Nehmen wir nur ein weiteres merkmal hinzu, das die Gewichtung von Geschick und Stärke deutlich modifiziert, die Rüstung des getroffenen. Ist diese sehr überall stark, so ist eine enorme Kraft nötig, um die Rüstung zu durchdringen. geschick bringt hier nicht viel. Ist die Rüstung dagegen teilweise undurchdringlich, aber an bestimmten Stellen schwach, so ist viel geschick notwendig, um die schlecht geschützten Stellen zu treffen.
Ein System, das diese Modifikatoren nicht beinhaltet, ist unrealistisch. Realismus bedingt also Detailreichtum.
Wenn das schon unter Detailreichtum läuft, dann braucht ein realistisches Regelwerk Details, ja.
Ich will da aber noch einen weiteren Begriff einwerfen: Mehrschrittigkeit (is that a word?
).
Vom obigen Beispiel ausgehend ist nämlich der gesamte Angriffsverlauf in einen Wurf zusammengeschmissen, was immer zu Schwammigkeit führt (im Extremfall so wie in der nWoD, bei der Waffe und Anwender zu einem diffusen "dps"-Pool zusammengeschmissen werden).
Wenn man Treffer und Schaden trennt, stellt sich die Frage in der Form gar nicht mehr.
Dann wird das Durchdringen der Rüstung davon abhängig, ob eine dünnere Stelle getroffen wird oder an einer dickeren Stelle genug Schaden verursacht wird (oder eine Kombination davon).
So haben z.B. Stärke und Geschick automatisch ihren Platz.
Außerdem liefert das System die Trennung als tatsächliches Ergebnis einfach mit und muss z.B. für Angriffe, die nur irgendwie treffen müssen, keine Verrenkungen mehr machen, um das mit einem "gemittelten"/zusammgezogenen Treffer- und Schadenswurf noch abbilden zu können.
"Unrealismus" ist sowas wie das definierende spaßbringende Merkmal der allermeisten Rollenspiele. Weil es eben keine Freude macht, seinen Charakter an Querschläger, Tretminen, Seuchen, Stürze von der Leiter, Autounfälle oder andere realistische Todesursachen zu verlieren.
- Macht es mehr Freude, seinen Charakter an Feuerbälle, giftige Pfeile oder magische Schwerter zu verlieren? Und wenn ja, warum?
- Macht es weniger Freude, seinen Charakter sicher durch "realistische" Gefahren wie Querschläger, Tretminen etc. pp. zu lotsen als durch "fantastische" Gefahren - und wieder: Wenn ja, warum?
Ansonsten muss ich mal wieder das alte DSA-Konzept "Fantastischer Realismus" auspacken:
Alles, was kein fantastisches Element ist, hat keinerlei Berechtigung, unrealistisch zu sein.
Und die fantastischen Elemente sind genau so weit vom Realismusanspruch ausgenommen, wie es für ihre Existenz unbedingt nötig ist.
Ganz banal: Orks sind unrealistisch, aber wenn es Orks gibt, müssen sie essen und trinken.
Und zuguterletzt werden trotz des Anspruchs an Realismus immer noch Geschichten erzählt, deren Struktur und Schwerpunkt man selbst bestimmt.
Die Unmöglichkeit einer vollständigen Weltsimulation ist für mich kein Grund, auf Realismus in den ausgewählten Teilbereichen einer Geschichte verzichten zu
müssen.
So höre ich das nämlich immer mal wieder, genau so wie die Behauptung, dass jedweder realistische Rollenspielansatz stinklangweilig sein muss oder die SCs an der Gelbhornkrätze sterben müssen, wenn sie aus ungewaschenen Bechern trinken.
Alles Kappes
Man kann auch ein ungeheuer ausgefeiltes Regelwerk für alles schaffen, aber das wird schnell so dick und spannend wie das Telefonbuch von Neu-Delhi.
Das liegt vor allem daran, dass viele Regelwerke mit Realismusanspruch einfach schlecht gemacht sind.
Paradebeispiel: ausufernde Tabellen - mit so einem Ansatz ist man zum Scheitern verurteilt.
Es finden sich aber auch Systeme (oder Teilbereiche von Systemen), die mit erstaunlich wenig Aufwand eine ziemlich gute Simulation abliefern.
Die Systeme, die ich gerne spiele, wenn ich Realismus will, sind jedenfalls nicht umfangreicher als viele unrealistische Systeme.
Dazu kommt, dass vernünftig aufgebaute realistische Systeme einfach zu lernen sind, wenn man die grundlegenden Mechanismen verstanden hat, weil man wenigstens ungefähr weiß, wo das System hin will.
Das ist bei Systemen mit völlig arbiträren Setzungen bzw. Ergebnissen anders.
Ein Regelwerk wird nicht dadurch realistischer, dass viele Rechenschritte abgebildet werden.
Nicht
automatisch bzw. nicht
allein dadurch.
Man kommt aber um eine gewisse Komplexität nicht herum, wenn das Ganze von den Regeln anstatt vom Spielerkonsens geleistet werden soll.
Und man kann sich mMn ziemlich genau aussuchen, welche Parameter man unterschlägt bzw. welchen Detailgrad man noch mit rein nimmt.
Aber dadurch wird doch Fehlinformation zementiert. Im Sinne eines realismusanspruches halte ich es für zielführender, ein detailiertes System zu nutzen, daraus zu lernen.
Aus einem System quasi etwas fürs Leben lernen zu wollen, ist noch mal ein anderer/zusätzlicher Anspruch als der an ein realistisches Spielgefühl.
Das geht mit abstrakten und sehr groben Systemen in der Tat nicht.
Und die Auswahl an dafür brauchbaren Systemen ist verschwindend gering.
trotzdem zeichnen sich viele "realistische" Systeme wie z.B. Gurps ja durchaus durch Detailreichtum aus. Das scheint der Realismus-Fraktion unter den Rollenspielern auch wichtig zu sein.
Würde mich interessieren, warum.
Weil "klassische" Systeme mit Realismusanspruch wie GURPS ablauforientiert sind statt ergebnisorientiert.
Sprich, es soll ein realistisches Endergebnis dadurch erreicht werden, dass man alle relevanten Faktoren (auf dem gewählten Detailgrad) mit einbezieht. Am Ende der Regelanwendung / des "Simulationsprozesses" hat man ein Ergebnis, von dem man ziemlich genau sagen kann, wie es warum zustande kam.
Das ist der Gegenentwurf zu der abstrakten Variante, dass man mit einem ergebnisorientierten System ein realistisches oder als realistisch empfundenes Ergebnis produziert und den zugehörigen Verlauf und kleinere Details frei einfügen kann.