Üblicherweise diskutieren wir über Regeln unter dem Gesichtspunkt, wie sie Würfelproben lösen. Ich frage mich gerade, ob Regeln nicht viel wichtigere Arbeit leisten können, indem sie Proben vermeiden?
Bedienen wir uns mal wieder der Kampfregeln als Beispiel. Völlig unabhängig vom Detailgrad und der konkreten Mechanik gibt es Kampfsysteme mit geringen Konsequenzen und solche mit großen Konsequenzen. D&D hat z.B. geringe Konsequenzen. Im Fall des Kampfes ist der Tod relativ weit weg, Verletzungen können sehr schnell auskuriert werden und hinterlassen keine Folgen, und selbst im Falle des Todes gibt es realistische Möglichkeiten der Wiederauferstehung. Hinzu kommt, dass Kämpfe keine sozialen Sanktionen nach sich ziehen. Die Hemmschwelle für Kampf ist damit sehr niedrig. Es gibt keinen Grund, nicht zu kämpfen. Wenn ein Problem da ist, räum es mit dem Schwert weg und gut ist.
Dann gibt es aber auch die "tödlichen" Kampfsysteme, wo man schnell und unvorhergesehen sterben kann. Ohne Wiederauferstehung oder zumindest mit eingeschränkten Möglichkeiten dazu. Hier im Forum wird immer wieder berichtet, dass solche tödlichen Kampfsysteme die Gruppe dazu animieren, Kampf nicht als erste, sondern als letzte Möglichkeit einzusetzen und vorher andere Wege der Problemlösung zu suchen.
Die entscheidende Variable, die den Unterschied ausmacht, ist Konsequenz. Wenn die Konsequenzen hart oder langfristig (negativ) wirksam sind, meidet man die Probe. Das heißt aber keineswegs, dass die Regeln dadurch ihre Macht auf das Spiel verlieren oder dysfunktional wären. Sie wirken lediglich auf anderem Wege und subtiler. Dem ebenbürtigen Ritter biete ich den Kompromiss statt des Kampfes an. Es sind aber die Kampfregeln selbst, die mich Kraft ihrer Konsequenzen zu einem Kompromiss treiben. Die Kampfregeln wirken auf diese Weise auch bei Nichtbenutzung! Oder anders gesagt: sie wirken ohne Würfelproben.
Zusätzlich interessant wird es, wenn die Konsequenzen nicht nur den Verlierer betreffen, sondern auch den Sieger. Der Ritter mir gegenüber mag mir unterlegen sein, aber eine realistische Einschätzung ergibt, dass ich wohl mindestens eine schwere Verletzung erleide, bevor ich ihn töten kann. Die schwere Verletzung bringt mich für Monate außer Gefecht oder schränkt mich gar permanent ein (verlorener Arm oder sowas). Der Sieg hat in so einer Situation also einen großen Preis.
Wenn ein ausgefochtener Konflikt grundsätzlich für beide Seiten nachteilig ist, nur eben mit unterschiedlicher Härte, dann drängt mich so ein Konfliktsystem dazu, Konflikte nach Möglichkeit zu meiden. Das ist eine interessante Erkenntnis, denn hier setzt eine Förderung der Kompromisse ein, obwohl sich die Regeln überhaupt nicht um Kompromisse kümmern.
Mehr noch, so ein Konfliktsystem macht auch schon ein Angebot dazu, wie viel die gegensätzlichen Parteien zum Kompromiss beisteuern müssen, um sich einig zu werden. Je mehr die potentiellen Konsequenzen des Unterlegenen die potentiellen Konsequenzen des Überlegenen übersteigen, desto mehr muss der Unterlegene anteilig zum Kompromiss beitragen (Gott, was für ein Satz...). Mit anderen Worten ist die Risikodifferenz der Maßstab. Tragen beide das gleiche Risiko im Konflikt, müssen beide auch gleich viel nachgeben im Kompromiss. Trägt einer deutlich mehr Risiko im Falle des Konflikts, so muss er im Kompromiss auch deutlich mehr nachgeben.
Wenn mein Ritter also auf einen fremden Ritter trifft und ich im Fall des Kampfes einen Arm riskiere, während der sein Leben riskiert, so wollen wir beide den Kampf vermeiden. Für einen Kompromiss mache ich ihm ein kleines Zugeständnis, während er mir ein größeres machen muss. Er wird sich in der Regel damit zufrieden geben, denn wenn er zu hohe Forderungen im Kompromiss stellt und dieser platzt, kommt es zum Kampf und er zieht den Kürzeren.