Autor Thema: Railroader oder Sandboxer? Gestaltungsfreiraum als Kategorie im Rollenspiel  (Gelesen 17552 mal)

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Auf die Gefahr hin, den Thread entgleisen zu lassen:
1. Die Sandbox ist nicht der Extrempol des gewährten Gestaltungsraumes. Die von Wellentänzer angesprochene Rule of Cool ist dafür ein bezeichnendes Beispiel. In einer 100%-igen Sandbox ist es unmöglich nachträglich aus dem Nichts weitere Machtgruppen in die den etablierten Gestaltungsraum. (Spieler: "Cool wäre, wenn der Mafiaboss auftauchen würde." SL: "In der Stadt habe ich keine Mafia eingeplant. Also nicht möglich.")

2. Auch in einer 100%-igen Sandbox kann der gewährte Gestaltungsraum massiv beschnitten sein. Der SL entscheidet über den Ablauf eines Geschehens ohne SC-Beteiligung. Dieser Ablauf kann aus logischen Gesichtspunkten so aufgebaut sein, dass er durch keine Aktionen der SCs beeinflusst werden kann.
Beispiel: Die Gruppe hebt zum wiederholten Male eine Drogenküche eines Drogenbosses aus. Beim folgenden Kampf kann einer der Schergen fliehen. Der SL hatte durch seine Handlungsmaschine bereits vorher festgestellt, dass der Drogenboss als nächste Eskalationsstufe einen Auftragsmörder auf die Charaktere ansetzen wird. Deswegen hat der SL folgenden Ablauf der Ereignisse auf Grund der Weltsimulation erstellt: Scherge flieht und ruft aus einiger Entfernung den Boss an. Boss schickt den Auftragsmörder los. Die Spieler wollen das verhindern, indem sie nach dem Kampf (der etwas gedauert hatte) den Schergen verfolgen, aber egal was sie machen werden. Die Weltsimulation wird ergeben, dass der Scherge den Boss anruft.
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Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

Offline Slayn

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@Sin:

Fass die Sandbox in ihrer niedrigstens Ausprägung mal so auf: Aktive Spieler, Passiver Spielleiter (der nur die Welt verwaltet), nur emergente Stories möglich.
Fass die Railroad in ihrer extremsten Ausprägung mal so auf: Passive Spieler (die nur ihren Charakter in Szene erzählen dürfen), Aktiver Spielleiter, Story steht, keine emergenten Stories möglich.
Beide Extrempunkte sind stinklangeweilig und werden so kaum Spaß machen, weswegen sich normale Gruppen irgendwo dazwischen den Punkt suchen werden, der ihnen das angenehmste Spielerlebnis bringen wird.

Was du beschreibst ist aber die praktische Umsetzung des gewählten Punktes am Spieltisch, gerade wenn die (Hilfs-)Mittel, die man dazu hat (etwa die gewählten Regeln) das mal unterstützen, mal im Weg stehen und wie hier die Wechselwirkung ist.
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Offline gunware

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Was du beschreibst ist aber die praktische Umsetzung des gewählten Punktes am Spieltisch,
Ist nicht gerade das, was am Interessantesten ist? Was hilft eine theoretische, aber nicht-spielbare Betrachtung eines Problems?
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Offline Slayn

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Ist nicht gerade das, was am Interessantesten ist? Was hilft eine theoretische, aber nicht-spielbare Betrachtung eines Problems?

Es hilft, wenn man sich Gedanken um das Design eines Spiels machen will. Ich kann mir einen Punkt auf der Skala raussuchen, den ich für meine Zielgruppe halte und einfach mal vergleichen ob die Mittel, die ich für das Spiel entwickeln will, dafür sorgen oder es behindern das dieser Punkt erreicht wird.
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Offline aikar

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Zuerstmal: Guter Einsteigsartikel, ich bin mir aber nicht ganz sicher, was der Zweck der folgenden Diskussion ist  ;D
Aber ich geb einfach mal meinen (hoffentlich) ungefähr passenden Senf dazu.

1)
Primär finde ich es gut, dass in den letzten Jahren ein immer größerer Teil der Rollenspielerheit darauf kommt, dass es mehrere Arten des Spielens gibt und alle Spaß machen können, wenn sie den Nerv der Gruppe treffen.

