Autor Thema: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus  (Gelesen 2634 mal)

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Pyromancer

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Ich lese gerade Murray Rothbards "Die Ethik der Freiheit", in der er (bis jetzt) recht stringent von einfachen Axiomen ausgehend und an Hand idealisierter Beispiele die moralische Alternativlosigkeit einer libertären, anarchokapitalistischen Gesellschaftsordnung herleitet. So weit, so gut, aber halt recht einseitig und mit dem "richtigen" Ergebnis im Hinterkopf geschrieben.

Deshalb: Gibt es ein in verständlichem Deutsch (gerne auch als gute Übersetzung) geschriebenes, am besten halbwegs aktuelles Werk, das ähnlich anschaulich und stringent die moralische Alternativlosigkeit einer kommunistischen/sozialistischen/kollektivistischen Gesellschaftsordnung herleitet? Mir persönlich fallen ein paar Punkte ein, an denen man ansetzen könnte (am einfachsten natürlich am naturrechtlichen Axiom des Selbsteigentums), bin mir aber sicher, das haben andere schon vor mir durchexerziert.

Offline Dr.Boomslang

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #1 am: 3.07.2013 | 00:21 »
Ich hab Marx nicht gelesen, aber der schreibt ja angeblich nicht nur von einer moralischen, sondern einer absoluten Unausweichlichkeit des Kommunismus, so wie ich das verstanden habe. Sein moralisches Argument ist dann, dass man den unausweichlichen Kommunismus nicht verzögern dürfe (was man wohl kann), weil das nur die problematischen Phasen des Kapitalismus verlängert. Aber das kennst du wahrscheinlich schon.
Außerdem fand ich auch alles was ich von Marx mal überflogen habe unerträglich zu lesen.

Pyromancer

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #2 am: 3.07.2013 | 15:06 »
Marx will ich mir nicht antun, gut lesbar sollte es schon sein. Da müssen doch in den letzten 20-30 Jahren verständliche Grundlagenwerke geschrieben worden sein? Sonst muss ich annehmen, dass sich der Kommunismus eben nicht moralisch sauber herleiten lässt, und man sich deswegen unter unlesbarem Geschwurbel verstecken muss...  >;D

schwarzkaeppchen

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #3 am: 3.07.2013 | 15:42 »
Ich glaube die wenigsten Kommunist*innen argumentieren (bewusst) moralisch. Eher moral- bzw ideologiekritisch, indem zB versucht wird herauszuarbeiten inwiefern moralische Axiome dafür da sind bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftssysteme zu rechtfertigen. Marxistische Ideologie versteht sich meistens lieber als wissenschaftlich/materialistisch - zusammengefasst mit Brecht vielleicht: "Erst das Fressen, dann die Moral."
Oder gerade hier gefunden: "Moral ist die affirmative Stellung zu den Interessengegensätzen dieser Gesellschaft, geradezu die Alternative zu ihrer Kritik."
http://www.gegenstandpunkt.com/gs/11/1/gs20111c07h1.html

Marx z.B. verwehrt sich auch stark dagegen "Kommunismus" als moralisch begründete, idealistische Utopie wahrzunehmen:
„Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 35.

Die Grundfrage wäre also vielleicht eher erstmal nicht "lässt sich Kommunismus moralisch herleiten" sondern "Nach welcher Moralvorstellung soll das versucht werden?"
Ich denke schon das es da trotzdem was gibt, ich verstehe mich zwar nicht als Kommunist, mich persönlich interessiert das Thema "Moral" zugegebenermaßen aber auch nicht so wirklich weswegen ich da wohl eher wenig hilfreich bin. ;)
Du könntest vielleicht mal schauen ob du da im Dunstfeld des Internationalen sozialistischen Kampfbundes fündig wirst (verstanden sich als ethische Sozialist*innen). Weitere Ansatzpunkte für Recherche finden sich vielleicht hier:
http://www.inkrit.de/e_inkritpedia/e_maincode/doku.php?id=e:ethik
http://www.inkrit.de/e_inkritpedia/e_maincode/doku.php?id=e:ethik_im_sozialismus
Vielleicht auch Karl Kautsky? Der gilt glaube ich mit als zentrale Figur eines ethischen Sozialismus.
Ich habe da zuletzt mit "Staat oder Revolution" (Wallat), einem Buch über kommunistische Bolschewismuskritik, eher Sekundärliteratur zu ihm gelesen - das war aber durchaus spannend.

