Immer wenn es um die Ziele im Rollenspiel geht, besonders dann, wenn offenbar schlecht vereinbare Ziele aufeinanderprallen, wird das Argument eingebracht, man wolle einfach nur Spaß haben, nicht mehr und nicht weniger.
Dieses Argument ist richtig, trägt uns aber auf dem Weg des Verstehens keinen halben Meter weit. Es hält uns sogar vom Verständnis ab, weil es uns auf die falsche Fährte lockt. Wie denn das?
Zuerst ein Beispiel. Fünf Spieler gründen eine neue Rollenspielgruppe und sitzen erstmals zusammen. Sie wollen sich aufeinander abstimmen, wollen festlegen wie das Spiel zu gestalten ist. Es kommt daher die Frage: Was wollt ihr vom Spiel? Alle fünf antworten mit: Ich will Spaß.
Das ist unser weit verbreitetes und sehr beliebtes Argument. Es ist richtig. Aber merkt ihr was? Die Gruppe erlangt dadurch keinerlei Klarheit darüber, wie das Spiel zu gestalten ist. Wodurch genau entsteht Spaß? Das ist die entscheidende Frage. Wir haben es mit zwei Erklärungsebenen zu tun, deren Unterschied man leicht verstehen, in Diskussionen aber ebenso leicht vergessen kann.
Die Fachtermini für die beiden Erklärungsebenen lauten ultimat und proximat. Die ultimate Analyse fragt nach der Funktion, nach dem Zweck. Die proximate Analyse fragt nach den verwendeten Methoden. Auf eine Warum-Frage kann man beide Erklärungsebenen zur Antwort heranziehen.
Warum steht da ein Haus?
Ultimate Erklärung: Damit dort Leute wohnen können. (Funktion)
Proximate Erklärung: Weil die Bauleute es gebaut haben. (Methode)
Die Analyseebenen sind unabhängig voneinander. Sie sind beide wichtig, aber für jeweils unterschiedliche Anwendungsbereiche. Für uns Freizeitrollenspieler ist die Zweckfrage schnell geklärt. Wir spielen zum Spaß. Es kann auch andere Zwecke geben, etwa therapeutische oder pädagogische. Die Zweckantworten unserer fünf Spieler aus dem Eingangsbeispiel haben immerhin insoweit Klarheit verschafft, als dass sich da niemand von seinen inneren Dämonen therapieren lassen will. Hätte ja sein können... Halten wir fest, dass die Zweckfrage in unserer speziellen Situation als Rollenspielgemeinde nicht viel brauchbare Information abwirft. Hier herrscht einfach durchgehend Einigkeit, weitere Erkenntnis ist nicht rauszuschöpfen.
Woran wir immer knabbern, ist die proximate Ursachenebene. Mit welchen Methoden soll der Spaß erreicht werden? Auf dieser Analyseebene ist die Vielfalt plötzlich unüberschaubar groß. Der eine muss Elfen spielen, um Spaß zu haben. Der zweite braucht Herausforderungen. Der dritte braucht eine dramatische Story. Der vierte braucht eine realistische Weltsimulation. Der fünfte braucht Bier und dumme ooc-Sprüche. Der sechste braucht Sci-Fi als Genre. Und so weiter und so weiter. Das sind alles Mittel, mit denen die unterschiedlichen Spieler an ihren Spielspaß kommen.
Dummerweise sind die Mittel zum Zweck nicht alle gut miteinander vereinbar. Außerdem muss man sich ihrer gar nicht bewusst sein. Das Problem beginnt also schon damit, sich der eigenen spaßbringenden Mittel überhaupt bewusst zu werden. Das nächste Problem besteht darin, die spaßbringenden Mittel der Mitspieler herauszufinden. Und wenn man das getan hat, muss man sich auf einen Weg einigen, der die spaßbringenden Mittel aller Mitspieler vereint. Hier, auf der proximaten Ursachenebene liegen all unsere Probleme. Wenn wir die Probleme lösen wollen, müssen wir auf der proximaten Ebene bleiben. Wenn zwei Leute darüber diskutieren, wie man Charakterdarstellung und Storytelling unter einen Hut bringen kann, ist der Hinweis des Dritten, dass es doch für alle nur um Spaß gehe und man deshalb gar nicht zu diskutieren brauche, nicht zielführend. Lässt man sich auf diese ultimate Erklärung ein, hat man das eigentliche Problem unter den Teppich gekehrt und schleppt es weiter ungelöst mit sich herum.