Es heißt ja immer, dass es wichtig ist die Initiative zu behalten.
Andererseits heißt es, dass die Verteidigung stärker im Vergleich zum Angriff sei.
Etwas abstrakter als bei Feuersänger:
Initiative bezieht sich definitionsgemäß darauf, irgendeine Aktion (als Erster) durchzuführen oder mit irgendwas anzufangen.
Gerade in Bezug auf Kampfhandlungen hakt das tatsächlich ein bisschen, wenn man den Verteidiger betrachtet.
Mit dem Konzept
OODA-Loop lässt sich das Ganze etwas besser beleuchten.
Statt also vom Erlangen/Behalten der Initiative zu sprechen, geht es darum, zum Einen den eigenen OODA-Loop schneller zu durchlaufen als die Gegenseite und zum Anderen, den Gegner beim Durchlauf zu stören. Hauptsächlich geschieht das, indem man durch Tarnung, Täuschung und (Kommunikations-)Störung die beiden O-Phasen manipuliert.
Das Stören der D-Phase ist ziemlich situationsabhängig - manchmal ist es gar nicht möglich; auf strategischer Ebene bildet die A-Phase dann den eigentlichen Kampfverlauf, der wiederum von den OODA-Loops der tieferen Ebenen geprägt wird.
Etwas konkreter heißt das, dass - wie bereits angeklungen - der Verteidiger es sich offensichtlich nicht erlauben kann, einfach seine Kräfte gleichmäßig zu verteilen und den Gegner machen zu lassen.
Er muss versuchen, die Absicht des Gegners zu erkennen, indem er die Lage aus der Perspektive des Gegners betrachtet und diesen entsprechend zu täuschen, vor allem über die tatsächlich vorhandenen Kräfte.
So kann er im Idealfall den Angriffsort erkennen oder sogar bestimmen (!), i.d.R. aber wenigstens unwahrscheinliche Ziele schwächer verteidigen.
Je nach konkreter Situation ist es ebenso denkbar, den Gegner auf dem Anmarsch anzugreifen, nachdem dessen Absicht erkannt wurde - oder, die nötige Mobilität vorausgesetzt, erst nach dem Erkennen der gegnerischen Absicht mobil gehaltene Reserven an den zukünftigen Gefechtsort zu verlegen.
Kurz:
In einer konkreten Situation ist der Verteidiger auch im Vorfeld eines Kampfes meist nicht völlig blind gegenüber den Absichten und Möglichkeiten des Gegners.
Das darf er auch nicht sein - wenn er vor, während und nach dem Einrichten seiner Verteidigung faktisch gar keine OODA-Loops (mehr) durchläuft, muss er scheitern.
Die Aussage das eine Verteidigung prinzipiel staerker als ein Angriff ist kann ich schwer nachvollziehen.
Bei
gleichen Kräfteverhältnissen ist der vorbereitete Verteidiger (nur um diesen geht es bei der Aussage) aus folgenden Gründen im Vorteil:
- Er hat die bessere Ortskenntnis
- Er kann schanzen (in welcher Form auch immer)
- Er ist zum Gefechtszeitpunkt besser organisiert, weil er nicht den Unwägbarkeiten auf dem Anmarsch ausgesetzt ist
- Er kann sich besser tarnen als der in Bewegung befindliche Gegner
- Er kann ein dichteres/besseres Beobachtungsnetz einrichten
- Er kann Fallen und Täuschungen vorbereiten
- Er kann mehr schwere (bzw. schwerere) Waffen einsatzbereit halten
In konkreten Situationen lässt sich das ein bisschen besser beurteilen, aber die gerade genannten gelten im Prinzip vom Zweikampf bis hoch zum Feldzug.
Ich mache es mir mal einfach und frage nach Beispielen, in denen der Angreifer deutlich im Vorteil ist/war - und behaupte, dass dabei meistens die Kräfteverhältnisse eben nicht ausgeglichen sind/waren oder der Angreifer anderweitig große Anstrengungen unternommen hat, um die Vorteile des Verteidigers zu unterlaufen.
Die größere Arbeitslast trägt jedenfalls stets der Angreifer.