Schönes Thema! Das erste, was man meiner Meinung nach tun sollte, wenn man über dieses Thema spricht, ist, der „Immersion“ aus kurzer Entfernung in den Kopf zu schießen. Vorsichtshalber zweimal. Und dann noch zweimal auf den Torso. Nur um sicher zu gehen.
Das Thema hat aus meiner Sicht nichts mit der leidigen Immersions-Debatte und den ganzen Verwirrungen, die daraus entstehen, zu tun. Das Spiel „in character“ (IC) ist ein Element des Rollenspiels, das, um zur vollen Geltung zu gelangen, auf GAR KEINEN FALL* erfordert, dass man „Tabletalk“ einführt (alles, was du sagst, sagt auch dein Charakter), jegliches Meta-Spiel verdammt oder gar das IC humorlos-andächtig als Ritual zelebriert. Man kann VÖLLIG PROBLEMLOS* von IC zu OOC hin und her wechseln, sogar in einer packenden IC-Szene durch einen kurzen OOC-Kommentar an geeigneter Stelle allen das Leben viel leichter machen oder die IC-Szene sogar entscheidend verbessern. Das finde ich eine ungeheuer wichtige Feststellung, weil sie so der althergebrachten Weisheit der Immersionisten und Atmo-Nazis zuwider läuft.
Das zweite, was ich gerne dazu sagen möchte, ist, dass die Leute, mit denen ich mich besonders gerne an den Rollenspiel-Tisch setze, vielleicht nicht ernsthaft gute Schauspieler sind. Aber sie sind sehr wohl in der Lage, einen Charakter mit den Mitteln des Rollenspiels überzeugend darzustellen, sie nehmen dann eben Beschreibungen zur Hilfe, wo sie etwas nicht schauspielerisch rüberbringen können. Manchmal bringen sie auch echte, eigene Emotionen zum Ausdruck. Aber vor allem sind sie in der Lage, während des Spiels Dialogzeilen zu formulieren, die, nun ja, vielleicht nicht druckreif, aber eben doch im improvisierten Kontext des Rollenspiels durchaus glaubwürdig und mitreißend sind. Eine gewisse Sprachgewandtheit gehört zweifellos zu den Kompetenzen, die beim IC-Spiel die Spreu vom Weizen trennen.
Das zeigt auch gleich, für wen das IC-Spiel weniger wichtig ist: Für denjenigen, der an dieser sprachlichen und darstellerischen Herausforderung kein Interesse hat oder sich von ihr überfordert fühlt. Ich persönlich empfinde es hingegen als eine der wesentlichsten Spaßquellen beim Rollenspiel, mich genau dieser Herausforderung zu stellen. Dafür brauche ich natürlich Dialogpartner, die mitziehen. Ich sehe das also nicht als Wettbewerb, sondern als gemeinsames Ziel, hier glaubwürdige und unterhaltsame Szenen gemeinsam zu spielen.
Idealerweise sollten in diesen Szenen zusätzlich auch noch spannende Dinge passieren. Ob es dabei dann darum geht, sich an dem tumben Türsteher einer Taverne vorbei zu bluffen, oder darum, ob ich meiner Mutter vergeben kann, dass sie mich und meine kleine Schwester damals im Stich ließ, ist erst mal egal, wichtig ist das Zusammenspiel, das geistesgegenwärtige reagieren auf den Dialogpartner, die konsistente Darstellung des Charakters und, wenn es gut läuft, vielleicht die ein oder andere überraschende oder gar originelle Wendung.
Weniger wichtig ist aus meiner Sicht Gestik und Mimik, diese kann man wie erwähnt auch durch Beschreibung ersetzen. Zu einem gewissen Grad gilt das auch für Tonfall.
Wie kann man sich verbessern? Durch Übung. Durch Anschauung. Bücher Lesen, Filme und Serien schauen, unter der Dusche Selbstgespräche führen. Dialoge aufschreiben und überarbeiten. Sich vorher gezielt bestimmte Ausdrücke und Redewendungen überlegen, die für den Charakter typisch sind. Ganz generell, bewusst agieren. Deswegen sind Immersionisten und Atmo-Nazis meistens SCHLECHT* im IC-Spiel: Weil sie bewusstes Agieren als immersionsschädlich ablehnen.
*Die Versalien habe ich mir von Zornhau geborgt, ich bin sicher, er wäre bei diesem Thema ganz meiner Meinung.