab zu bedenken, dass es vielleicht besser sei, wenn der Lindwurm das nicht hörte. Okay, da hatte er vielleicht auch nicht ganz Unrecht, zugegeben.
“Aber ich bin wirklich beeindruckt, wie gut er durchhält”, sagte Totilas dann, woraufhin Alex und ich wie aus einem Mund denselben Kommentar abgaben: “Das solltest du ihm sagen, das wird ihm guttun.”

“Hast du dir Roberto auch angeschaut?” wollte ich dann wissen, aber das verneinte unser White Court-Freund. “Absichtlich nicht. Das muss ich noch.”
“Bevor du die Sight aufmachst, lass mich erstmal seine Aura ansehen”, schaltete Alex sich ein, und tatsächlich hatte die einen ersten blauen Flecken, der aber bereits wieder am Abklingen zu sein schien.

Coño.. Damit war eindeutig klar, dass diese Sache ansteckend ist und sich potentiell wie ein Virus verbreiten könnte – auch wenn Roberto zugegebenermaßen die ganze Nacht lang mit dem Ding in einem Raum war und es förmlich herausgefordert hat, sich mit ihm anzulegen, wie er nun zugab. Also ist die Ansteckungsgefahr hoffentlich nicht riesig groß, aber trotzdem müssen wir vorsichtig sein.

Als Ángel wiederkam, fragte unser Vampir-Kumpel ihn zunächst, ob er wissen wolle, was Totilas gesehen habe, und als Ángel das bejahte, bekam er es auch noch einmal erzählt. und zwar tatsächlich zusammen mit dem Kompliment. Der Santero war nicht nur gerührt, sondern auch völlig erleichtert, dass er sich die Sache nicht nur eingebildet hatte, sondern da wirklich etwas war.

Bei unseren Überlegungen, wie wir den Lindwurm loswerden könnten, landeten wir ziemlich schnell bei Byron. Vielleicht hat der ja eine Idee für eine Queste oder eine Suche nach sich selbst oder etwas in der Art.
Und deswegen sind wir jetzt eben unterwegs zur Kommune.
« Letzte Änderung: 15.04.2021 | 19:00 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
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Abends.

Ich sollte bald ins Bett. Aber vorher will ich noch aufschreiben, was p--
Nee. Keine Chance. Alles noch bunt. Dreht sich. Und Hand tut weh. Morgen. Nacht.

---

28. Februar, morgens

Besser. Viel besser. Mein Kopf ist wieder klar, die hijas sind zur Schule, Lidia zur Arbeit (nach einem prüfend-sorgenvollen Blick samt Gespräch und meiner Versicherung, dass alles in Ordnung ist und das gestern die absolute Ausnahme war – als hätte ich etwas anderes erwartet), und ich habe etwas Zeit zum Schreiben, bevor nachher das Treffen mit den Guardians ansteht.

Beim Sunny Places empfingen uns wie immer alle sehr freundlich; vor allem Joelle freute sich, uns (oder vielleicht mich, seufz?) zu sehen. Bob war gerade dabei, Holz zu hacken, was er mit großer Begeisterung tat – und mit einer Traube von interessierten Damen, und auch dem einen oder anderen Herrn, um ihn herum, die ihn, weil hemdlos, sehr gerne dabei anschauten. Joelle war auch darunter, und sie schien sogar ziemlich angetan von der Tatsache, dass ihr Angetrauter allgemein so großen Anklang fand. Außerdem kam es mir eben (siehe oben) so vor, als schaute sie vergleichend-prüfend-interessiert von Bob zu mir, und so war es mir ganz recht, dass wir nur kurz 'hallo' winkten und gleich zu Byron weitergingen.

Byron hörte sich unser Anliegen an, betrachtete Ángel eingehend und riet dann gegen eine Selbstsuche, weil dieser Parasit einfach schon so lange an Ángel hänge und sich schon so tief in ihn hineingefressen habe. Aber es gäbe die Möglichkeit, dass er gegen das Ding kämpfen könne.
“Muss er das alleine?” wollte Totilas wissen, und Byron wiegte den Kopf.
“Nicht unbedingt”, erwiderte er, “das kann er, muss er aber nicht. Manche Dinge muss man alleine machen, für andere braucht man Freunde und Familie. Kategorie Eins hast du es jetzt ein Jahr lang probiert, Ángel... Kategorie Zwei ist einen Versuch wert.”
Ángel sah immer noch etwas zweifelnd drein, also warf ich auch noch ein Centstück in den Hut. “Ángel, der Parasit will, dass du denkst, es sei Kategorie Eins.”
“Ja... aber ich verdiene das nicht”, murmelte Ángel. “Im Ritual habe ich mich minderwertig gefühlt und schuldig, weil ich so wenig gemacht habe – aber auch irgendwie echt neidisch auf Edward, weil er so viel gemacht hat und die Leitung innehatte und alles. Und wenn wir das jetzt zusammen machen, dann wird es doch wieder dasselbe!”
“Nein”, erwiderte ich, “das ist diese Stimme, die dir das einredet. Du musst das nicht alleine tragen.”
“Du kennst uns doch”, sagte Alex. “Du weißt, wie wir ticken. Wir werden dich nicht im Stich lassen.”
“Und dass ich beim Ritual so viel gemacht habe, das stimmt vielleicht”, fügte Edward noch an, “aber das war in der Vergangenheit auch schon genau andersrum. Denk an das Ritual mit dem Biest. Hey, wir sind doch alle verbunden. Wir gehören zusammen. Lass uns dir helfen. Für Miami.”

Ich glaube, dieses Letzte war es am Allermeisten, das Ángel überzeugte, denn endlich nickte er. “Ja, wir sind verbunden. Für Miami. Helft mir. Bitte.”
Byron nickte ebenfalls. “Okay, dann nehmen wir dafür am besten...” Er unterbrach sich und sah Edward an. “Du bist nicht mehr bei der Polizei, oder?”
“Nein.”
“Gut, dann nehmen wir...” Als Byron wieder zögerte, übernahm Totilas: “Kräuter?”
Byron lächelte kurz. “'Kräuter' ist ein schönes Wort. Wir gehen ins Nevernever, dort können wir, oder besser: könnt ihr, das Ding besser sehen und erfassen, dann erweitern wir unseren Geist, und dann rufst du, Ángel, das Ding. Du hast ja bestimmt einen Namen dafür, oder?” – Ángel nickte bestätigend, auch wenn Byron gar nicht groß eine Antwort abwartete, sondern gleich weitersprach – “Bei dem rufst du es entschlossen, und ihr anderen ruft mit, und wenn es dann kommt, dann könnt ihr es entweder auf einen Tee einladen und lieb fragen, ob es nicht freundlicherweise gehen würde, oder ihr macht es auf die Edward-Parsen-Art.”
“Edward-Parsen-Art finde ich gut”, warf ich ein, “... in diesem Fall.”
Das brachte mir einen mehr als schrägen Seitenblick meines besten Kumpels ein. “Cardo, du machst mir Angst.”
“Ich sagte: In diesem Fall!”

Byron unterbrach uns. “Dann sollten wir es jetzt angehen.”
Auf subtile Weise gelang es ihm, Ángel etws vor uns aus dem Haus und zur Schwitzhütte zu schicken, wo wir uns reinigen wollten, oder genauer: Als wir das Haus verlassen wollten, hielt er uns kurz zurück, ohne das unser Mit-Guardian das groß mitbekam. “Ángel muss derjenige sein, der das Ding umbringt. Nicht ihr.”
Eigentlich war das selbstverständlich, aber zur Sicherheit war es trotzdem ganz gut, dass er es nochmal eigens erwähnte.
“Das ist klar”, bestätigte ich für uns alle. “Sein Monster: Er killt es. Wir sind nur die zweite Geige.”

Nach der Reinigung brachte Alex uns – diesmal vollständig angezogen, wofür ich sehr dankbar war, aber diesmal ging es ja auch nicht um eine Traumreise – ins Nevernever, wo Byron einen Schutzkreis zog, der das, was darin wäre, darin einsperren sollte. Er selbst würde sich bei dem Kampf nicht beteiligen, sondern den Kampfplatz nach hinten absichern. Dann aßen wir die psychedelischen Pilze und warteten darauf, dass deren Wirkung einsetzte.
Hier im Nevernever konnte man jetzt dünne, leuchtende Fäden sehen, die von uns aus in den Boden gingen (oder andersherum) – ein sichtbarer Beweis unserer Verbindung zu Miami. Seit dem Genius Loci-Ritual waren wir – oder war zumindest ich – nicht mehr so tief im Nevernever gewesen, also schaute ich die Jungs fasziniert an.
Edward trug eine Ritterrüstung, verbeult und blutig und aus dunklem Eisen – aber nicht mehr ganz so düster wie früher immer, und jetzt zuckten magische Blitze über deren Oberfläche.
Totilas sah größer aus als in der normalen Welt und strahlte förmlich. Er war nicht völlig silbern, aber das Silbrige durchzog ihn, und er war wie, hm, wie beschreibe ich das, wie eine doppelt belichtete Fotografie: Ein zweiter Totilas war ganz leicht verschoben über ihn gelegt, und dieser zweite Totilas – sein Hungerdämon – warf Alex ein anzügliches Grinsen zu.
Der wiederum wirkte irgendwie zerfasert, beinahe leicht durchsichtig als sei er nicht ganz hier.
Roberto wiederum sah aus wie ein Varieté-Entertainer, in einem pinkfarbenen Zylinderhut, Frack und Gehstock, und sein Liberace-Mantel hatte sich hier in das ebenfalls pinkfarbene Cape des Entertainers verwandelt.

Auch an mir selbst sah ich herunter: Wie ich das in der Vergangenheit auch schon bemerkt hatte, flatterten ein paar gestaltgewordene Ideen wie kleine, transparent-bunte Kolibris um mich herum, aber ich trug jetzt ebenfalls eine Ritterrüstung, was früher nie der Fall gewesen war. Meine Rüstung war allerdings keine mittelalterlich-realistische wie Edwards, sondern sie wirkte filigran, feeisch, ähnlich wie die, die ich an den Sidhe-Rittern des Sommerhofs gesehen hatte, und sie war von einem tiefen Jadegrün. Eine Art Sommerlicht-Filter lag über mir, die Farben alle etwas weicher, goldener, und Jade, die ich in der echten Welt als Füllfederhalter in der Tasche gehabt hatte, war hier natürlich wieder Schwert und nur Schwert.
Byron wirkte nicht groß anders als sonst. Seine Kleidung war etwas natürlicher als draußen, weiches Wildleder statt Jeans, er trug zahlreiche Tätowierungen und Narben am Körper, die in der echten Welt nicht zu sehen sind, und seine Augen waren tiefschwarz und voller Sterne.

Ángel schließlich sah unendlich erschöpft aus und deutlich älter, als er eigentlich ist, und auch die Wunden und Narben, von denen Totilas gesprochen hatte, waren ansatzweise an ihm zu sehen. Auch er trug eine Ritterrüstung, aber sie war verrostet und wirkte gleichzeitig so, als sei sie bleischwer und mache ihm jeden Schritt zur Hölle, und auch sein Schwert war verrostet und wirkte stumpf. Die Schlange bildete seinen Schatten – einen eigenen hatte er hier im Nevernever gar nicht mehr.
“Dämon, zeige dich!”, rief Ángel, aber er musste es wiederholen, denn anfangs tat sich noch nichts. Beim dritten Ruf fielen wir ein, und schließlich löste sich der Schatten von Ángel und baute sich vor ihm auf. Die Schlange war etwa menschengroß, mit vielen Köpfen und vielen Zähnen, und sie zischte höhnisch: “Du bist schwach, so schwach, nicht mal rufen kannst du mich alleine!”

Der Parasit war Ángels Monster: An ihm war es, sie zuerst anzugreifen. Aber wir anderen konnten ihm die Sache nach Kräften erleichtern. Und der Parasit war ein Schatten, also mochte er keine Sonne... hoffte ich. Ich rief die Sommermagie nach oben und legte meinen patentierten Sonnenlichtzauber über den Bannkreis, was das Biest auch tatsächlich wütend aufzischen ließ. Dann zog ich Jade und machte mich zum Eingreifen bereit, während Roberto gleichzeitig seine Orisha anrief und einen magischen Schutzschild für Ángel erflehte.
Alex, der indessen die Kreatur aus zusammengekniffenen Augen beobachtet hatte, rief laut: “Die Köpfe sind nur Ablenkung! Ziel auf den Unterbauch, Ángel!”
Edward stürzte sich auf den Parasiten. Ganz offensichtlich wollte er ihn festhalten, damit Ángel es leichter haben sollte, sie zu erschlagen – aber irgendwie hatte die Schlange zu viele Köpfe und war zu beweglich, denn Edward bekam sie nicht so richtig gepackt und wurde im Gegenzug stattdessen selbst gebissen.
Totilas baute sich vor dem Biest auf, um es dazu zu bringen, dass es sich aufrichtete und Ángel seine Schwachstelle darbot, indem er es so wirken ließ, als wolle er jetzt das Monster angreifen, aber Ángel zögerte, sah auf sein stumpfes, rostiges Schwert, und die Schlange peitschte mit einem Kopf und riss ihm die Waffe aus der Hand.

Die Köpfe waren nur Ablenkung, hatte Alex gesagt, also bestand hoffentlich keine Gefahr, dass ich mit dem, was ich jetzt vorhatte, Ángel das Rampenlicht stahl. Und tatsächlich: Als ich der Schlange einen ihrer Köpfe abschlug, beeindruckte sie das nicht sonderlich, aber das war auch gar nicht mein Hauptanliegen gewesen. Mein Hauptanliegen war eine Ermutigung für Ángel: “Sieh, sie ist verwundbar!”
Alex schnappte sich Ángels rostiges Schwert und murmelte etwas, und wie im Zeitraffer fiel der Rost davon ab und erschien das Blinken einer besonders scharfen Schneide auf der Klinge, bevor Alex Ángel die Waffe wieder zuwarf.
Kurz hatte Roberto so ausgesehen, als habe er auch das Schwert greifen wollen, aber da Alex sich damit befasste, rief er laut ein aufmunterndes “Du schaffst es!” und verstärkte seinen Schutzschild um unseren Mit-Guardian, während Totilas sich in Position brachte, um einen eventuellen Gegenangriff abzuwehren und es Edward gelang, die Schlange jetzt doch anständig festzuhalten.

Ángel hatte seine Waffe aufgefangen, aber noch zögerte er. Die Schlange zischte höhnisch: “Du wirst es nie schaffen, du bist zu schwach!”, aber mit einem wütenden Aufschrei sprang Ángel nach vorne, hob das Schwert und rammte es der Schlange bis zum Heft in den Unterleib. Das Untier begann zu schrumpfen, und seine Köpfe zuckten wild herum und bissen heftig nach Ángel. Mehrere Bisse blieben in Robertos Schutzschild hängen, und in einen der Angriffe warf Totilas sich, aber dennoch wurde Ángel selbst auch getroffen. Und vermutlich, weil es sein Monster war, oder vielleicht, weil Totilas und Edward, die ebenfalls Bisse abbekommen hatten, ja beide eine übermenschlich starke Konstitution besitzen – was es auch war, er reagierte deutlich heftiger darauf als die Jungs: Von der Bisswunde aus zogen sich sofort hässliche schwarze Fäden durch Ángels Arm und begannen mit erschreckender Geschwindigkeit, sich zu verästeln. Das war Gift, und das sah übel aus!

Ich eilte zu Ángel, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammengekrümmt hatte, hin, legte ihm die Hand auf den Arm und ließ die Sommermagie hervorkommen. Vor ein paar Jahren habe ich ja die Flügel der kleinen Blumenfee Christabella geheilt, das war ein bisschen ähnlich, aber doch anders. Denn das hier war das erste Mal, dass ich versuchte, einen Menschen zu heilen, und zwar von einer Vergiftung, die tödlich sein konnte! Diesmal war keine Zeit für langsames Herantasten an die richtige Dosierung, also ließ ich die Magie ungehemmt heraus. Ein warmes, heilendes Licht floss in Ángels Arm, folgte dem sich verteilenden Gift und löschte die schwarzgrauen Verästelungen aus, bis nichts mehr davon übrig war. Aber ich hatte zu viel nach oben gerufen, und so hatte ich mich nicht nur ziemlich überanstrengt, sondern der Rest floss in einem goldenen Leuchten denselben Weg zurück – und versengte mir heftig die Hand, als die Magie in mich zurückkehrte. Ay, cólera, es war wohl mal wieder Zeit für eine zünftige Verbrennung oder wie? Mierda.

Während ich zurücktaumelte und Alex Ángel stützte, hielt Edward die schrumpfende Schlange weiter für den Santero fest. Roberto baute den Schutzschild neu auf, und Totilas stellte sich weiter als lebender Block in den Weg des Monsters. Ángel schlug erneut zu, trat dann auf die Schlange und rammte ihr ein letztes Mal sein Schwert in den Bauch. Mit jedem Treffer wurde das Untier kleiner und kleiner, bis es mit einem letzten wütenden Zischen schließlich verdampfte und nur eine stinkende Pfütze magischen Glibber (a.k.a. Ektoplasma) zurückließ.

Sobald wir aus dem Nevernever zurückkamen, gab es erst einmal erste Hilfe für Ángels Arm (das Gift war zwar neutralisiert, aber bluten tat die Wunde natürlich dennoch) und meine Hand – Totilas' und Edwards Bisswunden waren dank ihrer übermenschlichen Kräfte tatsächlich schon am Verheilen – und eine Runde Proteinriegel für alle, aber vor allem für den völlig erschöpften, aber auch unendlich erleichterten Ángel.
In das einträchtige Kauen hinein sagte Totilas zu ihm: “Das war ein guter Kampf.”
Unser Paladin ließ ein wenig den Kopf hängen. “Ohne euch hätte ich es nicht geschafft.”
“Andere hätten es mit uns nicht geschafft”, erwiderte Totilas. “Es war ein guter Kampf.”
“Es liegt keinerlei Schwäche darin, sich Unterstützung zu holen”, hakte ich nach.
“Ich weiß ja, dass du recht hast”, gab Ángel zu”, es fällt mir nur schwer, das zu glauben. Aber ich weiß, dass du recht hast.”
Totilas lächelte. “Das ist doch schon mal ein Anfang.”

Währenddessen nahm Byron Alex beiseite, und die beiden redeten kurz miteinander. Was sie besprachen, erzählte Alex uns hinterher, aber ich schreibe es an dieser Stelle schon mal auf, damit ich es nicht vergesse. Byron wollte wissen, ob Alex es schon einmal erlebt habe, dass Geister einfach verschwänden, und Alex bejahte und erzählte von seinen Beobachtungen in letzter Zeit. Byron berichtete von ähnlichen Beobachtungen und davon, dass er an einer solchen Stelle auch eine Rabenfeder gefunden habe.
Mierda. Rabenfeder klingt ein bisschen wie Stefania Steinbach, die Raben-Denarierin.

Irgendwann kamen auch Ximena und Bjarki dazu, die irgendwie von der Aktion Wind bekommen hatten. Sie waren ein bisschen erstaunt, um nicht zu sagen angesäuert, weil Ángel sich uns anvertraut hatte, aber ihnen nicht, denn obgleich sie in letzter Zeit viel zu tun hatten, hatten sie ja doch mitbekommen, dass bei ihrem Freund und Kollegen etwas nicht in Ordnung war.
Ángel war ein bisschen verlegen, er habe eigentlich gar niemandem davon erzählen wollen, aber dann habe es sich so ergeben, dass wir bei der Sache involviert worden seien, und es tue ihm leid.
Dieser Austausch brachte Edward allerdings auf die Frage, ob Ángel auch den anderen Guardians von der Schlange und von der Denarier-Münze erzählen wolle, das sei seine Entscheidung.
Nach einigem Austausch befand Ángel, dass es besser sei, die anderen einzuweihen, denn zum einen wüssten Ximena und Bjarki ja nun auch schon davon, da könne man es auch den anderen erzählen, und zum anderen – und vor allem – wolle er keine Geheimnisse vor den anderen haben.

Wir werden uns nachher also mit den anderen treffen – wir haben im Zuge unserer 'Übungen' mit unserer Guardian-Verbindung herausgefunden, wie wir uns im Kopf der anderen jeweils auf Wunsch 'präsenter' machen können, um ein Treffen zu vereinbaren bzw. um die jeweils anderen wissen zu lassen, dass wir sie kontaktieren wollen.
Außerdem haben wir alle eine magische Münze für Notfälle – da hat jemand seinen Harry Potter gelesen! – und eine Chat-Gruppe für diejenigen unter uns, deren Magie nicht sämtliche technischen Geräte tötet.
Alex ist noch am Tüfteln, wie er eine solche Chat-Gruppe für alle von uns magiertauglich machen kann – wir haben schon gelästert, dass wir, sobald er eine magische Messenger-App entwickelt hat, wir diese an den Magierrat verkaufen und viel Geld machen können, dass wir uns aber eine Hintertür offenlassen sollten, um sie auszuspionieren. Wie gesagt, das war das für uns typische Herumgealber, aber grundsätzlich wäre eine magiertaugliche Chat-App echt nützlich.

Und oh, das habe ich ja noch gar nicht erzählt – wir haben uns vor einer Weile als gemeinsamen Stützpunkt ein kleines Haus in Miami Beach gekauft*, das wir als Ferienhaus deklariert haben. Es gibt etliche Ferienhäuser in der Gegend, und so fällt es nicht auf, dass niemand permanent darin wohnt und dass da immer mal unterschiedliche Leute aus und eingehen. Die Tür ist per elektronischem Zahlenschloss gesichert, so müssen wir auch kein knappes Dutzend Nachschlüssel anfertigen lassen. Die Thetys kam aus mehreren Gründen nicht in Frage: Erstens ist sie unser Hauptquartier im Sinne von 'uns fünf', also uns Rittern im Gegensatz zu allen Guardians, zweitens ins der Weg hinaus in die Glades relativ weit und drittens dürften zwölf Leute da draußen mehr auffallen als fünf – immerhin liegt das Schiff in einem Versteck und soll auch versteckt bleiben.

Wie dem auch sei, ich bin froh, dass wir uns nicht gestern abend schon getreffon haben, denn gestern hat meine Hand trotz Kühlpack ganz schön wehgetan, und ich war auch noch echt fertig – wie muss es da erst Roberto und Ángel gegangen sein. Und vor allem musste die Wirkung der Pilze auch erstmal nachlassen. Wie vorhin schon erwähnt: Lidia war gar nicht amüsiert, als ich gestern a) angeschlagen und b) ziemlich high nach Hause gekommen bin.


*lies: Ich habe gekauft, unter mehr oder weniger großer finanzieller Beteiligung der anderen.
« Letzte Änderung: 30.05.2021 | 15:45 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Timberwere

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28. Februar, abends

Also, das Treffen.
Zunächst übernahm Ángel die Wortführung und berichtete von der Schlange einerseits und von dem Denarius, den er sichergestellt hat, andererseits, dann ergänzten wir noch ein bisschen, was es mit den Denarii und ihren Trägern auf sich hat, warum sie gefährlich sind und so weiter.
Dee war die erste, die daraufhin eine Frage stellte, nämlich dass es doch 30 Stück davon gäbe und was denn normalerweise mit ihnen passiere.
Und natürlich – hat irgendwer daran gezweifelt? – folgten darauf erst einmal launige Sprüche von wegen 'in einen Vulkan werfen' und 'das ist aber ein weiter und beschwerlicher Weg, einen aktiven Vulkan zu finden' und 'nein, da können doch Adler hinfliegen' und 'wieso Adler, Bjarki kann sich doch einfach verwandeln'.
Dann wurden wir aber ernst und begannen, wirklich darüber zu reden. Offenbar gibt es ja diese Ritter des Kreuzes, die aktiv gegen die Denarier arbeiten, und da es sich um eine biblische Begebenheit und den Verrat von Judas an Jesus handelt, ist sicherlich auch der Vatikan am Kampf gegen die Dämonisten beteiligt. Könnten wir den irgendwie kontaktieren, um uns Ángels Münze abzunehmen? Aber dem Vatikan trauten einige unter uns nicht so recht, und – padre en el cielo, perdóname – so ganz wohl war mir bei dem Gedanken auch nicht.