Sollte mir was einfallen, schreibe ich das hier rein.
"Anarchokapitalismus" wird übrigens hier aus anarchistischer (und ich glaube auch durchaus ethisch begründeter) Perspektive abgefrühstückt: http://www.infoshop.org/AnarchistFAQSectionF
« Letzte Änderung: 3.07.2013 | 16:01 von schwarzkaeppchen »

Pyromancer

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #4 am: 3.07.2013 | 16:28 »
Die Grundfrage wäre also vielleicht eher erstmal nicht "lässt sich Kommunismus moralisch herleiten" sondern "Nach welcher Moralvorstellung soll das versucht werden?"
Genau so etwas suche ich. Von welchen Axiomen muss man ausgehen, dass der Kommunismus hinten rauspurzelt? Bei den Milliarden an Seiten theoretischer Literatur zu dem Thema muss es da doch etwas brauch- und lesbares geben.

Zitat
"Anarchokapitalismus" wird übrigens hier aus anarchistischer (und ich glaube auch durchaus ethisch begründeter) Perspektive abgefrühstückt: http://www.infoshop.org/AnarchistFAQSectionF
Danke für den Link.

Offline Oberkampf

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #5 am: 3.07.2013 | 20:45 »
Mich würde das Thema auch interessieren. Allerdings kann ich mir schwer vorstellen, dass es irgendwelche moralisch zwingenden Argumente dafür gibt, die politisch-ökonomischen Verhältnisse der real existierenden, historischen oder gegenwärtigen, sozialistischen Staaten (inkl. des heutigen kapitalistisch-sozialistischen Hybriden China) herbeiführen zu wollen. Insofern würde ich unter Sozialismus wohl eher einen sehr aktiven, demokratischen Sozialstaat verstehen wollen.

Was ich dagegen durchaus kenne, sind moralphilosophische Überlegungen, die einer politischen Gemeinschaft bestimmte Pflichten zum Nachteilsausgleich und der Herstellung von Chancengleichheit auferlegen. Das schließt auch eine aktive, sozialstaatliche Politik mit ein.

In dem Bereich finde ich John Rawls Theorie der Gerechtigkeit ganz lesenswert (obwohl ich dazu auch irgendwann mal eine sehr libertäre Interpretation gelesen habe).
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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #6 am: 4.07.2013 | 06:54 »
Sozialismus ist durchaus bewußt als Diktatur (des Proletariats) angelegt, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen und durch "weise Führer" würde die sich nach Zerschlagung allen Widerstands wohlwollend in Richtung Kommunismus auflösen... . ::)
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schwarzkaeppchen

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #7 am: 4.07.2013 | 07:22 »
Zitat
Sozialismus ist durchaus bewußt als Diktatur (des Proletariats) angelegt, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen und durch "weise Führer" würde die sich nach Zerschlagung allen Widerstands wohlwollend in Richtung Kommunismus auflösen...

Es gibt an marxistischer/kommunistischer Theorie echt eine Menge zu kritisieren - aber so 'nen Käse ("weise Führer"/Einparteienstaat bzw "die Partei hat immer Recht") findest du nur bei  Realsozialist*innen/MLs/Stalinos die versuchen sich die eigene "bürgerliche Diktatur" (Rosa Luxemburg über die Bolschewiki) im Nachhinein zu rechtfertigen. ;)
Wenn wir von "Diktatur des Proletariats" reden wollen, kommen wir mal wieder nicht an Marx vorbei der diesen Begriff geprägt hat. Dessen Diktaturbegriff ist da aber schon 'ne Nummer komplexer (und umfasst recht ironisch die auf die eigene Überwindung angelegte "Diktatur" von 80-90% der Bevölkerung, die sich - Beispiel Pariser Kommune http://www.linksnet.de/de/artikel/25460 - räte- bzw radikaldemokratisch organisiert):
http://www.marx-forum.de/marx-lexikon/lexikon_d/diktatur.html

