Seit drei Tagen bei mir zu Hause, die Rückkehr von Rob Heinsoo und Jonathan Tweet zu D&D, diesmal als Paladine des Indie-Spiels: "Noch ist es nicht zu spät! Erkennt eure evil ways, Heerführer des größten Rollenspiels der Welt, dann können wir diese Schlacht umgehen!" Na mal sehen.
Wie sieht es aus?
Furchtbar. Das Cover, das Logo, das Format, überhaupt alles schreit "90er-Fantasy-Heartbreaker mit eigenen Regeln für alles und ganz viel Stimmungstext überall". Die Illus innen sind viel besser, aber komisch eingebunden und stilistisch so verschieden, dass der Eindruck des ungut Selbstgemachten hängenbleibt. Alles auch ziemlich generisch.
Aber heißt es nicht: Don´t judge a book by its cover?
Genau. Deshalb überfliegen wir erstmal alles. Schnell merken wir: Es sollte auch heißen: Don´t judge a book by the internet. Überall war ja zu lesen, 13th age sei ein Klon der 4E. I call Blödsinn. Was wir hier vor uns haben, ist eine extrem vereinfachte Variante der 3.x mit ein paar vereinzelten Konzepten der 4E (Healing Surges, Second Wind und Powers für einige Klassen, aber dazu gleich mehr), sowie vielviel Vermischtes aus dem Besten oder doch wenigstens Mainstreamkompatibelsten der Indie-Welt (Charakterkonzepte als mechanisch eingebundene Kategorien, thematisch/mechanische Verknüpfung von Welt und Charakteren hauptsächlich).
Wie steht es denn nun genau im D&D-Kosmos da? Was ist gleich, was anders? Und vor allem, im Vergleich zu was?
Okay, was aus anderen D&D-Derivaten bekannt ist:
- Kombination aus den üblichen Races und Classes
- Attribute
- Feats zum Ausdifferenzieren bei Levelaufstieg, wenige freie Feats, mehr an race und class gekoppelte
- Level, aber nur 10
Neu bzw. grundsätzlich anders:
- keine Skills; stattdessen hat jeder Tschar einen "Background" aus dem frei nach Schnauze eine Handvoll Traits generiert wird, also etwa: "Ich war mal Trapper", "Ich wickel jeden um den Finger", "bin auf der Straße groß geworden". Dafür gibts Punkte und die kriegt man bei Attributsproben als Bonus. Zack, so einfach. Die Backgrounds lassen sich per Feat und beim Levelaufstieg ausbauen.
- keine XP, Aufstieg erfolgt nach soundsovielen Kämpfen bzw. wenn man Bock drauf hat.
- Powers aus der 4E für einige Klassen; Bardenlieder und Zaubersprüche z.B. sind als Powers organisiert. Z.T. gibt es parallel aber auch Spellslots, das habe ich beim schnellen Lesen noch nicht ganz kapiert, aber ich glaube, es läuft einfach darauf hinaus, dass man bei jeder ungestörten Rast eine neue Kollektion an Powers aus einem levelabhängigen Vorrat zusammenstellt.
- Ausrüstung spielt so gut wie keine Rolle, heißt also, ist nicht in dem Maß ins Balancing eingerechnet wie in anderen D&D-Spielen. Schaden ergibt sich fast ausschließlich aus Charaktereigenschaften. Man kann so viele magische Items haben, wie man Level hat, jedes davon verleiht zugleich aber einen "Quirk", also einen Tick oder eine seltsame Angewohnheit, die man mit sich rumschleppt.
- Encounter als alles beherrschende Maßeinheit der 4E spielt hier keine Rolle; es gibt also kein Umschalten zwischen "Rollenspiel" und "Kampf". Genaue Entfernungen und damit auch Battle Map sind ebenfalls als Spielelement weggefallen.
