Ich bin nicht wild darauf, mich Künstler zu nennen, weil ich rollenspiele. Darum geht es nicht. Aber ich bin versessen auf den Kunstcharakter des Rollenspiels. Rekreation bzw. Freizeitbeschäftigung ist unter anderem ja auch, dass man der Banalität der alltäglichen, "notdürftigen" Existenz, also der Existenz, die darauf ausgerichtet ist, Notwendigkeiten zu folgen (Futtern, Kacken, Überleben), etwas entgegensetzt. Und in diesem Sinne hat Rollenspiel einen ähnlichen Stellelwert wie anspruchsvolle Lektüre, das Rezipieren von Musik, der Opern- oder Konzertbesuch oder die Betrachtung im Museum. Es ist eine dem Alltag enthobene, den Geist fordernde und stimuliernde Beschäftigung (und aufgrund dieser Stimulierung würde ich es auch keinen reinen Eskapismus nennen, obwohl natürlich ein stark eskapistisches Element dabei ist).
Natürlich ist Rollenspiel schon aufgrund seiner Nicht-Reproduzierbarkeit nicht vergleichbar mit vielen Dingen, deren Kunstcharakter unbestritten ist.
Kurzer Gedanke zum Sprechen im Rollenspiel, denn ich finde, dass auch dies einen ausgesprochenen Kunstcharakter hat. Wir haben ja gelernt, dass Dichtung etwas mit einer Überformung von Sprache zu tun hat. Dass Syntax und Wortwahl je weniger pragmatischen Erfordernissen folgt, je lyrischer die Rede wird. Zum Beispiel. Nun finde ich es erstaunlich, dass das Rollenspiel eine eigene, sehr unpragmatische Redeweise ausformt. Um das Aufzug-Beispiel zu bemühen: Im Rollenspiel geht es meist nicht darum, von einem Stockwerk in den anderen zu gelangen. Sondern der Großteil der "Sprechakte" gilt der Ausformulierung einer gemeinsamen Fiktion und ihrer Erfordernisse. Dabei haben sich sogar viele Sprechkonventionen entwickelt, ähnlich den Konventionen verschiedener Gedichformen oder klassischer Tragödienmuster etc. Der Wechsel aus Beschreibung in dritter Person zur ingame-Rede in erster Person. Der Wechsel von Kulissenbeschreibung zur Interaktion, zur Regelebene. Die häufigen Fragen. Hier ist eine künstliche Sprachform entstanden, die mich von ihrem Abstand zur zweckgebundenen Rede im Alltag und ihrer Durchdrungenheit mit Konventionen durchaus an die gestelzte Sprache barocker Opernlibretti oder Vergleichbares erinnert.
Womit ich wieder bei der Barockoper wäre, und hier das Stichwort: Affekte. Ich sehe eine erstaunliche Parallele zwischen dem Spielen der Affekte-Klaviatur in der Barockmusik und der Behandlung und dem Ausspielen von Figuren im Rollenspiel. Zwar wird immer viel vom "Erleben" im Rollenspiel gesprochen, aber ich sehe da weniger ein "echtes" Erleben als vielmehr auch hier das Bespielen einer Klaviatur aus zumeist literarisch vorgeformter Emotionen. (Dem enstpricht auf gewisser Weise auch der Charbau: Man wählt aus diversen fast schon rhetorisch zu nennenden Versatzstücken -- Elf, Jäger, wortkarg; oder Spionin, gerissen, schwere Kindheit -- und "komponiert" sich eine Figur zusammen). Ganz zu schweigen von einem weitgehend feststehenden Katalog von Typen, der an die Rollen der opera seria oder der commedia dell'arte erinnert. Das daraus folgende Spiel mit Erwartungen.
Nur so, als schnell eingeworfene Gedankenskizze.