Da trifft SLFs Definition schon durchaus eher zu - und scheitert vielleicht aber am Staatsbegriff. Wenn Sozialismus das Hinarbeiten auf eine klassenlose, herrschaftsfreie Gesellschaft meint (und sonst ist es per Definitionem eigentlich keiner) bräuchte es imo nebendran eine demokratisierte Ökonomie, die von einer verdammt aktiven, in Räten, Syndikaten usw. organisierten (Zivil)Gesellschaft getragen wird die den Staat nach und nach ersetzt bzw auflöst. Und zu dieser Auflösung der Klassengesellschaft: Es ist vielleicht auch sinnvoll sich anzuschauen was die Klassenbegriffe bei Marx konstituiert. Das sind keine menschlichen Eigenschaften sondern ökonomische Verhältnisse. Kapitalist*innen sind Leute die im Besitz der Produktionsmittel sind und von der Arbeit anderer leben. Werden diese Produktionsmittel jetzt also theoretisch vergesellschaftet (und nicht eine neue herrschende Klasse, zB die der bolschewistischen Apparatschiks, etabliert) hat sich diese Klassentrennung evtl. recht schnell erledigt... es sei denn, jemand versucht sie gewaltsam wiederherzustellen.
« Letzte Änderung: 4.07.2013 | 07:47 von schwarzkaeppchen »

Pyromancer

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #8 am: 4.07.2013 | 09:47 »
Ich will mich halt nicht durch 150 Jahre Klassenkampf-Literatur wühlen, sondern EIN Buch lesen, dass verständlich und auf <300 Seiten die Frage "Wie müssen wir handeln?" aus kommunistischer Sicht fundiert beantwortet.
Autoren, die sich eine Traumwelt basteln, a la "wäre es nicht schön, wenn..." gibt es ja zu genüge (zuletzt gelesen: Christian Felber). Die haben aber beim theoretischen Fundament ihrer Forderungen einen Totalausfall.

Offline Dr.Boomslang

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #9 am: 4.07.2013 | 10:59 »
Kommunismus nach Marx und Engels ist ja bereits eine anarchistische Ideologie. D.h. da kennst du die Herleitung bereits. Vielleicht solltest du nach Leuten suchen die den zwingenden und reinen Antikapitalismus begründen, davon sollte es einige moderne Vertreter geben.
Der Schritt der dann zum Kommunismus noch fehlt ist auch der gleiche wie beim Anarchismus allgemein, nämlich der Übergang vom Staat zur Anarchie. Ich glaube da gibt es keine ernsthaften Versuche, weil das teilweise prophetisch wäre (was man ja auch Marx vorgeworfen hat).

Kommunismus in Reinform ist halt heute kein besonders sexy Thema, über das Leute Bücher schreiben. Ich weiß nicht hat Christopher Hitchens irgendwas darüber geschrieben? Der war doch Marxist soweit ich weiß.

Pyromancer

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #10 am: 4.07.2013 | 12:39 »
Kommunismus nach Marx und Engels ist ja bereits eine anarchistische Ideologie. D.h. da kennst du die Herleitung bereits. Vielleicht solltest du nach Leuten suchen die den zwingenden und reinen Antikapitalismus begründen, davon sollte es einige moderne Vertreter geben.

Wenn du da einen Literaturtipp für mich hast, nur her damit!

Offline Dr.Boomslang

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #11 am: 5.07.2013 | 12:31 »
Da ich nur das empfehlen kann was ich auch gelesen habe empfehle ich mal Debt: The first 5000 years von David Graeber (weil ich das grundsätzlich empfehle), obwohl es nicht wirklich theoretisch und auch nicht offen antikapitalistisch ist. Allerdings glaube ich Greaber selbst ist Antikapitalist und womöglich auch Kommunist, auf jeden Fall aber Anarchist. ;)