- Icons und die thematisch/mechanische Verknüpfung aka "soft player empowerment". In der Welt von 13th Age gibt es 13 "Icons", also Movers und Shakers a la Elminster, Gandalf, Borbarad und Skeletor bzw. der Prinzessin aus Disneys Aladin (ja, der Lich Lord ist tatsächlich Skeletor unter anderem Namen und die "Priestess" sieht echt aus wie die Prinzessin mit größeren Brüsten und mehr weniger Stoff am Kleid -- das Buch sieht teilweise furchtbar aus, falls ich das noch nichtt erwähnt haben sollte.). Diese lassen sich gob auf die Gesinnungsmatrix anderer D&Ds abbilden. Spieler haben Relationship Dice, die an ausgewählte Icons gekoppelt sind. Sie können a) dadurch Boni in bestimmten Spielsituationen bekommen und b)vor jeder Session mitbestimmen, welches Icon am Spielabend besonderen Einfluss haben soll. Relationships zu den Icons sind ebenfalls per Feat usw. ausbaubar. Im Gegensatz zu mancher Internetbehauptung kann man dieses Element nicht einfach weglassen; es ist an vielen kleinen aber wichtigen Stellen mechanisch verzahnt und man würde 13th Age viel von seiner Besonderheit nehmen, wenn man es rausschmeißt bzw. dann könnte man auch gleich DSA2 spielen -- dazu später mehr.
Zwischenfrage: Wenn die Spielwelt per Icons und Relationships so mit den Tschars verknüpft ist, ist die Spielwelt dann auch richtig cool`? Weil, sonst ist das ja blöd, ne?
Ja, sie ist richtig cool. Zugegebenermaßen fand ich ja diese Icon-Geschichte erst ein bisschen lame. Aber beim Lesen wurde ich zunehemend hippelig und die kurze (na ja, mittellange) Weltbeschreibung hinten im Buch hat mich dann richtig gekriegt: So viele geile Ideen! Lebende Dungeons. Skeletor. Migrierende Kolossi wie aus Shadow of the Colossus. Städte, in die alle Monster rein dürfen, nur Orks nicht. Feindlich gesonnene Meere. Fliegende Städte voller Clockworks. Fliegende Städte in Schwanform voller schwuler Elfen (na gut, das habe ich jetzt gesagt). Götter aus allen Pantheons aller Welten. Drachentriumvirate, die per Geas an die Mächte des Guten gekoppelt sind, aber vielleicht nur ihre Gebrüder befreien wollen, die auf diverse Arten von eben jenen Mächten des Guten geknechtet sind. Domina-Dämonetten, die chaotisch böse sind, aber manchmal auch was Gutes tun, nur weil sie´s können und aus Chaosgründen. Streiter des guten, die alle auftauchenden Höllenschlünde besetzen, nur um es sich dann da bequem zu machen. Zwerge, die für das Gute streiten, bis sie ihre alten Ritualwaffen wiedergekriegt haben, mit denen sie dann so richtig böse werden wollen. Also echt, Tweet, der kann was. Will ich sofort spielen. Übrigens, Einführungsabenteuer, um mal milde zu spoiler: Belebtes Item, Zombiegoblins, aus denen Nachrichtenimps alienmäßig rausbrechen, Riesendrachen mit nur noch einem Flügel als Gegner, Verräter, die sich horrormäßig in Drachendämonen verwandeln und äh, ja, man ist am Ende Level 2. Geilgeilgeilgeil.
Aber jetzt Speichel abwischen und weiter im Text:
- Der im Internet schon berühmt gewordene Escalation Die. Heißt einfach, dass mit steigender Rundenzahl eines Kampfes die Spieler Boni auf Angriff und Schaden kriegen, weil sie sich halt in den Kampf reinsteigern bzw. um Kämpfe kürzer zu machen. Gegner kriegen gelegentlich Sonderangriffe je nach dem, ob gerade eine ungerade oder gerade Zahl beim escalation die liegen hat.
- Monster: Alles D&D-typische versammelt, ergänzt eben um Bezüge zu den Icons.
- Jeder Spieler hat ein superbesonderes Ding, aka Flag für den SL. "Ich bin ein unehelicher Sohn des Kaisers", "Mein Tod beendet das 13th Age", "Ich bin dreimalige Siegerin der zwergischen Trinkolympiade", so was. Das kommt dann im Spiel vor. Jo.