Da diese Überlegungen in diesem Moment nirgendwo hinzuführen schienen, fragte ich Ángel noch einmal nach den genauen Umständen seines Fundes. Es war vor ca. drei bis vier Wochen, sagte er, dass er die Münze in seinem Garten liegen sah. Vor drei bis vier Wochen lässt vermuten, dass es nicht Stefania Steinbachs Denarius gewesen sein dürfte, da Byrons Fall eines verschwundenen Geistes samt Rabenfeder erst hinterher passierte, als Ángel die Münze schon in Verwahrung hatte. Und direkt in seinem Garten, das deutet darauf hin, dass jemand den Silberling absichtlich dorthin gelegt hat, um Ángel eine Falle zu stellen. Aber wer könnte das Ding dort platziert haben? Ein anderer Münzträger, vermuteten wir. Aber wer? Und hat dieser vermutete andere Träger seinen Denarius dafür aufgegeben oder einen unbenutzten verwendet?
“Wie ist das eigentlich”, überlegte Edward laut. “gehört die Münze jemandem oder gehört jemand der Münze? Hat der Denarius vielleicht seinen Träger dazu gebracht, ihn abzuwerfen? Donovan Reilly zum Beispiel?”
Donovan Reilly kann es eigentlich nicht gewesen sein, der ist ja im Sumpf verschwunden. Außer natürlich, er hat es inzwischen rausgeschafft, ohne dass wir es mitbekommen hätten – was ein zutiefst beunruhigender Gedanke wäre. Aber abgesehen davon war das ein interessanter Gedanke.
“Die Münze verlässt ihren Träger, meinst du?” fragte ich. “So ein bisschen wie der Eine Ring, der Gollum verlässt?”
Edward runzelte die Stirn. “Hm, das hab ich jetzt nicht so direkt gedacht, aber doch, ich sehe da gewisse Parallelen.”
“Ihr redet von Lucas, oder?” warf Roberto ein, was mich mit den Augen rollen ließ. “Roberto trollt wieder.”
“Wir reden von einem guten Buch.” Edward stutzte. “Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade gesagt habe.”
“Welches Buch?”
“Tolkien. Der Hobbit. Der Herr der Ringe.”
Ich konnte nur mit dem Kopf schütteln. “Ich hab' ein Déjà Vu, Leute. Vor ein paar Jahren haben wir doch genau dasselbe Gespräch geführt.”

Nach diesem kleinen Abschweifer einigten wir uns schließlich darauf, dass die Münze bei Ángel am besten aufgehoben wäre, dass wir aber den Schutz um Ángels Haus noch weiter verstärken wollen, und zwar mit einer Mischung aus allen magischen Strömungen, die wir in unseren Reihen aufbringen können, nicht nur mit der Orunmila-Magie, die Ángel bisher angewandt hat. Das würde Ángels Haus zwar magisch strahlen lassen wie einen Weihnachtsbaum, prophezeite Alex, aber das wäre es wert.
Dee, unsere Spezialistin für Schutzmagie, schüttelte den Kopf. “Es geht auch ohne Weihnachtsbeleuchtung.” Man nehme nur Spencer Declans Haus: Es hat Wards bis an die Zähne, und man kann es nicht einmal finden.

Bei den Überlegungen zu dem Schutz für Ángels Haus fiel mir noch etwas ein. “Wenn dein Garten eine Falle war und sie die Münze absichtlich dort hingelegt haben, dann wissen sie, dass die Münze bei dir ist.”
Ángel warf mir einen unsicheren, leicht verwundeten Blick zu. “Du denkst also, bei mir sei sie nicht sicher?”
“Nein, ich habe doch gesagt, sie ist bei dir gut aufgehoben”, – und das meinte ich auch ehrlich – “aber  gestern habe ich noch gedacht: 'Bevor sie durch die ganzen Wards kommen, müssen sie erstmal rauskriegen, wo die Münze überhaupt ist', und das wissen sie jetzt.”
“Dann haben sie den ersten Schritt halt schon geschafft”, sagte Alex, “na und?”
“Ich sag's ja nur”, bekräftigte ich. “Die Münze ist trotzdem bei dir sicher und gut aufgehoben, wir müssen dein Haus nur aktiver im Bewusstsein behalten.”
Alex nickte langsam. “Und 'die' wissen auch, dass du die Münze noch nicht angefasst hast. Sonst wäre deren Dämon schon freigekommen, und seine Präsenz wäre für die anderen Denarier spürbar, vermute ich.”

Totilas kam noch einmal auf diese Ritter des Kreuzes zurück, und ob man die nicht um Hilfe bitten könne. Aber die sind wohl offenbar nur maximal zu dritt, und wie man sie kontaktiert, wusste auch niemand von uns. Offenbar werden sie durch himmlische Vorsehung an den richtigen Ort geschickt, wenn sie irgendwo sein sollen, aber offenbar war unsere Situation hier noch nicht brisant genug, dass sie hierher geschickt worden wären. Nun gut, wenn sie auftauchen sollten, fein, aber wir werden unsere Pläne sicherlich nicht von ihnen abhängig machen.

---

4. März

Die Schutzmaßnahmen für Ángels Haus sind soweit abgeschlossen. Ich selbst kann es ja nicht so hundertprozentig beurteilen, aber das, was wir da an Wards hochgezogen haben, ist ein hochkomplexes Gespinst aus miteinander verwobener Magie ganz unterschiedlicher Art. Ich sage 'wir', weil ich auch ein bisschen Sommermagie mit hineingegossen habe, aber auch wenn ich inzwischen ein gewisses Verständnis für diese Dinge erlangt habe, bin ich doch bei weitem kein Experte. Also habe ich mich bei der Planung nicht größer beteiligt, sondern meinen Teil nach Anweisung ausgeführt. Aber unsere Spezialisten sagen, diese Mischung aus unterschiedlichen Magieschulen mache die Wards stärker, als wenn sie einzeln um das Haus gelegt worden wären, und das klingt doch schon mal ganz ausgezeichnet in meinen Ohren.

Aber die Jungs planen irgendwas. Sie sind jetzt schon ein paarmal so verdächtig still geworden und haben ihre Gespräche unterbrochen, wenn ich irgendwo dazugekommen bin, und Pan hat letztens auch schon so wissend gegrinst und Andeutungen gemacht. Ich glaube, die sind wegen des Junggesellenabschieds zugange. ¡Santisíma madre, ayúdame!

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6. März

Gerade hat Alex sich gemeldet. Ein Notfall. Irgendwas mit wandelnden Toten? Muss los.

---

Es waren tatsächlich wandelnde Tote. ¿Que demonios? Und mein Arm tut weh. Seufz.

Alex hatte ein Interview mit einem Lokalsender, weil denen auch irgendwann aufgefallen ist, dass das Hausboot unseres Kumpels seit knapp einem Jahr zu einem regelrechten Wallfahrtsort für einen außerhalb der entsprechenden Kreise doch eigentlich relativ unbekannten Santería-Heiligen geworden ist. Während eben dieses Interviews kam Dallas Hinkle mit beunruhigenden Nachrichten vorbei, die Alex dazu führten, den Termin abzukürzen oder um eine Verschiebung zu bitten oder irgendwie so; genau hat er es nicht gesagt. Jedenfalls berichtete Dallas, sie habe Mr. Andreotti gesehen, den Metzger aus ihrer Straße, der herumlaufe und an Häusern schnüffele. Das Problem: Mr. Andreotti sei vor drei Jahren verstorben. Geistesgegenwärtig hatte Dallas auch ein Foto gemacht, und das zeigte sie Alex: Er sah tatsächlich aus wie eine Leiche, die drei Jahre lang in einem Sarg gelegen hatte.

Sobald wir uns getroffen hatten, fuhren wir gemeinsam, einschließlich Dallas, zu dem Ort. Unterwegs grübelten wir herum, was los sein könnte, und ob vielleicht die Gottheiten der Unterwelt ein Problem hätten. Ich habe ja Haleys Nummer gespeichert – ich weiß gar nicht mehr so genau, seit wann, aber mal mindestens, seit ich damals in Schottland war – und rief bei ihr an, in der Hoffnung, dass sie gerade nicht in Helheim wäre, sondern mein Anruf durchkäme. Tatsächlich ging sie ans Telefon und versicherte mir, was sie beträfe, sei im Moment alles in Ordnung. Aber mit den anderen – Kali, Morrigan, Hades, Orcus, Eleggua und wie sie alle heißen – hätte sie relativ wenig zu tun, die seien alle so humorlos. Okay, nein, Eleggua nicht, der sei nicht humorlos. Aber die meisten anderen schon, deswegen hänge sie nur wenig mit denen herum.

Als wir ausstiegen, versuchte ein Junge – Dallas hatte noch im Auto auf ihn gezeigt und gesagt, das sei Javier, den habe sie beauftragt, die Situation im Auge zu behalten, während sie Alex warnen ging* – gerade vergeblich, einen anderen Teenager davon abzuhalten, ein Handy-Video von dem lebenden Leichnam zu drehen und ihm einen kräftigen Stups zu versetzen. Dummerweise war der Zombie alles andere als amüsiert über den Stupser, drehte sich zu dem Jungen um und wollte sich auf ihn stürzen. Ich war bereits nahe genug dran, dass ich den Jungen beiseite schubsen konnte, aber dafür gruben sich die fauligen Zähne der Leiche in meinen eigenen Oberarm. ¡Culo!
Während der Teenager schreiend davonrannte, sprach Alex den wandelnden Toten mit seinem Namen an und fragte, warum er hier sei und was er suche, aber Mr. Andreotti war zu sehr mit mir beschäftigt und achtete überhaupt nicht auf Alex.

Edward versuchte, den Zombie festzuhalten, damit er mich nicht länger erreichen und Alex ihn befragen konnte, aber das klappte auch nicht so richtig. Immerhin, Andreotti ließ mich in Ruhe und schlug mit seinen erdigen Fingern nach Edward, ohne ihn aber zu treffen.

Inzwischen blieben immer mehr Menschen stehen und gafften, und deren Aufmerksamkeit lenkte Roberto ab, indem er so tat, als sei das hier das Set eines mit billigsten Mitteln gedrehten Films, und anfing, uns Regieanweisungen zuzurufen. Javier unterstützte das geistesgegenwärtig, indem er das Handy, das der flüchtende Teenager hatte fallen lassen, auf die Szene richtete. Die List war leider ein bisschen zu überzeugend, denn sie weckte erst recht das Interesse der Leute: „Was dreht ihr denn da? Kommt das auch ins Kino?“
Roberto, nicht auf den Mund gefallen, hatte sofort eine Antwort parat („Zombies in Miami, nächstes Jahr!“), aber nun sah die Menge eher noch genauer auf das, was wir da machten, und irgendwann musste jemandem auffallen, dass da etwas nicht stimmte.

Totilas stürmte zu Roberto hin, baute sich mit in die Seiten gestützten Händen vor ihm auf und zog eine filmreife Telenovela-Nummer ab: „Das ist meine Show! Wie kannst du es wagen, mir meine Show kaputtzumachen!“
Das reichte für die Menge. Die Leute lauschten begeistert, achteten nur noch auf Totilas und Roberto, der geistesgegenwärtig einstieg, und kümmerten sich nicht mehr groß um unsere 'Filmaufnahmen'.

Aber sicher war sicher, vor allem für das, was ich jetzt vorhatte. Also rief ich einem imaginären Kameramann „Das Speziallicht jetzt!“ zu, bevor ich mich auf das Sommerkribbeln in mir konzentrierte und die ganze Szenerie in das beruhigende Licht eines sonnendurchfluteten, trägen Sommertages auf einer blühenden Wiese tauchte, wie ich das ja in den letzten Jahren schon einige Male getan habe. Die friedfertige Stimmung trug tatsächlich dazu bei, dass der Zombie sich beruhigte und aufhörte zu zappeln und zu kämpfen, und Alex sprach ihn noch einmal direkt an, aber der Leichnam antwortete nicht.

Während wir Mr. Andreotti vorsichtig zur Seite führten, 'stritten' Roberto und Totilas heftig weiter, und ein paar Neugierige wollten wieder wissen, was denn hier gedreht werde. Edward redete sich heraus, er sei nur Security, aber der Teenager Javier erzählte schnell etwas von einer Telenovela mit Zombies. Ganz im Geiste einer Telenovela ließen Totilas und Roberto ihren 'Streit' in einem leidenschaftlichen und von den Umstehenden bejubelten Kuss enden, bevor die Menge sich langsam zerstreute. Puh.

Nachdem Alex die Bisswunde in meinem Arm desinfiziert und mit Verbandszeug aus seinem Auto versorgt hatte, versuchte er noch einmal, mit Mr. Andreotti in Kontakt zu treten. Der wandelnde Tote konnte nicht sprechen, aber er hatte vermutlich einen Geist in sich, mit dem Alex reden könnte. Also betrachtete unser Kumpel ihn auf der Geisterebene genauer, wozu vorher keine Ruhe gewesen war, und stellte jetzt fest, dass der Geist keiner von Adlenes Halsbandsittichen war, aber offenbar doch von irgendetwas kontrolliert wurde und offenbar nicht genug eigenes Bewusstsein hatte, um kommunizieren zu können. Jetzt, wo das träge Sommerlicht geendet hatte, fing er auch wieder an, herumzuwandern und offenbar irgendetwas suchen zu wollen.

Was nun, war die Frage – sollten wir die lebende Leiche einfach laufen lassen?
Das sicherlich nicht, aber bevor, bzw. während, wir Andreotti folgten, erweiterte ich mein Bewusstsein und suchte in meiner Wahrnehmung von Miami nach Untoten bzw. nach Flecken erhöhter Aufmerksamkeit unter der Bevölkerung. Ich fand sechs solcher Punkte in der ganzen Stadt verteilt, aber nicht alle geistigen Blips gingen mit erhöhter Aufmerksamkeit einher – sprich dort waren die wandelnden Toten offenbar noch von niemandem gesehen worden.

Bevor wir überlegen konnten, ob wir uns aufteilen und diese Hotspots getrennt aufsuchen sollten, blieb Andreotti unvermittelt an einem Laden („Ye Olde British Shoppe“ stand in mittelalterlich angehauchten Lettern auf dem Schild) stehen und schlug übergangslos dessen Scheibe ein, bevor er hineinzuklettern begann. Unsere Versuche, ihn aufzuhalten und ruhigzustellen, klappten dabei nur begrenzt, und so konnten wir ihn nur festhalten, nachdem er schon zur Hälfte hineingekrochen war. Drinnen waren ein Kunde, der entsetzt aufschrie, und eine Verkäuferin, die beherzt eines der zum Verkauf stehenden Zierschwerter packte und sich in Verteidigungsposition brachte, aber glücklicherweise nicht eingreifen musste, weil es Alex nun, wo wir anderen ihn festhileten, gelang, den lebenden Leichnam mit Kabelbindern so zu fixieren, dass der sich nicht mehr rühren konnte.

Die Verkäuferin kam zu uns heraus und wollte wissen, was los sei, und auch der Kunde aus dem Laden war fest davon überzeugt, dass mit Andreotti etwas nicht stimmte. Tatsächlich begann der Zombie sich jetzt kräftig gegen seine Fesseln zu wehren und in Richtung der jungen Frau zu drängen – offenbar hatte er in ihr das gefunden, was er in dem Laden gesucht hatte.
Während Edward den wandelnden Toten zum Auto bugsierte, zückte Totilas eine Visitenkarte und erklärte so unverfroren und vor allem überzeugend, wie nur er das kann, das sei ein aus dem Sanatorium ausgebrochener Patient, und der Schaden würde selbstverständlich ersetzt werden.
Weil die junge Frau einen schottischen Akzent hatte, kam mir der plötzliche Verdacht, sie könne vielleicht von Ruairidh MacCormac abstammen. Darauf wollte ich sie aber nicht direkt ansprechen, also versuchte ich es mit: „Es tut uns alles sehr leid, Ms. ...“, wobei ich das letzte Wort als Frage in der Luft hängen ließ.
„Wallace“, antwortete sie, was meine Theorie von Clan McCormac schön zerplatzen ließ, „Claire Wallace.“

Aber Ms. Wallace achtete kaum auf mich. Nach seiner charmanten Überzeugungsaktion eben hatte sie nur Augen für Totilas. Ihm erzählte sie auf seine Frage hin, sie sei Studentin und studiere europäische Geschichte, und als er sich interessiert zeigte, ging sie auch etwas ins Detail. So berichtete sie beispielsweise von dem Freiheitskämpfer William Wallace, der ihr Vorfahr sei. Edward erkundigte sich nach Rory McCormac, aber über den wusste sie auch nichts anderes als wir. Die Geschichte, die sie uns über ihn erzählte, war genau die, die wir schon kannten.

Während des Gesprächs hatte Alex bereits das eingeschlagene Fenster ausgemessen und ein paar Telefonate geführt – und tatsächlich fuhr kurze Zeit später ein Wagen vor und lieferte eine neue Scheibe an. Die baute Alex ein, während Roberto einen Rundruf an die anderen startete und ich mein Bewusstsein noch einmal über die Stadt wandern ließ, um nach den anderen Hotspots zu schauen. Tatsächlich waren die Aufmerksamkeitsflecken größer geworden, einer davon sogar deutlich – es gab offenbar Verletzte.

Dort war die Polizei schon vor Ort, als wir ankamen. Sie lösten die Menschenmenge mit der Erklärung auf, ein wildes Tier habe randaliert. Ein Krankenwagen war auch bereits gekommen, der gerade die Verletzten versorgte. Eine ältere Dame sagte aus, der 'Mann' hätte ununterbrochen von „Schotten“ geredet – nicht hasserfüllt, aber entschlossen, aber er habe offenbar dringend Schotten gesucht und gewollt. Die beiden Cops hatten den Zombie getasert und fixiert, waren aber nun von der Situation etwas überfordert und ratlos – auf die Idee, das SID zu rufen, waren sie bisher nicht gekommen, deswegen erledigte Edward das jetzt.

Lt. Townsend schickte Suki Sasamoto und Salvador Herero**, denen Edward berichtete, dass wir einen weiteren dieser Zombies für sie im Auto hätten und dass noch einige weitere anderswo in der Stadt unterwegs seien.
Wir teilten uns in drei Teams auf – ich begleitete Suki und Salvador – und fuhren die Hotspots ab, und so gelang es uns, alle Zombies einzusammeln und in einer entsprechend gesicherten Zelle im SID unterzubringen. Dort standen sie nicht still, sondern suchten weiter herum. Nicht alle waren so lange tot wie Mr. Andreotti; einige Leichen waren frischer, manche auch noch etwas älter – aber alle sahen sie eher nach mediterraner Herkunft aus und nicht nach Schotten.

Dabei beließen wir es dann für heute – der Tag war doch ganz schön anstrengend, ganz zu schweigen von schmerzhaft, und alles Weitere kann eine Nacht lang warten. Für morgen früh haben wir uns wieder im SID mit Lt. Townsend verabredet.



* Eigentlich hätte Dallas auch bei Alex anrufen können, fällt mir dabei auf. Ich bin ja immer noch der Meinung, sie interessiert sich für ihn und ist für jede Ausrede Gelegenheit dankbar, ihn persönlich treffen zu können.

** Suki: „Lange nicht gesehen.“
    Edward: „Wir haben da von einem Zombieproblem gehört.“
    Suki: „Erschießen?“
    Edward: „Desinfizieren und Beobachten.“
Zitat von: Dark_Tigger
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Zitat von: ErikErikson
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Offline Timberwere

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7. März

Mierda, es ist nur etwas über eine Stunde Zeit, bis wir wieder in Miami sind. Egal, muss reichen, oder wie weit ich eben komme. Sorry wieder mal für das Gekrakel – Alex tritt ganz schön auf die Tube.

Also los. Ablenkung ist gut gerade.

Als wir ins SID kamen, hatten wir erst eine kurze Unterredung mit Lt. Townsend, die sich bereiterklärte, uns, obwohl Edward ja nicht mehr bei der Polizei ist, die Sache mit den Zombies zu überlassen.

Die Zombies mussten ja von irgendetwas aufgeweckt worden sein, und Alex hatte ja gesagt, dass sie unter irgendeiner Kontrolle stünden, also war der nächste logische Schritt, herauszufinden, wer oder was dieser Einfluss war, der sie aus den Gräbern kriechen und nach Schotten suchen ließ. Und wie ließ sich dieser Einfluss am besten identifizieren? Blöde Frage. Edward war involviert. Mit einem Ritual natürlich, Römer und Patrioten.

Edward hat da dieses Buch, das er manchmal bei seinen Ritualen benutzt, wenn es um eher theoretische Fragen geht. Das Buch an sich ist leer, aber in ihm erscheinen dann auf magische Weise die Antworten auf Edwards Fragen. In diesem speziellen Fall entstand langsam das Bild eines mediterran aussehenden, irgendwie düster wirkenden Mannes auf dem Papier, darunter das Wort „Orcus“. Orcus, die römische Gottheit der Unterwelt – das würde zu den wandelnden Toten und deren ebenfalls durchgehend mediterranem Aussehen passen. Also der römische Totengott. Yay. Dann sollten wir den wohl kontaktieren. Nur wie?

Um einen ersten Anhaltspunkt zu bekommen, rief ich wieder bei Haley an. Die klang nach einer Mischung aus amüsiert und ungehalten und erklärte, einmal sei ein Freebie, zweimal koste, wenn ich also eine Auskunft wolle, brauche sie eine Gegenleistung. Zum Glück wurde es wenigstens nicht das sonst so gern genutzte 'Gefallen schulden' (hätte ich der nordischen Totengöttin wirklich einen Gefallen schulden wollen?), sondern ich sollte mich dazu verpflichten, irgendwann ein- oder zweimal den Babysitter für eine Gruppe Helheim-Touristen zu spielen, weil Bjarki sich immer so darüber beschwere, dass er ständig dazu abkommandiert werde. Nach kurzem Überlegen sagte ich zu – die Gruppe, der wir begegnet sind, war ja ganz umgänglich. Ein bisschen mulmig ist mir bei dem Gedanken allerdings dennoch. Wenn du das mal nicht irgendwann bereuen wirst, Alcazár.