Greaber ist jedenfalls Anthropologe, und deshalb ist das Buch auch nicht theoretisch, philosophisch, sondern beschreibt kulturelle Grundlagen von Geld und Schulden und wie diese Konzepte reale Gesellschaften in den letzten 5000 Jahren geprägt haben.
Mit Antikapitalismus hat das insofern zu tun, als dass er recht eindrücklich zeigt, dass eine bestimmte Art von (Geld)Märkten in der Vergangenheit immer dazu dienten und geschaffen wurden Kriegsmaschinerien zu finanzieren, und dass der Zusammenbruch bestimmter kapitalistischer Gesellschaften quasi eingebaut ist. Nebenbei zeigt er auch wo Kommunismus her kommt, wo und wie er in realen Gesellschaften funktioniert, und eben was das mit Schulden zu tun hat. Es geht allerdings nie um Kommunismus als Ideologie oder Bewegung, sondern um "natürlichen" Kommunismus also den wirklichen "real existierenden" im Alltag jedes Menschen, seit es Zivilisation gibt.

Eines der interessantesten Bücher die ich in letzter Zeit gelesen habe. Für mich waren da einige neue Sachen drin.

Pyromancer

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #12 am: 5.07.2013 | 12:53 »
Mit Antikapitalismus hat das insofern zu tun, als dass er recht eindrücklich zeigt, dass eine bestimmte Art von (Geld)Märkten in der Vergangenheit immer dazu dienten und geschaffen wurden Kriegsmaschinerien zu finanzieren

Spannend.
Von libertären Kapitalisten hört man ja häufig das Argument, dass die großen Kriege der Neuzeit nur durch das Drucken von Geld = Inflation = Enteignung = Sozialismus möglich gewesen wären, häufig verbunden mit der Forderung nach "Marktgeld" und der Abschaffung des staatlichen Zentralbanken-Systems.

Offline Urias

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #13 am: 5.07.2013 | 13:37 »
Mir würd hier auch nur Nozicks "Anarchie, Staat und Utopie" einfallen, aber das geht eben in die libertäre Richtung und da hast schon was...

Ich glaub das Grundproblem liegt hier wirklich, wie schon von einigen hier gesagt, dass es bei Marx eben nicht um eine moralische Fundierung geht. Er leitet ja das ganze Konzept aus seinem historischen Materialismus ab, also aus seinem Verständnis der Geschicht als Klassenkämpfe. Moral und Ethik und so weiter sind für ihn ja, soweit ich das verstehe, nur Epiphänomene des Überbaus, welcher im Verhältnis zur ökonomischen Basis relativ unwichtig ist. Da gibts innerhalb der marxistischen Theorie auch tausende verschiedene Ansätze wie das Verhältnis Basis-Überbau zu denken ist und was jetzt wie wichtig ist usw. Ich hab da für mich persönlich die von Gramsci gewählt, aber es gibt/gab da auch einige Vertreter die die ökonomische Basis als das Nonplusultra sehen. Auch die Frage, wie zwangsläufig die Geschichte der Klassenkämpfe in den Sozialismus führt und ob das quasi ein Naturgesetz ist oder auch verhindert werden kann, wurde in der marxistichen Theorie ewig diskutiert. Aber das geht schon zu weit.

Wenn du dich nicht durch ewig viele Werke des Klassenkampfs arbeiten willst hilft dir vielleicht Eric Habsbawms Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus. Habs jetzt selbst nicht gelesen, sondern nur mal in der Buchhandlung ein wenig reingeguckt. Scheint ein guter Überblick über die Entwiclung der marxistischen Theorie zu sein und auch nicht allzu schwer zu lesen. Und Habsbawm hat in die Richtung schon einiges auf dem Kasten wenn man mich fragt.

So long,
SSK
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Offline Dr.Boomslang

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #14 am: 5.07.2013 | 13:46 »
Von libertären Kapitalisten hört man ja häufig das Argument, dass die großen Kriege der Neuzeit nur durch das Drucken von Geld = Inflation = Enteignung = Sozialismus möglich gewesen wären, häufig verbunden mit der Forderung nach "Marktgeld" und der Abschaffung des staatlichen Zentralbanken-Systems.
Bei Graeber geht es eher um den Unterschied zwischen Geld als Wertgegenstand und Geld als menschliche Beziehung (Kredit). Er zeigt dass die Zeiten großer Eroberungskriege mit den Zeiten zusammenfallen in denen Geld als Gold im Umlauf war.
Münzen sind demnach ein Verwaltungsinstrument des Staates um Kredit in eine unpersönliche, vom Menschen unabhängige Form zu bringen, um damit Soldaten bezahlen zu können. Soldaten sind nämlich nicht wie andere Menschen in ein soziales Gefüge eingebunden, das für Kreditwirtschaft notwendig ist. Außerdem kann man Geld als Gegenstand erobern, Kredite nicht.