- große, aber fast versteckte Neuigkeit, die ich so eigentlich noch in keinem Spiel gesehen habe: Charakterklassen sind ganz offen nach Optionsvielfalt gestaffelt und zwar, damit die Spieler sich aussuchen können, wie kompliziert sie es haben wollen. Barbaren haben wie viele Powers? Null. Genau keine. Da jibbet nur Attribute und Feats und Base Attacks, die dadurch modifiziert werden -- na ja, und so Diablo-mäßige Angriffsstile mit Wirbelwind und so. Ranger und Paladine haben wie vielePowers? Eigentlich auch Null; aber sie können einen Feat wählen, der ihnen Zugang zu manchen Zauber gewährt und Ranger haben halt Begleittiere, mit denen sie schon ein paar mehr Optionen kriegen als ein tumber Baba. Und die Zauberkundigen haben dann ein kombiniertes Feat/Spellslot/Powers-System zum dran Rumschrauben. Und es sieht trotzdem so aus, als könnten die Klassen ganz gut miteinander mithalten, schadensoutputmäßig.
Das kann man ja blöd finden --- wie findest du das?
Ich finde, es liest sich supderduper. Wer sich im Kampf und beim Levelaufstieg zwischen ein bis drei Optionen entscheiden will, nimmt einen Baba, wer vier bis fünf haben will irgendwas zwischen Pala und Barde und wer zehn oder zwölf braucht, nen Magier. Prima. Muss man nur im Spiel mal sehen, wie sich das anfühlt. Gut finde ich jedenfalls, dass man sich von dem Gedanken verabschiedet hat, jeder Klasse auf Deubel komm raus gleich viele Möglichkeiten anzubieten (die dann doch oft nur Augenwischerei sind) und das den Spieler auch noch offen sagt bzw. zeigt, wo die Vorteile dabei sein. Und Möglichkeiten einbaut, wie trotzdem alle gleichermaßen am Spiel beteiligt sind.
Sonst noch was Neues?
Das Buch ist gut geschrieben. Die gelegentlichen Erläuterungen an Indieferne nerven manchmal ("Nein, dein superbesonderes Ding soll dir nicht in erster Linie Boni geben. Nein,echt nicht. Wirklich nicht."), aber okay. Manchmal ist es sogar richtig witzig. Es gibt zum Beispiel einen Feat, der einem Boni verleiht, wenn man seinen Spells so richtig verschraubte vancianische Namen gibt (also statt Feuerball "Kieswos kawummige Makmakaskade") Wenn einem keine Namen einfielen, so der Text, solle man doch das Dying Earth-RPG konsultieren -- oder Ars Magica.
Ist das Spiel denn gut, so insgesamt?
Schwer zu sagen, ich habe ja bisher nur einen Leseeindruck. Ich sag mal so: Wenn man mindestens eins der folgenden Statements unterschreiben kann, muss man sich das Spiel unbedingt ansehen:
"Och, wenn sie bei DSA5 nur endlich mal die 3W20 weglassen würden und dieses blöde Kaufsystem, das wär was, weil, auf komplexe Welten steh ich ja schon, nur ein bisschen heldenhafter sollte es ein, dass man auch richtig was reißen kann...Ich hoffe da auf dieses neue Sphärendings-Spiel, wo alle mitmachen, die sie bei DSA rausgeschmissen waren, weil sie nicht spießig genug waren."
"Ich mag ja Indies, aber der Langzeit-Spielwert ist mir da nicht hoch genug. Ich brauch was Kampagnentaugliches! Und eigentlich gefällt mir so traditionelles Rollenspiel auch ganz gut, wo einer der Spielleiter ist und ich mich auf meinen Tschar konzentrieren kann. Aber ich hab für mein traditionelles Rollenspiel schon voll viel mitgenommen aus den Indies. Das ist mehr so eine Einstellung, auch wenn´s keine Regeln dafür gibt."
"Irgendwie ist D&D schon cool, das hat so was oldschooliges. Aber die Regeln sind mir zu kompliziert und überhaupt, diese Itemflut und das stänidge Optimieren, pfuibäh. 4E hat sich beim Lesen ganz richtig angefühlt, aber dann haben sie´s doch wieder verbockt. Und diese miesen Abenteuer, die reinsten Encounter-Fließbänder!"
"Oldschool? Ach, ich weiß, was die damit wollen, aber mir ist das zu retro. Die moderne Rollenspielgeschichte hat schon viel Gutes gebracht."