Nachdem das geklärt war, erzählte ich, wie ich auf den Namen kam und fragte Haley nach Orcus. „Ach, der Orcus“, antwortete sie. „Das hat bestimmt einen tiefen, tragischen Grund. Der Gute ist schrecklich tiefsinnig. Habt ihr es schon in seinem Heiligtum versucht?“
„In Rom?“
Nein, wie sich herausstellte, hat Orcus wohl inzwischen auch hier in Miami eine heilige Stätte. Das haben offenbar inzwischen die meisten oder alle der Gottheiten, die sich regelmäßig hier aufhalten.
Orcus' Heiligtum befindet sich offenbar in der Nähe einer Pizzeria auf einem kleinen Friedhof in einer Krypta.
Memo an uns: Wir sollten eine Liste erstellen.*

An der Krpyta – übrigens ganz nahe dessen, wo gestern einer der lebenden Toten herausgekommen war – hingen einige Goths herum und verbrannten Weihrauch. Totilas und ich gingen hin, um mit ihnen zu reden – als sie fragten, wie wir auf Orcus kämen, erklärte Totilas, er interessiere sich für Untote und okkulte Phänomene, während ich sagte, ich hätte ein akademisches Interesse an der altrömischen Religion. (Was ja nicht mal gelogen ist.)
Wenn wir mit Orcus reden wollten, sagten die Goths, könnten wir das in der Krypta tun, aber wir sollten Kerzen mitnehmen, keine Taschenlampen. Die möge Orcus nicht so.
Totilas fragte dann noch, ob es besondere Verhaltensweisen gebe, die wir beachten sollten.
„Höflich sein“, erwiderte eine der Goths, eine junge Frau, die offenbar deren Anführerin zu sein schien. „Nennt ihn nicht 'Orci-Dude' oder so.“
„Es gibt doch bestimmt Rituale“, hakte Totilas nach.
„Ja, aber die sind den Eingeweihten vorbehalten. Oder wollt ihr dem Kult des Orcus beitreten?“
„Reden reicht“, fiel ich schnell ein. Reden schön und gut, aber ich habe es ja schon mal gesagt: Ich werde nicht mal zur Tarnung so tun, als wolle ich eine fremde Gottheit anbeten.
Die Goth warf mir einen abschätzenden Blick zu. „Ja, das habe ich mir schon gedacht, irgendwie.“

Gegen einen kleinen, der Höflichkeit geschuldeten Obulus, über den die Goths sich durchaus freuten, nahmen wir je ein Grablicht mit hinunter in die Krypta. Unten angekommen war die Gruft größer, als sie es eigentlich hätte sein dürfen. Etliche Säulen stützten die Decke, und ein Altar stand in der Mitte, aber ansonsten war der Raum leer.
Als wir höflich nach ihm fragten („Werter Orcus, wir würden gerne mit Euch reden“ - ungefähr derselbe Tonfall, indem ich in die Luft gesprochen hatte, als ich um ein Gespräch mit Odin bat), erschien der römische Totengott in der Nähe des Altars. Er sah genauso aus wie auf der Zeichnung in Edwards Buch, ganz der Typ interessant-tragisch-melancholisch-gutaussehend, und er war ziemlich kurz angebunden und wenn nicht barsch, dann doch herrisch-kühl.
Ja, er habe seine Abgesandten losgeschickt. Die Morrígan sei verschwunden, und er wolle sie wiederhaben. Dass seine 'Abgesandten' Schrecken verbreitet, Menschen verletzt und Schäden angerichtet hatten, war ihm herzlich egal. Was kümmerten ihn die Befindlichkeiten von Sterblichen? Die Morrígan sei verschwunden, sie sei nicht zu ihrem vereinbarten Treffen gekommen, er wolle sie wiederhaben. „Also findet sie, bevor die Stadt brennt.“
Ganz waren wir aber noch nicht bereit zu gehen, und fragten noch etwas weiter. So erfuhren wir, dass Orcus vor den wandelnden Leichen er seine Priester ausgesandt habe, aber die seien ineffizient gewesen, deswegen die Abgesandten.
„Die waren aber doch auch ineffizient“, warf ich ein.
„Immerhin haben sie dazu geführt, dass ihr jetzt hier seid.“
„Trotzdem waren sie ineffizient.“
„Nun, jetzt wissen meine Priester ja, wo sie euch Wächter von Miami finden, wenn sie euch brauchen. Und wenn euch die Stadt so sehr am Herzen liegt, wie ihr sagt, dann findet die Morrígan.“
Sprach's und verschwand.

Draußen tauschten wir Nummern mit der jungen Goth, die sich nun als 'Lucretia' vorstellte, sich als Hohepriesterin des Orcus hier in Miami zu erkennen gab und von ihrem Angebeteten (hier im wahrsten Sinne des Wortes) völlig hin und weg war: „Ist er nicht ein Traum?“ Von Edward bekam sie dessen Visitenkarte („Rituale & Recherchen“).
Bevor wir gingen, fragte ich Lucretia noch, wie die Priester des Orcus eigentlich genau nach der Morrígan gesucht hätten. Sie hätten ein Ritual durchgeführt, um sie zu finden, erwiderte die junge Goth, und auf Edwards Nachfrage beschrieb sie die Vorgehensweise dabei. So hätten sie zum Beispiel eine Rabenfeder dabei benutzt, weil Morrígan ja eine Rabengöttin sei. Edward nickte verstehend und durchaus anerkennend -  hinterher dann, als wir unter uns waren, sagte er, die Methode der jungen Leute sei etwas laienhaft gewesen, aber durchaus erfolgversprechend – wenn es denn etwas zu finden gegeben hätte.

Aber die Erwähnung der Rabenfeder und von Morrígan als der Rabengöttin brachte uns auf ganz einen anderen Gedanken. Könnten die Federn, die an den Orten der verschwundenen Geistern gefunden wurden, eventuell von der Morrígan gewesen sein und nicht von Stefania Steinbach in ihrer Dämonengestalt?
Das passte allerdings nicht, da die Federn an den Geisterorten scharfkantig gewesen waren, wie Steinbachs Dämonenfedern es eben sind, Morrígans Rabenfedern aber vermutlich – hoffentlich! - ganz normale Federn sein dürften. Dennoch gab Totilas die Theorie nicht ganz auf: „Was, wenn Steinbach als Rabendämon ein Interesse an der Morrígan als Rabengöttin hat?“

Wie wir herausfanden, liegt Morrígans Heiligtum liegt im Veteranenfriedhof South Florida National Cemetery ein Stück nördlich von Boca Raton, also etwa eine Autostunde von Miami Beach entfernt.
Bei der Recherche danach stellten wir übrigens fest, dass wir die unterschiedlichen heiligen Stätten im Geist spüren können, wenn wir uns auf die jeweilige Gottheit konzentrieren. Lake Worth, wo Morrígans Heiligtum liegt, liegt zwar technisch gesehen schon außerhalb Miamis, aber können wir dennoch dessen Präsenz in unserem Bewusstsein greifen, weil Morrígan eine Verbindung zu Miami und damit zu uns hat? Oder weil sie von Miami aus kam? Oder weil sie selbst es für einen Teil von Miami hält? Oder weil Miami es für einen Teil von sich selbst hält? Vielleicht erzählt sie es uns mal, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Solange aber: Fragt mich nicht, Römer und Patrioten. Es funktionert, das reicht mir.

In einer abgelegenen Ecke des Veteranenfriedhofs floss ein Bach, der mit einiger Sicherheit früher dort nicht geflossen war und der vor allem keinen Abfluss und keinen Ursprung hatte. Priester der Morrígan waren keine zu sehen, und Totilas' Ruf brachte keine Reaktion.
Auf einem der Grabsteine in der Nähe saß ein Rabe, der uns neugierig anschaute. Wir überlegten, ob es vielleicht etwas Besonderes mit ihm auf sich hatte**, und sprachen ihn an, aber der Vogel putzte sich nur mit dem Schnabel das Gefieder, pickte etwas auf und verlor das Interesse, also war es wohl doch nur ein ganz normaler Rabe. Da gab es tatsächlich auch noch einige mehr in der Umgebung.

Irgendwie wurden wir den Gedanken an Stefania Steinbach nicht los. Was, wenn sie die Morrígan in ihrer Gewalt hat? Was könnten wir dann tun? Ich meine, wo wir Steinbach finden können, wissen wir, aber wir können ja schlecht in die Ermita de la Caridad marschieren von wegen: „Du hast die Morrígan entführt, rück sie raus!“

Totilas hatte die Idee, Eoife zu kontaktieren. Der schottische Halbgeist konnte uns zwar nicht direkt dabei helfen, die Morrígan ausfindig zu machen, aber immerhin konnte sie uns einige Informationen über die keltische Mythenfigur geben. Sie habe gelegentlich Kontakt zu ihr, und sie verstünden sich recht gut, trotz ihrer drei Inkarnationen. Natürlich wollten wir wissen, was das für drei Inkarnationen seien, und erfuhren:
Als Morrígan ist sie die Rabengöttin, als Badb die Göttin der Schlacht und als Sweet Annie für die Toten. Zuletzt begegnet sind die beiden sich vor zwanzig oder vierzig Jahren oder etwas in der Art – kein großer Unterschied und kaum ein paar Tage für einen Jahrhunderte alten Geist, aber zu lange für unsere Zwecke. Sie versprach aber, die Augen aufzuhalten, bevor sie aus Alex verschwand.
Oh, und vorher fragte sie auch noch, wie weit wir bei unserer Suche nach ihrem Dämon schon gekommen seien. Da sich aber ziemlich gut versteckt hält und offenbar nicht gefunden werden will, hatten wir in dieser Hinsicht bisher noch keinen großen Erfolg. Das brachte uns aber, als Eoife dann fort war, auf den Gedanken, was eigentlich mit all den Weißvampirdämonen passieren würde, wenn der Erste stürbe. Wäre das, so ähnlich wie bei den Rotvampiren, eine Kettenreaktion auslösen? Und was für eine Auswirkung hätte das auf Totilas?

Über diese Frage sannen wir gerade noch nach, da drängte sich mit einem Mal etwas in unser aller Bewusstsein: eine Auseinandersetzung am Hafen! Okay, Auseinandersetzungen am Hafen hatten wir in den letzten Monaten schon öfter gespürt, aber der Hafen ist Ciceróns Gebiet, da mischen wir uns üblicherweise nicht ein.
Aber das hier ist was anderes. Das ist viel größer, viel heftiger, und vor allem: Unsere Leute sind am Verlieren!
Mierda, mierda, mierda. Noch halten sie durch, aber mierda!

Wir sind gleich da. Fahr schneller, Alex!


* Beim Reden über die Präsenz der ganzen Gottheiten in der Stadt und über die Probleme, sie im Zaum zu halten, kam es übrigens auch zur Frotzelei des Tages.
Edward: "Es heißt 'Miami, Magic City'. Nicht 'Miami, Divine City' oder 'Miami, Deity City' oder 'Miami, Divinity City'."
Ich: "Hmmm. 'Divinity' klingt nach einem Kaff in Arkansas, wie 'Temperance' oder 'Redemption'."
Roberto: "Das ist doch die Drohung: 'Benimm dich, oder du kommst nach Divinity, Arkansas!'"


** Totilas: „Ist das ein normaler Rabe, oder kann der was?“
    Edward: „Er kann fliegen, oder was meinst du?“
« Letzte Änderung: 4.06.2021 | 14:16 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Timberwere

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Abends. Alle noch am Leben. Gerade so jedenfalls, in einigen Fällen. Aber offenbar nichts, dass – schnelle Heilkräfte von Magiekundigen sei Dank – nicht wieder in Ordnung kommen würde. Gracias a Dios.

Als wir am Hafen ankamen, sahen wir Cicerón ziemlich übel zugerichtet außen an einer Lagerhalle direkt neben einem Pier lehnen – er konnte sich zwar noch irgendwie auf den Beinen halten, aber er blutete aus zahllosen kleinen Wunden und war sichtlich am Ende. Es sah aus, als sei er gerade aus der Lagerhalle herausgekommen, als er über die Wächter-Verbindung merkte, dass wir uns näherten.
„Die anderen sind da drin“, keuchte er. „Das war zu viel.“
„Wer?“ - das war Totilas - „Fomori?
Cicerón schüttelte den Kopf. „Outsider. Und die Rabenfrau.“

Outsider. ¡Arroz con mango!

„Die anderen“, das waren Febe und Ilyana, das konnten wir spüren. Am Pier lag übrigens auch ein Frachtschiff – ein kleineres Containerschiff – an, aber das beachteten wir in dem Moment noch nicht. Stattdessen konzentrierten wir uns auf das Lagerhaus. Auch draußen schon waren Kampfspuren zu sehen: Wir konnten durch verschleuderte Rabenfedern verursachte Löcher dort sehen, wo das Material eigentlich viel zu hart dafür war, und die Fenster oben im Lagerhaus waren von irgendetwas verschmiert – vielleicht Blut?

„Wieviele sind es?“, fragte Edward. Dass es Outsider waren, konnten wir spüren, denn in dem Lagerhaus fühlte es sich an wie ein punktueller Kopfschmerz. Und weil es fast unmöglich war, sich auf diesen punktuellen Kopfschmerz zu konzentrieren, war auch die Anzahl dieser Kopfschmerzpunkte nicht so richtig festzustellen. „Schwer zu sagen“, antwortete Cicerón, „die lassen sich nicht richtig zählen. Die verschwinden immer wieder im Nevernever. Und dieser Jak ist auch da.“

Jak? Oh, ¡mierda! Es war aber auch egal – wir mussten da rein, und zwar jetzt! Aber vorher gab Edward Cicerón, der  noch einen von seinen selbstgebrauten Heiltränken, von denen er so gut wie immer ein, zwei Fläschchen dabei hat und die uns – mir vor allem – ja schon mehr als einmal den Hintern gerettet haben. Da fällt mir ein, in Pans Palast habe ich nach einem etwas... schmerzhaften Trainingskampf mit Sir Anders und den Einherjer von dem Sidhe-Ritter auch das Rezept für einen Heiltrank der Sommer-Fae gelernt. Ich sollte mir mal angewöhnen, davon auch das eine oder andere Fläschchen mitzunehmen.

Jedenfalls: Das Lagerhaus war recht groß, voller Frachtkisten und überhaupt nicht gut ausgeleuchtet: Wenn es irgendwo einen Hauptschalter für die Lampen gab, dann fanden wir ihn in der Hektik nicht. Aber gerade, als wir die Halle betraten, erhellte ein Blitz die Szenerie. Überall Kisten und Container, Schienen und ein Kran an der Decke. Kaum waren wir drin, verschwand Totilas – wir kannten unseren White Court-Freund gut genug, um zu wissen, dass er gerade seine übernatürlichen Muskeln angeworfen hatte und losgerannt war.
Den Blitz hatte Febe geschossen, die auf einer der Frachtkisten stand, unter ihr zwei dieser Outsider, die wir nur anhand unserer Kopfschmerzen spüren konnten. Sie sahen grob aus wie Hunde, aber auch nur im allergröbsten Sinne. Ihr Kopf bestand aus Tentakeln, und auch auf jeder Seite kamen jeweils drei Tentakel wie Beine heraus, auf denen sie sich auch fortbewegten. Ilyana, die die Yansa-Maske trug, kämpfte ebenfalls gegen zwei dieser Kreaturen, aber sie war – natürlich, sie channelte Yansa – direkt auf Tuchfühlung mit ihnen. Auf einer anderen Kiste stand Stefania Steinbach in ihrer Dämonengestalt. In dieser war sie größer als ein Mensch, von schwarzer Farbe und mit Federn bewachsen, mit einem langgezogenen Gesicht, Armen, die wie Flügel wirkten, und beinahe so etwas wie einem Schnabel, so dass sie tatsächlich ein bisschen wie ein Rabe aussah. Sie warf immer wieder mit Federn um sich, schien aber vor allem die Situation im Auge zu behalten. Ihre beiden Gegnerinnen hatte die Denarierin auch schon gehörig verletzt mit ihren Federn, auch wenn vor allem Ilyana das im Moment gar nicht zu groß zu bemerken schien.

Auch Jak befand sich im Raum. Er hielt einen kleinen Kasten in der Hand, der ungefähr die Größe eines mittelgroßen Paperbacks hatte und aus schwarzem Holz gefertigt war. Er bemerkte uns, als wir die Halle betraten, warf uns einen 'Ach, naja, na gut, dann halt nicht, dann ist das halt jetzt so'-Blick zu und verschwand mit einem leisen 'Plop' im Nevernever. Zurück blieb ein Luftballon, der an der Stelle schwebte, wo Jak eben noch gewesen war, und der trotz der schlechten Lichtverhältnisse so perfekt zu sehen war, als befinde er sich im hellsten Tageslicht.

Mit seiner übermenschlichen Geschwindigkeit stürmte Totilas auf Steinbachs Kiste dazu und warf sich dagegen, ganz offenbar in der Absicht, die Kirchenfunktionärin zu Fall zu bringen. Ganz gelang ihm das nicht, aber immerhin brachte er die Kisten ins Wanken und Steinbach damit für einen Moment aus dem Gleichgewicht, während ich die Krähenfrau mit meinem patentierten Sonnenlichtzauber blendete, um den Effekt noch zu verstärken.
Edward nahm Anlauf und sprang an dem Kistenstapel hoch – es sah aus, als wollte er im Sprung zuschlagen, um nicht in den Nahkampf mit Steinbach gehen zu müssen. Allein durch die Tatsache, dass er die Denarierin bei seinem Schlag berührte, brachte ihm mehrere kleine Schnitte ihrer scharfen Federn ein, aber dafür versetzte er ihr eine richtig schwere Wunde. Er kam mit seinem weiten Satz auch aus Steinbachs Reichweite, aber sie schoss eine Wolke aus Federn nach ihm ab, die ihm den Rücken aufrissen, und beim Aufkommen verstauchte er sich zu allem Überfluss den Knöchel.
Der Hund, den Febes Blitz getroffen hatte, verschwand im Nevernever und tauchte direkt neben Roberto wieder auf. Er biss nach Roberto und traf ihn auch, aber zum Glück nicht sehr schwer.
Alex rannte indessen zur Steuerkanzel des Deckenkrans und schwang sich hinein, während einer der Hunde mit seinen Tentakeln nach ihm griff, ihn aber nicht erwischte.
Auch Febe konnte dem Hund ausweichen, der an ihrer Kiste hochsprang. Ilyana jedoch wurde von einem Biss ihres Gegners voll getroffen und schrie schmerzerfüllt auf, woraufhin Totilas zu ihr hinstürmte und ihrem Hund einen Hieb mit der Faust überbriet. Das tat der Outsider-Bestie nicht wirklich weh, aber immerhin ließ sie daraufhin von Ilyana ab.

Stefania Steinbach bemerkte offenbar erst jetzt, dass Jak verschwunden war und nahm das zum Anlass, sich auch abzusetzen: Sie schwang sich in die Luft und flog durchs Dach davon. Gut so, das machte uns das Leben ein klein wenig leichter, dass wir nur noch die Outsider-Hunde gegen uns hatten - nicht, dass die Viecher nicht auch alleine noch verdammt gefährlich waren und uns schwer zu schaffen machten.
Ich sprang Roberto zur Seite, und dank Jades scharfer Klinge gelang es mir, seinem Hund ein Tentakel abzuschlagen. Roberto selbst hatte sich gerade ein herumliegendes Stück Eisenrohr geschnappt, mit dem er nun ebenfalls nach dem Hund schlug und diesen auch empfindlich am Schädel traf. Daraufhin biss das Monstrum wieder nach Roberto, brachte ihn damit aber zum Glück nur etwas aus dem Tritt, statt ihn zu verletzen. Und kam es mir nur so vor, oder spürte ich einen beleidigten Impuls von Jade, weil der Hund sie ignorierte?

Währenddessen wollte Edward mit einem Schlag seiner behandschuhten Faust Febes Hund von ihr ablenken, aber die Outsider-Bestie ließ nicht locker – und letzter Biss traf eine Arterie in Febes Bein. Blutüberströmt ging die Santa Shanga zu Boden.
Ein lautes Krachen und das Geräusch berstender Knochen ließ uns kurz zu Totilas hinüberschauen, auf dessen und Ilyanas Gegner gerade eine schwere Kiste herabgestürzt war. Alex hatte sie mit dem Deckenkran über das Monster manövriert – aber jetzt flog aus der Richtung des Krans die Tür der Steuerkanzel in unsere Richtung. Sie traf keinen von uns, aber das zeigte uns, dass Alex' Hund, der offenbar die Tür gerade mit seinen Tentakeln einfach abgerissen und nach uns geschleudert hatte, drauf und dran war, zu unserem Freund in die Kabine einzudringen.

Der Hund bei Roberto und mir verschwand mit einem leisen Plopp im Nevernever, während Totilas seinem und Ilyanas Hund, der von der Kiste schwer verletzt und sichtlich desorientiert war, mit einem letzten Schlag den Rest gab.
Für den Moment war ich frei, und Febe und Edward – vor allem Febe! – brauchten Hilfe. Um mit Jade zuzuschlagen, war ich zu weit weg, und hinzulaufen würde zu viel Zeit kosten, also rief ich die Magie nach oben und stellte mir mit aller Macht ein auf den Hund gerichtetes Brennglas vor, durch das ein Sonnenstrahl fiel – ein Laserstrahl aus konzentriertem Sonnenlicht, gewissermaßen. Der gleißende Strahl, der aus meiner Hand kam, traf den Hund auch tatsächlich schwer, aber das war nicht der vertraute Zauber, mit dem ich sonst immer die Szenerie erhelle oder meine Gegner blende, und es war etwas, das ich so direkt noch nicht probiert hatte, und ja, ich verschätzte mich. Für einen Moment sah ich vor meinen Augen Funken sprühen, und der Laserstrahl, der den Hund getroffen hatte, schlug zurück und versengte auch mir selbst die Hand.
¡Ai, cólera! Das hatte ich ja schon so lange nicht mehr! Aber, gracias a Dios, das habe ich auch schonmal schlimmer erlebt.
Der Hund jedenfalls wollte verschwinden, aber es gelang ihm nicht. Mit sichtlich unkontrollierten Bewegungen und von Brandgeruch umgeben fiel er von dem Kistenstapel herunter, und dann rührte er sich nicht mehr.

Edward war anzusehen, dass er eigentlich zu Febe wollte, um erste Hilfe zu leisten, jetzt wo ihr Gegner ausgeschaltet war. Aber dann konnte man richtiggehend sehen, wie seine Vollmond-Instinkte ihn übermannten und er sich stattdessen auf den Hund bei Alex stürzte. Sein Treffer ließ das Monster aufheulen, und es blinkte weg.
Stattdessen rannte Totilas zu Febe hin und band ihr das Bein ab – vielleicht war es in dem Moment ganz gut, dass sie bereits ohnmächtig war.

Die Bestie, die bei Roberto und mir gewesen war, tauchte hinter Cicerón auf und erwischte ihn aus diesem Hinterhalt. Der Bandenchef sah bereits schwer mitgenommen aus, aber noch stand er, und jetzt begannen seine Augen zu leuchten und Feuer um seine Hände zu spielen.
Alex packte das Outsider-Biest mit dem Kran, um es zu behindern und Cicerón das Leben etwas leichter zu machen, aber dessen Schlag traf nur den Kran statt seinen Gegner. Da Febes Hund tot war, Febe selbst bereits von Totilas erste Hilfe erhielt und Alex' Hund sich gerade nicht in unserer Realität befand, rannte ich zu Cicerón und konnte dem Biest noch einmal ein Tentakel abschneiden. Von Jade verletzt und vom Kran behindert – das reichte, damit der Hund von Cicerón genug hatte und wieder zu Roberto hinteleportierte. Der aber hatte sich offenbar genau auf diese Wahrscheinlichkeit vorbereitet, denn er war nicht im Geringsten überrascht, als das Biest hinter ihm auftauchte. Im Gegenteil, er wirbelte herum und hieb dem Outsider-Hund das Eisenrohr, das er ja immer noch in der Hand hatte, über den Schädel. Die Bestie jaulte noch einmal auf und lag dann still – und das war der letzte unserer Gegner, denn Alex' Hund blieb verschwunden. Ob er dort – wo auch immer 'dort' war – verendete oder schlicht keine Lust mehr hatte, sich weiter mit uns anzulegen, kann ich nicht sagen, ist im Endeffekt aber auch nicht von Bedeutung.