schwarzkaeppchen

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #15 am: 5.07.2013 | 22:21 »
Zitat
es gibt/gab da auch einige Vertreter die die ökonomische Basis als das Nonplusultra sehen
Ökonomismus ist eigentlich in der Tendenz generell die Schwäche der sich als "kommunistisch" verstehenden Richtung. Währen Anarch@s meistens hauptsächlich auf den Staat gucken, was dazu führt das eine Menge komischer Schlüsse gezogen werden (zB die Repressionshypothese, Menschen sind ja eigentlich gut, werden aber halt böse unterdrückt) und sowas die "Ancaps" erst andockfähig macht. Die bisher erfolgreichste anarchistische Strömung (Spanien '36, CNT war die größte Gewerkschaft der Welt) verstand sich übrigens als "libertär kommunistisch". :D

Was Anarchismus angeht kann ich dieses Buch hier empfehlen, das rockt sehr viel weg was mir zuvor in der Richtung untergekommen ist (behandelt auch 1-2 kritische Punkte bei Graeber, aber eher nebensächlich) - http://www.edition-assemblage.de/triple-a-anarchismus-aktivismus-allianzen/
Vorzüge des spanischen Anarchismus stellt noch mal Augustin Souchy heraus, die Nachteile (die auch nicht ohne waren) gibt es bei Michael Seidmann.

Nettes Buch zu Ethik (und antikapitalistischer Emanzipation) ist vielleicht die Minima Moralia von Adorno. Ist zwar ein Aphorismenband, und eher ein Steinbruch, aber dafür eben auch ganz gut lesbar.

Wenn es primär um Antikapitalismus gehen soll und dazu was aktuelles, ist vielleicht "Nach dem Kapitalismus" von Raul Zelik ganz brauchbar.

Wer nicht Marx lesen mag, aber irgendwo dann doch. http://www.amazon.de/bücher/dp/3896575937
Vielleicht quergelesen hiermit: http://www.polyluxmarx.de/home.html


Offline Urias

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #16 am: 6.07.2013 | 11:57 »
Das mit dem Ökonomismus stimmt schon, das ist vor allem bei mehr oder weniger klassischen MarxistInnen ziemlich ausgeprägt. Aber da darf man nicht verschweigen, dass es, eben hauptsächlich ausgehend von der Theorie Antonio Gramscis, eine Spielart gibt, die die kulturellen Phänomene mehr in den Vordergrund rückt und ihnen auch eine (nicht unwichtige) Wirkungsmacht zuschreibt. Das ganze wurde vor allem in den britischen Cultural Studies aufgenommen. Das ganze führt aber auch dazu, dass man sich anhören muss, dass man die Produktionsverhältnisse nicht genügend beachtet usw.

Und weil der gute Herr grade erwähnt wurde: Bin kein Fan von Adorno, da er in meinen Augen ein sehr... sagen wir mal elitäres Verständnis von Kunst und Kultur hat (er hat ja auch seine Ästhetik von Kant übernommen).
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schwarzkaeppchen

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #17 am: 6.07.2013 | 21:58 »
Nee, Gramsci fällt da raus, das gilt auch für Staatstheoretiker*innen wie Poulantzas (der ein paar Gegenpositionen zu Gramsci einnahm, ich finde die beiden ergänzen sich eigentlich ganz gut). Kritische Theorie, Neo- /Postmarxismus, Eurokommunismus, Autonomia Operaia, Situationist*innen und wie sie alle heißen mögen - die fallen ja alle nicht wirklich unter Hauptwiderspruchs-Verdacht. :)

Zitat
in meinen Augen ein sehr... sagen wir mal elitäres Verständnis von Kunst und Kultur hat
Ja, auf jeden Fall. Aber das ist ja zum Glück längst nicht alles wozu er sich so geäußert hat. :)


Offline Kriegsklinge

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #18 am: 6.07.2013 | 22:34 »
Dietmar Dath: Maschinenwinter.
Bini Adamczak: Gestern-Morgen. Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster.
Michael Heinrich: Kritik der politischen Ökonomie.

