Ich glaube, dass der Drang zur Gewalt in uns steckt, oder zumindest in den meisten von uns (bei einigen stärker, bei anderen schwächer). Wir wollen Gewalt ausüben, Gegner besiegen, stark sein, kämpfen, in Konflikten bestehen.
Das können wir natürlich nicht, denn gesellschaftlich ist physische Gewalt geächtet - zumindest unkontrollierte Gewalt. Teilweise verleugnen wir vor uns selbst diesem inneren Drang. "Stellvertretergewalt" übernimmt dann eine Ventilfunktion. Wie gut tut es doch, wenn im Film der mutige Held dem fiesen Rowdy die Fresse poliert, dem kriminellen Geschäftsmann die geliebte Karre in die Luft gejagt wird oder der korrupte falsche Prophet in seine eigene Opfergrube geworfen wird. Besonders gern wird erst ein Feindbild aufgebaut, etwa der Bully, der "unschuldige" grausam angreift. Der wird dann mit "gerechter" oder zumindest "gerechtfertigter" Gewalt besiegt. Charles Bronsons Selbstjustizverherrlichungsfilme (z.B. "Ein Mann sieht rot") sind da ein Paradebeispiel, aber im Kern findet man das in fast allen Filmen. Spontan fällt mir z.B. auch Braveheart ein. Natürlich mussten da alle Engländer brutal, bösartig, heidnisch, feige oder abnorm sein, verweichlicht und hinterhältig oder lüstern und verroht.
Wichtig ist, dass man sich mit dem "Helden" identifizieren kann, damit man sich irgendwie auch als Sieger fühlt.
Wir kompensieren unseren unerfüllten Drang zur Gewalt beispielsweise im Sport, besonders wenn es darum geht, den Gegner zu besiegen. In fanatischem Fandom kann sich der Wunsch, den "Feind" zu "vernichten" manifestieren. Wenn "Sechzger" und "Bayernfans" aufeinander losgehen (nicht mal körperlich, sondern schon rein verbal), nicht nur den eigenen Verein feiern, sondern auch den anderen Verein übel beschimpfen.
Auch die verbissene Art, wie versucht wird in Diskussionen "Recht" zu haben, wenn es nicht mehr darum geht, in der Sache zu einer befriedigenden Lösung zu kommen, sondern wenn der "Gegner" angetrollt, mehr oder weniger subtil diskreditiert oder "disqualifiziert" wird, ("mit diesem Satz hast du dich völlig disqualifiziert" => "Ha! Ich hab gewonnen! Dodge this, bitch!") dann ist das eine Form von Gewalt (zgg. Maßen im weiteren Sinne, aber darum geht es ja bei Stellvertretergewalt).
Die Gewalt in fiktiven Szenarien ist dabei wohl eine eher harmlose Form dieser "Stellvertretergewalt".
Die Faszination für Waffen hat ebenfalls damit zu tun. Natürlich haben Waffen häufig einen ästhetischen Wert. Aber beim betrachten von Waffen geht es ja auch um die Vorstellung, was man damit machen könnte. Man will so ein Stück nicht nur an der Wand hängen haben und es ansehen - man hat auch das Verlangen, das Ding mal in die Hand zu nehmen und vielleicht mal zu schwingen oder probeweise auf einen Punkt zu zielen - und natürlich stellt man sich in diesem Augenblick einen Gegner vor, den man schlägt und ins Visier nimmt.
Die einen spielen Egoshooter, die anderen verklagen ihre Nachbarn, weil der Knallerbsenstrauch durch den Maschendrahtzaun wächst und die nächsten schreiben Wall of Text, weil jemand eine divergierende Meinung geäußert hat - wer stört da am ehesten den Frieden? Die Faszination von Gewalt ist mMn gesund und unbedenklich. Ja, man sollte dieser Faszination sogar nachgeben, denn die Mehrheit der Menschen benötigen solch ein Ventil. Also wenn jemand Vergnügen an Actionfilmen, Sportschießen, Kampfsport und "Gewaltspielen" hat, dann sollte er das ohne jedes schlechte Gewissen tun. Natürlich ist es trotzdem gut, sich damit auseinanderzusetzen. Unreflektierte Freude an Gewalt ist zumindest nicht besonders sympathisch.
Damit soll nicht behauptet werden, dass exzessive Gewaltphantasien nicht eskalieren und sich in physischer Gewalt manifestieren können. Das ist mit Sicherheit möglich. Aber ich halte es nicht für die Regel. Die gedankliche Vergegenwärtigung, warum Gewalt in unserer Gesellschaft nicht als adequates Mittel der Problemlösung im Alltag betrachtet wird, ist mindestens ebenso wichtig für ein gesundes Verhältnis zum eigenen "Gewaltpotential" - und für einen vernünftigen, sprich gesellschaftstauglichen, Umgang damit.
Es gibt eine klare Grenze, die ist bekannt und solange sie nicht überschritten wird, gibt es kein Problem.
Natürlich ist das ganze jetzt sehr allgemein formuliert. So monokausal ist es vermutlich nicht, aber ich schätze schon, dass das ein Aspekt des Themas ist.