Als erste Aktion, nachdem Ruhe eingekehrt war, riefen wir natürlich einen Krankenwagen. Wobei wir eigentlich gleich mehrere gebraucht hätten, denn die meisten von uns waren mehr oder weniger übel dran. Ich selbst kam mit meinen Brandwunden des Grads 2b (ja, inzwischen kann ich die unterschiedlichen Grade auf Anhieb unterscheiden, seufz) dabei noch vergleichsweise glimpflich davon; Edward war mit seinem aufgerissenen Rücken war deutlich schlimmer dran, und auch Cicerón und Ilyana ging es richtig dreckig, vor allem, als sie ihre Orisha-Masken abnahmen und all ihre bislang unbemerkten Verletzungen mit Macht über sie hereinbrachen.

Totilas sah auch nicht gut aus. Man konnte ihm ansehen, wie er sich zwar unter Kontrolle hatte, aber das eine knappe Kiste war. Seine Augen nahmen den silbernen Glanz an, den sie bekommen, wenn sein Dämon die Oberhand gewinnt, und er machte ziemlich schnell einen Abgang, weil er ziemlich sicher Febe und uns andere nicht verletzen wollte.

Jetzt kamen auch Ximena und Ángel bei der Lagerhalle an, die ebenfalls über unser gemeinsames Band den Notfall mitbekommen hatten und gleich losgefahren waren, aber schlicht im Stau festgesteckt hatten. Bjarki sei allerdings schon in Falkengestalt vorausgeflogen – ob wir den nicht gesehen hätten?
Nein, das hatten wir nicht, aber wir waren auch anderweitig beschäftigt gewesen.
Alex war noch gar nicht bei uns, bemerkten wir jetzt. Aber nun kam er heran und berichtete: Der Ballon, den Jak hinterlassen hatte, war ihm gefolgt, als er zu uns stoßen wollte, also hatte Alex sich eine Nagelpistole geschnappt, die er in der Lagerhalle fand, und auf den Ballon geschossen, wobei er sorgfältig darauf achtete, dem Explosionsradius des platzenden Ballons fernzubleiben. Dort, wo der Ballon geplatzt war, riss die Barriere zwischen unserer Welt und dem Nevernever wieder kurz, und von der Stelle ging ein richtig unangenehmes Gefühl von falsch aus. Alex gelang es, nicht in den Riss zu schauen, und dieser schloss sich dann auch wieder, aber eine Art Narbe in der Grenze blieb dort bestehen. Da will Alex sich nochmal drum kümmern, sagte er.

Jetzt hatten wir auch Gelegenheit, einen Blick auf das Schiff zu werfen, das da am Pier lag. Dem ersten Anschein nach sah das Containerschiff so aus, als habe es schon bessere Tage gesehen, aber bei näherem Hinsehen zeigte sich, dass alles State-of-the-Art war: Vor allem die super-moderne Funk- und Satellitenanlage. Näher konnten wir jetzt allerdings nicht darüber nachdenken, denn nun näherten sich Blaulicht und Sirenen.

Bevor der Krankenwagen – und mit ihm die Polizei – aber ankamen, zogen sich Cicerón, Ilyana und Edward zurück, während wir anderen da blieben, um Fragen zu beantworten. Febe wurde – in Alex' Begleitung, der dort wegen des Problems, das Magier mit Technik haben, den Ansprechpartner geben wollte – ins Krankenhaus abtransportiert, und es blieb an mir hängen, die Geschehnisse zu erklären. Die Leichen der Tentakel-Hunde hatten sich inzwischen aufgelöst, und das war nur gut so, das hätte ohnehin niemand geglaubt. Stattdessen verkaufte ich die Bissverletzungen als Ergebnis einer kleinen Meute herrenloser Hunde und meine Verbrennungen als den fehlgeschlagenen Versuch, mich einer dieser Hunde mit einem Stromkabel zu erwehren, und zum Glück kam ich damit auch anstandslos durch.

Hinterher fuhren wir in unser Ferienhaus, wohin Cicerón auch den Arzt bestellte, den er kennt und der uns dort behandelte. Und nach und nach tauchten auch die anderen wieder auf, und noch eine Weile später waren wir alle außer Febe in unserem Hauptquartier versammelt.
„Wir brauchen ein Krankenhaus nur für Magier“, sagte Edward, als wir alle verarztet und wieder unter uns waren. „Dann müssten wir nicht immer auf Geheimhaltung achten und aufpassen, dass wir nichts kaputtmachen.“
Gute Idee, das fanden wir alle, also werden wir demnächst wohl mal anfangen, das ein bisschen eingehender zu planen.
Vorher kam aber erst einmal auch Bjarki von seiner Verfolgung Stefania Steinbachs zurück. Die Krähenfrau war in ihr Haus in der Nähe der Ermitá zurückgekehrt, sagte er. Die Wunden, die sie in dem Kampf davongetragen hatte, schienen sich bereits in der Luft wieder zu schließen. Aber wenigstens heilten die Wunden nicht sofort, sondern nur langsam. Und die Dämonenfrau verlor unterwegs ziemlich viele Federn, das schien auch darauf hinzudeuten, dass sie die Verwundungen nicht völlig problemlos wegsteckte.

Nachdem wir die Ereignisse für die anderen grob zusammengefasst hatten, befand Totilas: „Ich habe ein ungutes Gefühl, dass Steinbach jetzt mit Jak zusammenarbeitet“, und damit hatte er natürlich völlig recht. Den Verdacht hatten wir ja schon eine Weile gehabt, aber jetzt wissen wir es mit Sicherheit.
„Was ist überhaupt genau passiert, bevor wir da angekommen sind?“
„Die Krähenfrau ist aufgetaucht“, antwortete Cicerón, „was so erstmal nichts Außergewöhnliches war. Die treibt sich öfter am Hafen rum. Normalerweise haut sie ab, wenn man ihr zu nahe kommt, aber diesmal eben nicht. Jak war ebenfalls da und hatte diese Monster dabei, die ihr ja gesehen habt. Oh, und Adlene war auch vor Ort, aber der ist gleich abgehauen, als wir kamen.“

Totilas beschrieb den kleinen schwarzen Kasten, den er bei Jak gesehen hatte, bevor der Outsider verschwand. „Ja, der kam von dem Schiff“, antwortete Cicerón, „das war eine Übergabe von dem Schiff.“
Der Mann, der Jak den Kasten übergeben habe, sei ein Latino gewesen. Ganz genau habe Cicerón ihn nicht ausmachen können, aber soviel dann doch. Latino oder Südeuropäer, irgendwie so, in einem Anzug mit Krawatte. Als Bezahlung habe er einen Koffer erhalten. Cicerón wollte den schwarzen Kasten haben und dachte, nur mit Jak und Steinbach könnten sie sich anlegen, weil sie ja zu dritt waren, aber dann habe Jak diese Hunde beschworen, und die Sache sei den Bach heruntergegangen.
„Er sagte zu Steinbach: 'Wäre doch toll, wenn die jetzt sterben würden', aber Steinbach hat sich zurückgehalten. Die hat ihre Kräfte nicht voll eingesetzt, sonst hätten wir nicht durchgehalten, bis ihr gekommen wärt.“
„Der Gedanke gefällt mir nicht“, brummte Totilas.
„Mir auch nicht“, erwiderte Edward, „aber vielleicht braucht sie uns noch.“
Alex, der auch wieder bei uns war, nickte. „Jetzt ist sie mit Jak verbündet, aber irgendwann wird das Bündnis brechen, und dann will sie vielleicht – vermutlich – dass wir Jak für sie umbringen.“
„Der Gedanke gefällt mir nicht“, wiederholte Totilas, und auch da waren wir alle einig mit ihm, aber so richtig etwas tun deswegen können wir im Moment nicht.

Aber wir können vielleicht herausfinden, was es mit diesem Schiff auf sich hat. Summerwind hieß es. Mierda. So ein schöner Name für so ein zwielichtiges Gefährt.
Totilas will Cousin Vin darauf ansetzen, sagte er.

Aber erstmal schlafen gehen. Das hier aufzuschreiben, hat schon wieder viel zu lange gedauert, und ich bin völlig erledigt.
« Letzte Änderung: 25.07.2021 | 11:41 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Timberwere

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8. März

Totilas hat mit seinem Cousin geredet. Auch ohne seine IT-Künste größer zu bemühen, konnte der junge Hacker mit einer ersten Suche bereits Folgendes feststellen: Die Summerwind ist ein mittelgroßes Containerschiff unter britischer Flagge, mit einer Besatzung von 16 Personen. Fracht laut öffentlichem Manifest: Ikea-Möbel, Autoteile und dergleichen. Vin war aber bereits jetzt misstrauisch, weil das alles zu normal war, zu glatt, zu sauber. Das Schiff selbst sei schon etwas älter, die Funkanlage zuletzt 1997 erneuert. Und das kann schon mal nicht stimmen, denn wir haben mit eigenen Augen gesehen, dass die Satellitenanlage der Summerwind brandneu ist. Vin will sich die Sache näher ansehen und sich wieder melden, kann aber nicht sagen, wie lange das dauern wird.

Wir anderen hielten indessen Kriegsrat und beschlossen, uns das Schiff schon einmal ansehen zu gehen, auch ohne die tiefergehenden Informationen von Vin zu haben. Wir wissen nicht genau, ob das nicht sonst vorher ausläuft, deswegen wollen wir nicht zu lange warten.

Cicerón und Ilyana sagten übrigens, ihrer Meinung nach hätten Steinbach, Jak und Adlene dort am Hafen nicht damit gerechnet, dass sie von den drei Guardians gestört werden würden. Es sieht so aus, als wäre ihnen – und auch sonst niemandem – bewusst, was wir mit unserem Genius Loci-Ritual genau erreicht haben, sondern dass sie denken, wir hätten mit unserer Aktion einen Ward hochgezogen oder etwas in der Art. Mit etwas Glück haben sie auch nicht die Verbindung zwischen ihren Machenschaften und dem prompten Auftauchen der Santo Shango gezogen, sondern halten das für Zufall. Also, was uns betrifft, darf das auch sehr gerne noch möglichst lange so bleiben.

Aber jetzt muss ich erstmal los – wir treffen uns am Hafen.

---

Wieder zurück. Die Summerwind lag tatsächlich noch am Pier, die Polizei war aber natürlich längst abgezogen. Im Lagerhaus waren Hafenarbeiter zugange, die dort aufräumten.
Aus unauffälliger Entfernung beobachteten wir das Schiff. Wenn es dort etwas Nützliches zu holen gab, dann am ehesten auf der Brücke, überlegten wir uns. Die Black Box wäre für Cousin Vin bestimmt Gold wert.
Nur wie sollten wir dort hinauf kommen? Mit offener Waffengewalt schon mal nicht – es war definitiv Heimlichkeit angesagt.
Kurz überlegten wir, ob ich mir vielleicht eine glaubwürdige Geschichte einfallen lassen könnte bzw. was für eine Geschichte am besten ziehen würde, aber ziemlich gleich warf Roberto ein: „Carmen kann sie ablenken“, und das klang nach einem ausgezeichneten Plan. Carmen, die mir eine laute, emotionale Szene macht? Perfekt.
„Alles klar“, sagte Roberto, „ich komme gleich wieder. Oder nein, Carmen kommt gleich wieder.“

Und tatsächlich: Nur eine Minute später schlenderte Carmen um die Ecke, gekleidet in den Rock, die Stola und die Pumps, die Roberto irgendwie immer in der Tasche hat, nur für den Fall.
Gemeinsam bewegten wir uns in Sichtweite des Containerschiffs, und los ging das Schauspiel.
Da lag noch eine Yacht in der Nähe, die dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht hingehörte – irgendein Schlaumeier musste in die falsche Rinne gefahren und dann steckengeblieben sein. Aber das konnte uns in dem Moment nur recht sein, denn das nutzte Ro Carmen eiskalt aus:
„Was soll das, das ist keine Yacht! Soll das etwa eine Yacht sein? Du hast mir eine Yacht versprochen!“
Sie ging in den hundertprozentigen Telenovela-Modus, ich reagierte entsprechend, und das klappte super.
Wir taten natürlich so, als würden wir uns nur füreinander und für unseren 'Streit' interessieren, aber aus dem Augenwinkel konnten wir sehen, dass ein paar Arbeiter aus der Lagerhalle kamen, um uns zu beobachten und auf der Summerwind etliche Besatzungsmitglieder über die Reling gafften. Beflügelt von unserem Publikum, und um dessen Aufmerksamkeit fest auf uns zu halten, wurden wir laut. Es funktionierte bestens: Ein paar Arbeiter mischten sich in unsere Diskussion ein, und dann fingen sie an, sich untereinander zu streiten, und von oben vom Schiff kam sogar so etwas wie Anfeuerungsrufe.

Wie ausgemacht, beobachtete Totilas währenddessen die Gegend, hielt Edward sich für Ärger bereit und nutzte Alex die Ablenkung, um auf das Schiff zu gelangen.
Was nun passierte, erzählten Alex und Edward erst später bei der Nachbesprechung, aber es passt zeitlich einfach besser hierher, deswegen schon jetzt.

Mit einem Boot und von der dem Pier abgewandten Seite kam Alex unbemerkt an Bord und auf die Brücke. Zuerst versuchte er, sich selbst in die Black Box zu hacken, aber die war besser gesichert, als er erwartet hatte. Und es begann ein Warnlicht zu blinken, das Alex sagte, dass er vermutlich Alarm ausgelöst hatte, also baute er den Kasten aus und verließ schleunigst die Brücke. Die Black Box kam in einen wasserdichten Beutel, und gerade wollte Alex mitsamt seiner Beute über die Reling und ab ins Wasser, als der Kapitän des Schiffes angerannt kam und unserem Kumpel hinterherfeuerte – und zwar nicht aus einer Pistole, wie man das vielleicht erwartet hätte, sondern mit einer schallgedämpften Kalaschnikow. Nicht nur hörten wir vorne auf dem Pier deswegen nichts von dem Schuss, sondern das war auch ein weiterer Hinweis darauf, dass mit der Summerwind etwas nicht stimmte.
Alex sprang ins Wasser, zog sich in das Boot, und es gelang ihm, wegzukommen, ohne von einer der weiteren abgefeuerten Kugeln getroffen zu werden.

Wegen des Schalldämpfers konnten wir die Schüsse nicht hören, aber Alex rief bei uns an, als er in Sicherheit war. Und das wiederum war für Carmen und mich das Stichwort, unsere Vorstellung so ganz allmählich zu beenden und uns zurückzuziehen. Das ging natürlich nicht von jetzt auf sofort, aber irgendwann hatten wir es geschafft.

Währenddessen war Edward, der ja so tat, als würde er nicht zu uns gehören, sondern sich zufällig und separat dort am Hafen aufhalten, mit einem der Arbeiter aus der Lagerhalle ins Gespräch gekommen. Der Mann erzählte ihm völlig schockiert, dass irgendetwas einfach die Tür eines Krans in der Halle herausgerissen hätte: Irgendetwas würde ganz gewaltig nicht stimmen, aber die Regierung würde alles vertuschen, wie so oft! Knochentrocken antwortete Edward: „Wahrscheinlich war es ein Monster“, was genau die erwartete Reaktion zur Folge hatte: „Verarschen kann ich mich selber!!“
Nein, für den Arbeiter waren das irgendwelche Aliens oder genmanipulierte Super-Soldaten der Regierung oder etwas in der Art – genau wie die seltsamen Froschleute, die vor einer Weile am Strand aufgetaucht waren. Und er gab Edward die Adresse eines Internetforums, dem Treffpunkt der entsprechenden Klientel, und nannte ihm auch seinen Benutzernamen dort: WiseBro66 oder so, wenn ich mich nicht irre.
Und wie man sich aus dem Obigen schon denken kann, dauerte es auch bei Edward eine ganze Weile, bis er sich aus dem Gespräch lösen konnte und wegkam.

Zurück in unserem Ferienhaus – wir sollten uns mal einen Namen dafür überlegen. Inoffiziell werde ich es, glaube ich, ab jetzt einfach Casa Guardián nennen – beriefen wir einen Kriegsrat von uns allen ein und besprachen das Gesehene.

Erste Schlussfolgerung: Der Kapitän der Summerwind war zu gut bewaffnet, eine schallgedämpfte AK47 ist auch nicht so völlig normal, und das Schiff war zu gut bewacht. Die dürften mit einiger Sicherheit wissen, was sie da transportiert haben bzw. vielleicht sogar regelmäßig transportieren.

Ob das Schiff vielleicht dem Weißen Rat gehöre bzw. seine besondere Fracht im Auftrag des Weißen Rates befördere? Und ob die Lieferung der schwarzen Kiste auf eine Kooperation des Magierrates mit den Outsidern hindeute?
„Naja, was heißt Kooperation?“, gab Alex zu bedenken, „vielleicht wissen sie gar nicht, dass Outsider involviert sind. Vielleicht haben sie ‚nur‘ etwas an Stefania Steinbach geliefert, den Lehrling des örtlichen Wardens?“
Das passte aber auch nicht so richtig, weil der Rat ja nach Declan gesucht hat und überdies zu glauben scheint, dass Miami von den Fomori überrant worden sei; dann würden sie wohl kaum etwas hierher schicken, ohne vorher doch nochmal näher nachzuforschen.
Ob wir Vanessa Gruber kontaktieren sollten? Hm, nein, lieber nicht, weil es uns ja gerade ganz recht ist, dass die Ratsmagier denken, Miami habe ein Fomor-Problem. Oder uns im Paranet erkundigen? Hmmm, lieber auch nicht, weil die Paranetter ja ganz grundsätzlich dem Rat nicht sehr freundschaftlich gegenüberstehen und Ratsangelegenheiten normalerweise so weit wie möglich aus dem Weg gehen, das wäre also höchstvermutlich eher schädlich als hilfreich. Außer natürlich, es hat nichts mit dem Rat zu tun, und jemand im Paranet hätte einen Hinweis. Aber allein wegen der Möglichkeit das Risiko eingehen?


Wir waren noch am Diskutieren und Überlegen, da meldete sich Vin Raith bei Totilas, und der stellte nach kurzer Begrüßung sein Handy auf laut.
„Erinnerst du dich an Alexi Radis?“
Cólera. Natürlich erinnerten wir uns alle an Alexi Radis. Also nicht alle alle, aber wir Ritter. Von den Guardians waren meiner Erinnerung nach nur Ángel und Cicerón anwesend. Aber jedenfalls ist das Totilas‘ russische Cousine, die damals bei unserer ersten gemeinsamen Halloweenparty (damals noch von Gerald Raith organisiert) auftauchte und versuchte, die Geschäfte der Raith‘ in Miami zu übernehmen.
Langer Rede kurzer Sinn: Die Summerwind gehört einer Schiffsfondsgesellschaft, wobei die überwiegende Mehrheit der Fondsanteile von einer Firma gehalten wird, und wenn man die Konzernstrukturen dieser Firma sehr tief nachverfolgt, dann steht am Ende Sergei Radis, das Oberhaupt des russischen Zweigs der Weißvampire, seines Zeichens entweder Bruder oder Vater von Alexi.
Mierda. Das Schiff gehört dem White Court.

Was der Frachter transportierte, konnte er bislang noch nicht herausfinden – falls die illegale Fracht sich aber als Drogen herausstellen sollte, soll er, ganz im Sinne der friedlichen Kooperation zwischen den beiden Fraktionen, Cicerón informieren.

Damit trennten wir uns aber erst einmal, weil es doch wieder ein langer Tag war und ich immer noch etwas angeschlagen bin, auch wenn meine Hand nicht mehr ganz so fies wehtut.
Edward ist über Nacht in der Casa Guardián geblieben, weil gerade Vollmond ist und er gerade nicht so viel Lust darauf hatte, mit seinem Halbbruder, dem Teenager, aneinanderzurasseln; Ilyana hat sich auch eines der Gästezimmer gesichert. Cicerón und Dee wollten noch ins Krankenhaus, um Febe einen Besuch abzustatten. Weil die beiden ununterbrochen miteinander stritten, war es vielleicht ganz gut, dass Ángel sich ihnen noch anschloss. Alex und Totilas hingegen wollten Vin noch die Black Box des Schiffes bringen in der Hoffnung, dass der Raith-Hacker daraus noch weitere nützliche Informationen ziehen kann.

Als ich heimkam, war Lidia noch auf. Sie hatte einen etwas seltsamen Ausdruck – ein bisschen amüsiert, ein bisschen genervt, ein bisschen ergeben – im Gesicht, als sie sagte: „Da ist ein Brief für dich gekommen.“
Ich schaute also auf die Kommode im Flur, auf meinen Schreibtisch, wo man eben erwarten würde, dass die Verlobte einem einen Umschlag hinlegt, aber nichts.
Nein, der Brief war im Wohnzimmer. Der Brief hing im Wohnzimmer, mitten in der Luft. Es habe geklingelt, und als sie aufgemacht habe, sei der Brief hereingeschwebt. Lidia habe ihn nicht angefasst, und sie habe auch Monica und Jandra, vor allem Monica, von ihm ferngehalten.

Es war ein grauer Briefumschlag mit Trauerrand, nur mit meinem Namen darauf und ohne Marke, und die Karte darin hatte dieselbe Farbe und denselben Rand. Es war ein sehr höflicher Dank für die Einladung zu meiner Hochzeit, gezeichnet „Hel – Haley – [eine Reihe von nordischen Runen, die bestimmt ebenfalls ihren Namen darstellten]“.
Heilige Mutter Maria, steh mir bei. Wer will bzw. wird denn noch alles zu dieser Hochzeit kommen?!?
Odin hat sich ja auch schon angemeldet… Und ich kann Haley nicht ausladen, auch wenn ich sie streng genommen nicht eingeladen habe, denn das würde ein viel zu großes Licht darauf lenken, dass ich sie nicht eingeladen habe. Ach, gah.
Aber gut, es steht ja ohnehin schon halb Miami auf der Liste: unser beider Familien, alle Guardians, Shango und Oshun, Dallas Hinkle, Marshall Raith… es würde mich nicht wundern, wenn Enrique eigens aus Cuba auftauchen würde. Nicht, dass es mich nicht freuen würde, meinen Bruder wiederzusehen, aber was, wenn er versucht, Ärger zu machen und Jandra zu entführen? Ich wiederhole mich, aber: Heilige Mutter Maria, steh mir bei.

---

9. März

Heute haben wir (nur wir Ritter diesmal) uns im Hotel mit Vin Raith getroffen, der offenbar eine Nachtschicht eingelegt und die Black Box ausgewertet hat.

Aber vorher erzählte Totilas uns noch, dass er gestern abend noch mit Marshall geredet hat, um den über das Schiff in Kenntnis zu setzen. Marshall wusste bereits, dass die Russen regelmäßig in die U.S.A liefern – er sagte, sie hätten ihre Finger in allem Möglichen: Kokain, Menschenhandel… Er meinte auch, es würde nicht viel helfen, den Weißen König um Intervention zu bitten: Der würde einen Brief schreiben, die Radis‘ würden freundlich nicken und nichts ändern. Also müssen wir wohl selbst tätig werden: Der erste Schritt wäre normalerweise, die Schiffsbesatzung auszuschalten – entweder über die Polizei oder durch Vigilanten, sprich uns.

