Mitgestalltung zwischen den Sitzungen, beim Spiel sehen, was der SL damit macht.
Zum Beispiel Scheiße?
Entschuldigt die harten Worte, aber mir kommt es bei den Argumenten gegen PE schon manchmal so vor, als würde man dem SL die absolute Einsicht über die Spielwelt zugestehen und die Spieler als Störfaktoren wahrnehmen, die gar nichts Gutes dazuerfinden können (á la "zu viele Köche verderben den Brei"... aber bitte jetzt nicht wieder diese furchtbare "Kochen"-Analogie auspacken). Ich behaupte: Die von Spielern erfundenen Fakten können viel interessanter sein oder viel passender sein, als alles, was der SL sich ausgedacht hat. Und wie der Rumpelspielstil schon auf den Punkt formuliert hat: In der Regel hat der SL nicht alle Hintergrundinformationen parat. Würde er nämlich dafür sorgen, dass er immer und zu jeder Zeit über alle möglichen Fakten der Spielwelt einen Überblick hat, müsste er die Aktionen der Spielfiguren klar kontrollieren und einschränken, damit diese nicht Einfluss auf die Spielwelt nehmen und diese Fakten verändern. Kurz: Er müsste railroaden und selbst dann hätten die Spieler Schlupfwinkel.
Beispiel: Ein Mantel-und-Degen-Setting. Der SC sitzt gerade in seiner Dachwohnung mit einer schönen Dame bei einem Glas Wein. Plötzlich hört er schwere Stiefel und die bellende Stimme von Jean-Marie LeBlanc, der rechten Hand des Kardinals: "Aufmachen, im Namen des Kardinals! Wir wissen, dass ihr die Verräterin Louise Concier versteckt!" Der SC muss reagieren.
Spieler: "Sofort springe ich auf und ziehe meine Geliebte an der Hand hinter mir her zum Fenster. Nach einem prüfenden Blick auf die Straße schaue ich sie an: 'Vertraut mir.' Dann stoße ich sie aus dem Fenster und springe sofort hinterher. [Gibt einen FATE-Punkt aus] Wir landen auf der Ladefläche eines vorbeifahrenden Mistkarrens. Im selben Moment brechen die Schergen des Kardinals durch die Tür."
Ich behaupte: Ein Detail wie einen vorbeifahrenden Mistkarren
kann der SL gar nicht geplant haben, genausowenig wie das Wachsen eines bestimmten Mooses auf einer Höhlendecke, das Vorhandensein eines Tortenhebers in einer Besteckschublade oder das Ergebnis eines spontanen Kartenspiels mit der eigenen Dienerschaft. Er kann nicht geplant haben, dass diese Sachen da sind. Er kann auch nicht geplant haben, dass sie nicht da sind. (Gut, "kann" ist wohl ein hartes Wort – er mag diese Sachen schon geplant haben, aber nur dann in dem Zusammenhang, dass er ihnen eine Rolle im Plot zuweist, die sie ausfüllen und er selbst ein Interesse daran hat, dass sie in die Story eingebaut werden).
Zugegeben: Das oben Beschriebene wäre eine Situation, wie sie kritisiert worden wäre – von Gegnern des PE. Hier hat der Spieler nämlich eine Lösung des Konflikts herbeigedichtet (eine vollkommen genrekonforme, aber das ist ja nicht das Thema). Für den herausforderungsorientierten Rollenspieler war das dann zu leicht. Doch was ich mich frage, ist: Was hält denn den SL davon ab, die Herausforderung einfach umzulagern? Schauen wir uns an, wie die Situation sich weiter entwickelt.
SL: "Als du unten auf dem Karren landest, lässt der plötzliche Ruck, der durch den Karren geht die Pferde leicht durchgehen. Der Kutscher versucht sie unter Kontrolle zu bringen, aber der Wagen holpert durch die nervösen Pferde unsanft über die Straße. Mach mal bitte einen Wurf auf Athletik gegen die 5."
Spieler: "Geschafft!"