Was vielleicht noch mehr durchsickern muss ist, dass auch Spielervorlieben veränderlich sind und oft von der aktuellen Befindlichkeit oder früheren Erfahrungen abhängen.
Ich leite sowohl Story-getriebene als auch Sandbox-offene Runden (zum Teil sogar parallel), einfach weil beides Spaß macht. Und auch, weil ich von beidem irgendwann genug bekomme und mich dann wiederum dem anderen zuwende.
Und interessanterweise kommen viele meiner Spieler mit beidem klar.

Natürlich gibt es gewisse Tendenzen und hier kann tatsächlich Robin. D. Laws altes Modell (Storyteller, Taktiker,etc.) immer noch gute Dienste für eine erste (!) Einschätzung der Vorlieben liefern. (In seinem "Gutes Spielleiten" findet sich übrigens auch schon der Ansatz basierend auf den Spielertypen Punkte zu vergeben um zu evaluieren, ob die Gruppe eher frei oder story-getrieben spielen will)

Vor allem muss aber die Erwartung stimmen. Ich sage zu Beginn einer Kampagne klar "Das wird sehr offen, das wird teil-offen, das wird Story-getrieben" und damit gibts dann eigentlich nie Probleme.

2)
Was ich auch interessant finde ist, dass die Argumente für extreme Sandboxen oft denen für simulationistisch-realistischen Spielsysteme ähnlich sind: Dem Wunsch nach dem Gefühl einer möglichst "realen" Welt.
In der Praxis sind aber gerade diese Systeme für die Sandbox ungeeignet, da Improvisation extrem aufwändig wird (Was vermutlich auch der Grund ist, warum die meisten DSA-Kampagnen eher geradlinig sind, obwohl die Welt für Sandboxing ideal wäre).
Leichtgewichtige Systeme erlauben dem SL hier deutlich schneller auf die (für ihn) ungeplanten Aktionen der Spieler einzugehen.
Diese sind aber meist wiederum abstrakt und damit für die "Welt-Spieler" nicht optimal, hier beißt sich die Katze also in den Schwanz. Mit einem komplexen Regelsystem eine gut improvisierte Sandbox vom Spielleiter zu fordern ist meiner Meinung nach unverschämt.

Was mich dahingehend mal interessieren würde wäre eine Statistik Sandbox-Befürworter vs. Gegner mit der zusätzlichen Information "Bin Spieler bzw. SL" und "Meist Verwendetes Regelsystem".

3)
 Die häufige Kritik "Das Abenteuer ist zu wenig Sandbox" ist, wenn man es genau überlegt, Blödsinn. Bei einer wirklichen Sandbox kann ich eben meist gar nicht auf vorgefertigte Abenteuer zurückgreifen. Material für eine Sandbox kann eigentlich nur in Form von Hintergrundinformationen und Aufhängern kommen.
Man sollte also vielleicht anfangen, Abenteuerbände (Pfade etc...) gar nicht mehr vom Blickpunkt der ultimativen Spielerfreiheit zu betrachten, sondern als eben für die Gruppe der Story-Spieler gemacht sehen. Natürlich könnte man dann spezielle Bände für Sandboxer machen, aber das wären dann eben eher Hintergrundbände und sollten auch so vermarktet werden. Ich denke, das könnte etwas Dampf aus dem Konflikt nehmen.

Und noch ein Brocken in den Raum (evtl. schreib ich später noch was dazu):
Sandbox basierend auf einer dichtbeschriebenen Welt (z.B. in Aventurien denkbar) vs. Sandbox die aus den Charakteren und Aktionen der Spieler entsteht (Dungeonworld)
Für Fans von Aventurien, denen DSA zu komplex ist: Aventurien 5e: https://aventurien5e-fanconversion.de/

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Ja, zu vielen der Äußerungen. Danke für die vielen Gedanken. Mir fällt die Diskussion ein bisschen schwer, weil ich den Eindruck habe, das Thema bereits recht lange und weit durchdrungen zu haben. Als entsprechend gering empfinde ich den Zusatznutzen vieler Einwürfe aus der Hüfte. Bitte verzeiht mir diese Arroganz. Klingt grauenhaft, ich weiß. Andererseits isses zumindest ehrlich. Bitte also um Nachsicht und ein bisschen Mitleid.

Vielleicht noch ein Wort zu denjenigen, die sich unbedingt am Begriff der "Sandbox" festbeißen wollen: das ist ein Strohmann. Der eine Extrempol ist vielmehr charakterisiert (absichtlich nicht spezifisch definiert, um übermäßiges Nitpicking direkt im Ansatz zu unterbinden) durch:

Zitat
Extrempol 1. Der SL ist neutraler Simulator der Welt. Die Rule of Cool "entwertet" Spielerentscheidungen. Plots sind per se böse. Showdowns hat es nie zu geben. Sie passieren einfach und ergeben sich natürlich aus dem Spiel. Jegliche Verletzung von Neutralität durch den SL, ja selbst die Neigung des Spielleiters zur Förderung bestimmter Handlungs- oder Aktionsmuster trägt in sich bereits den zersetzenden Keim der Unredlichkeit.