Das, was Vin uns dann bei dem Treffen erzählte, zielte genau in dieselbe Kerbe. „Die Infos passen zu den Russen“, meinte er. Jetzt, wo der Red Court verschwunden ist, hat sich in Südamerika ein Machtvakuum aufgetan, und da wollen die Radis wohl hineinstoßen. Das Schiff fährt offiziell nur zwischen Großbritannien und den USA hin und her, aber in Wahrheit ist es schneller als seine Papiere und kann daher unbemerkt und ohne Verdacht zu erregen auch zusätzliche Ziele in Süd- und Mittelamerika anlaufen.
Die Summerwind hat in Kuba und Mexiko Ladung aufgenommen: Kisten (vermutlich Kokain) und Container (vermutlich Menschen) – das schreit ‚Radis‘. Die Ladung wurde allerdings bereits gelöscht und ist von Bord.
Außerdem hatte das Schiff einen inoffiziellen, sonst nirgendwo vermerkten, Passagier an Bord: einen gewissen Emilio Lopez, der in England an Bord gekommen ist. Das war dann wohl derjenige, der das schwarze Kästchen übergeben hat. Das Schiff hat ein paar Passagierkabinen und nimmt durchaus auch mal offiziell Leute mit, aber dieser Lopez stand definitiv nicht auf dem normalen Manifest.
Lopez arbeitet offenbar für ein hochexklusives Schweizer Auktionshaus: Das sieht so aus, als habe da jemand etwas ersteigert und es nicht per Post oder Paketversand verschickt, sondern es sei persönlich überbracht worden. Und da die Kiste nicht riesig groß war, vielleicht 8x12 Inch: War die vielleicht dazu da, um Münzen zu verpacken? Ganz besondere Münzen?

Natürlich haben wir uns die Webseite des Auktionshauses angesehen: „Mütli und Schwarzmann, est. 1973“ – sehr gediegener Webauftritt mit ein paar geschmackvollen, zurückgenommenen Bildern, dazu ein Impressum und eine Telefonnummer, das war’s. Kein Auktionskatalog, weder online noch in Papierform zu bestellen.

Angeblich soll das Schiff noch einige Tage hier liegen. Ob wir ihm – und damit den Radis – die Steuerfahndung auf den Hals jagen sollten?
Gemeinsam kamen wir schließlich auf folgende Idee: Da ist dieser Fahrtenschreiber aufgetaucht, urplötzlich und wer weiß, woher, huch, was da wohl drauf sein mag?
Das ist zwar natürlich überhaupt nicht vor Gericht nutzbar, aber könnte den Behörden immerhin einen ersten Ansatzpunkt liefern. Marshall Raith kann da hoffentlich etwas in die Wege leiten.

Wieder unter uns informierte Totilas, wieder ganz im Sinne der guten Zusammenarbeit, Cicerón über das Schiff und was wir herausgefunden haben. Der war natürlich schwer begeistert (nicht) und sagte, er werde mal mit dem Kapitän der Summerwind reden gehen. ‚Reden‘. Ähem.

Außerdem trugen wir noch einmal zusammen, was wir momentan eigentlich alles an ‚Baustellen‘ offen haben.
Da wären natürlich zunächst die Radis und ihr neu erwachtes Interesse am Geschäft hier.
Dann Jak und die Kiste, von der wir nicht wollen, dass er sie hat.
Bei der Gelegenheit rekapitulierten wir auch nochmal, dass Jak vermutlich nicht nach Outside weggebeamt ist, sondern ‚nur‘ ins Nevernever, weil es gar nicht so einfach sein dürfte, mal einfach zwischen hier und Outside hin- und herzuwechseln. Auch die Tentakelhunde dürften aus den hinteren Regionen des Nevernever geholt haben, nicht von Draußen. Nach Outside wird Jak vermutlich erst dann wieder gehen wollen bzw. können, wenn er hier das erreicht hat, was er erreichen will. Und was will er erreichen? Vermutlich alles zerstören, sprich auch das Hier dem Outside gleich machen. Brrrr. Fiese Vorstellung.
Dann Emilio Lopez, der hier in Miami von Bord gegangen ist und sich höchstvermutlich noch immer hier aufhält. Außerdem ist da Eoife, der wir versprochen haben zu helfen, und die Sache mit der Morrigan, die wir für Orcus finden sollen, or else.

Totilas hatte die Idee, dass wir Miami fragen könnten, ob Morrigan hier ist. Und da wäre es doch nur höflich, ein Ritual für Miami abzuhalten – gar nicht mal unbedingt magisch, sondern eine kleine Fiesta mit gutem Essen, Musik und Tanz in der Casa Guardián.
Das haben wir also entsprechend vorbereitet und haben uns dann getrennt, um uns umzuziehen und vielleicht ein paar Stunden auf’s Ohr zu hauen - das könnte ja doch ziemlich lange gehen. Und ich habe natürlich Lidia abgeholt, nachdem wir die Mädchen zu meinen Eltern gebracht haben. Ich rechne nicht mit einer Orgie von Pan’schen Ausmaßen, und wenn es eine Fiesta, gibt, sollte sie dabei sein. Nicht, weil ich ihr keinen Anlass zur Eifersucht geben möchte, sondern einfach, weil ich sie gerne dabei haben möchte.

Gleich fahren wir los – nachher mehr… oder morgen, je nachdem.
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Ricardos Tagebuch: Ghost Story 2

10. März

Gääähn. Guten Morgen. Das war gestern echt nett... aber auch echt lang. Miami freute sich über die Feier und tanzte mindestens einmal mit uns allen – am meisten aber mit Roberto, und der war es dann auch, der sie nach der Morrigan fragte.
Sie sei noch hier, sagte Miami: Jemand habe sie verborgen, aber sie sei noch da. Es habe eine Beerdigung gegeben, und dort auf dem Friedhof sei die Morrigan noch anwesend gewesen, aber dann war sie fort. Morrigan habe öfters mal Beerdigungen besucht, die sie ansprachen: Kelten und irgendwie kriegerische Umstände. In diesem Fall war es ein alter, alleinstehender Schotte namens Jamie Macmillan, der in der Royal Air Force gedient hatte und der bei einer Kneipenschlägerei ums Leben gekommen war.

Morrigan sei auch des öfteren am Coral Castle gegeben, erfuhr Roberto noch. Aber was sie dort gemacht hatte, wusste Miami nicht – es gebe Orte, an die sie nicht so richtig hindenke, weil die nicht richtig zu ihr gehörten. Sie konnte und wollte auch nicht näher darauf eingehen, wo diese Orte überall sind, das war ihr unangenehm, und darauf hatte sie keine Lust. Aber was sie Roberto sagen konnte, war, von welchem Friedhof die Morrigan verschwunden ist. Danach war dann Schluss mit Fragen und Feiern angesagt.

Aber diesen Friedhof müssen wir uns natürlich ansehen. Nachher. Erstmal in Ruhe frühstücken. Uns war ja klar gewesen, dass wir lange schlafen würden, also haben wir uns erst für nachmittags verabredet.

---

Wieder zurück. Oookay, das war einigermaßen schräg, sogar für unsere Verhältnisse.

Am Friedhof fanden wir zuerst einmal den Totengräber und redeten mit dem. Wie sich herausstellte, war das Grab von Macmillan leer und der Sarg fort. Eine kleine Bestechung seitens Edward sorgte dafür, dass der Mann nach dem langen Tag sein Kreuz schonen und einen Kaffee trinken ging und wir uns den Ort in Ruhe noch einmal auf unsere Weise anschauen konnten. Edward war der erste von uns, der es bemerkte, aber nachdem er uns darauf aufmerksam gemacht hatte, konnten wir es alle spüren: eine Art magische Reststrahlung, die sich aber irgendwie anfühlte wie Kopfschmerzen. Und zwar Outsider-Kopfschmerzen. ¡Ay, cólera!

Die Outsider-Kopfschmerzen brachten uns auf den Gedanken, ob die Beerdigung dieses Schotten vielleicht eine Falle gewesen war, in die man die Morrigan gelockt hatte? Dass irgendwer sie in seine Gewalt gebracht und im Nevernever festgesetzt hatte?

Wir passten auf, dass wir nicht beobachtet wurden, dann brachte Alex uns hinüber. Auf der anderen Seite war der Ort ein endloses Feld von Gräbern mit einer Atmosphäre der Trauer, der Hoffnungslosigkeit und der Isolation. Tatsächlich war alles in schwarz-weiß gehalten, auch wir selbst. Ein tiefer Graben oder Schlund tat sich vor uns auf. Wir fanden Spuren davon, dass jemand hier ein Ritual gewirkt hatte, und zwar kein nettes. Überall saßen Raben, und es lagen Rabenfedern auf der Erde – und zwar eher wie die der Morrigan, nicht wie die von Stefania Steinbach (die in ihrer Dämonengestalt ja ohnehin eher einer Krähe ähnelt.)

Totilas wollte schon losstapfen, aber ich hielt ihn zurück. „Wir sollten uns irgendwie absichern. Nicht, dass wir auch in eine Falle tappen und nicht zurückkommen.“
„Das können wir nicht“, erwiderte Totilas. „Oder zumindest wüsste ich nicht, wie.“
Edward sah sich mit seinen magischen Sinnen um und stellte fest, dass sich hier offenbar der Eingang in eine Unterwelt befindet (vermutlich in Morrigans eigene), der aber so versiegelt worden ist, dass nichts hinein- oder herauskommen konnte: Entweder ist die Morrigan dort eingesperrt, oder jemand will verhindern, dass sie sich dorthin zurückziehen kann.
Das Siegel sollten wir aufbrechen. Nur wie?
Währenddessen war Totilas immer noch ungeduldig. Er hatte in der Ferne eine Gestalt gesehen und wollte wieder losgehen, aber diesmal war es Alex, der ihn zurückhielt. und Alex war es auch, der die Gestalt als Geist erkannte. Totilas hatte erst so ausgesehen, als wolle er trotzdem weiter, aber dann hielt er plötzlich inne und sagte: „Ähm, besser weg hier.“ (Wie sich draußen herausstellte, hatte Totilas' Dämon den Geist als jemanden identifiziert, den Totilas' in White Court-Manier getötet hatte, was natürlich erklärt, warum er ihm jetzt lieber nicht begegnen wollte.)

Zurück aus dem Nevernever waren wir uns einig, dass wir dieses magische Siegel aber dennoch brechen sollten, ob da jetzt Totilas' Opfer in der Nähe war oder nicht. Dazu wird es aber mit einiger Sicherheit wieder ein Ritual benötigen. Irgendwas mit Rabenfedern und blutbefleckten Gewändern und dem Begräbnis eines Schotten vielleicht. Aber das waren nur erste Gedanken, denn dazu sollten wir am besten auch die anderen Guardians involvieren und das nicht alleine auf die Beine stellen. Also gibt es heute abend ein Treffen in der Casa Guardián . Da können wir dann Genaueres besprechen.

---

Zurück vom Treffen.
Wie erwartet, muss das ein einigermaßen mächtiges Ritual werden – nicht so extrem wie Miami aufzuwecken, aber auch nichts, was Edward mal einfach so aus dem Ärmel schüttelt.
Also wollen wir die Komponentensammlung mal wieder aufteilen.
Es fängt auf jeden Fall damit an, dass ich über die örtliche Veteranenvereinigung versuchen werde, ob ich nicht das Begräbnis eines schottischstämmigen Veteranen finanzieren kann – als Wohltätigkeit deklariert, müsste das doch eigentlich gehen. Wenn das irgendwie klappt, fein. Wenn nicht, müssen wir umdisponieren. Wir haben also noch ein bisschen gebrainstormt, aber nicht zu detailliert, falls das mit dem Begräbnis doch nicht klappen sollte.

---

12. März

Es klappt aber doch, und zwar sogar ziemlich kurzfristig. Da ist vor einigen Tagen ein gewisser Ian McGowan verstorben – in Schottland geboren, aber als Kind mit seinen Eltern eingewandert und eingebürgert. Einfacher Soldat im Vietnamkrieg, nie größer Karriere gemacht, verarmt, keine Familie. Ich habe eine Ausrede gesponnen, dass ich für meinen nächsten Roman recherchieren will und mich in diesem Zusammenhang erkenntlich zeigen möchte, und das hat man mir anstandslos abgekauft und wird mir ermöglichen, die Beerdigung dieses Ian McGowan nicht nur zu finanzieren, sondern auch deren Ablauf zu beeinflussen. (Das mit der Recherche war sogar nicht mal gelogen – jetzt, wo Firebrand* fertig ist und der Veröffentlichungstermin steht, habe ich angefangen, mir über den nächsten Band genauere Gedanken zu machen. Erste Ideen habe ich schon: Es soll um Totenkulte und Wiedergänger und so Sachen gehen; mal sehen, wie der Titel wird.)
Aber jedenfalls können wir jetzt nochmal genauer planen, wer was zum Ritual beitragen kann.

---

16. März

Heute ist Ians Begräbnis. Bevor ich losfahre, noch ein paar Worte dazu, wer jetzt genau was macht.
Ilyana und Febe sind ja nach dem Kampf am Kai (Alliteration for the win) noch nicht wieder weit genug auf dem Damm, um bei dem Ritual aktiv mitwirken zu können, aber sie waren fit genug, um an den Besprechungen teilzunehmen und ihre Ideen einzubringen.

Jedenfalls: Alex hat in den letzten paar Tagen einen zu Ians Leben passenden Grabstein gestaltet, inklusive eines Hinweises auf die Morrigan. Edward hat indessen Begräbnisrituale nach dem Kult der Morrigan recherchiert und wird dafür sorgen, dass sie bei der Beerdigung auch entsprechend angewandt werden.
Roberto hat herausgefunden, dass es einen Tequila namens „José Cuervo“ gibt, und Cuervo heißt ja Rabe, also wird er davon einige Flaschen besorgen und die für einen Umtrunk zu Ehren des Verstorbenen mitbringen. Makaber? Vielleicht, aber gibt es nicht gerade in der gälischen Kultur die Tradition der Totenwache bzw. des Leichenschmauses? Also warum nicht ein Umtrunk? Und ja, statt eines Tequila hätte es auch einen schottischen Whisky namens „Old Raven“ gegeben, aber immerhin sind wir im spanischsprachigen Miami, also passt das mit dem Tequila gar nicht so schlecht. Ein Umtrunk braucht natürlich auch Gäste, deswegen hat Roberto seine Kontakte spielen lassen und einige seiner Bekannten eingeladen, während ich dafür gesorgt habe, dass Ians Veteranenfreunde nicht nur von der Beerdigung erfuhren, sondern explizit eingeladen wurden. Familie hatte Ian ja keine, aber ein paar Freunde aus seiner Vergangenheit können sicherlich nicht schaden – dass es bei einer der Morrigan gewidmeten Trauerfeier auch noch Soldaten sind, kann sicherlich nichts schaden.
Angel hat ebenfalls recherchiert und einen Nachruf auf Ians Leben geschrieben, während Ximena von ihrer irischen Großtante ein Trauergedicht auf Gälisch besorgt hat. Cicerón wiederum sagte, er habe einen schottischen Armeerevolver auftreiben können. Das ist zwar etwas moderner als das Schwert, das man aus den Mythen so von der Morrigan kennt, aber immerhin ist es auch eine passende Waffe zur Erinnerung an eine keltische Kriegsgottheit. (Cicerón ist übrigens auch noch immer ziemlich angeschlagen, und eigentlich hätte ich gedacht, er sollte sich beim Ritual vielleicht noch schonen, aber nachdem Febe beim Brainstorming ziemlich spitz fallen ließ, dass irgendwer von den Santo Shango ja doch wohl irgendwann wieder fit sein würde, knurrte Cicerón und war natürlich fit genug, um mitzumachen, auch wenn er sich mit Totengottheiten nicht größer auskennt. Das macht aber nichts, einen Experten für Totengottheiten haben wir ja in Bjarki.
Der wird übrigens kurz vor Beginn der Zeremonie in Rabengestalt losfliegen und einige Raben als 'Gäste' zusammentrommeln, und Dee hat zum einen die Barriere, die wir aufheben wollen, in den letzten Tagen eingehend studiert, wird zum anderen selbst mit gewissen Schutzzaubern dafür sorgen, dass hoffentlich alles störungsfrei abläuft und vor allem, da sie unsere Ward-Spezialistin ist, die Leitung des Rituals übernehmen.

In knapp einer Stunde muss ich los – drückt die Daumen, dass alles kappt, Römer und Patrioten!


*ich weiß, der Name passt nicht in das Zweiwortmuster der bisherigen Titel, aber das stört mich nicht – im Gegenteil zum Verlag. Der wollte mir Fire Brand als Titel aufschwatzen, um im Muster zu bleiben, aber das hat mich gestört, da habe ich mich geweigert. Das ist nicht nur albern, sondern das wäre einfach nur falsch gewesen!)

---

Mierda, mierda, mierda. Das war... mierda. So ziemlich alles schiefgegangen, was nur schiefgehen konnte. Das muss ich erst noch etwas verarbeiten. Nachher mehr.

---

So. Jetzt. Hoffe ich jedenfalls.

Anfangs lief eigentlich alles soweit so gut. Eigentlich. Anfangs. Während der Beerdigungszeremonie führten unsere Magie-Spezialisten unter der Leitung von Dee parallel das Ritual durch. Das fiel auch gar nicht groß auf – nur dann fing plötzlich der Tequila, den Roberto an die Gäste der Trauerfeier ausgegeben hatte, an zu brennen... und dann zogen auch schon erste dünne Rauchfäden aus dem Grabkranz auf. Vermutlich irgendeine Interferenz zwischen der Magie des Rituals und dem leicht entzündlichen Material – ich hoffe jedenfalls, dass es das war, und nicht irgendwas an mir und meiner immer mal wieder auftretenden 'Affinität' zu Feuer, haha.
Jedenfalls eilte ich zu einem der nahegelegenen Brunnen, schnappte mir eine der Gießkannen und versuchte, dass Feuer zu löschen, aber irgendwie half das nichts. Nicht nur richtete ich nichts aus, sondern der dünne Rauchfaden aus dem Grabkranz wurde zu offenem Feuer, und gleich darauf stand auch das Gras in Flammen.
Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als die Magie in mir anzuzapfen und einen Regenguss herbeizuzaubern: einen plötzlichen Platzregen, wie er im Sommer immer mal wieder auftritt, wenn der Himmel eigentlich noch blau ist und die Wolken eigentlich größtenteils hell, und ein Regenbogen zu sehen ist. Das wirkte, auch wenn das Feuer und der plötzliche Regen natürlich nicht unbemerkt geblieben waren.

Aber andererseits waren die Anwesenden … beschäftigt*. Einerseits achteten sie natürlich auf die  Beerdigung selbst, aber zum anderen kam es zu gewissen Spannungen zwischen Ian McGowans Mit-Veteranen, die ihrem Waffenbruder die letzte Ehre erweisen wollten, und der Gruppe Latinos, die Roberto eingeladen hatte. Die waren nämlich vor allem wegen des Tequilas da, und als einer der Veteranen einen von ihnen sagen hörte „Wer ist nochmal dieser Ian? Ach der Tote?“, da wäre es beinahe zu einer Prügelei gekommen, die Roberto aber zum Glück mit einigen wohlgesetzten Worten an beide Gruppen („Wir sind doch alle hier, um Ian zu betrauern, und wir sind doch alles echte Patrioten hier“) verhindern konnte.

Zu einer Prügelei kam es dann aber doch, wenn auch ein Stückchen abseits, weil Edward von einem der Veteranen erkannt wurde, den er wohl in der Vergangenheit mal verhaftet hatte, weil er eine Waffe bei sich getragen hatte. Der Typ hatte auch diesmal eine Waffe dabei und fing an herumzupöbeln, ob Edward ihn etwa wieder verhaften wolle. Edward erkannte in dem Mann eine Art verwandte Seele, oder zumindest war ihm bewusst, dass die Streitlust dessen Art und Weise war, seinem Schmerz über den Verlust seines Kameraden Ian Ausdruck zu verleihen. Edward wollte ihm die Möglichkeit geben, sich abzureagieren, aber ohne dass die ganze Beerdigung eskalierte, weswegen er ihn mit einem „Ich habe damals meinen Dienst verrichtet – du weißt, wie das ist, du warst Soldat. Jetzt bin ich hier privat, aber wir können das gerne da drüben klären, damit wir hier nicht stören“ ein Stück weg lotste. Dort prügelten die beiden sich tatsächlich, bis Edward den Mann immobilisierte und entwaffnete und der sich mit einem „Lass mich los, ist ja gut, Blödmann“ geschlagen gab.

Totilas indessen wurde als Raith erkannt, und plötzlich wollten ziemlich viele Leute was von ihm, egal wie oft er sagte: „Sie müssen mich da mit wem verwechseln“. Und Alex zu guter Letzt spürte eine Stelle, an der die Grenze dünner wurde und eine Präsenz dahinter, die dort hindurchkommen wollte. Er stellte sich zwischen Dee und diese dünne Stelle, um seine Schwester beschützen zu können, aber bei der Präsenz handelte es sich nur um den Geist von Ian McGowan selbst, der von der anderen Seite neugierig-sehnsüchtig zuschaute. Und Alex wäre nicht Alex, wenn er da nicht reagiert hätte: „Komm her, feiere deine letzte Feier mit“, sagte er und ließ Ian in sich ein. Er kannte zwar kaum jemanden von den Anwesenden, aber seine Enkelin war gekommen, und das freute den alten Mann. Er hatte zu Lebzeiten nicht sehr viel Kontakt zu seiner Familie gehabt: Jetzt konnte er wenigstens mit seiner Enkelin einen versöhnlichen Abschluss finden, und anschließend half Alex dann, ihn weiterzuschicken.

All diese Dinge schufen eine gute Ablenkung für Dee, um in Ruhe das Ritual zu beenden. Und sie ließ sich auch ausreichend Zeit, weil es ja keinen Grund gab, die Sache zu überhasten und ein Risiko einzugehen. Wieder war Alex derjenige von uns fünf, der spürte, wie etwas zu knirschen begann und dann schließlich etwas brach. Damit war das Ritual beendet, und Dee setzte sich erst einmal hin – sie war zum Glück nicht verletzt oder dergleichen, aber etwas ausgepumpt eben doch.

Im selben Moment, wie die Barriere gebrochen war, flogen die Raben auf den Bäumen mit einem Kreischen auf, und zwei oder drei von ihnen flogen auch genau in den Durchgang hinein. Von den Trauergästen merkte glücklicherweise kaum jemand etwas – die Latinos und die Veteranen hatten allesamt dem Tequila kräftig zugesprochen, und Ians Enkelin war gerade noch mit ihrem Großvater-in-Alex'-Körper im Gespräch.

