Wäre für gut abgebildeten Realismus nicht eher ein reines Wahrscheinlichkeitsmodell für verschiedene Situationen + 100%-Würfel notwendig, anstelle das alles über X Zusatzmodifikatoren abbilden zu wollen, die dann doch nicht wieder alle möglichen Eventualitäten erfassen?
Wenn man derart vom Ergebnis her an das Thema ran geht, bekommt man zwei Probleme:
1.) Wer legt wie die Wahrscheinlichkeiten fest? Die Spieler inkl. SL als Gruppenentscheidung?
Steht das konkret im Regelwerk und wenn, worauf basiert es? Auf statistischen Auswertungen vergleichbarer Situationen?
Wenn das mehr werden soll als ein grobes Abschätzen, ist das ein Fass ohne Boden.
2.) Bekomme ich mit einem einzelnen oder mehreren abstrakten, ergebnisorientierten Würfen alle Informationen, die ich haben will?
Beispiel:
Eine Fernspähergruppe wird von einer feindlichen Patrouille aufgeklärt und muss mit Feuer und Bewegung ausweichen.
Worauf würfele ich denn da - nur auf den Erfolg? Wie liefert mir das System, wer verwundet oder tot ist, wer wie viel Munition verschossen hat (das kann auch nur ganz grob sein), wer welche Kampfmittel eingesetzt oder verloren hat etc. pp.?
Mit einer Ergebnistabelle kann man das unmöglich praktikabel umsetzen, und wenn ich so kleinteiligen Kram einzeln auswürfeln soll, kann ich auch gleich ein ablauforientiertes System nutzen.
Ich müsste diese Begleiterscheinungen des Gesamtergebnisses also einfach setzen - und genau das will ich ja nicht. Das soll mir das System liefern.
Wenn es das nicht tut, kann ich auch grober und/oder eleganter arbeiten als mit Prozentwürfen.
@YY: Wenn ich das richtig verstehe, dann geht es auch darum, in Konfliktsituationen möglichst viele Optionen anzubieten, die nicht nur von den Regeln abgedeckt sind, sondern die sich auch tatsächlich regeltechnisch unterschiedlich auswirken, oder?
Jein.
Nicht möglichst viele Optionen als Selbstzweck sind das Ziel, sondern die möglichst "vorlagengetreue" Abbildung der real relevanten/sinnvollen Optionen.
Diese werden sich bei einem ablauforientierten System zwingend in ihrer Umsetzung unterscheiden.
Im Prinzip orientiert sich jedes System (und jeder Spieler!) an realen Optionen, nur die spielmechanische Umsetzung kann sehr stark variieren.
Zwei Vorteile einer möglichst realistischen Umsetzung sind der Umstand, dass man "nur" den realen Vorgang, nicht aber die zugehörigen Regeln kennen muss, um eine gute Entscheidung zu treffen, und dass man sich bei der Erstellung der Regeln nicht übermäßig viele Gedanken um Spielbalance machen muss - die Realität ist nämlich ganz gut ausbalanciert, was ihre "Konfliktregeln" angeht
Sagen wir mal, ich will jemandem die Luftzufuhr ins Gehirn abdrücken - nicht einfach nur die Blutzufuhr, sondern die Luftzufuhr, weil mir jemand erzählt hat, das wäre effektiver.
Da müssen wir aber noch mal einen Nachschulungstermin ansetzen
Bei Fate mache ich einen Angriff und verteile bei Erfolg die Konsequenz "Luftzufuhr unterbrochen"; aber letzten Endes hätte ich mit demselben Mechanismus auch eine Nadel ins Ohr bohren können.
Bei Gurps gibt es dafür aber einen speziellen Mechanismus, der anderes funktioniert als "Nadel ins Ohr bohren" und der auch andere Auswirkungen hat.
Trotzdem passiert in der Fiktion letzten Endes dasselbe.
Genau, das fiktive Ereignis ist gleich.
Der Unterschied liegt darin, dass man bei Fate mit dem selben konkreten Wurf auch ein anderes Ereignis hätte erzählen können.
Bei Gurps wären es dann entweder komplett andere Würfe gewesen, die zu einem anderen Ergebnis hätten führen können, oder mit dem selben Wurf hätte man ein anderes Ergebnis vielleicht gar nicht, vielleicht aber auch besser erzielen können.
In jedem Fall hat der Gurps-ler seine Absicht im Vorfeld erklären müssen, was bei Fate AFAIK nicht zwingend nötig gewesen wäre (aber meistens aus atmosphärischen Gründen so gemacht wird - oder liege ich da falsch?).
Und spätestens der weitere Verlauf wird sich deutlich unterscheiden, weil Fate mit seiner universellen Mechanik weitermacht, Gurps aber jetzt eine sehr konkret verregelte Auswirkung abbildet, die dann auch nur mit entsprechenden Folgeaktionen sinnvoll ausgenutzt werden kann.
@YY: Äußert sich der Detailreichtum dann nicht einfach in der erhöhten Zahl der Teilsysteme? Wenn ich das System zur Berechnung des Waffenschadens aufteile, bsp. in Trefferzone, Trefferwahrscheinlichkeit, Schadenswirkung, langfristige Schadenswirkung, dann erhöhe ich doch damit den Detailreichtum im Vergleich zum abstrakten gesamtwurf.
Ja, und diesen Detailreichtum holst du dir damit, dass du mehr Arbeitsschritte hast.
Hier sollte es natürlich nur Schritte geben, die auch relevante Auswirkungen haben - wenn das Ergebnis egal ist, kann man sich den Schritt sparen.
Verrätst du mir die Systeme, die du für realistisches Spiel verwendest?
Allen voran GURPS.
Ansonsten noch Millennium´s End für zeitgenössischen Kram, und wenn es recht grob und ergebnisorientiert(er) sein soll, SilCore.
Tja, und dann geht schon die Bastelei los:
Deadlands Classic eignet sich mMn nach ganz gut, wenn man ein bisschen Arbeit investiert.
Mit Abstrichen auch Savage Worlds mit entsprechenden Umbauten (die allerdings streckenweise den "heiligen" Regelkern betreffen).
Gurps:Light ist im Prinzip genau so realistisch wie Gurps, bietet aber ebenfalls weniger Detailreichtum.
Gurps Lite verliert eben durch den geringeren Detailreichtum wesentlich an Realismus, insbesondere beim Schadens- bzw. Verwundungssystem.
Das ist bei Gurps Lite schlicht scheiße, wenn man Realismus will.
Ich denke, nicht jedes Detailreichtum ist für das Spiel wirklich vom Nutzen, Realismus hin oder her.
Wenn man bei jedem Manöver Windgeschwindigkeiten und andere Faktoren pedantisch berechnet, geht (für mich jedenfalls, es mag Nerds geben, die das toll finden) der Spielspaß verloren, weil man nämlich nur noch am Rechnen und nicht mehr am Spielen ist.
Ja, das ist die Todsünde von Phoenix Command - das verliert sich nämlich in irrelevanten Details und unterschlägt viel wichtigere Aspekte.
Das ist keine Folge des Realismusanspruchs, sondern einfach schlechtes Design.
Insofern: Volle Zustimmung.