Wir haben uns dann auch über unsere Charaktere unterhalten und wie wir ihre Verhaltensweisen interpretieren, das war ziemlich anstrengend. Anderseits aber auch bereichernd,
Das heißt, ihr seid aus euren Charakteren rausgerutscht und habt nicht mehr als die Charaktere gesprochen, sondern über sie?
Das finde ich schwierig. In dem Moment ist Dein Gegenüber einer Diskrepanz ausgesetzt, soll er ernst nehmen, was Du sagst,
oder was Du spielst?
Im Idealfall sollte er die Diskrepanz als Hinweis darauf nehmen, dass wir auf einem Gebiet sind, auf dem ich mich nicht mehr ganz wohl fühle…
Wobei die Diskrepanz dabei war, dass ich offplay keine Erklärung für das geänderte Inplay-Verhalten gegeben habe. Es ist eine Schwierige Situation, aber ich denke, das ist es immer, wenn für jemanden etwas nicht passt…
Ich mag es dabei auch lieber, wenn offen darüber gesprochen werden kann. Aber das geht in der Realität nicht immer.
Und ich denke, mit der Bitte hast du Recht: Ob man Wünsche selbst äußert oder durch den Charakter auszudrücken versucht, was man nicht sagen kann oder nicht zu sagen wagt, bleibt es eine Bitte um Rücksichtnahme - vielleicht auch entgegen der Wünsche von anderen (wenn nicht mindestens einer der Beteiligten die Szene wollte, würde sie nicht gespielt werden).
Sex wird nicht ausgespielt, da fällt der Vorhang oder die Tür geht zu.
Je nachdem, wo ihr die Grenze zieht, kann auch das vor dem Sex schon sehr offen sein (nicht das Vorspiel, sondern die emotional aufgeladene Kommunikation).
Ich weiß, dass wir dabei bestimmte Grenzen haben, ab denen wir meist auf abstrakte Ebene wechseln, also uns emotional zurückziehen und nur noch sagen „er macht dir Avancen“, es aber nicht mehr ausspielen.
Ich finde das oft schade, weiß aber, dass ich selbst da auch noch Grenzen habe, über die ich nicht hinaus komme…
Ich denke es liegt daran, dass es so gespielt werden kann, dass der Charakter/NSC nicht mit den Spielern/Spielleiter verwechselt wird.
Für mich ist dieses Vertrauen die Voraussetzung solche Dinge überhaupt spielen zu können. Mein Charakter ist nicht ich. Der Spielleiter ist nicht seine NSCs, die Mitspieler sind nicht ihre Charaktere.
Für mich ist die Möglichkeit, Abstrakt zu werden, ein Sicherheitsanker, mit dem jeder einzelne dafür sorgen kann, dass das so bleibt, auch wenn eine Situation ihn als Spieler so stark anspricht, dass die Trennung zwischen Spieler und SC sich aufzulösen droht (oder auch die Trennung zwischen SL und NSC).
Ich gehe nicht davon aus, dass es möglich ist, eine wirklich vollständige Trennung zwischen Spieler und SC zu haben, deswegen finde ich es wichtig, dass es ein Sicherheitsnetz gibt, mit dem wir aus zu starken Verstrickungen zwischen Spieler, SC, anderem SC und anderem Spieler wieder herauskommen.
Ich weiß, dass ich selbst Klingentänzer bin und dazu neige, wenn ich in den Fluss komme, soweit über meine Grenzen zu gehen, dass ich - prosaisch gesprochen - nur noch einen Hauch von dem Abgrund entfernt bin. Deswegen sind mir Sicherheitsnetze so wichtig: Ich muss wissen, dass ich mich auffangen kann, wenn ich mich zu weit vor wage.
Und ich würde es als Vertrauensbruch empfinden, wenn mit Sex oder Liebe gespielt wird,
dies als Interesse am Spieler/Spielleiter missdeutet würde.
Was würdest du tun, wenn du bei dir selbst ein entstehendes Interesse bemerkst, das du aber als Spielerin nicht ausleben
willst.
Das ist die Situation, die ich wirklich schwierig finde. Bei anderen Spielern gilt für mich sowieso immer im Zweifel für den Angeklagten - will heißen: Selbst wenn ich das Gefühl hätte, dass ein Spieler eigentlich seine eigenen Emotionen spielt, würde ich trotzdem von der Annahme ausgehen, dass er nur seinen Charakter spielt, weil unsere Zielsetzung an dem Rollenspielabend nunmal ist, unsere Charaktere zu spielen.
Anders sieht es aus, wenn ich
bei mir selbst merke, dass meine Reaktionen nicht mehr nur aus dem Charakter kommen (und entweder das Spiel stören oder nicht dem entsprechen, wie ich sein will). Dann versuche ich entweder, aus der Situation raus zu kommen oder es anzusprechen.
Und offen die Frage an den Spielleiter zu stellen ob er gerade versucht mich und meinen Charakter für sexuelle Machtfantasien zu missbrauchen und nebenbei einem anderen Spieler eins auszuwischen will?
Das trifft es ganz gut…
Meinem Gefühl nach wurde da auch irgendeine Machtgrenze heftig überschritten, weil Sachen nicht Offplay geklärt werden konnten.
@Arne Bab, ich finds gut, dass Du die Ängste ansprichst ich denke die spielen eine große Rolle.
Ich merke auch, dass ich es sehr schwer finde alleine nur darüber zu schreiben.
Das geht mir teilweise auch so. Schon die Diskussion hier ist ein Tanz am Abgrund, dadurch aber eben auch sehr interessant.
Ich spüre beim Schreiben, dass ich mich damit verletzlich mache, und muss abwägen, wieviel Verletzlichkeit ich zuzulassen wage. Was ich hier schreibe sind Dinge, bei denen ich hoffe, dass ich bereits genügend Sicherheitsnetze aufgebaut habe, dass ich, falls jemand versuchen sollte, mich damit zu verletzen, weit genug zu machen kann, dass ich nicht bleibend verletzt werde.
Allerdings darf man dabei in meinen
Augen nicht vergessen, dass im Spiel jemand den Gegenpart übernimmt, der im Zweifel dann die Gefühle oder Erlebnisse auf der anderen Seite hat.
Das finde ich einen sehr wichtigen Punkt. „Verantwortung“ passt dafür gut.
Sei dir im Klaren, was du mit deinen Handlungen von anderen verlangst. Allerdings ist das gleichzeitig extrem schwer… und manchmal merkt man es erst zu spät.
Emotionen kann ein Mensch nicht einfach abschalten.
Auch erspielte Emotionen nicht.
Sie gehen einem Nahe, sie bewegen einen.
Es gibt Themen, die für einen Menschen existenziell sind und deshalb auch schnell emotional.
Man kann im Rollenspiel nicht immer Emotionen abschätzen, weder bei sich selbst noch bei anderen.
Dementsprechend hat man auch Verantwortung.
Die Verantwortung anderen seine Grenzen mitzuteilen und die Grenzen von anderen zu respektieren.
Und vor allen Dingen mit den Emotionen achtsam umzugehen.
Ja.
Das kann ich, glaube ich, nicht besser ausdrücken. Deine Zeilen zeigen wundervoll viele verschiedene Aspekte des Spiels, die mir wichtig sind. Und zwar in einer Intensität, dass sie fast ein Einführungszitat eines Buches sein könnten…
Darf ich sie irgendwann in einen Leitfaden zum Spielen übernehmen?
Z.B. In einen Abschnitt „Achtsames Spielen“?