Nachdem sich die Trauergesellschaft zerstreut hatte und wir alleine vor Ort waren, brachte Alex uns wieder ins Nevernever. Wie zuvor landeten wir in einer weiten, hügeligen, mit Ginster bewachsenen und von Nebel durchzogenen Landschaft mit knorrigen Bäumen, auf deren kahlen Ästen Raben saßen – eben wieder in dieser Art Totenweltversion der schottischen Highlands.
Edward spürte, dass Vollmond war und dass seine Wutbestie sich in ihm regte – aber etwas an diesem Vollmond hier gefiel ihm nicht, widerstrebte ihm. Für uns Außenstehende, die wir das in dem Moment ja noch nicht wussten, stellte sich das so das, dass er sichtlich nervös wurde und seinen magischen Handschuh anzog. Totilas hingegen merkte, dass die Raben in den Bäumen ihn anstarrten, ganz gezielt, und sie hassten ihn.
Aber auch Roberto und ich spürten etwas, nämlich dass unsere Verbindung zu Oshun bzw. Sommer mit einem Mal abrupt verschwunden war. Was mich betraf, so merkte ich das unter anderem daran, dass Jade – die ich ja die ganze Zeit als Füllfederhalter bei mir getragen hatte – jetzt als magieloses graues Katana zu Boden fiel, mich aber glücklicherweise dabei nicht verletzte.

Bei Alex waren die Dinge nicht groß anders, als wir sie normalerweise von ihm auch kennen, wenn wir ihn im Nevernever zu Gesicht bekommen – dort äußert sich die Tatsache, dass er von Eleggua gezeichnet ist, ja üblicherweise darin, dass um ihn herum eine gewisse Aura spürbar ist, etwas wie ein dünner Schleier, gewissermaßen die Essenz von Eleggua, die sich über Alex legt. Nicht, dass sich Alex' Gesicht direkt verändern würde, aber seine Hautfarbe ist im Nevernever dunkler als sonst, und seine Kleidung scheint Elegguas typische rot-schwarze Färbung anzunehmen. Das war hier jetzt auch so – offenbar trägt der Mantel Elegguas – anders als mein Sommermantel oder der von Robertos Oshun – genug Merkmale, die auch genau hierher passten und deswegen nicht verwschwanden. Oder so ähnlich jedenfalls haben wir es uns hinterher zusammengereimt.

Die Raben auf den Bäumen sammelten sich, flogen zu Boden und verwandelten sich dort in menschliche Gestalten. Alex identifizierte sie als Tote, während Totilas erkannte, dass die meisten von ihnen so aussahen, als seien sie durch den Kuss eines White Court gestorben. Sie starrten Alex und Totilas wütend an, während einige, die eher so aussahen, als seien sie zerrissen worden, dasselbe mit Edward taten. Die Toten trugen Waffen, griffen aber nicht direkt an.

Aus der Menge löste sich Eoife. Auch sie sah alles andere als glücklich aus, während sie Alex direkt ansprach: „Willkommen, Abgesandter von Eleggua. Was führt dich hierher, und warum bringst du diesen“ - sie zeigte auf Totilas - „mit dir?“
„Weil wir als Gruppe unterwegs sind“, erwiderte Alex: „Wir sind auf der Suche nach der Morrigan.“
„Die Morrigan ist nicht hier, aber das habe ich euch schon einmal gesagt.“
„Wir wussten nicht, ob sie hier drinnen eingesperrt wurde oder ob ihr jemand den Weg hier hinein versperrt hat“, warf ich ein, nachdem Alex nicht so aussah, als ob er auf Eoifes Aussage etwas antworten wollte, „deswegen haben wir den Weg wieder geöffnet. Wenn sie nicht hier ist, dann ist ihr wohl der Weg versperrt worden.“
„Verhandeln wir jetzt mit denen?“, fragte einer der Toten und machte schon Anstalten, seine Waffe zu ziehen, aber Eoife hielt ihn zurück: „Sie sind Gäste hier.“ „Hast du sie etwa eingeladen?“ „Ja.“
Bei dieser Antwort ließ der Mann seine Waffe tatsächlich wieder los, aber so richtig glücklich sah Eoife nicht aus... es stimmte ja auch nicht so richtig hundertprozentig, dass wir auf ihre Einladung hier waren.
„Wenn ihr den Weg geöffnet habt, warum ist die Morrigan dann nicht hier?“, fragte Eoife mit einem misstrauischen Blick auf Totilas.
„Das weiß ich nicht“, erwiderte ich, „ich weiß nur, dass der Weg wieder offen ist.“
„Dann kommt mit“, sagte Eoife, „Wenn der Weg offen ist, dann können wir sie vielleicht zum Thron rufen.“


* auch wenn ich das alles, was ich jetzt wiedergebe, im vollen Detail erst hinterher mitbekam, als die anderen es erzählten. Aber jetzt nur anzudeuten und auf der nächsten oder übernächsten Seite chronologisch korrekt nochmal aufzugreifen, wäre auch albern, also jetzt schon hier in ausführlich.
« Letzte Änderung: 17.10.2021 | 20:39 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
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Auf dem Weg zu diesem 'Thron', von dem Eoife gesprochen hatte, sagte sie leise: „Du, Alex, schuldest mir einen Gefallen. Ihr alle schuldet mir einen Gefallen.“
Wie es wohl auch ihre Absicht gewesen war, hatten ihre Begleiter die Bemerkung nicht gehört, und auch Alex' zustimmendes Nicken beachtete niemand. Den Rest des Weges gingen wir schweigend.

Etwas später näherten wir uns einem Stonehenge-artigen Steinkreis – das musste wohl dieser Thron sein. Dunkle Wolken zogen auf, und als wir beinahe am Ziel waren, zuckte ein Blitz über den Himmel. Für einen kurzen Moment riss die Grenze zwischen dem Nevernever und unserer eigenen Welt auf, und wir erlangten einen ebenso kurzen, aber in diesem Augenblick wie eingefroren wirkenden Blick auf das Coral Castle.
Wir sahen eine dunkelhaarige Frau mit einem Halsband wie denen von Adlene, nur viel aufwendiger gestaltet als die, die Alex uns sonst immer beschrieben hatte, dahinter war Stefania Steinbach mit Jak in einen heftigen Kampf verwickelt und schien zu verlieren. Vor der Dunkelhaarigen stand Adlene, der ihr gerade eine Klinge in die Brust rammte. In dieser Sekunde stieß die Frau – Morrigan – den lauten Schrei eines Raben aus, und etwas wie eine Druckwelle strahlte von ihr ab, die unser aller Herzen für einige Schläge aussetzen ließ.

Durch den Riss fielen zwei Dinge und prallten in der Mitte des Steinkreises auf den Boden: ein Schwert und eine Person – Stefania Steinbach, die Krähendämonin. Später reimten wir uns zusammen, dass Morrigan vielleicht von dort fliehen wollte und deswegen die Grenze mit Gewalt zerriss, dass es ihr aber nicht mehr gelang, sich selbst in Sicherheit zu bringen, sondern ihre Kraft oder die Zeit nur für das Schwert und Steinbach ausreichte. Aber in dem Moment waren das wenn, nur unkoordinierte Gedankenfetzen.

Die Raben um uns her krächzten auf, und die Bäume und der Ginster um uns her wirkten noch toter und verdorrter als zuvor, und vor allem Alex konnte spüren, dass mit dem Tod der Morrigan hier im Nevernever etwas richtig gravierend aus den Fugen geraten war.

Nach einer Schrecksekunde, in der wir alle zu Salzsäulen erstarrt waren, rannte Edward los, gefolgt von Totilas. Und der White Court war schneller, überholte Edward und war als erster im Steinkreis. Er sprang zu Steinbach hin, die reglos dalag, beugte sich in einer schnellen Bewegung zu ihr hinunter und brach ihr das Genick. Steinbachs Krähengestalt verschwamm, dann lag die Kirchenfunktionärin in ihrer menschlichen Gestalt da, und eine silberne Münze kullerte aus ihrer Tasche über den Boden.

Edward kam jetzt ebenfalls heran. Fast mehr wie zu sich selbst (oder zumindest klang seine Stimme dabei überraschend versonnen) sagte er: „Irgendwie hätte ich gedacht, es wäre gut, mit ihr zu reden.“
Dann griff er das Schwert, das dort lag, ein Eineinhalbhänder, und spürte, dass in dem Schwert irgendeine Kraft war und dass es sich richtig gut anfühlte, es in der Hand zu halten. Seine Wutbestie allerdings war nicht  begeistert davon, sagte ihm sein Bauchgefühl – das Biest wollte lieber alle Gegner im direkten Nahkampf zerreißen, da wäre ein Schwert nur im Weg.

Aber das alles erzählte Edward erst später. Jetzt zog Eoife ihr bedrohlich ihr Schwert, während sie Totilas anschrie: „Du hast gesagt, du wärst anders! Mörder!!“
Totilas schüttelte den Kopf. „Wenn sie aufgestanden wäre, hätte sie uns getötet!“
„Sie war verletzt! Sie war eine Verbündete!!“
Hier meldete sich Alex zu Wort, der währenddessen gedankenschnell eine Rolle Panzerband herausgeholt und in zwei improvisierten Halbkugeln die Münze eingeschlossen hatte: „Verbündete würde ich es nun nicht gerade nennen, aber sie hat immerhin gegen Jak gekämpft.“
„Vielleicht nicht von euch“, spuckte Eoife.
„Ach, von euch?“, hielt Alex dagegen und bekam zur Antwort: „Sie war eine Freundin der Morrigan.“

In dem Moment tauchten an den sieben Menhiren des Steinkreises sieben gedrungene Gestalten auf. Sie hatten ungefähr menschliche Formen, aber ihre Gesichter wirkten klumpig, unfertig. Dennoch machten sie einen sehr mächtigen Eindruck, und sie alle trugen solche aufwendigen Adlene-Halsbänder. Auch waren sie alle ganz eindeutig unterschiedlicher Natur: einer davon hatte Hörner, einer sah aus, als sei er aus Torf, ein weiterer wirkte irgendwie wässrig und der vierte metallisch und unverhältnismäßig schwer; während dem fünften Blumen aus dem Kopf und den Armen wuchsen, der sechste gurgelte wie ein Ertrinkender und der siebte in seine eigenen Nebelschwaden gehüllt war.

„Das muss jetzt warten!“, rief ich Eoife zu, die weiterhin ihr Schwert angriffsbereit erhoben hielt, „Das sind gemeinsame Gegner! Die gehören hier nicht her!“
Tatsächlich wandte Eoife sich von Totilas ab und den Gestalten zu. „Was wollt ihr hier? Dies ist nicht euer Ort!“
Die Gestalten antworteten wie aus einem Mund und mit seltsam gleichförmiger Stimme: „Das hier gehört jetzt uns, und ihr gehört jetzt auch uns.“, dann stapften sie los.

Irgendwie hatte das für mich so geklungen, als seien sie nicht Herr ihrer selbst, und außerdem wissen wir ja, wie Adlene operiert. „Versucht, ihre Halsbänder zu entfernen!“, rief ich also vor allem Eoife und ihren Leuten zu, „Die versklaven sie!“

Während Alex den konzentrierten Blick aufsetzte, den er immer dann bekommt, wenn er das Nevernever oder die Geisterwelt oder die Grenze manipuliert, nahmen wir anderen uns jeder einen Gegner vor. Totilas ging auf den Gehörnten los, Edward auf den Schweren, Roberto auf den Ertrunkenen, Eoife auf den Wässrigen, und ich selbst stellte mich dem Torfigen in den Weg, während die Raben den Nebligen umflatterten.
Was jetzt geschah, das sah teilweise nur aus dem Augenwinkel oder gar nicht – alles, was ich nicht selbst mitbekam, das haben mir die Jungs hinterher erzählt.

Anfangs – und das registrierte ich noch selbst – sah es nicht so aus, als würden die Jungs auf meinen Rat mit den Halsbändern hören. Totilas' Schlag tat dem Ochsenartigen so gut wie gar nichts, und Edward, der dem 'Amboss' mit seinem magischen Handschuh so ziemlich den schwersten Treffer versetzte, den er überhaupt setzen konnte, brachte er dem Metallkörper seines Gegners gerade mal eine Delle bei, die diesen nicht im Geringsten störte. Dessen Gegenschlag wiederum riss Edward von den Füßen und verursachte ihm mindestens eine gebrochene Rippe.

Um so dringender war es, die Halsbänder zu entfernen. Ich versuchte das bei meinem Gegner, aber das war schwierig. Die Dinger bestanden aus Metall und bewegten sich erstmal keinen Millimeter. Und weil ich mich völlig auf das Halsband konzentrierte, hatte mein Gegner keinerlei Problem damit, mich derart schmerzhaft mit seinen torfigen Auswüchsen zu schlagen, dass ich für einen Moment Sterne sah und danach alles in meinem Kopf dröhnte.
Aber wenigstens gelang es Alex jetzt, ein kleines Tor zurück nach Miami zu öffnen. Ich hatte ja nicht gewusst, was genau er da machte, aber ich spürte es, als meine Verbindung zu Sommer mit einem Mal zurückkehrte.

Ich habe es bisher, glaube ich, noch nicht erwähnt, aber Roberto hat diese Eisenstange, die ihm beim Kampf am Hafen gegen die Tentakelhunde so gute Dienste geleistet hatte, hinterher behalten, und auch diesmal hatte er sie bei sich. Jetzt rannte er an seiner ertrunkenen Moorleiche vorbei und manövrierte das Eisen irgendwie unter das Halsband. Aber zu mehr kam er nicht, weil sein Gegner sich umdrehte, ihm die Stange aus der Hand riss und sich bedrohlich vor ihm aufbaute.

Während der Wässrige ja mit Eoife beschäftigt war und der Neblige sich den Schnabelhieben der Raben erwehrte, gelang es Totilas, einem Anstürmen seines gehörnten Gegners auszuweichen und den Ochsen durch ein geschicktes Spottmanöver zu einem Felsen und schnell genug dahinterzuspringen, so dass die Kreatur sich daran selbst einen Brummschädel holte, statt unseren White Court-Kumpel auf die Hörner zu nehmen. Gleichzeitig griff die Gestalt, die aussah wie ein Ginsterbusch, Alex an, konnte dem aber zum Glück nur ein paar Kratzer beibringen.

Ich selbst hatte ja jetzt die Verbindung zu Sommer wieder, und kurz überlegte ich, ob ich das verdammte Halsband nicht einfach wegzaubern könnte – aber diese Idee verfolgte ich höchstens einen Herzschlag lang, bevor mir aufging, dass alles, was ich an Magie in einen solchen Zauber stecken könnte, auch wenn ich mich völlig verausgabte, ziemlich sicher nicht ausreichen würde, um einen versklavten Geist zu befreien, also verwarf ich den Gedanken sehr schnell wieder. Lieber doch mit guter alter physikalischer Hebelwirkung... aber damit das auch nur den Hauch einer Chance hatte, würde ich mehr brauchen als meine eigene Stärke. Also konzentrierte ich mich und rief die Kraft des Sommers in mich hinein, auch wenn mir klar war, dass ich diese Kraft ein paar Sekunden lang würde sammeln müssen.

Jetzt schlug Edward ein weiteres Mal mit seinem magischen Handschuh nach dem 'Amboss' und traf ihn auch empfindlich. Aber im Gegenzug schleuderte die Gestalt ihn wieder heftig zurück und traf ihn so heftig an der Hand, dass Edward sie kaum mehr bewegen konnte.
Überhaupt sah es schlecht für uns aus: Der Ochse, dem Totilas eben noch einen Brummschädel beigebracht hatte, schleuderte unseren White Court-Kumpel gegen eine ähnliche Säule wie die, an der er selbst sich den Kopf angeschlagen hatte, aber White Court oder nicht, Totilas war nicht so zäh wie die riesige Gestalt. Das hässliche Knacken von Knochen war zu hören, als Totilas' Becken brach.
Ich selbst hatte da noch Glück: Die torfartige Gestalt schlug nach mir, aber ich konnte mich unter dem Hieb wegducken.

Roberto versuchte jetzt noch einmal, seinem Gegner den Halsreif abzureißen, und irgendwie gelang es ihm – oder genauer gesagt: Es gelang ihm, das Metall genug zu weiten, dass der wässrige Riese offenbar dessen Einfluss abschütteln konnte und nun selbst mithalf, sich den Reif über den Kopf zu ziehen.
Er stellte seine Angriffe ein und sah Roberto verwirrt an: „Du bist nicht ertrunken.“
„Und du gehörst nicht hierher!“, schoss Roberto zurück, „Du solltest da rüber gehen“ - er zeigte zu Alex - „er wird dich dahin schicken, wo du sein sollst.“
Der Wässrige aber rührte sich nicht von der Stelle: „Ich lasse mir doch nicht von einem Sterblichen Befehle geben!“

Die Gestalt mit dem ginsterbuschartigen Gepräge, die zuvor auf Alex losgegangen war, griff jetzt Edward an, aber der konnte zum Glück ausweichen.
Totilas indessen tat so, als renne er weg, um damit seinen Gegner auf Edwards 'Amboss' zu hetzen. Dummerweise aber hatte das nicht den gewünschten Erfolg, weil der 'Ochse' sich nicht ablenken ließ, sondern weiter auf Totilas fixiert blieb.

Edward hatte ja noch immer das Schwert der Morrigan in der Hand, die nicht seinen magischen Handschuh trug und die nicht von dem Schlag des eisernen Riesen gelähmt war. Jetzt rammte er die Waffe in die Erde öffnete sich der Kraft des Landes und ließ sie durch sich fließen. In dem Moment konnte er spüren, dass die Morrigan tatsächlich nicht mehr war und dass die sieben Gestalten begonnen hatten, dieses Land für sich zu beanspruchen und an sich zu binden. Und jetzt, wo Edward eine Verbindung zu dem Land hatte, konnte er auch spüren, dass das Schwert wollte, dass er es benutzte. Gleichzeitig erkannte er, dass er sich durch die Verwendung der Waffe zum Hauptziel für die Gegner gemacht hatte.

„Ich werde euch allen die Halsbänder entfernen!“, rief Roberto laut in Richtung der Riesen. „Bei dem Ertrunkenen hat es schon geklappt!“ Alle konnte er damit nicht verwirren, aber immerhin der Ginsterartige reagierte auf den Spruch – dummerweise allerdings damit, dass er sich nun auf Roberto konzentrierte und diesen ziemlich übel verletzte. „So redet man nicht mit Göttern!“, setzte die wässrige Gestalt noch hinterher, aber der griff glücklicherweise tatsächlich niemanden mehr an.

Unter großer Anstrengung gelang es mir nun, mit Jade das Halsband meines torfigen Gegners soweit zu lockern, dass auch er begann, aktiv mitzuhelfen, sich das Band abriss und dann ebenfalls erst einmal stillstand.
Das half den anderen nur nicht – der Ochse schlug wieder nach Totilas, und der Amboss hämmerte Edward mit voller Kraft auf den Boden. Der war eben noch schlammig-weich gewesen, aber mit einem Mal war er hart wie Stein, und das tat Edward alles andere als gut.
Alex hatte indessen versucht, die Raben auf unsere Seite zu ziehen – irgendwas von wegen 'gemeinsamer Feind' –, aber auch er hatte keinen Erfolg damit: „Wir werden dieses Land genauso wenig einem Biest [damit meinten sie wohl Edward] überlassen.“

Langer Rede kurzer Sinn: Es sah gar nicht gut aus für uns. Zwei unserer Gegner hatten wir zwar von ihren Halsbändern befreien können, aber es waren immer noch fünf, die wir kaum hatten ankratzen können, während sie uns schwer zu schaffen gemacht hatten … zu schwer. Das würden wir nicht mehr lange durchhalten.

Totilas hatte schon ganz blass silbrige Augen bekommen, wie immer, wenn er stark auf seine übernatürlichen Fähigkeiten zugreift. Jetzt machte er Anstalten, sich zu dem Tor zurückzuziehen, das Alex vorhin geöffnet und inzwischen groß genug gezogen hatte, dass wir hindurchpassen würden.

Einen allerletzten Versuch startete ich aber. „Wir wollen euch helfen!“, rief ich der Torfgestalt zu, der ohne sein Kontrollhalsband, kurzzeitig verwirrt schien. „Wie können wir euch helfen?“
„Du kannst mir huldigen, Sterblicher!“, donnerte die Gestalt. Aber irgendwelche keltischen Naturgottheiten werde ich ganz sicher nicht anbeten, also trat ich lieber auch den Rückzug dorthin an, wo Alex das Tor offenhielt.

Bevor wir verschwanden, wollte Edward eigentlich das Schwert der Morrigan an Eoife abgeben. Aber auch die war gerade dabei, sich aus dem Kampf zurückzuziehen und befand sich außerhalb seiner Reichweite, also nahm er das Schwert mit sich, als er, gefolgt von Roberto, zum Portal rannte.

Weil ich noch versucht hatte, mit dem Torfigen zu reden, war ich der Letzte in der Reihe, und die verbleibenden Gegner hätten mich um ein Haar erwischt, wenn Alex mir nicht zu Hilfe gekommen wäre und mich mit einem waschechten Football-Tackle durch das Tor bugsiert hätte.

Wir landeten in Miami, in einem Club in South Beach, wo gerade eine wilde Party abging. Darauf hatten wir so gar keinen Nerv, also sahen wir zu, dass wir Land gewannnen... auch wenn Totilas für einen Moment so aussah, als wolle er sich hier und jetzt auf die Clubgänger stürzen, um seinen Hunger zu stillen, und ich schon überlegte, ob ich fit genug wäre, ihn aufzuhalten. Aber er konnte sich zügeln, und wir kamen problemlos weg, ohne dass uns jemand aufzuhalten versuchte.

Unser erster Stop war Totilas' Arzt, der ja gut darin ist, keine Fragen zu stellen, und der uns erst einmal versorgte.
Und wir waren tatsächlich ganz schön kaputt, oder zumindest Edward, Roberto und Totilas waren das. Noch auf dem Weg zum Arzt hatte Edward mir einen Heiltrank in die Hand gedrückt, und Alex hatte zur Abwechslung nicht mal einen Kratzer abbekommen. Interessanterweise stellten die Verletzungen der drei anderen sich aber dann doch nicht als ganz so schlimm heraus, wie wie ursprünglich gewirkt hatten – sowohl Robertos durchstoßene Lunge als auch Totilas' Beckenbruch und Edwards gebrochene Rippen machten bei der Untersuchung beim Arzt den Eindruck, als seien sie schon länger am Verheilen und nicht gerade erst frisch zugefügt worden. Der Doc verschrieb den dreien ein Schmerzmittel, aber alles in allem waren wir glimpflich davongekommen...

… dachte ich jedenfalls.

Also doch, alles in allem schon.

Aber coño, als wir dann auseinandergegangen waren und ich zuhause war und mich umziehen wollte, hatte ich plötzlich etwas Klebriges an den Fingern. Alex' Ball aus Panzerband, um genau zu sein, in den er Steinbachs Denarius eingeschlossen hatte, und der bei seiner durchs-Tor-Tackle-Aktion wohl irgendwie an mir hängen geblieben sein musste. Die beiden Duct Tape-Hälften hatten sich beinahe vollständig voneinander gelöst, und um ein Haar wäre ich beim Umziehen an die Münze gekommen.
Santísima madre, das war knapp!

Genau dieser Ausruf - “¡Santísima madre, ayudame!“ - entfuhr mir auch, und die Münze, der ganze Klebebandknäuel, wurde warm. Ich rief Alex an, dann betete ich weiter, bis er da war und das Gebilde aus Duct Tape fluchend und beunruhigt wieder an sich nahm.
(Das war auch die Gelegenheit, bei der Alex erzählte, es habe einiges an Mühe gekostet, die Münze einzufangen und in das Klebeband einzuschließen, weil sie sich nach Kräften gewehrt habe.)

