Bevor der Blechpirat den Thread kapert, wollte ich eigentlich noch ganz kurz auf den Einwurf von 1of3 eingehen.
Die ursprüngliche Fragestellung ist, wie die Diskussion ja schon ergeben hat, ein klein bißchen irreführend. Das Setting z.B. kann sich in den Regeln widerspiegeln, und das kann gut sein: Die Verwendung von Pokerkarten und -chips im alten Deadlands war z.B. sehr atmosphärisch. Das ist aber letzten Endes nur Staffage. Es ist nett, aber wirklich notwendig ist es nicht. (Ich werfe hier ganz kurz Regeln und greifbare Komponenten zusammen – mehr unten.)
Genau so wenig braucht DitV Regeln für Pferde, Gewaltritte, Lassowerfen und Indianersprachen. Das Setting bei DitV ist ja nicht entscheidend. Wie schon angesprochen, ist der Fokus des Spiels ein ganz anderer. Das Thema ist religiös fundierte Autorität, und der Fokus liegt auf dem Konflikt zwischen den unerfahrenen, religiös indoktrinierten und mit absoluter Autorität ausgestatteten Spielercharakteren und den problembelasteten Siedlungen und deren Bewohnern, die sie zu regulieren haben.
Und dafür braucht es meiner Meinung schon zugeschnittene Regeln. Das kann, wie erwähnt, auch darin bestehen, die Abhandlung auf die freie Interaktion zwischen den Spielern auszulagern, und nur bei Knackpunkten auf technische Mechanismen zurückzugreifen. Ur-D&D z.B. funktioniert ja genau nach diesem Prinzip, das von den Fans auch immer wieder glühend verteidigt wird.
Dann gibt es noch die von 1of3 erwähnte „fruitful void“ – Vincent Bakers Begriff für das, was das eigentliche Herz des Spiels und des Spielerlebnisses ausmacht, was sich aber nicht regeln und nicht vorschreiben läß. Die Regeln können das Spiel nur in diese Richtung führen. Die fruitful void bei Apocalypse World z.B. ist nicht das Krabbeln im postapokalyptischen Schlamm, nicht Kämpfe und nicht knappe Ressourcen, sondern die Hoffnung auf ein besseres Morgen, die emotionale Bindung von Spielern an Charaktere und die schmerzlichen Entscheidungen, die sich beim Kampf um eine bessere Zukunft ergeben.
Bei DitV ist die fruitful void das Verhältnis des Spielers zu den Entscheidungen und Aktionen im Spiel durch seinen Charakter und das Hinterfragen eigener Annahmen und Handlungsweisen.
Also: Wenn es in einem Spiel darum gehen soll, in einen Charakter zu schlüpfen, der für das kämpfen muß, woran er glaubt, der sich durchbeißen und gegen Widrigkeiten durchsetzen muß, dann brauche ich schon Regeln dafür, sowohl für das Durchbeißen als auch für Widrigkeiten.
Wenn dieses Spiel dann in einem quasi-mittelalterlichen Fantasy-Setting angesiedelt ist, kann es durchaus atmosphärisch und sinnvoll sein, wenn die „colour“ auch bedient wird: Regeln für Rüstungen, Pferdelanzen, Armbrüste, Schwertkämpfe … Das ist aber eine Frage der Ausstaffierung und bei weitem kein Muß.
Das kann man auf der letzten, materiellen Ebene so weit treiben, Spielmarker in der Form von nachgemachten Silberpfennigen zu verwenden – es sollte offensichtlich sein, daß man das nicht braucht, aber daß es nett sein kann.