SL: "Okay, du kannst dich auf dem Wagen halten und ziehst auch deine Begleiterin wieder hoch, die vom Wagen herabzufallen droht. Da hörst du Schüsse. Die Schergen des Kardinals schicken die durch deine Dachfenster ein paar Kugeln entgegen. Initiative!"Ich persönlich sehe das als eine im Rahmen des PE vollkommen legitime Entwicklung an. Und die Herausforderung besteht trotz des über PE eingebrachten Faktes weiter, der Konflikt wurde lediglich umgelagert. Übrigens kann das jedem noch so verbissen vorbereiteten Spielleiter auch ohne PE passieren. Boba hat ganz richtig gesagt: Eine Szene kriegt man auch ohne PE kaputt. Bei sehr detailliert ausgearbeiteten Hintergründen kann es zum Beispiel passieren, dass der Spieler oder der SL nicht alle Fakten aus dem Hintergrund parat haben und deshalb der eine einen Nachteil gegenüber dem anderen hat, beim herausforderungsorientierten Spiel. Und bei sämtlichen Regelsystemen gibt es auch Möglichkeiten, dass Spieler eine Regel by the book ausnutzen, um die Spielwelt ad absurdum zu führen. Diese Dinge passieren auch ohne PE häufig genug.
Zwischen den Spielabenden Dinge abzusprechen ist gut und schön... aber manchmal braucht man am Spieltisch eine Entwicklung eben situativ gerade jetzt: Jetzt, in dieser Situation wäre es soooo cool, wenn der todgeglaubte Kriegskamerad von SC Zachary vor der Tür stehen würde, weil gerade jetzt am Spieltisch die Sprache darauf kam, dass man ihn wohl nie wiedersehen würde (dass dieser dann neuerdings für den Erzschurken arbeitet, ist etwas, was die Spieler dabei durchaus nicht im Blick haben können). Jetzt, in dieser Situation, braucht es einen bestimmten Spielweltfakt um die Situation maximal eskalieren zu lassen: Natürlich kommt die eifersüchtige Ehefrau des Anwalts gerade dann ins Café, wenn er sich dort mit der attraktiven Mandantin trifft. Jetzt: Der SL weiß schon gar nicht mehr, dass ein SC noch Spielschulden bei dem Triadenboss der Schwarzen Jadedrachen hat, bis ein Spieler den Fakt einbringt, dass der SC, als er zum Bankautomat geht, feststellt, dass sein Konto geplündert wurde und auf dem Auszug nur zu lesen ist "Ich nehme mir nur, was meins ist!"
Was ich sagen will: SLs sind nicht unfehlbar. Sie wissen auch nicht als allwissender Erzähler über die Spielwelt Bescheid. Sie können es sogar versäumen, Herausforderungen klar und lösbar zu gestalten, spannend zu machen oder sie fair zu halten. Und eine aus welchem Grund auch immer unmöglich zu lösende Herausforderung ist keine Herausforderung. Da "Age of Empires" schon angebracht wurde: Wenn ich als PE-Spieler schon
kein Rollenspiel betreibe, weil ich die Rolle (angeblich) verlasse, wenn ich PE-Mechaniken einsetze... tut mir leid, aber dann betreibt der gamistisch denkende, auf Erfolg in einer Herausforderung spielende Spieler auch
kein Rollenspiel mehr. Denn da wird ja nicht wirklich eine Rolle gespielt, sondern eine externe Quest über die Fähigkeiten einer fiktiven Figur gelöst. Das sieht man besonders häufig beim taktischen Spiel, das vielfach mit Informationen arbeitet, die die Spieler nicht haben (können).
Und manchmal haben sie diese nicht, weil die Spieler sie implizieren, ohne dass der SL sie erwähnt hat. Das meiste am Spieltisch wird impliziert. Oder improvisiert (besonder vom SL). PE sehe ich als eine Möglichkeit der Improvisation, die mir als Spieler die erlaubt, gestalterisch tätig zu sein, was ich sehr schätze und das auch als SL. Ich will nicht meine Vorstellung einer Spielwelt durchsetzen: Das ist langweilig, denn meine Vorstellung kenne ich schon. Ich will wissen, was die anderen am Spieltisch beizutragen haben. Deshalb liebe ich PE und würde eigentlich nicht ohne es spielen wollen. Meine besten Runden haben wegen dem PE so gerockt. Und die waren auch viel spannender als alle Nicht-PE-Runden.
Edit: @Haderlump:
Du hast es sowas von erfasst!