Über das Thema, was an DSA1 so faszinierend war und ist, habe ich in diesem heiteren Forum ja schon desöfteren auch gar nicht mal so wenig geschrieben.
Vieles davon wurde hier auch schon von den anderen angesprochen.
Aventurien war damals ein weitgehend verwunschener Ort. Das war herrlich.
Was hier auch schon gesagt wurde: Die Unverbundenheit der einzelnen Handlungsorte (selbst wenn man sie auf der Karte fand, so war zwischen diesen Punkten der Karte immer noch lauter Geheimnis). Dieser Zauber wurde mit der Ausbau-Box bereits abgeschwächt und mit Das Land des schwarzen Auges vollends zerstört. Ich zitiere mich mal selbst aus einem älteren Post, wie Aventurien damals ausgesehen hat:
Was mich damals auch so fasziniert hat, war, dass die Titelbilder ja nur durch das Auge sichtbar waren und an den Rändern immer mehr verschwammen. So war auch die Spielwelt: Man bekam immer nur Spotlichtartig (nä, ich weiß, das ist kein Wort, oder?) etwas total Faszinierendes, Atmosphärisches gezeigt, aber jenseits davon breitete sich Finsternis oder Nebel aus (ich habe DSA damals tatsächlich mit schummrigen Verliesen und Nebel assoziiert, und die "Landschaftsaufnahmen" waren auch immer nebulös: Hinter den reitenden Amazonen war nichts zu erkennen im gelben Dies, das Turnier in Gareth musste bei schlechter blautrüber Beleuchtung stattfinden, etc.). Und mit der zweiten Edition und den Bildern von Yüce wurde Aventurien aus der Nebelsuppe und den Kellern herausgezogen. Da gab es zwar auch noch viele stimmungsvolle Momente (die erste Bornland-Spielhilfe war für mich eine ganz andere Art von Genuss), aber der Blick durchs magische schwarze Auge war dahin.
Einen Teil des Feelings von DSA1 machte auch aus, dass weder man selbst noch das Spiel so recht wusste, welche Konventionen in der Fantasy eigentlich so herrschten. Begriffe wie Tolkienfantasy, S&S, EDO, urban fantasy und dergleichen spielten noch gar keine Rolle. Es war Allwetterfantasy. Kriegsklinge hat das vor Jahren einmal ganz genial beschrieben:
Na ja, das Entscheidende war doch gerade, dass "früher" (und schon dieses "früher" ist ziemlich unbestimmt ...) kein einheitliches Konzept vorhanden war. Das Spiel ist auf allen Ebenen so entstanden, dass man alles genommen hat, was grad gerockt hat (Sagen, Märchen, S&S, Heavy-Metal-Cover, Alice im Wunderland, Progrock). Und dass es auf der Ebene der Macher so zusammengekommen ist, hat auch den Spielern unterschwellig suggeriert: So könnt ihr das beim Spielen auch machen. Macht es aus dem Moment heraus und macht euer Ding. Dieser Gestus der Dringlichkeit war damals wichtiger als Kohärenz; Kohärenzvermeidung war gerdazu das Prinzip, das das Machen im Moment ermöglicht hat. Das lässt sich nicht auf einen Nenner bringen, ebenso wenig wie "Oldschool" oder "Hotzenplotz", jedenfalls nicht auf einen Nenner im Sinne eines Kanons an Bildern und Tropen. Es geht um eine Verfahrensweise, nicht um ein Genre, und diese Verfahrensweise äußert sich bereits in der fiktiven Welt. Und aus diesem Grund können heute noch ganz unterschiedliche Leute ganz unterschiedliche Dinge mit DSA1 verbinden (und trotzdem in gemeinsamen Erinnerungen schwelgen) und kein Stichwortkatalog ist je ganz vollständig und widerspruchsfrei und deshalb ist die Sache begrifflich auch so frustriend schwer zu fassen. Weiter kommt man mit der Konzentration auf das schöpferische Verfahren: DSA1 und Oldscholl überhaupt hat etwas mit dem Erschaffen im Moment aus den unterschiedlichsten Quellen zu tun und gerade das wird als geil/rockend/gonzo erlebt, mehr als eine einheitliche Welt. Und da ist halt der Bruch zu DSA 2 ff. Wenn ich mich jetzt ganz weit aus dem Fenster lehnen wollte, könnte ich auch noch darüber rumspinnen, dass DSA (und Rollenspiel überhaupt) damals überhaupt mal annähernd Massenkultur war, weil es mit dieser Verfahrensweise zum einzigen Mal anschlussfähig war zur Popkultur seiner Zeit war, bevor es mit der in jedem Sinn abgeschlossenen Welt in die Eisenbahnerecke abgewandert ist. Mach ich aber nicht.
Und wieso mich dieser Aspekt wiederum so fasziniert, habe ich andernorts auch schon mal skizziert. Und zwar hat diese Vorgehensweise, die das Aventurien von DSA1 geschaffen hat, etwas, was ich hier in Bezug auf Oldschool allgemein (aber natürlich mit viel DSA1 im Hinterkopf) erklärt habe:
Von daher ist Oldschool für mich nur eine unbeschwerte Variante des Rollenspiels: Möglichst zügig einen Char auswürfeln, innerhalb von fünf Minuten einen Abenteuereinstieg abhaken und loslegen. Dabei ist das Setting mehr oder weniger austauschbar. Im Prinzip eigentlich gar nicht existent. Es braucht keine konsistenten Erklärungen, keinen geschichtlichen oder kulturellen Hintergrund. Man spielt weniger in einer Welt, sondern man spielt ein Abenteuer.
