Ich weiss nicht ob Terrorbeagle noch mitliest. Ich versuche trotzdem mal auf seinen Standpunkt zu reagieren.
Wenn ich Deinen Standpunkt richtig verstanden habe, dann behauptest Du, dass ein Regel- und Settingleichtgewichte dem anspruchsvollen Spiel eher abträglich ist. Ich lass jetzt mal die Settingfrage aussen vor und konzentriere mich mal auf das Regelsystem.
Um meinen Standpunkt und meine Argumentation anschaulich zu halten, werde ich ein Beispiel ausserhalb des Rollenspiels wählen. wechseln wir also zu den Gesellschaftsspielen und dort gehen wir mal zu den abstrakten Spielen. Genauer: Nehmen wir mal Texas-Hold'em-Poker als Beispiel.
Die
Regeln für Texas-Hold'em sind ziemlich einfach. Jeder bekommt 2 verdeckte Karten. Dann dealt der Dealer hintereinander 5 Gemeinschaftskarten. Nach jeder Karte kann Geld gesetzt werden. Wenn Geld gesetzt wird, fliegt jeder Spieler, der den gesetzten Betrag nicht hält aus der aktuellen Partie raus. Derjenige mit dem höchsten Kartenwert gewinnt das gesetzte Geld. Für den Kartenwert gibt es eine ziemlich willkürliche Wertetabelle.
An sich sollte man meinen, dass diese wenigen Regeln dazu führen, dass das eigentliche Spiel keine große Taktiktiefe und Anspruch verspricht. Dem ist aber nicht so.
1. Das Spiel ist ein verstecktes (versteckt im Sinne von "steht nicht in den Regeln") Resourcenspiel. Bei Poker wird nicht nur eine Partie gespielt, sondern sehr viele hintereinander. Von daher musst Du entscheiden, in welches Blatt Du Deine Resource Geld investieren willst. Du kannst also 80%-90% der Partien "verlieren" und trotzdem noch die komplette "Session" gewinnen. Dazu reicht es, wenn Deine Gegner alles Geld auf ein Blatt setzen dass Du gewinnst.
2. Damit Du Deine Resourcen sinnvoll einsetzen kannst, musst Du die Qualität Deiner bisherigen Hand einschätzen. Zur Kalkulation musst Du eine Wahrscheinlichkeitsabschätzung machen. Das ist ein ausgewachsenes Mathematikproblem. Wie wahrscheinlich ist es, mit einem Ass und einer Dame zu gewinnen? Wie verändert sich die Deine Kalkulation, wenn in den ersten 3 Gemeinschaftskarten eine Dame dabei ist?
3. Für die Wahrscheinlichkeitsabschätzung reicht es aber nicht nur Dein eigenes Blatt abzuschätzen. Die Gemeinschaftkarten geben Dir Hinweise welche Qualität die gegnerischen Karten haben können. Um das obere Beispiel zu bringen: Wie verändert sich Deine Kalkulation, wenn in den ersten 3 Gemeinschaftskarten noch zusätzlich ein König auftaucht?
4. Es gibt noch die Mitspieler, die an Hand ihrer Kalkulation ihre Resourcen einsetzen. Diese Spieler machen ihre eigenen Kalkulationen und je nachdem wie stark sie ihr Blatt einschätzen, investieren sie oder investieren sie nicht. Beispiel von oben: Du hast nach den ersten 3 Gemeinschaftskarten einen Betrag gesetzt. Einer der Spieler verdoppelt Deinen Betrag. Die Chancen sind hoch, dass der Spieler einen König hat und damit glaubt, dass er das höchste Blatt hat.
5. Spieler haben eigene Persönlichkeiten. Während der eine risikobereiter ist, spielt ein anderer Spieler auf Sicherheit. Entsprechend optimistischer oder pessimistischer werden von Mitspielern gesetzte Beträge kalkuliert. Das kannst Du ausnutzen, um einen Spieler mit einem gewagten Einsatz rauszuboxen oder jemand anderes mit einem niedrigeren Betrag zu ködern. Ob ein Spieler heute eher konservativ oder risikobereit spielt, kannst Du nur an Hand der gespielten Partien erkennen. Von daher ist es manchmal sogar ratsam ein Spiel mit Einsatz zu verlieren, um zu sehen, welches Blatt hinter dem Einsatz steht.
6. Die anderen Spieler sind alle anwesend. D.h. Du kannst die Reaktionen der Spieler sehen. Daraus kannst Du wiederum Rückschlüsse auf ihr Spieltemperament ziehen. War er gelächelt, als ich einen hohen Einsatz getätigt habe, oder hat er eher geschockt reagiert? Gleichzeitig kannst Du Smalltalk mit den Mitspielern machen. Auch dabei können sie Dir wichtige Hinweise verraten, ohne es zu wollen.
Das war jetzt nur in groben Zügen, welcher Detailreichtum in so einfachen Regeln stecken kann. Dieser Detailreichtum reicht bei Poker, dass sich ne Menge Spieler stundenlang und tagelang mit dem Spiel beschäftigen(ich behaupte sogar länger als jeder Rollenspieler sich mit seinem Hobby beschäftigt!) und sogar ihr Geld damit verdienen.
Fazit: Einfache Regeln sagen noch nichts über den möglichen Detailreichtum und der spielerischen Tiefe aus.