@Gorilla,
also, nach dem wie Du argumentierst, fasse ich Deine These so auf:
Oder: Ein Plädoyer für die Freiheit
Oder: Beugt euch nicht länger dem unzulänglichen Rechenkünsten, sondern geht den Weg miteinander.
mechanische Balance in einem Spiel nützt gar nichts, wenn die soziale Balance unter den Spielern nicht stimmt.
Dafür zeigst Du Beispiele auf, die in meinen Augen Probleme aufzeigen, die einerseits direkt mit dem Balancing zu tun haben,
andererseits mit Erwartungshaltungen, die direkt mit den Spielern zu tun haben.
Wir nehmen an, der DM will's "spannend" machen. Also den Ausgang des Kampfes ungewiss lassen. Der Einfachheit halber sagen wir, er kalkuliert mit einem Ausgang von 50/50. Er macht alles richtig. Passt den Encounter an genau seine Gruppe an. Arbeitet nicht mit fiesen Tricks. Worauf läuft es also hinaus, wenn die Gruppe sich einig ist, "beschissen" wird nicht, also der SL verbiegt keine Würfelergebnisse? Es läuft auf einen Wurf mit W2 hinaus. 50/50 heißt, in 50% der Fälle verliert die Gruppe. Das tolle Abenteuer ist vorbei. Die wenigsten Gruppen wollen genau das erreichen.
Viele Spieler hatten mit Sicherheit (zumindest hoffe ich das) bereits etliche Erfahrungen gemacht, in denen nicht die Spielmechanismen dafür entscheidend waren, dass am Spieltisch Spannung aufkam. Und vielleicht hatte der ein oder andere Spieler schon einmal ein spannendes Erlebnis, obwohl sein Charakter eigentlich "keine Chance" hatte (weil z.B. die "richtigen" Skills nicht vorhanden waren).
Für mich folgt daraus: Der SL und die Spieler sind gemeinsam gefordert, die Spannung zu erzeugen.
In Deinem Beispiel sind eine Menge Vorannahmen, die nicht unbedingt stimmen müssen.
Beim Balancing eines Encounters gehen die Spieledesigner von einer Gruppe aus, die ihre Fähigkeiten optimal einsetzen kann
und auch als Team zusammenarbeitet. Dies ist in den wenigsten Fällen der Fall vermute ich.
Von daher stimmt dann auch das Balancing nicht, in dem Sinn, dass es nicht auf die Gruppe zugeschnitten ist.
Es muss nicht unbedingt so sein, dass der SL den Kampf spannend halten will, sondern dies kann auch ein Wunsch der Spieler sein.
Das Abenteuer muss nicht enden, nur weil der Kampf verloren ist.
Von daher würde ich Deine These ändern in der Spielleiter und die Spieler sind gemeinsam dafür verantwortlich
die Balance für ihr Spiel zu finden.
Als Beispiel, wir hatten zu Anfang das Problem bei D&D 3.5, dass die Encounter zu schwer für uns waren,
die Gründe lagen zum einen darin, dass wir D&D 3.5 neu kennengelernt haben und deshalb in den Regeln noch nicht
sehr versiert waren (konnten die Fähigkeiten unserer Charaktere noch nicht so gut einschätzen, die Fähigkeiten unserer
Charaktere noch nicht optimal anwenden und waren noch nicht sehr gut im Teamplay).
Hinzu kam, dass wir zuvor Savage World gespielt hatten und die Möglichkeiten wie man dort spielen kann auf D&D "übertragen"
hatten. D&D "funktioniert" aber ganz anders.
In dieser Hinsicht war es dann notwendig darüber zu sprechen, wie wir das handhaben wollen.
Es hat ein Lernprozess eingesetzt und dieser Prozess ist auch nicht beendet, sondern eine Entwicklung.
In unserer Gruppe wollen alle, dass die Kämpfe spannend sind. D.h. die Kämpfe sollen eine Gefahr darstellen in der die
Charaktere auch sterben können. Die Konsequenzen daraus werden aber auch akzeptiert.
Und hier sehe ich eine Schwierigkeit, dass manche beides haben wollen, spannende gefährliche Kämpfe, aber nicht
die Konsequenzen daraus tragen. Und das ist wiederum kein Problem des Balancings, sondern das die Erwartungshaltung besteht,
dass etwas möglich sein soll, was nicht möglich ist.
Aber wir brauchen doch Balancing, damit die Spieler nicht untereinander benachteiligt werden, oder?
Nein. Spieler werden immer benachteiligt oder bevorzugt. Zumindest besteht immer die Gefahr, dass der einzelne Spieler in seiner ganz persönlichen Erlebniswelt das so wahrnimmt. Wir betreiben keine Buchhaltung, wir gehen einem gemeinsamen Hobby nach in einem dynamischen Mikrosozialgefüge. Gruppendynamik könnte man auch sagen.
Es mag vielleicht Spieler geben, die sind schon genervt, wenn sie das Opfer eines "Kill-Steals" werden - sie haben den määäächtigen Krieger gebaut und jetzt kommt der Popel-Noob ums Eck und klopft die letzten beiden HP aus dem Monster. Fies, oder? Ja, für diesen Spieler erscheint es vielleicht tatsächlich fies. Liegt aber nicht am Balancing.