Anschließend trafen wir uns mit den anderen dreien auf der Thetys und beratschlagten, was mit dem Denarius passieren soll.
Die Münze Ángel zu geben, ist keine Option, weil er dann zwei hätte, das wäre vielleicht schon die kritische Masse. Dem Vatikan trauen wir immer noch nicht – immerhin sind von den dreißig existierenden Denarii mindestens die Hälfte im Umlauf, und irgendwie müssen die ja aus der sicheren Verwahrung wieder unter die Leute gekommen sein. Entweder es gibt da Verräter, oder aber die Münzen nützen die Schwäche ihrer Bewacher aus – auch Kirchenleute sind Menschen. Oder die Dinger machen es wie der Eine Ring und suchen sich ihren Weg selbst. So oder so wäre der Vatikan nichts.

Alex machte den Vorschlag, das Ding in mehrere Kisten zu packen und die dann in Beton, und das Ganze dann an einem Ort verwahren, den wir mit einem Ward versehen können, so ähnlich wie wir das mit Ángels Exemplar ja auch gemacht haben.
Aber das sollten wir mit allen Guardians besprechen, nicht nur unter uns – die anderen müssen ohnehin nicht nur erfahren, dass Steinbach tot ist und wir ihren Denarius haben, sondern auch, dass die Morrigan tot ist, dass Adlene sie getötet hat, und dass Adlene Gottheiten versklaven kann. Und dass Jak beteiligt war, das sollten wir auch auf gar keinen Fall vergessen.
Wer waren diese Gestalten überhaupt? Diese Frage stellten wir uns natürlich auch, konnten sie aber nicht beantworten, weil wir die Typen nicht erkannt haben. Aber die Vermutung liegt nah, dass es irgendwelche keltischen Gottheiten gewesen sein könnten, aus demselben Pantheon wie die Morrigan. Und Adlene versklavt ja vor allem Geister – waren das eventuell Ex-Gottheiten, die bereits tot sind? Möglich wär's, auch wenn wir es nicht mit Sicherheit sagen können, aber es ist eigentlich auch nicht so wichtig.
« Letzte Änderung: 2.08.2022 | 01:14 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Das Schwert der Morrigan hat sich übrigens verändert. In der Totenwelt trug es noch keltische Schriftzeichen und hatte einen Knauf in Form eines Rabenschnabels, sah generell irgendwie keltischer aus. Jetzt ist der Rabenschnabel verschwunden, die Zeichen auf der Klinge sind zu alchimistischen Symbolen geworden, und Edward sagt, die Waffe fühle sich ein klein wenig vertrauter an als zuvor. Nicht dass ihm das gefallen würde... oder wie Edward es ausdrückte: „Nein, verdammt, ich will nicht von dem Ding adoptiert werden!“

Also mussten Optionen her, und die diskutierten wir ausführlich erst einmal unter uns, auch wenn wir zu keinem echten Ergebnis kamen:
Option 1: Edward übernimmt den Job doch, so ungern er das würde.
Option 2: Jemand anderes bekommt das Schwert – nur wer?
Option 3: Edward gibt die Waffe zurück in rechtmäßigen Hände... aber auch hier wieder: wessen Hände wäre das? Oder ob vielleicht jemand kommen wird, um die Waffe abzuholen? Aber unaufgefordert ist das eher unwahrscheinlich.
Option 4: Die Waffe mit einem Ward versehen und vergraben, wie wir uns das für den Denarius überlegen – aber das wäre vermutlich eine schlechte Idee.

Langer Rede kurzer Sinn: Edward wird das Ding erst einmal behalten, bis uns eine zufriedenstellende Lösung einfällt.

Und nein. Das ist im Moment keine zufriedenstellende Lösung. Mierda.

Den anderen Guardians mussten und wollten wir aber auch darüber informieren, was geschehen war. Dabei überließen wir Totilas die letztliche Entscheidung darüber, was er in Sachen Steinbachs Tod genau erzählen wollte. Zum Glück stand er auf demselben Standpunkt wie wir anderen: „Nicht damit brüsten, aber auch nicht anlügen.“

---

17. März

Jetzt haben wir uns auch mit den anderen kurzgeschlossen.
Nachdem wir alle auf Stand gebracht hatten, kam die Frage auf, wie Adlene überhaupt in der Lage gewesen war, eine übernatürliche Gottheit wie die Morrigan zu töten. Das Messer, das er dazu benutzte, muss ganz besondere Eigenschaften gehabt haben.

Außerdem überlegten wir, was wir mit Stefania Steinbachs Dämonenmünze tun sollten. Ilyana schlug vor, sie Thutmoses Elder anzuvertrauen, aber das hielten wir alle für keine sonderlich gute Idee, oder besser: maximal für etwas, auf das wir vielleicht zurückkommen können, wenn uns gar nichts besseres einfällt.
Totilas hatte den Gedanken, Spencer Declans Haus zu verwenden, aber das war noch viel weniger eine gute Idee als Thutmoses Elder. Denn es ist immerhin Spencer Declan, von dem wir hier reden: Auch wenn er verschwunden ist, war uns die Vorstellung, etwas in seinem Haus zu deponieren, zutiefst unangenehm – ganz abgesehen davon, dass wir dazu das bis an die Zähne gewardete Haus erst einmal finden müssten... und hineinkommen, wenn wir es gefunden hätten.
Aber das wiederum führte zu zwei Ideen: erstens, dass wir Declans Haus suchen könnten, und wenn wir es finden, die Wards zu entschärfen und unsere eigenen Fallen einzubauen, damit die losgehen, wenn bzw. falls Declan wiederkommt. Und zweitens, dass ein bis an die Zähne gewardetes Haus, das nicht Declans ist, tatsächlich eine gute Lösung sein könnte, um die Münze sicher zu verwahren. Und dass die Orunmila sich mit gewardeten Häusern auskennen, wir also am besten mal mit Macaria Grijalva reden sollten.

Aber der Gedanke daran, was das Messer, mit dem die Morrigan getötet worden war, für eine besondere Waffe gewesen sein könnte, ließ mich nicht los, und das sagte ich auch. Es war Cicerón, der daraufhin vorschlug, ich könnte doch vielleicht eine Illusion davon erschaffen, das sei doch auch sommertauglich. Und tatäschlich: Als ich mich an die Szene erinnerte und die Magie nach oben rief, konnte ich in einer Art sommerlichem Fata Morgana-Flimmern ein Abbild von dem Messer erstellen. Es war ein gewellter Dolch, der altertümlich und irgendwie antik wirkte, aus dem Nahen Osten vielleicht, der Levante oder so. Darauf waren Schriftzeichen zu sehen, die sich bei näherer Recherche als phönizische Buchstaben herausstellten. Noch weitere Recherche förderte einge Legende zutage: Im antiken Tyros besaß ein Zauberer einen Dolch, mit dem er eine Gottheit erstach, dadurch deren Kräfte in sich aufnahm und selbst zu einer Gottheit wurde. Laut der Legende gebe es fünf solcher Waffen, mit denen man die Kräfte eines magischen Wesens übernehmen kann, wenn man das Wesen mit einer solchen tötet.

Mit anderen Worten: Adlene hat jetzt wohl Morrigans Kräfte. Oh Freude. Aber das führte natürlich zu der Frage: Wenn Adlene Morrigans Kräfte hat, will er auch ihr Schwert? Nicht, dass wir bereit sind, es ihm zu überlassen, wohlgemerkt (oder, im es mit Edward zu sagen: „Das kriegt er nicht, da kann er sich auf den Kopf stellen und it den Beinen zappeln.“)

Alex schlug vor, ein Gruppentreffen mit den Totengottheiten einiger anderer Pantheone zu organisieren und die dann auf Adlene zu hetzen. Weil das aber vielleicht nicht ganz so praktikabel wäre, blieb von dem Vorschlag wenigstens noch die Idee übrig, dass Orcus ein Ziel brauche, auf das er wütend sein könne, und dass man wenigstens den in Richtung Adlene schubsen könne. Allerdings nicht ohne die Warnung, dass Adlene diesen Dolch hat, mit dem er Gottheiten töten kann. Und das wiederum ist ein Umstand, vor dem wir tatsächlich alle Gottheiten in der Stadt warnen müssen, nicht nur die Totengötter, damit alle informiert sind und nicht unerwartet aus dem Hinterhalt erdolcht werden.

Bjarki sagte, er könne versuchen, seine Geschwister zu informieren und Haley dazu zu bringen, mit Hermes zu reden, damit der die Warnung an alle Pantheone weitergibt.
Ich selbst muss als nächstes zu Pan und Bericht erstatten, während Roberto und Alex mit Macaria reden wollen und Edward und Totilas ins Coral Castle fahren wollen, um sich mit Camerone zu unterhalten. Und hinterher gehen wir dann gemeinsam zu Orcus.

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Später.

Bei Pan planen sie irgendwas. Also nicht, dass ich mir nicht denken könnte, was... oder besser, für was. Pan hatte mir ja schon angedrohtkündigt, dass er meinen Junggesellenabschied veranstalten wird. Also wunderte ich mich nicht weiter darüber, dass die Einherjer tuschelten und flunkerten und geheimnisvoll taten. Aber wenigstens eine Torte mit Tänzerin drin konnte ich ihnen hoffentlich ausreden.

Bevor ich Pan aber von den Geschehnissen erzählen konnte, kam auch bei ihm das Thema Hochzeit auf. Genauer gesagt wollte er wissen, ob ich schon jemanden für meinen Anzug engagiert hätte. Habe ich nicht – ich habe zwar schon mal ein bisschen recherchiert, aber bis jetzt noch nichts Konkretes in Auftrag gegeben. Das gefiel meinem Herzog gar nicht. Sein Ritter müsse angemessen gekleidet sein, wenn er einen so wichtigen Schritt tue. Natürlich, erwiderte ich: Wenn Pan einen Schneider empfehlen könne, dann würde ich gerne den aufsuchen.
Er nannte mir einen, der bei meiner Recherche auch auf der Liste gestanden hatte. Sündhaft teuer, aber das wäre bei dem Anlass nicht einmal das Problem. Das Problem ist vor allem, dass das Atelier auf ein Jahr im voraus vollkommen ausgebucht ist.
Aber das war eben doch kein Problem. „Sag einfach, dass du von mir kommst.“

Als ich Pan von dem Dolch erzählte, mit dem die Morrigan getötet worden war, sah er nicht so aus, als würde ihm das übermäßig viele Sorgen machen – aber es ist Pan, der macht sich nie groß Sorgen um irgendetwas. Er sagt dann immer, er hat ja einen guten Ritter, ich würde das schon richten. Aber immerhin konnte er mir ein paar Informationen zu dem Ding – nein, zu den Dingern, Plural – geben.
Er bestätigte die Lebenden von dem tyrenischen Zauberer, der in der Antike mit diesem Dolch eine Gottheit tötete und deren Kräfte übernahm. Das ging aber nur eine kurze Zeit lang gut, weil nach einer Weile die Gottheit wiederkam und den Menschen verdrängte. „Da gab es dann nur noch eine kleine schreiende Ecke des Sterblichen im Kopf dieses Körpers“, erzählte Pan trocken. Ganz interessant zu wissen, erwiderte ich, aber ob Pan auch wisse, wie das sei, wenn ein Mensch mehrere Gottheiten ermorde?
Das wisse er nicht, sagte Pan, aber er mache sich da keine Sorgen. „Du bist ja ein guter Ritter, du wirst das schon alles regeln.“
Cielo. Na danke auch.

---

Nochmal später.

Als wir uns wieder getroffen hatten, erzählten Totilas und Edward von ihrem Besuch beim Coral Castle und Alex und Roberto von ihrem Gespräch mit Macaria.

Am Coral Castle fanden Totilas und Edward ein Schild vor, dass der Ort gesperrt sei. Sie ignorierten das Schild geflissentlich und betraten das Gelände natürlich trotzdem. Die Aura des Coral Castle war anders, spürten sie, der Boden irgendwie tot und verdorrt, und die Coral Guardians waren nicht anwesend.
Der Geist von Camerone Raith aber schon, und nach dem, was Totilas und Edward erzählten, war Camerone so zickig, berechnend und lügnerisch wie eh und je. Sie trug keines von Adlenes Halsbändern, war also offenbar noch sie selbst. Sie behauptete, sie habe die Coral Guardians in den Urlaub geschickt, das war aber offensichtlicher Blödsinn, auch wenn Camerone wohl extrem überzeugend wirkte, wie sie das ja gerne mal tut.

Mit Adlene hat sie wohl einen Handel abgeschlossen, nach dem sie einander in Ruhe lassen, und wenn er etwas auf dem Gelände des Coral Castle machen wolle, könnten sie darüber reden. Dieses 'Etwas' war natürlich das Ritual mit dem Dolch, bei dem die Morrigan getötet wurde. Und mehr als das: die Essenz der Morrigan ist mit dem Tötungsritual in Adlene übergegangen – in Adlene oder in den Dolch, so ganz klar ist das wohl nicht. Die Rabenfrau habe versucht einzugreifen, als es ans Opfern der Morrigan gegangen sei, aber das habe nicht so gut geklappt.

Dass Adlene nicht mehr er selbst ist, das war auch Camerone klar, aber auf die Frage, wie viel von Jak wohl inzwischen in ihm stecke, antwortete sie nur: „zu viel“.
Da sie außerdem unverhohlen mit Edward flirtete und nichts größer aus ihr herauszubekommen war, traten die beiden dann lieber den Rückzug an.

Alex und Roberto wurden indessen von Macaria Grijalva wohlwollend empfangen. In der Bodega sei mehr los gewesen als früher, sagten sie, mehr Santeros anwesend als vor dem Genius Loci-Ritual. Offenbar ist die Bodega inzwischen auch ein Wallfahrtsort geworden, ganz ähnlich wie Alex' Boot.
Als die beiden der alten Priesterin erzählten, dass die Morrigan getötet worden sei, hatte sie nicht nur bislang nichts davon gehört, sondern wusste auch erst einmal gar nicht, wer das gewesen war. Als sie erfuhr, dass es sich um eine Gottheit gehandelt habe, schüttelte sie nur den Kopf und grübelte, ob das so eine gute Idee gewesen sei, Elegguas Plan zu verfolgen, all diese Gottheiten nach Miami zu holen. Aber das sei jetzt nun mal so, also auch nicht zu ändern.

Adlene stelle jedenfalls ein echtes Problem dar, vor allem, weil er mit diesem Ding (sprich Jak) zusammenarbeite. Deswegen schlug Macaria vor, Orunmila anzurufen und ihn um Rat zu fragen.
Vorher aber berichteten Roberto und Alex noch, dass bei Stefania Steinbachs Tod eine Münze aus ihr herausgefallen sei, die sicher gelagert werden müsse, weil sie einen Dämon enthalte.
Macaria stieß einen Fluch auf Spanisch aus, bekreuzigte sich und betete, bevor sie sagte, nun gut, das sei auch eine Frage, die man Orunmila stellen könne. Das werde aber eine Weile dauern, und die beiden sollten morgen wiederkommen. Oder ob sie vielleicht dabei sein wollten?

Ja, das wollen die beiden tatsächlich sehr gerne, aber die Vorbereitungen werden trotzdem eine Weile dauern, weswegen sie erstmal wieder zurückgekommen sind und Bericht erstattet haben.
Wir werden jetzt alle gemeinsam Orcus aufsuchen, und danach dann will Roberto zurück zu Macaria und dem Gespräch mit Orunmila.

---

18. März. Morgens.

Nein, wir waren doch nicht alle bei Orcus. Edward wollte aus weiser Voraussicht nicht mit und sich in der Zeit lieber mit dem Schwert der Morrigan beschäftigen, und Alex und Roberto sind doch schon los zu Macaria, weil es sonst vermutlich zu knapp würde. Also waren nur Totilas und ich auf dem Friedhof.

Bei Orcus' Krypta schienen seine Anhänger gerade mit den Vorbereitungen für irgendein Ritual beschäftigt – ein großer Kessel wurde herumgetragen, und irgendwer rief etwas von wegen, das Wasser sei zu hart, und der Kalk müsse entfernt werden. Ein junger Mann wollte uns abwimmeln, aber wir konnten ihn überzeugen, uns zu Lucretia vorzulassen.

Orcus' Priesterin schien recht dankbar, dass wir mit Orcus sprechen wollten, weil das bedeutete, dass sie das Ritual, das da gerade vorbereitet wurde, nicht durchführen musste. Offenbar hatte Orcus angeordnet, jemanden zu rufen, der sich des Problems annehmen sollte, weil er ungeduldig wurde, und das war jemand, den Lucretia lieber nicht rufen wollte. Wenn wir die Sache übernehmen könnten, um so besser.

Aber Orcus war nicht in der Laune, sich von uns überzeugen zu lassen. Wir versuchten, ihn vor Adlene und den Dolchen zu warnen, aber er sagte lediglich: „Von diesem Adlene habe ich gehört“, aber stapfte dann nach draußen und rief Lucretia zu sich, die etwas zu ihrem Meister trat und mit ihm das Ritual begann.

Natürlich wollten wir wissen, um was für ein Ritual es sich da genau handelte, also fragten wir den jungen Mann, der uns anfangs nicht hatte vorlassen wollen. Es gebe Anhänger, die nicht nur einfache Gläubige des Orcus seien, sondern die sich richtiggehend an ihn gebunden hätten, und einen solchen Anhänger wollten Orcus und Lucretia herbeirufen, aber das sei gefährlich.
„Ist ein Name gefallen?“, wollte ich wissen, und ja, das war es, aber die Antwort gefiel uns gar nicht. „Ja, Sarkos. Komischer Name, klingt wie Sarkophag, wenn du mich fragst.“
Mierda. Sarkos, der Schwarzvampir (falls er denn einer ist)? Das kann nichts Gutes bedeuten.

Etwas später waren die beiden fertig mit dem Ritual. Orcus verschwand direkt, während Lucretia erschöpft und mit Nasenbluten zusammensackte. Ihr Kumpel hatte etwas in der Art offenbar schon erwartet, denn er brachte ihr Cola und Schokolade und ein aufmunterndes Lächeln.
Als sie sich ein wenig erholt hatte, erzählte Lucretia, sie seien erfolgreich gewesen; jetzt wolle Orcus Adlene finden, und nein, Sorgen mache er sich keine. Ich wiederhole mich, aber: mierda.

Nun gut, tun konnten wir hier nichts mehr groß, und ziemlich spät war es inzwischen auch, fast Zeit zum Abendessen. Also trennten wir uns, und ich fuhr nach Hause...

… wo Edward vor der Tür stand. Und er hatte das Schwert der Morrigan dabei.

¿Qué demonios?

Natürlich bat ich ihn herein, und natürlich lud ich ihn zum Abendessen ein. Edward begrüßte Lidia und 'Jandra so freundlich wie immer, wollte aber vor dem Essen unbedingt unter vier Augen reden. Und sobald er anfing zu erzählen, wurde mir auch sofort klar, warum.

Als Edward sich gestern eingehend mit dem Schwert befasste, bekam er das Gefühl, dass es sich zwar verändert hat, seit die Morrigan sie führte, dass die Waffe aber nichts mit Edward vorhat – und dass seine Wutbestie auch nicht sonderlich begeistert davon wäre, wenn Edward mit etwas so Indirektem wie einem Schwert kämpfen würde statt mit den bloßen (oder behandschuhten) Fäusten.
Also überlegte er, wem er das Schwert am ehesten anvertrauen könnte – Eoife hat schon eines, und sein Bruder Cassius ist ja selbst ein Lykanthrop mit einer Wutbestie.
„Deswegen hab ich dann ein kleines Ritual gemacht“, sagte Edward dann, „Herausfinden, wer würdig für das Schwert ist, zu wem es gehört und von wem es geführt werden sollte – und dann bin ich losgegangen und habe geschaut, wo das Ritual mich hinführt. Und, naja...“ - hier wurde Edward ganz uncharakteristisch verlegen - „es hat mich hierher geführt.“

Mierda.

Beim Abendessen war 'Jandra ganz fasziniert von dem Schwert, das Edward in eine Ecke gelehnt hatte. Und auf dem Fensterbrett saß ein Rabe, der aufmerksam ins Zimmer schaute.
Santísima Madre, ich fürchte fast, an Edwards Ritual könnte was dran gewesen sein. Nicht, dass ich daran gezweifelt hätte. Aber... cólera.

Als die Mädchen im Bett waren und wir alleine waren, erzählte ich Lidia alles. Im allerersten Moment war sie ein bisschen überfahren, aber sie fasste sich sofort. „Das müssen wir nicht sofort bestimmen“, war ihr Urteil, und natürlich hatte sie recht – wie immer. „Lass uns erst einmal die Hochzeit hinter uns bringen. Und jetzt ist sie ja ohnehin noch zu klein dafür – vielleicht, wenn sie älter ist. Und wenn sie selbst es möchte.“

Apropos Hochzeit – während wir gerade zu Abend aßen, schickte Totilas eine Chatnachricht mit der Frage, ob wir vielleicht Interesse daran hätten, wenn Adalind, die Planerin der Raiths, sich in die Hochzeitsvorbereitungen einschalten würde. Auch von diesem Angebot erzählte ich Lidia natürlich, und unsere einhellige und entschiedene Antwort war: JA!

So, und jetzt muss ich los – ich bin extra ein bisschen früher aufgestanden, um das alles noch aufschreiben zu können. Wir wollen uns zum gemeinsamen Brunch treffen, und ich bin gespannt, was die anderen alles zu erzählen haben.

---

Die schlechte Nachricht mal gleich zuerst: Orcus ist verschwunden. Wir haben ja so eine Art instinktives Wissen um Miami und seine Bewohner – Intellectus nennen unsere Magie-Spezialisten das –, und wenn wir uns darauf konzentrieren, dann wissen wir, dass Orcus bei Adlene in der Gegend verschwunden ist. Das ist dummerweise aber auch genau die Gegend, wo der Outsider-Kopfschmerz sitzt, wo es sich nicht gut hindenken lässt. Ah, verdammt.
Wir müssen unbedingt Lucretia bitten, sich zu melden, wenn Orcus wiederkommt. Aber ganz ehrlich: Große Hoffnung, dass das passieren wird, habe ich nicht.

Als nächstes erzählte Edward, wie ihn Morrigans Schwert zu Alejandra geführt habe, und ich gab Lidias und meine Überlegungen zu dem Thema weiter, dass das höchstens etwas für Jandra sein wird, wenn sie alt genug dafür ist. Ob man das Schwert wohl in einen Amboss stecken könnte, solange, bis Jandra es herausziehen kann? Vermutlich nicht, aber einen Schmunzler war der Gedanke uns wert.

Dann: Robertos zweiter Besuch bei Macaria und das Gespräch mit Orunmila. Der Orisha schien sehr gut informiert über die Tatsache, dass wir da das eine oder andere Problem haben und Fragen stellen wollten.
Die Morrigan kannte er nicht persönlich, auch wenn er den Namen schon gehört hatte, und auch von Adlene hatte er schon gehört: „Er hat viele gefesselt und sich selbst dabei verstrickt“, sei die Aussage zu Adlene gewesen, so Roberto. Er sei auch nicht mehr Adlene, was eine Chance für uns sein könne – eben weil er nicht mehr Adlene sei, der so viel aufgegeben und so viel erhalten habe und der jetzt mehrere Personen in einem Körper sei.

Als zweites Problem berichtete Roberto von dem Denarius und dass wir sie gerne aus der Welt schaffen würden. Hier gab Orunmila allerdings zu bedenken, dass die Münze in diesem Fall nicht aus der Welt geschafft bleiben, sondern wieder auftauchen würde. Aber zumindest für lange Zeit sicher verwahren, das könnte gehen, wenn der Ort ein Gegengewicht zu dem Denarius wäre: rein, heilig und weitab von Menschen. Und da es in der Hölle heiß sei, vielleicht ein kalter Ort. Wir sollten den fragen, der die Wege kenne – sprich Eleggua.