Letzteres kann ich besonders empfehlen, weil es a) wirklich die beste und lesbarste Überblicksdarstellung der marxschen Theorie ist, diese b) um die Bewegungsgeschichte des 20. Jhdts. erweitert und dabei c) mit Kritik an den real existierenden Marxauslegungen, insbesondere auch der deutschen Linken, nicht spart. Und das alles in einem recht schmalen Bändchen.

Mit Moral hat das alles freilich nichts zu tun; keiner der Autoren behauptet, es müsse moralisch zwingend Kommunismus geben (das wäre ja, aus meiner und wohl auch ihrer Sicht, Unfug). Sie stehen aber zu unterschiedlichen Graden auf dem Standpunkt, dass er politisch wünschenswert wäre.

schwarzkaeppchen

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #19 am: 6.07.2013 | 22:50 »
Super Auswahl!

Gestern Morgen wird auch im bereits erwähnten "Staat oder Revolution" noch mal aufgegriffen. Ich glaube für Leute die nach linker Bolschewismuskritik suchen, ein ziemliches Standardwerk. :)
Und bzgl Bini:
Kommunismus, kleine Geschichte wie alles anders wird
http://redblog.twoday.net/stories/4465710/
« Letzte Änderung: 11.07.2013 | 17:23 von schwarzkaeppchen »

Wellentänzer

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #20 am: 6.07.2013 | 23:07 »
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schwarzkaeppchen

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #21 am: 6.07.2013 | 23:12 »
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Offline Minne

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #22 am: 6.07.2013 | 23:45 »
Ich kenne auch keine moralische Herleitung des Kommunismus, hauptsächlich Moralkritik. Wie etwa von der MG. Es gibt zwar mehrere Elemente einer moralischen Begründung des Kommunismus, ich kenne aber keinen Text, der sich tatsächlich für eine moralphilosophische Herleitung interessiert. Dies hat vermutlich mehrere Gründe:

1. Kommunismus (im weitesten Sinne) hat viel mehr an das Interesse der Arbeitenden appelliert als an deren Moral.
2. Kommunisten haben Moral oftmals als systemintern kritisiert haben, das heißt als ideologisches Element der bestehenden Klassengesellschaft.
3. Eine moralische Begründung kann man in der Befreiung von (Klassen-)Herrschaft sehen, doch ich denke, dass die Berechtigung von Widerstand gegen Herrschaft viel zu selbstverständlich und intuitiv ist, als dass sie großer Herleitung bedürfte. Dass und inwiefern Kapitalismus Herrschaft ist, dürfte vielen intuitiv klar gewesen sein, wobei das inwiefern sich natürlich auch in vielen Texten wiederspiegelt, die aber eben eher soziologische Texte sind.

Ich persönlich finde in diesem Kontext die Geschichtsphilosophie Walter Benjamins (Über den Begriff der Geschichte) spannend, die er aus einer Kritik der vulgärmarxistischen/sozialdemokratischen Geschichtsphilosophie entwickelt: Für ihn ist der Kommunismus letztendlich Vehikel einer historischen Versöhnung: Erst nach der Revolution können die Kämpfe der ganzen historisch unterlegenen und ausgebeuteten Klassen der Geschichte als Teil eines Kampfes für eine allgemeine Befreiung gelesen werden. Indem die Geschichte sozusagen zu einem glücklichen (End?)punkt geführt wird, kann die Geschichte als ein Weg gedeutet werden, der zu diesem Punkt führte, waren die Opfer nicht umsonst. Dies ist, wie ich denke, ein starkes moralisches Moment, das zumindest mich motiviert.

Offline Kriegsklinge

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Re: Moralisch zwingende Herleitung des Kommunismus
« Antwort #23 am: 7.07.2013 | 11:07 »
@Wellentänzer:

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