Ja, Spieler werden immer benachteiligt und bevorzugt, genau das bedeutet Balance, dass dies in etwas gleichen Teilen stattfindet.
Aus diesem Grund halte ich viel von mechanisch ausbalancierten Spielen, weil diese schon eine gute Grundvoraussetzung schaffen,
dass dies stattfinden kann.
Der andere Teil liegt allerdings bei den Spielern und dem Spielleiter und ist abhängig davon, wie gut man die Regeln kennt und
einsetzen kann und auch ob man sich einen Charakter gebaut hat, der unterstützt was man spielen möchte.
Und auch hier bei Deinem Beispiel finde ich es zwar verständlich, dass der Kämpfer genervt ist, weil er nicht den Kill bekommen hat,
aber ich halte es für eine unberechtigte Erwartungshaltung, nur weil man den Kämpfer gebaut hat auch immer die Kills zu bekommen.
Wenn man sich den super Kämpfer baut, bedeutet die Ableitung daraus nicht, dass man automatisch die Kill bekommt und automatisch
im Kampf glänzt, sondern dass man durch das eigene Spiel zumindest ganz gute Voraussetzungen hat sich dies zu erspielen.
Ebenso widerspricht es in meinen Augen Teamplay, wenn man "nur" alleine im Kampf glänzen will.
Der Kämpfer der einen Gegner so runtergeprügelt hat, dass der Noob in dann zu Fall bringen kann hat einen und zwar
seinen Job im Spiel super erfüllt!
Dies ist ebenfalls Balancing innerhalb einer Gruppe.
Und noch einen anderen Punkt, es kann vorkommen, dass man sich einen Charakter baut, weil man sich ein Spiel das einem
Spaß macht davon verspricht, dies muss aber nicht immer der Fall sein, dann liegt das aber nicht am Balancing, sondern
daran, dass man noch nicht vorhersehen konnte, wie sich dieser Charakter innerhalb der Gruppe spielt.
Der andere Spieler ist angeödet, weil er neben seiner Mighty Poweraxe of Doom keine Punkte mehr für soziale Skills hatte. Und jetzt wird den ganzen Abend schon der Empfang bei Hofe ausgespielt. Fies. Ja, vielleicht. Liegt aber wieder nicht am Balancing.
Diese "Gerechtigkeit", oder die Wahrnehmung von Gerechtigkeit, ist von unzähligen situativen und individuellen Faktoren abhängig und kann daher kaum über ein mechanisches System abgebildet werden. Es geht um weiche, soziale, psychologische Faktoren.
Für mich folgt daraus: Die Gruppe insgesamt sollte sich im Miteinander am Spieltisch einfach darum bemühen, jedem Mitspieler gerecht zu werden, ihm seinen Freiraum zu lassen und seinen Spaß zu gönnen.
Dein Fazit finde ich genau richtig, aber genau das ist für mich Balancing.
Zum Beispiel, ich finds echt seltsam, dass nur weil jemand wenig soziale Skills hat sich dann nicht in sozialen Belangen einbringt,
der Noob im Kampf soll ja auch seinen Beitrag leisten.
Vielleicht hat er dann nicht so gute Chancen, aber das Problem hat der Kampfnoob ja auch, der aber im Kampf auch seine
Fähigkeiten einbringen soll. Und wenn sich der Kämpfer dann an solchen Aufgaben nicht beteiligt, dann muss er sich nicht
wundern, dass er das öde findet. Hier liegt dann in meinen Augen das Problem, nicht im Balancing an sich.
Trotzdem bitte ich euch: Ignoriert in Zukunft "Balancing". Darum geht es nicht. Es geht darum, gemeinsam am Tisch eine schöne Zeit zu haben. Ganz nach persönlichem Geschmack kann das heißen, möglichst viel zu würfeln, möglichst viele Anekdoten zu erleben, möglichst viel Stimmung zu erzeugen. Aber all das hat mit irgendwelchen Werten auf einem Zettel Papier nichts bis sehr wenig zu tun.
Spielt frei und unbeschwert und kümmert euch nicht ums "Balancing" - das gibt es nämlich gar nicht.
Ich komme zu einem anderen Fazit, ich glaube nämlich, dass das soziale Balancing unter den Spielern dafür sorgt, dass man Spaß hat.
Dazu gehört aber, dass die Spieler und auch der Spielleiter wissen was sie spielen wollen und auch selbst dafür sorgen, dass sie dies können
und den Spaß der Mitspieler eben so viel Platz einräumen.
Ebenso gehört dazu bestimmte Erwartungshaltungen zu hinterfragen.
Meine Erfahrung ist inzwischen, wenn das soziale Balancing nicht stimmt, dann wird es so richtig stressig,
weil es in der menschlichen Natur liegt für eine Balance zu sorgen.
Das mechanische Balancing ist dafür hilfreich, nützt aber nichts, wenn man nicht bereit ist sich mit der Balance innerhalb der
Gruppe auseinanderzusetzen.