Selbstverständlich gibt es da eine große Kongruenz zu dem, was ich als Sandbox auffasse. Ich werde aber den Teufel tun und mit einer Definition um die Ecke kommen. Dann hat man nur wieder die ganzen Megakorrekten an der Backe. Ein derart weiches Thema hart zu definieren, ist halt unmöglich. Pudding an die Wand nageln und so. Hilfe!

@ 6: Du missverstehst die Aussagen ebenfalls, insbesondere zur Rule of Cool. Das, was Du forderst, steht bereits da.
« Letzte Änderung: 28.01.2015 | 11:48 von Wellentänzer »

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Okay. Dann lasse ich mal den Begriff "Sandbox" aussen vor.
Im Extrempol 1 solltest Du die Rule of Cool zulassen (die entwertet die Spielerentscheidungen nicht. Die Rule of Cool läuft halt der Weltsimulation an sich entgegen. Deswegen ist sie in Sandboxen häufig problematisch) und der SL muss zwingend kooperativ (und nicht neutral) eingestellt sein, da er den Spielern volle Gestaltungsmöglichkeiten einräumen muss. Die Spieler können dabei auch auf die Weltsimulationsalgorithmen zugreifen bzw. ändern.
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Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

Wellentänzer

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Nein. Die "Rule of Cool" ist insofern problematisch, als der SL die Position des strikt neutralen Weltensimulierers verletzt. Die Fragestellung ist nicht mehr: "Wie würde die Umwelt in Anbetracht der SC-Handlunge (oder meinetwegen auch davon unabhängig) reagieren? Die Fragestellung unter der Rule of Cool lautet: "Was würde mir als SL, vermutlich unter Berücksichtigung der mutmaßlichen Präferenzen aller Beteiligten, nun am besten in den Kram passen? Damit wird der Ereignishorizont eingeschränkt und Handlungsoptionen, die eigentlich natürlicher Weise zur Verfügung hätten stehen müssen, intentional beschnitten. Insofern läuft die Geisteshaltung, welche hinter der Rule of Cool steckt, der mit einer neutralen Weltsimulation verbundenen Maximaloffenheit entgegen.

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Insofern läuft die Geisteshaltung, welche hinter der Rule of Cool steckt, der mit einer neutralen Weltsimulation verbundenen Maximaloffenheit entgegen.
Und genau da ist Dein Denkfehler. (Das wollte ich Dir bei meinen Beschreibungen der Sandbox oben erklären) Die neutrale Weltsimulation ist eben nicht mit der Maximaloffenheit verbunden. Im Gegenteil. Da stehen die Regeln der Weltensimulation entgegen. 
Die Rule of Cool erlaubt die Regeln der Weltsimulation ausser Kraft zu setzen wenn es den Autoren in den Kram passt. Die Autoren im Rollenspiel sind nicht zwingend alleine die SLs, sondern (gerade im Extrempol 1) auch die Spieler. Deswegen sagte ich ja, dass die Sandbox (egal wie Du die jetzt definierst) nicht den Extrempol 1 repräsentiert.
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Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

Pyromancer

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Und genau da ist Dein Denkfehler. (Das wollte ich Dir bei meinen Beschreibungen der Sandbox oben erklären) Die neutrale Weltsimulation ist eben nicht mit der Maximaloffenheit verbunden. Im Gegenteil. Da stehen die Regeln der Weltensimulation entgegen. 
Die Rule of Cool erlaubt die Regeln der Weltsimulation ausser Kraft zu setzen wenn es den Autoren in den Kram passt. Die Autoren im Rollenspiel sind nicht zwingend alleine die SLs, sondern (gerade im Extrempol 1) auch die Spieler. Deswegen sagte ich ja, dass die Sandbox (egal wie Du die jetzt definierst) nicht den Extrempol 1 repräsentiert.

