Autor Thema: Ein Storygamer denkt über "Rulings" nach  (Gelesen 1172 mal)

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Offline 1of3

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Ein Storygamer denkt über "Rulings" nach
« am: 5.02.2013 | 16:59 »
"Rulings, not rules", das ist einer der Kernsätze der Old School Renaissance, womöglich sogar der Kernsatz. Ich für meinen Teil hänge nun einer dezidiert anderen Denkschule an, ich bin Storygamer. Der Unterschied zwischen diesen beiden und auch anderen Richtungen ist dabei weniger, was gespielt wird, sondern wie wir Spielen betrachten und darüber redern. Wir sprechen gleichsam unterschiedliche Sprachen.

Im Folgenden möchte ich mich einmal mit dem genannten Ausspruch der OSR auseinandersetzen, zuvor aber scheint es günstig einmal zu rekapitulieren, wo eigentlich die grundlegenden Unterschiede im Theoriegebäude der beiden Schulen liegen. Die Antwort liegt im mythologischen Narrativ, wie Spielrunden zu Stande kommen. Laut der Erzählung der OSR, ist da eine Spielleiterin oder ein Spielleiter, der sich ein Regelwerk wählt, es nach eigenen Wünschen modifziert, eine fiktive Spielwelt erschafft und dann Spieler einlädt, darin zu spielen.

Storygamer sehen das ein bisschen anders. Demnach kommen eine Reihe Personen zusammen, beschließen, dass sie Rollenspiel betreiben wollen, verabschieden durch Vertrag ein Regelwerk und spielen dann. Spielleiter, sofern sie vorkommen, und ihre genauen Aufgaben sind Teil des Regelwerks: Ohne gegebenes Regelwerk keine SL.


Kommen wir nun einmal zu jenem Ausspruch: "Rulings, not rules." Leicht lässt sich sagen, dass dieser Satz keinesfalls ein Entweder-oder beschreibt. Auch die von OSRlern bevorzugten Spiele, haben durchaus Regeln, wenn auch vielleicht nicht so umfassende, wie spätere Ausgaben. Die Feststellung, dass es ohne Regeln überhaupt kein Spiel geben kann, kann hier unberücksichtigt bleiben.

Der Satz also schärft keine Alternative ein, sondern dass es neben Regeln auch noch etwas anderes gebe, was womöglich noch wichtiger ist. Dieses andere ist daher kein Effekt der Regeln und von diesen unabhängig. Das ist auch vernünftig, wenn nämlich gefragt wird, ob man nicht auch spätere Spiele "old-school" (im Sinne der OSR) spielen könne.

Als Rulings aber werden üblicher Weise ad-hoc-Regelungen bezeichnet, welche die SL durchführt. Sie dienen zu einem flüssigeren Spielablauf, zur Verdeutlichung unklarer Regeln, zum Abdecken von Regellücken. Die Formulierung Ruling dabei sagt, dass dies ein einseitiger Besschluss ist. Es handelt sich also nicht um einen zustimmungspflichtigen Vorschlag. (Hiesige OSRler mögen mich bitte korrigieren oder ergänzen, wenn diese Zusammenfassung nicht treffend ist.)


Wenn das nun also so ist, müsste ich als Storygamer eigentlich sagen: Schluss, Ende, fertig. Denn SLs gibt es ja nicht vor den Regeln; d.h. SLs können nur innerhalb der Regeln agieren oder aber als gleichberechtigte Teilnehmer der Spielrunde Änderungsvorschläge zu den Regeln machen.

Alternativ müsste jede Spielerin in der Lage sein, Rulings durchzuführen. Und zwar in jedem beliebigen Spiel. Diesem Gedankengang möchte ich nun einmal nachgehen.


Mach wir mal Beispiele:

SL: In dem Raum sind 2W6 Goblins. - 12

Das wäre also eine solche Regelung. Kann ein Spieler das auch? - Ja, durchaus. "Geht mein Charakter nach links oder rechts. Ich würfel mal." Was wir hier also haben, ist eine Entscheidungshilfe. Die Anzahl der Goblins zu bestimmen, oblag der SL von vornherein. Sie hat sich gleichsam nur einen Umweg gebaut.


Spieler: Ich suche unter dem Bett.
SL: Du findest tatsächlich einen Briefumschlag.

Die Regelung in diesem Standardbeispiel besteht nun darin, dass der Spieler nicht auf "Suchen" würfeln musste. Können Spieler*innen das auch? Ja. Nehmen wir an, ein Spieler wird verführt und bekommt einen Verführungswurf mit einem guten Ergebnis gedrückt, hätte aber noch einen Rettungswurf dagegen. Der Spieler verzichtet auf den Rettungswurf. Sein Charakter war ja sowieso auf Party aus und hat den Ruf als Ladies' Man.

In beiden Beispielen verzichten also die Teilnehmer auf Ansprüche, welche sie laut Regeln hätten. Dafür kann es ganz verschiedene Gründe geben, z.B. dass der Tag kurz ist, dass es so gerade besser in die Handlung passt etc. Daraus folgt aber nicht, dass der Teilnehmer auch beim nächsten Mal auf seine Ansprüche verzichten wird. Anders herum klappt es nicht, Teilnehmende können nicht einseitig Ansprüche für sich geltend machen, die sie laut Regeln nicht haben.