Und nachdem Roberto den Orisha noch einmal explizit vor Adlene und dem Dolch gewarnt hatte, hatte Orunmila auch noch eine kryptische Mitteilung für unseren Kumpel, bevor er verschwand und Macaria ihren Körper wieder überließ: Auf der Hochzeit sollen wir dafür sorgen, dass Shango und Oshun miteinander tanzen. Was auch immer das heißen soll.

Was den kalten, reinen, menschenleeren Ort für den Denarius betrifft, so wäre da wohl am ehesten eine Insel passend - welche, das muss vermutlich wirklich Eleggua sagen. Aber auch das muss bis nach der Hochzeit warten.
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Ricardos Tagebuch: Ghost Story 4

26. März

Oh Mann. Heute abend ist der Junggesellenabschied. Ich hatte ja damit überhaupt nichts zu tun, sondern Pan hat sich in den Kopf gesetzt, dass für seinen Ritter alles wie im klassischen Lehrbuch ablaufen und die Feier daher eine komplette Überraschung für mich sein muss. Ich bin nur froh, dass er den Großteil der tatsächlichen Planung an Alex delegiert hat, dann konnte der wenigstens sicherstellen, dass nichts dabei sein wird, das ich einfach nur hassen würde.

Lidia ist schon los – sie hat natürlich ihren eigenen Junggesellinnenabschied mit ihren Freundinnen, auch Yolanda ist dabei. Sie weiß auch nicht alles, was die Mädels für sie geplant haben, aber sie meinte, etwas von Wellness und einem Tag im Spa und dann einem Abend in der Stadt gehört zu haben. Klingt gut, und ich hoffe, sie hat ein unvergessliches Erlebnis.

Die Mädchen sind bei Mamá und Papá, die auch schon ganz aufgeregt sind, aber gut, ich verstehe es ja – Eltern sind immer aufgeregt, wenn eines ihrer Kinder heiratet, das geht Lidias Eltern ja nicht anders.

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So, ich muss gleich los. Alex sagte was von lockerer Kleidung, dann fahre ich hoffentlich mit heller Hose, Hemd ohne Krawatte und Sneakern einigermaßen richtig.

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27. März. 05:30 Uhr. Gerade zurück. Schlafen. Nachher mehr.

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So. Einigermaßen ausgeschlafen, gegessen, von Lidia erzählt bekommen, wie es bei ihr gestern lief, und ihr von meinem Abend erzählt. Jetzt habe ich Zeit, um aufzuschreiben, was los war.

Kurz gesagt: Es war eine echte South Beach Party am Strand. Eingeladen (bzw. als Auftraggeber mit von der Partie) war natürlich Pan selbst, seine Satyre und Einherjer, und die Jungs, claro. Von den männlichen Guardians war sonst keiner da – mit Cicerón, Ángel und Bjarki bin ich einfach nicht so eng befreundet, und sie sind ja dann zur Hochzeit eingeladen.

Alex, der ja von Pan die Leitung der Party übertragen bekommen hatte, stellte die Einherjer als Security ab.
Sir Anders, als Pans einer verbliebener Sidhe-Ritter, war natürlich ebenfalls anwesend, und Pan sagte zu mir: „Wenn du ihn nicht dabei haben willst, dann musst du ihn auf eine Queste schicken.“
Ich selbst hätte jetzt gar nicht groß etwas dagegen gehabt, wenn Anders auf der Feier geblieben wäre, aber bevor ich das sagen konnte, sprang Alex begeistert auf den Vorschlag an: „Ach, ich darf ihn auf eine Queste schicken?“
Da Pan „Klar!“ antwortete, beauftragte Alex den Sidhe-Ritter, dafür zu sorgen, dass nichts die Party stören würde, und Sir Anders schwor einen heiligen Eid, dass Sir Ricardo seine Feier ungehindert würde genießen können. Wie so oft war sein Ernst ein wenig anstrengend, aber irgendwie auch rührend.

Gleichzeitig zu unserer fand am South Beach auch eine Spring Break-Party von Studenten statt, und natürlich fingen die beiden Feiern an, sich zu vermischen. Und genauso natürlich ging es hoch her. Da war zum Beispiel ein völlig betrunkener Student, der unbedingt ins Wasser wollte, weil er meinte, dort ein Licht gesehen zu haben, und weil jemand gesagt hätte, dort sei eine Meerjungfrau gewesen.
Roberto tanzte und flirtete und schleppte jemanden ab, während Totilas die aufkommenden Streitereien und Konflikte schlichtete, die aufzukommen drohten, weil die Satyre natürlich über die Stränge schlugen. Alex wiederum überließ das Sichern nicht nur den Einherjer, sondern hielt selbst auch Ausschau, ob irgendein Ärger anstand.

Während Alex das vor allem in Richtung Land tat, stand Sir Anders mit dem Schwert in der Hand an der Wasserlinie und sicherte zum Meer hin. Ich konnte sehen, wie Edward hinging und mit ihm redete, oder besser, Sir Anders sagte sehr ernsthaft etwas zu ihm, woraufhin Edward etwas erwiderte, Sir Anders noch einmal etwas sagte und Edward wieder abzog; wohin, das entging mir. Ich selbst stand bei Pan und fühlte mich ein bisschen verloren, weil ich nicht so recht etwas mit mir anzufangen wusste. Pan stand im Zentrum der Aufmerksamkeit, und das war auch völlig in Ordnung, das wollte ich ihm gar nicht abnehmen, und ich fand die Party auch nicht völlig ätzend, aber so richtig ausgelassen amüsieren konnte ich mich irgendwie nicht. Es war okay, aber … naja. Schon so ein bisschen una comemierderia.

Deswegen war ich auch sehr froh, dass Edward irgendwann an meiner Seite auftauchte und ohne Umschweife sagte: „Komm mit.“ Er führte mich ein kleines Stück weg vom Kern der Party, wo er nahe am Ufer einen Grill aufgestellt hatte. Steaks und einen Kasten Bier hatte er auch besorgt, und die Kohlen brannten auch schon. Und so saßen wir da am Strand, grillten, tranken Bier und redeten, und da wurde der Abend dann doch noch sehr fein.

Etwas später sahen wir draußen auf dem Meer tatsächlich ein Licht. Und wir sahen Sir Anders, der auf seinem Surfboard mit seinem Schwert in der Hand in Richtung des Lichtes hinauspaddelte. Ein wenig später ließ er sich ins Wasser herab, tauchte unter – und kam nicht wieder.
Nun gut, Sir Anders ist ein High Sidhe, für die gelten etwas andere Regeln, aber besorgt um ihn waren wir doch.
Also schwammen Edward und ich zu der Stelle, wo Sir Anders verschwunden war. Zu sehen war weit und breit nichts, aber kurz darauf tauchte eine Selkie auf.
„Du bist doch der Junggeselle, oder?“, fragte sie mich.
„Ähm, ja?“, antwortete ich, nicht sonderlich geistreich, weil zugegebenermaßen etwas verwirrt. Aber auch ihre Reaktion war eher eine Frage denn eine Aussage: „Glückwunsch?“

Sir Anders gehe es gut, sagte die Selkie auf unsere Frage. „Es ist alles unter Kontrolle, wir schaffen das.“
„Was ist denn los?“
Aber das wollte sie uns nicht sagen. Sir Anders habe einen heiligen Eid geschworen, dass an diesem Abend und in dieser Nacht nichts an Sir Ricardo herankommen und nichts Sir Ricardos Feier verderben dürfe. Sie war sehr bedacht darauf, dass Edward und ich uns auf gar keinen Fall einmischten, also vergewisserten wir uns ein letztes Mal, dass es Sir Anders gut ging, er unter Wasser atmen konnte und dort unten nicht in tödlicher Gefahr war, dann schwammen wir zurück und widmeten uns wieder unseren Steaks.

Irgendwann, nochmal einige Stunden später, tauchte Sir Anders wieder auf, sah allerdings etwas erledigt aus. Er hatte sein Schwert in der Hand, und seine Kleidung war etwas zerrissen. Nicht, dass das die Feiernden gestört hätte, denn auch, oder gerade, mit zerrissener Kleidung ist der Sidhe-Ritter ja durchaus ansehnlich.
Natürlich gingen wir zu ihm, um zu fragen, ob alles in Ordnung sei, aber auch er bestand darauf, dass er alles unter Kontrolle habe, und zeigte sich überaus besorgt, ob ich auch eine schöne und vor allem ungestörte Feier hätte. Ich beeilte mich, ihm zu versichern, dass dem so war.
Inzwischen war es aber auch schon 5 Uhr morgens, und es wurde allmählich hell, also war es langsam an der Zeit, nach Hause zu fahren. Als ich auf mein Handy schaute, sah ich, dass auch Lidia vor ungefähr 10 Minuten eine Textnachricht geschrieben hatte: „Ich fahre jetzt heim.“

Wie oben schon kurz geschrieben: Ich kam so etwa gegen 05:30 Uhr nach Hause – es war ja nicht weit –,  dann fiel ich ins Bett. Nicht lange darauf kam auch Lidia heim, und heute schliefen wir bis in die Puppen. Aber das hätte, glaube ich, auch niemand anders erwartet.

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11. April

Heute werde ich sicherlich nicht viel zum Schreiben kommen. Nur so viel: Gleich geht es los!

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15. April

Tío. Wo fange ich an.

Also. Die Hochzeit selbst war, naja, wie man katholische Hochzeiten eben erwartet. Lang und sehr katholisch, mit einer sehr persönlichen und ergreifenden Predigt von Pater Alvaro. Wir hatten für den Anlass einen professionellen Fotografen engagiert, der aus allen möglichen Blickwinkeln Fotos machte. Natürlich waren unsere Familien alle da. Edward und Ines sprachen Fürbitten. Roberto rief die Jungfrau Maria an (also eigentlich Oshun, aber irgendwie ist das ja im Synkretismus der Santería doch auch dasselbe). Außer den Jungs waren die Guardians ebenfalls mit bei der Trauung, außerdem Cherie als Edwards +1; vom übernatürlichen Kontingent noch niemand, die kamen später zur Feier außerhalb der Kirche. Aber mit einem Mal sah ich Enrique in einer der hinteren Reihen sitzen – ich hatte keinerlei Ahnung gehabt, dass Mamá und Papá eine Kontaktmöglichkeit zu ihm haben und ihm bescheid gesagt hatten; ich selbst habe ja keinerlei Adresse von ihm, nicht mal seine E-Mail, aber es freute mich sehr, dass er gekommen war.

Es war eine wunderschöne Zeremonie – Lidia strahlte über das ganze Gesicht, und ich konnte mich zwar nicht im Spiegel sehen, aber mir ging es nicht anders.
Und dennoch war irgendetwas – ich selbst spürte es vor lauter Freude und Aufregung nur am Rande, aber die anderen erzählten mir hinterher, dass es für sie viel deutlicher gewesen war: ein Gefühl der Spannung in der Luft, wie vor einem Sturm. Und es war auch sehr windig, in der Kirche konnten wir hören, wie es um das Dach pfiff.

Nach dem Ende der Trauung, als wir alle aus der Kirche defilierten, ging ich erst einmal Enrique begrüßen, samt Umarmung – und Enrique umarmte mich zurück und wünschte uns alles Gute und hielt, zumindest in dem Moment, den Frieden, was mich noch mehr freute.
Zur Feier ging es dann in einer Kutsche, die Alex organisiert hatte. Auf den Bäumen um die Kirche herum saßen ziemlich viele Raben, was Alex zu der Bemerkung verursachte: „Tauben waren aus.“

Die Location, ein weitläufiger Partysaal, war hübsch mit Blumen und Girlanden geschmückt, ähnlich wie die Kirche, und als wir und die Gäste hineingingen, teilten Lidias Freundinnen Luftballons aus. Das ließ mich kurz zusammenzucken (Jaks Ballons lassen grüßen), aber es waren wirklich nur harmlose Luftballons.. Es gab eine Band und eine große Tanzfläche, ein Eisfahrrad, eine Hüpfburg für die Kinder, ein großes Buffet, den Gabentisch; der Fotograf war auch hier mit dabei, und an hübsch dekorierten Stehtischen wurde erst ein Sektempfang gehalten, bevor sich alle hinsetzen gingen. Kurz gesagt: Adalind, die Hochzeitsplanerin, hatte in der vergleichsweise kurzen Zeit einen unfassbar tollen Job bei der Vorbereitung geleistet. Und sie hatte vor allem Lidias Wunsch nach einem Cake de Nata als Hochzeitstorte erfüllt – wunderschön dekoriert und Hochzeitstorten-tauglich, natürlich.   
Es gab die üblichen Reden. Es gab einige typische, zum Glück geschmackvolle, Hochzeitsspielchen (zum Beispiel die Postkarten an den Luftballons ausfüllen, bevor diese unter großem Hallo in den Frühlingshimmel von Miami entlassen wurden – gespielte Witze und dergleichen hatte Adalind zum Glück schon im Vorfeld abgebogen). Es gab eine Fotowand, auf der sich ältere Fotos von uns chronologisch von außen nach innen zu einem gemeinsamen, aktuellen Bild in der Mitte hinzogen.
Lidia und ihr Vater eröffneten die Tanzfläche, dann Lidia und ich, dann kamen alle dazu, und das Buffet wurde eröffnet. Lidias Cake de Nata kam prima an, und natürlich mussten wir ein Stück vom selben Teller mit derselben Gabel essen, aber es ist ja nicht so, als würden wir das nicht privat ohnehin manchmal machen, der Verlegenheitsfaktor hielt sich also in Grenzen.

Anfangs machten wir noch gemeinsam die Runde bei den Gästen, aber irgendwann ergab es sich, dass wir getrennt wurden: Lidia und Jandra waren eher mit unseren 'normalen' Gästen beschäftigt, während Monica und ich uns eher bei den übernatürlichen Gästen aufhielten.

Dann kam ein Mann auf mich zu, Mitte Fünzig, schlank und fit, lange, eisengraue Haare, eine Augenklappe mit einer Narbe darunter, von dem ich eben wegen der Augenklappe auch vermutet hätte, dass es sich um Donar Vadderung handelte, wenn er sich nicht beim Hereinkommen schon als dieser vorgestellt hätte, wir dann aber keine Zeit gehabt hatten, näher miteinander zu reden. Jetzt sah es so aus, als wolle er gezielt das Gespräch mit mir suchen – aber in genau dem Moment riss das Nevernever auf. Jak kam hindurch, mit zwei von diesen Dolchen in der Hand. Zwei Menschen folgten ihm, eine junge Latina und ein älterer Schwarzer, die ebenfalls jeweils einen solchen Dolch bei sich hatten, und außerdem die fünf keltischen Gestalten mit dem Halsband, gegen die wir in Morrigans Reich schon einmal gekämpft hatten.

Als sich der Riss ins Nevernever öffnete, waren Edward und Roberto gerade mit Cherie und Oshun am Tanzen. Totilas sah ich nicht (ich erfuhr später, dass er gerade sein Geschenk zum Gabentisch brachte), und Alex kam gerade mit Sir Anders in den Raum.

Ich sah, dass Jak mit erhobenen Dolchen auf Vadderung zusprang, und stieß einen Warnschrei aus, der Vadderung zur Seite springen ließ, so dass der Stoß des Outsiders ihn nur streifte.
Im selben Moment stellte Roberto sich schützend vor Oshun und bewegte die Hände in dem Muster, das er immer macht, wenn er seinen Blockadezauber wirkt. Aber die junge Latina griff Oshun gar nicht an. Stattdessen rammte sie ihren Dolch in Shango, der gerade ebenfalls auf Oshun zustürmte. Der Schrei, der aus Shangos Kehle drang, war markerschütternd. Roberto versuchte, die Frau von Shango wegzudrängen, aber es gelang ihm nicht. Nun rannte Oshun auf Shango zu, aber als sie ihn berührte, wurden Shangos Schreie lauter, und er begann zu brennen, und auch seine Angreiferin schrie auf und fing Feuer, während sich auf Oshuns Haut Brandblasen bildeten.

Während Alex schnell entschlossen den Feueralarm auslöste, drängte Edward sich zu dem älteren Mann mit dem Dolch durch, und Totilas stellte sich der Ambossgestalt in den Weg.
Ich musste Lidia und die Mädchen hier rausbringen, war mein einziger und drängendster Gedanke. Ich packte Monica an der Hand, die zu leuchten begonnen hatte, und rannte los, Lidia und Jandra finden, aber da kam Jandra schon auf mich zu. Sie hielt ein Kuchenmesser in der Hand und hatte einige Raben hinter sich – sah aber selbst überrascht darüber aus, was sie da eigentlich machte. Als sie bei mir angekommen war, hielt ich sie auf, nahm sie ebenfalls an die Hand und rief: „Raus hier, raus!“
Gemeinsam fanden wir Lidia, die in dem ausbrechenden Chaos auch schon auf der Suche nach uns gewesen war. „Was soll ich tun?“, fragte sie knapp. „Bring' die hijas und die Eltern in Sicherheit, ich komme nach!“ Lidia nickte. „Pass auf dich auf. Ich liebe dich!“ „Ich dich auch!“ Dann scheuchte sie die Mädchen vor sich her, und ich stürzte mich wieder zurück ins Getümmel, während um mich herum die Gäste in wilder Panik zu flüchten begannen.

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Alex beim Evakuieren half, indem er die Fluchtwege möglichst gut sichtbar und zugänglich für alle machte.
Edward und Totilas waren immer noch im Kampf, und Edwards Gegner pustete ihm gerade irgendetwas ins Gesicht, das Edward zurücktaumeln, husten und sich die Augen reiben ließ. Beinahe blind schlug Edward mit seinem magischen Handschuh zu und zertrümmerte dem Mann förmlich den Arm.

Vadderung hatte indessen einen Speer in der Hand – das musste Gungnir sein, der Speer, der eigentlich niemals sein Ziel verfehlte. Aber Jak ist ein Outsider, und er hatte einen von Odins Raben erstochen, so dass Vadderung verwirrt blinzelte und gerade nicht ganz bei sich schien. Triumphierend stach Jak zu, aber das Bild von Vadderung zerfaserte (eine von Loki geschaffene Illusion?), und der Ase befand sich ganz wo anders.

Auch die Guardians hatten inzwischen natürlich ins Geschehen eingegriffen. Dee brachte den Bürgermeister in Sicherheit, während Cicerón auf den brennenden Shango zurannte und förmlich mit ihm zu verschmelzen begann. Auch Cicerón fing Feuer, aber das schien ihn in dem Moment nicht zu stören. Derweil redete Roberto auf Oshun ein und versuchte, diese aus der Gefahrenzone zu bringen. 

Totilas gelang es, seinem Gegner das Halsband zu entfernen. Es dauerte einen Moment, dann rief die Ambossgestalt plötzlich etwas in einer fremden Sprache und schleuderte Totilas von sich. Der hatte sich gerade aufgerappelt und wollte sich wohl wieder in den Kampf stürzen, da tauchte Marshal an seiner Seite auf und sagte etwas zu ihm. Totilas erwiderte etwas, sah nicht glücklich aus, aber dann folgte er Marshal humpelnd nach draußen.

Alex, der irgendwo einen Feuerlöscher gefunden hatte - natürlich wusste Alex, wo hier die Feuerlöscher zu finden waren, selbst wenn wir anderen keine Ahnung hatten – eilte zu der flammenden Konfrontation zwischen Shango/Cicerón und der Latina und hielt drauf. Unter dem weißen Schaum erstarb das Feuer, und man konnte sehen, dass Cicéron und die junge Frau sich gegenüberstanden und einander anstarrten. Von Shango war nichts mehr zu sehen. Oshun, die offenbar zurückgeschaut hatte, was bei ihrem Liebsten passierte, stieß einen gellenden Schrei der Trauer aus, dann brachte Roberto sie hinaus.
Die junge Latina hingegen war überhaupt nicht amüsiert davon, dass Alex sie soeben gelöscht hatte. Sie spuckte einen Flammenstrahl nach ihm, der unseren Kumpel empfindlich verbrannte.

Edward hatte sich offenbar die Augen freigeblinzelt, denn jetzt schlug er wieder mit seinem magischen Handschuh zu und brach seinem Gegner auch noch den zweiten Arm – aber im Gegenzug blies der alte Mann Edward wieder irgendwas ins Gesicht, das diesen offenbar die Orientierung verlieren ließ, denn er taumelte etwas und hatte plötzlich sichtlich Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu bewahren. Und zu allem Überfluss tauchte jetzt auch noch die Nebelgestalt neben ihm auf.
Ich eilte hin und zog dem Jak-Kultisten Jades Knauf über den Schädel, was diesem offensichtlich spürbar wehtat, ihn nur leider nicht ausknockte. Doch das gab das Edward die Gelegenheit, ihm den Dolch zu entwinden – und er hätte sich auch damit zurückgezogen, wenn ihm nicht die Nebelgestalt in diesem Moment einen üblen Tritt verpasst hätte.

Das war selbst für Edward zu viel. Der Dolch glitt ihm aus den Händen, und Edward ging zu Boden, fiel dabei genau auf die Waffe, zum Glück auf die flache Seite.
Für den Moment schien die Nebelgestalt mich zu ignorieren, also versuchte ich, vor allem Edward, aber auch den Dolch, in Sicherheit zu bringen.

Ich hatte Edward schon einige Meter weit gezogen, da kam – ganz ohne Panik – einer der Gäste auf mich zu. Vorhin zu Beginn der Feier hatte er sich als Hermes vorgestellt. „Ich weiß, du bist hier der Bräutigam, und ich bin hier Gast“, sagte er, „und ich will eigentlich nicht mit dir kämpfen, aber ich will diesen Dolch.“
„Ich will eigentlich auch nicht mit dir kämpfen“, sagte ich.
„Gut, dann gib ihn her.“
„Ich will nicht, dass du ihn einsetzt“, erwiderte ich. „Bei uns ist er besser aufgehoben.“
Aber darauf ließ Hermes sich – natürlich – nicht ein. Nach noch etwas Hin und Her einigten wir uns schließlich darauf, dass der Dolch nicht gegen Miami, nicht gegen Pan und nicht auf dem Stadtgebiet von Miami eingesetzt werden würde. Das schwor Hermes mir, woraufhin ich ihm die Waffe gab und er verschwand. Sprichwörtlich im Nichts, wohlgemerkt. Der Deal gefiel mir gar nicht, aber ich sah in dem Moment keine andere Lösung. Mierda..

Odin war derweil immer noch dabei, mittels Lokis Illusionen mal hier, mal dort aufzutauchen, während Jak ihn jagte. Dann stach der Outsider mit einem Mal ins Nichts. Dort erschien ein rothaariger Mann mit dunklen Augen – derselbe Mann vom Hurricane Relief Carnival. Loki. Und ihm steckte ein Dolch in der Brust. Odin schrie auf: „Bruder!!“ Bjarki und Haley erstarrten, völlig entsetzt.

Jaks Gestalt wurde hagerer, seine Haare röter, sein irres Grinsen verschmitzter. „Herzlichen Glückwunsch“, ließ er gutgelaunt in meine Richtung fallen, dann verschwand er. Wo er gerade noch gewesen war, schwebte einen Moment lang ein Luftballon und platzte dann.

Auch Cicerón und die junge Latina verschwanden, aber ihr Dolch blieb zurück.
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!