Und das war, auch wenn es streng genommen gar nicht mehr richtig oldschool ist, eben auch noch bei DSA1 eine Weile der Fall (das wird DSA1 heute ja auch zum Vorwurf gemacht): Hier ein Abenteuer, da ein Abenteuer, und dazwischen: alles völlig schnurz! Orks und Klabautermänner in Havenischen Kellern. Kein Kanon, kein Problem.
Deshalb ist für mich eben all das nicht mehr oldschool, was Wert auf (Setting-)Konsistenz legt.
Anders gesagt: Oldschool ist konkrete Kunst (dada). In der konkreten Kunst wird das einzelne Element (Wort, im Beispiel Literatur) nicht einem Gesamtzusammenhang untergeordnet, sondern bleibt "konkret" gemeint. In einem normalen, verständlichen Aussagesatz ordnen sich sämtliche enthaltenen Worte der Bedeutung und Grammatik der Aussage unter. Dadurch verlieren sie an eigener Bedeutung (deshalb können Worte ja auch, je nach Kontext, eine andere Bedeutung annehmen, d.h. der Kontext ist wichtiger als das Wort selbst).
Im Oldschool steht das einzelne Abenteuer, der einzelne Encounter einigermaßen für sich (von der Grundidee oder Tendenz her). Die Betonung und Ausarbeitung des Settings dagegen schafft eine Syntax, die den einzelnen Abenteuern eine bestimmte (grammatische oder semantische) Funktion innerhalb einer Gesamtaussage zuordnet. Im Extremfall also der Metaplot. (Witzig, dass konkrete Kunst sehr häufig mit Zufallselementen operiert hat und die Zufallstabelle -- zumindest in meiner Wahrnehmung -- ein wichtiges Element des Oldschoolspiels ist.)
Von daher hat Oldschool für mich wie konkrete Kunst etwas Augenblickhaftes, eine Konzentration auf das einzelne, aus dem Zusammenhang gelöste Element. Wie oben schon erwähnt wurde: Die Story entsteht eher beim Spiel. Bei anderen Arten des Rollenspiels dagegen ergibt sich meist ein größerer Zusammenhang, die Bedeutung einzelner Encounters sind in einem Kontext entschlüsselbar (es gäbe zum Beispiel einen guten Grund, eine Erklärung, weshalb Orks und Krakonier in einem aventurischen Verlies zusammenleben). Die einzelnen Elemente ordnen sich einer Syntax unter, die oft Plausibilität, Konsistenz oder "Realismus" genannt wird, manchmal aber auch nur Settingsatzung ist (dass es in Aventurien zum Beispiel keine Raumschiffe und Atomanlagen mehr gibt, ist eine solche Satzung).
(...)
Übrigens stimmt das mit den Nostalgievorwürfen in meinem Fall sicherlich. Der Punkt, dass man das nicht wiederholen kann, ist auch richtig, vor allem auch, weil Oldschool in Reinform ein Konstrukt ist und man in der Realität so gut wie immer nur Mischformen antrifft. Diese Nostalgie aber lehrt mich, dass Konsistenz nicht alles ist. Sie ermuntert mich dazu, auch in nicht-oldschooligen Settings der Unmittelbarkeit den Vortritt vor der Settingtreue zu lassen. Nicht immer alles durchdenken und erklären wollen. Unkomplizierter und mit krassen Monstern (und vielleicht einem eingestreuten Dungeon) macht auch Spaß, auch wenn's dann nicht mehr "richtiges" Aventurien ist, metaphorisch gesprochen.
Im Sinne dieser "konkreten" Spielweise waren viele Abenteuer bei DSA1 (zumindest in der Wahrnehmung) unverbunden, standen vollkommen für sich. Niemand hätte gedacht, dass die sieben magischen Kelche später Stoff für einen Metaplot hergeben würden. Niemand hätte gedacht, dass Xeraan dereinst aventurische Politik machen würde, etc. Ab einem bestimmten Zeitpunkt erfuhren all diese zunächst völlig disparaten Elemente eine Bedeutungsänderung und vor allem erhielten sie eine (grammatikalische, semantische) Funktion innerhalb der Gesamtaussage Aventurien. Sie können nicht mehr länger für sich stehen. Andersrum kann man sich als Spieler fast nicht mehr in Aventurien bewegen, ohne an den Kontext zu denken.
Dass alles verlieh dem Spiel der ersten zwei, drei Jahre DSA einen so unvergleichlichen Flair, der zwangsläufig verloren gehen musste. Heute vermitteln Spiele wie Dungeon Crawl Classic, die mit vollster Absicht auf Setting verzichten, wieder einen ähnlichen Flair, wie ich finde. Ihnen fehlt aber das Hotzenplotzige, der Wilhelm Hauff-Einschlag.