Ein solcher Verzicht auf Ansprüche ist auch graduell denkbar, etwa indem man anderen Teilnehmern einen Bonus gewährt oder einen Malus in Kauf nimmt.


Wir haben also mindestens zwei Varianten, wo sog. Rulings sich auf das Handeln beliebiger Teilnehmer übertragen lassen. Warum werden die Rulings der SL aber denn als Sonderfall gesehen? Warum spricht niemand von Player Rulings?

Dies dürfte daran liegen, dass in klassischen Spielen die Regeln, welche für Spieler gelten deutlich eingeschränkter sind, als jene für SLs. Die SL kann demnach meist einfach alles. Die einzige Verteidigung dagegen, ist auf konsequentes, also vorhersehbares Handeln der SL zu setzen, also aus vergangenen Aktionen der SL ihre zukünftigen zu extrapolieren. In diesem Rahmen können sogar die beiden vorgestellten Varianten, Entscheidungshilfe und Verzicht, problematisch werden, denn sie sind geeignet diese Extrapolation zu stören. Abhilfe kann hier klare Kommunikation schaffen: "Eigentlich sagen die Regeln das, aber..."

Offline rettet den wald

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Re: Ein Storygamer denkt über "Rulings" nach
« Antwort #1 am: 5.02.2013 | 17:36 »
Ich weiß nicht ob das exakt das ist was du hier ausdrücken willst, aber ich habe hier die Unterscheidung zwischen "theoretisches System" und "praktisches System" im Kopf: "Rulings" wären hier Ausformungen des praktischen Systems.

Grundsätzlich: Das "theoretische System" sind all jene Regeln, die im vereinbarten Regelwerk explizit genannt werden, also das, was im Buch steht (plus explizit aufgestellter Hausregeln). Das "praktische System" sind jene Regeln, mit denen am Tisch tatsächlich gespielt wird. Die Beispiele die du bringst treffen hier ebenfalls zu: Im theoretischen System könnte beispielsweise erwähnt werden, dass man einen "Suchen"-Wurf braucht, um etwas zu finden, während das im praktischen System ignoriert werden kann.

Wenn man es so betrachtet, ist das theoretische System für das eigentliche Spiel ziemlich egal, denn das System mit dem tatsächlich gespielt wird ist das praktische System. Es gibt eigentlich soweit ich das sehe nur eine Situation für die das theoretische System wichtig ist: Wenn ein Spieler der Meinung ist, dass die Regeln gebrochen wurden und explizit darauf hinweist. Da die Regeln des praktischen Systems ungeschrieben sind, wird hier auf die Regeln des theoretischen Systems zurückgegriffen.


Daher:
-> Ja, grundsätzlich kann jeder Spieler Rulings durchführen, solange alle anderen am Tisch keinen Einspruch erheben.
-> Solange alle anderen am Tisch keinen Einspruch erheben, ist es egal, ob dieses Ruling ein Verzicht auf Ansprüche oder das das Geltendmachen von nicht vorhandenen Ansprüchen aus dem theoretischen System ist... Auch wenn letzteres einen Einspruch wohl wahrscheinlicher macht.
-> Der Grund, warum Rulings des SL eine Sonderstellung haben, ist weil es ein gewisses kulturelles Tabu gibt, Einspruch gegen die Rulings des SL zu erheben.
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Offline Praion

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Re: Ein Storygamer denkt über "Rulings" nach
« Antwort #2 am: 5.02.2013 | 17:41 »
Ich weiß nicht ob das exakt das ist was du hier ausdrücken willst, aber ich habe hier die Unterscheidung zwischen "theoretisches System" und "praktisches System" im Kopf: "Rulings" wären hier Ausformungen des praktischen Systems.

Grundsätzlich: Das "theoretische System" sind all jene Regeln, die im vereinbarten Regelwerk explizit genannt werden, also das, was im Buch steht (plus explizit aufgestellter Hausregeln). Das "praktische System" sind jene Regeln, mit denen am Tisch tatsächlich gespielt wird. Die Beispiele die du bringst treffen hier ebenfalls zu: Im theoretischen System könnte beispielsweise erwähnt werden, dass man einen "Suchen"-Wurf braucht, um etwas zu finden, während das im praktischen System ignoriert werden kann.

Wenn man es so betrachtet, ist das theoretische System für das eigentliche Spiel ziemlich egal, denn das System mit dem tatsächlich gespielt wird ist das praktische System. Es gibt eigentlich soweit ich das sehe nur eine Situation für die das theoretische System wichtig ist: Wenn ein Spieler der Meinung ist, dass die Regeln gebrochen wurden und explizit darauf hinweist. Da die Regeln des praktischen Systems ungeschrieben sind, wird hier auf die Regeln des theoretischen Systems zurückgegriffen.


Meinst du das hier: http://lumpley.com/comment.php?entry=23 ?
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Jason Corley

Offline rettet den wald

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Re: Ein Storygamer denkt über "Rulings" nach
« Antwort #3 am: 5.02.2013 | 17:50 »
Meinst du das hier: http://lumpley.com/comment.php?entry=23 ?

Prinzipiell ja... Auch wenn ich andere Begriffe verwendet hätte (und habe). Das was ich mit "praktisches System" meine ist "How we actually play", und das was ich mit "theoretisches System" meine, ist "the procedures in the game text". Ich habe mich hier nicht auf "principled vs. ad-hoc" bezogen.
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