Ich denke auch, dass es viel mehr um die am Spieltisch vorherrschenden - teilweise durch Settingsbeschreibungen, teilweise durch bekannte und vertraute Stereotypen beeinflussten - Erwartungshaltungen geht. Ein bestimmte Kombination von Konventionalität und Individualität bezüglich eines Charakterkonzepts oder Volkes kann in der einen Runde innovativ, in der anderen störend wirken. Wir bemühen uns immer recht nah an den vorhandenen Beschreibungen zu bleiben und doch durch Nuancen und Feinheiten, individuelle Züge zu etablieren. Viele Spieler vergessen auch, dass sie die Attribute der Völker und Konzepte nicht unbedingt direkt ins extreme Gegenteil umdrehen müssen, um ein individuelles Konzept zu spielen. Ich habe eher die Erfahrung gemacht, dass kleine und feine Veränderungen eine größere Wirkung hinterlassen, da der entsprechende Charakter dadurch oft einerseits noch eindeutig einer bereits vorausgesetzten Schublade zuzuordnen ist, sprich bei Überprüfung eindeutig zu seiner Umwelt gehört, andererseits allerdings genauso einzigartig, dass er aus der Masse, die ihn definiert, heraussticht. Kleine Ticks, Eigenheiten, Macken, besondere Interessen, physische Erkennungsmerkmale usw. sind da meiner Erfahrung nach viel effektiver, als die Umkehr aller bekannten Stereotypen um was Eigenes auf die Beine zu stellen.
Das führt gleich zur Hauptdiskussion: ich denke diese feinen Nuancen machen ge(schau)spielte Rollen erst glaubhaft oder unglaubhaft, sympathisch oder störend, innovativ oder langweilig. Das ist ein Zusammenspiel der Erwartungen (auch der eigenen), der persönlichen Präferenz (auch von Mitspielern) und den gegebenen Rahmenbedingungen. Nähert sich die praktizierte Darstellung einem guten Mittelwert von allen an, wird wohl allgemein davon gesprochen, die Figur sei gut dargestellt. Wobei es natürlich auch passieren kann, dass man den individuellen Charakter gut, aber nicht wirklich für die mit seinem Konzept verbundenen Stereotypen passend findet. Dann muss man entscheiden, ob man lieber eine plausible Figur hat, oder eine, die Spaß macht. Ich würde mit Letzterem gehen.
Abschließend noch: es ist eigentlich bekannt, dass das Greifbare Fremdartigkeit vorstellbar macht. So dürfte es leichter fallen, einen Vulkanier zu spielen, als irgendeine körperlose und gottähnliche Energieentität, die nicht mal wirklich im herkömmlichen Sinne "denkt", geschweige denn kommuniziert. Im Bezug auf Fantasyvölker finde ich die Vermenschlichung auch sehr angenehm, da zu abstrakte Konzepte oft entweder zu bemüht wirken, oder einfach im Spiel sehr schwer umzusetzen sind. Nichtsdestotrotz ist gerade einer der spannensten Teile des Rollenspiels für mich, zu versuchen, mich in andere Denkmuster hineinzuversetzen und zu versuchen, sie - nach meinen Vorstellungen - plausibel darzustellen. Das beginnt schon bei Menschen aus anderen, historischen Epochen / in für mich ungewohnten Lebensverhältnissen und endet bei Völkern, die völlig andere Voraussetzungen haben.