Oder mal anders: Wenn kein Balancing da ist, ist es sauschwer, das irgendwie auszugleichen. Wenn ein gutes Balancing vorhanden ist hingegen, stört es alles andere hingegen nicht.
Genau das finde ich eben nicht.
Weshalb sollte es "schwerer", fehlendes mechanisches Balancing auszugleichen, indem der SL da korrigierend eingreift als es für den SL ist anderweitig ein Abenteuer zu stricken, in dem er allen seinen Spielern gerecht wird?
Und gutes Balancing ist eben nicht ausreichend, um "alles andere" an Störfaktoren zu überschreiben. Genau DAS sehe ich bei der ganzen Sache als den großen Trugschluss an.
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Ein Beispiel zum Thema, um noch etwas deutlicher zu machen, worum es mir geht:
Nehmen wir unser gut balanciertes Fantasy-System
FantasyRPG(tm).
Es gibt 3 Werte:
- Körper - für alles Körperliche
- Geist - für alle Herausforderungen mit Bezug zu Verstand
- Seele - für alles Soziale
Jeder SC hat alles auf "1". Einen Wert auf "2".
In einer durchschnittlichen Spielsitzung und einem durchschnittlichen Abenteuer spielt jeder Wert ungefähr die gleiche Rolle, ist also gleich wertvoll, um Spielziele (ingame) zu erreichen. Auch regelseitig werden die drei Werte mit gleicher Relevanz ausgestattet.
Können wir dieses virtuelle System als balanciert ansehen?
Ich gehe jetzt von der Annahme aus, dass mir viele Rollenspieler da zustimmen.
In unserem Beispiel haben wir drei Spieler.
Alfons hat "Körper" als besondere Befähigung gewählt.
Bertram hat seinen SC mit "Geist" ausgestattet.
Claus wählt "Seele" für seinen SC.
Wir legen los. Alle sind guter Dinge.
Das Abenteuer sieht vor, dass in 6 Abenden alle Werte ungefähr gleich verteilt zum Zuge kommen.
Im ersten Kapitel ist nach einer kurzen Einführung mit sozialem Vorgeplänkel vorgesehen, dass Alfons seinen großen Auftritt hat, weil Unmengen von Gegnern abgeschlachtet werden können. Das Finale wird dann ein grandioses Feuerwerk an "Geist"-Dingens und die Überleitung zum nächsten Kapitel erfolgt dann noch mit "Seele" und gibt einen Vorgeschmack auf die nächste Spielsitzung und lässt durchblicken, dass "Seele" eine sehr wichtige Rolle spielen wird.
Nach einer halben Stunde denkt sich Alfons: "Verdammt, wir spielen schon ne halbe Stunde und bisher konnte ich noch nix Abschlachten. Aber Claus durfte schon 2x würfeln. Seele is voll imba. Ich habe meine Punkte falsch verteilt."
Clausi unterdessen freut sich wie ein Schneekönig, da er gleich zum Einstieg glänzen kann. Er bemerkt aber, dass Alfons langsam gelangweilt und angenervt wird. Also beweist er sich als kameradschaftlicher Spieler und nimmt sich zurück. Er hofft, dass er später noch viel Gelegenheit hat, mit "Seele" zu glänzen. Er boxt das Ding also schnell durch.
Dann geht die Action ab. Nach drei Stunden Rumgekämpfe ohne große Chance, "Seele" zum Einsatz zu bringen, zweifelt Claus doch an seiner Entscheidung, sich zurück gehalten zu haben. Nun kommt bei ihm Langeweile auf und er ist sich sicher, dass das alles gar nicht so läuft, wie er sich das vorgestellt hatte. Der fiese SL hat ihn mit 30 Minuten abgespeist, dabei war doch besprochen, dass alle mal glänzen können. Und jetzt stellt sich doch raus, dass alles wie immer auf Monsterschnetzeln rausläuft.
Irgendwann sind wir fertig mit Kämpfen.
Jetzt kommt Bertrams großer Moment. Der SL bereitet alles stimmungsvoll vor und Bertram bekommt sein Spotlight.
Dumm nur, dass Bertram eher der introvertierte Spieler ist und eher "Beispieler". Er sitzt also lieber bei als im Mittelpunkt zu stehen. Außer ein bisschen Rumgewürfel wird aus der Szene nichts und Bertram (und seinen SC) verpasst die Chance, das Spielerlebnis groß mitzugestalten- Für die anderen beiden Spieler ist die Szene dadurch auch nicht spannender. Bertram ist aber total zufrieden. Er hat ja 25x gewürfelt und das Würfelglück war ihm hold. Sein Charakter hat die ganze Arbeit geleistet. Seine Szene ist vorbei. Er klinkt sich wieder aus und verfolgt mit leidlichem Interesse, was die anderen wohl noch so treiben.
Es ist soweit. Niemand hat mehr Bock. Das System ist Mist. Total unbalanced. Und lame. Und überhaupt war alles kacke. Hat vorne und hinten nicht funktioniert.
Mein (fiktives, wie ich zugeben muss) Beispiel kann vielleicht zeigen, dass trotz ideallem mechanischem Balancing sich trotzdem die Mehrzahl der Spieler vom System benachteiligt fühlen kann.
Wenn ich später oder morgen noch etwas Muse finde, schreibe ich vielleicht noch ein (fiktives) Beispiel dafür, wie trotz total missglücktem mechanischem Balancing im System, eine Runde Spaß damit haben kann.