Wenn man ein oder mehrere der folgenden Statements unterschreiben kann, muss man die Finger von 13th Age lassen:
"Mit dem Holy-Smiter-Feat und rockt meine Asassin´s Blade-Power gleich noch durchschnittlich 4 Punkte mehr Schaden pro Runde raus. Und wenn unser Elven-Paladin/Rogue dann noch endlich seinen Cloak of Divine Retribution bekommt, hat unser Dwarven Warforged ab Level 12 Zugang zu diesem krassen Feat aus dem PHB4, womit dann auch unsere Resis endlich mal vernünftig ..."
"Rogues müssen eben eine andere HP-Progression haben als Zwerge und damit auch eine andere Tabelle. Ich meine, wenn man nicht mal die Grundrechenarten beherrscht, hat man halt keine Zugang zum aufgeklärten Rollenspiel. Ist mir aber auch recht, dann höre ich das Flüstern der Gummihandschuhe besser, wenn ich meine Traveller-Sammlung durchblättere."
"Echte Männer kämpfen überhaupt nur dann mit Echsenmenschen, wenn sie aus einem abgestürzten Raumschiff klettern, das nach Männerschweiß riecht. Und wenn man zu doof ist, eine Karte von dem Raumschiff zu zeichnen, ist man eben kein echter Kerl, sondern eine Zwergenfrau, die ich nicht mal mit einem 15ft. pole anfassen würde."
"Jetzt nicht so viel Fluff, wo ist denn hier der Konflikt! Mein Tschar muss halt endlich mal mechanisch dahin getrieben werden, sich zwischen der inzestuösen Liebe zu seiner Schwester und seiner Ketaminsucht zu entscheiden. Sonst ist es nicht komisch, sondern nur platt."
Alle anderen können, müssen aber nicht reingucken.
Findest du´s denn gut?
Ich finde es spitze und will es unbedingt spielen. Alles, was ich an D&D nervig fand, ist weg: Minmaxen, die kernige Atmosphäre eines Gotcha-Spiels auf einem Schachbrett, tausend Stunden dauernde Kämpfe und Teamplay, das mich eher an Cricket erinnert hat als an Basketball. Sattdessen gibt es den Komplexitätsgrad von DSA 2 mit einer wilden, einfallsreichen Welt und freundlicher thematisch/mechanischer Integration. Genau das Richtige für ein Indiekind wie mich, das mit DSA sozialisiert wurde.
Ach ja, da war ja noch was mit DSA!
Genau. Alle enntäuschten DSA-Spieler müssen sich dieses Spiel besorgen. Wer so ein bisschen von Indies angefixt ist und hier ständig weinend in der Blubberlästerrunde rumhängt, der hat endlich sein Tierchen gefunden, er weiß es bloß noch nicht. Praktisch alles, was dort herbeigeträumt wird, hier steht es geschrieben. Man nimmt dieses Feat mit den verschraubten Namen, sagt statt "Feuerlanze" eben "Brennolanzo Todesstrahl - Lohe züngel´tausendmal" und schon hat man +2 auf alles, und statt den Icons aus dem Buch nimmt man die 12 Götter, den Namenlosen, die Praisokriche, Al´Anfa und noch ein paar andere her und schon hat man die thematische Integration portiert. Echt jetzt.
Was wünscht du dir zum Schluss?
Ich wünsche mir, dass Settembrini als Skeletor-Lich-Lord wiederkehrt und mit Schaum vor dem Mund diesen Stoß der Gegenaufklärung ins Herz des herrenmäßigen Rollenspiels geißelt als wär´s 2006. Aus ARS-Sicht ist 13th Age nämlich echt, als würde der Papst als Richard Dawkins verkleidt in Kants Geburtshaus eine Moschee eröffnen. Statt Charakterbastelei und Teamplay zur objektiven Herausforderungsbewältigung kriegt man unter dem alten Markennamen jetzt einen FATE-Burning Wheel-Keys gibt´s auch noch-Bastard mit Attacke/Parade-Manövern, auf die jemand "Powers" gesprüht hat, komplett mit Emo-Welt Der Untergang des Abendlandes.
Nein, im Ernst, ich wünsche mir, dieses Spiel ganz schnell auszuprobieren. Es ist wie Dungeonslayers, nur nicht so bieder und selbstgestrickt und ein bisschen mehr Indieinfiziert und besser geschrieben. Und das ist aus meiner Sicht schon ein großes Lob, denn ich mochte Dungeonslayers sehr und bin auch ein bisschen indieinfiziert.
Nur die Aufmachung ist furchtbar. O Gott, ist die furchtbar.
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