Ergibt für mich keinen Sinn. Wenn die Extrempole sind "Nur emergente Stoty" vs "Absolut feste Story", dann liegt die "Rule of Cool" ggf. noch nah bei der "nur emergenten Story" aber ist schon einen Schritt entfernt, da man versucht hier in eine bestimmte Richtung zu manipulieren.
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Pyromancer

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Ergibt für mich keinen Sinn. Wenn die Extrempole sind "Nur emergente Stoty" vs "Absolut feste Story", dann liegt die "Rule of Cool" ggf. noch nah bei der "nur emergenten Story" aber ist schon einen Schritt entfernt, da man versucht hier in eine bestimmte Richtung zu manipulieren.

Es geht hier ja (laut Thread-Titel) um Gestaltungsfreiräume. Und die sind bei der klassischen Sandbox (=Weltsimulation) eben für alle Beteiligten kleiner als bei der Rule-of-Cool-wir-erzählen-und-gegenseitig-dramatischen-Scheiß-Runde.

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In dem Fall stimme ich dem Pyromancer zu.
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Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

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Es geht hier ja (laut Thread-Titel) um Gestaltungsfreiräume. Und die sind bei der klassischen Sandbox (=Weltsimulation) eben für alle Beteiligten kleiner als bei der Rule-of-Cool-wir-erzählen-und-gegenseitig-dramatischen-Scheiß-Runde.

Sorry, ich hatte es nicht dazu erwähnt, weil ich es nebenan schon mal angeschnitten hatte: Bei der Rule of Cool hast du eine extrem entscheidende Begrenzung deines Gestaltungsfreiraums: Deine Mitspieler sind dein Publikum und müssen mit unterhalten werden. Die Grenze ist jetzt nicht direkt genannt, aber sie ist indirekt da. Nimm Fate hier als Beispiel und das Veto-Recht deiner Mitspieler zu bestimmen ob deine Aktion jetzt in den SIS passt oder nicht.
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Sorry, ich hatte es nicht dazu erwähnt, weil ich es nebenan schon mal angeschnitten hatte: Bei der Rule of Cool hast du eine extrem entscheidende Begrenzung deines Gestaltungsfreiraums: Deine Mitspieler sind dein Publikum und müssen mit unterhalten werden. Die Grenze ist jetzt nicht direkt genannt, aber sie ist indirekt da. Nimm Fate hier als Beispiel und das Veto-Recht deiner Mitspieler zu bestimmen ob deine Aktion jetzt in den SIS passt oder nicht.
Und die Rule of Cool vergrössert die Möglichkeiten im SIS, weil sie die Suspense of Disbelieve anwirft. Du kannst also Sachen machen, die dem gesunden Menschenverstand zuwider laufen.
->Vergrösserung des Gestaltungsraums
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Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

Offline Kriegsklinge

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Hallo Wellentänzer, das ist ein langer und interessanter Beitrag. Ich habe daran eine ganz freundliche Fundamentalkritik: Ich finde "Freiheitsgrade" als Unterscheidungskriterium zwischen verschiedenen Arten des Rollenspiels nicht so sinnvoll  :).

Die Mitspieler in Rollenspielen brauchen immer Gestaltungsspielräume, sonst ist´s kein Rollenspiel, sondern Vorlesen. Diese Spielräume können auf unterschiedlichen Ebenen liegen, also etwa eher den Plotverlauf betreffen oder den eigenen Charakter, aber die Größe oder Grad der Freiheit scheint mir da nicht das entscheidende zu sein. Ich finde es fruchtbarer, mich zu fragen, ob das Ziel des Spiels eher im Erleben eines kreativen Prozesses jetzt und hier liegt, bei dem dramaturgische und thematische Geschlossenheit hintenanstehen, oder ob das Erspielen einer Geschichte als Ergebnis des kreativen Prozesses Priorität hat. Etwas einfacher formuliert: Sollen sich die Ereignisse eines Spielabends hinterher als "gute Geschichte" erzählen lassen oder ist das nicht so wichtig?

Das, was du "Gewähren von Freiheitsgraden" nennst, sind für mich Techniken - in Regeln kodifizierte oder in der Gruppe stillschweigend angewendete - die eine der beiden Zielrichtungen unterstützen. Rollenspiel mit Fokus auf dem Verlauf lässt sich sowohl mit hohen als auch mit niedrigen "Freiheitsgraden" durchführen. Umgekehrt gilt das auch für Rollenspiel mit Fokus auf das Ergebnis.

Eine Runde "Primetime Adventures" kann sich ganz dem lebendigen Austausch von Szenen- und Konfliktideen verschreiben, sodass die erspielte Fiktion am Ende ziemlich Banane klingt (soll heißen: niemals als Serie wirklich eine Chance hätte, ständig das Genre bricht, mit wilden Zeit- und Raumsprüngen operiert, ständig einen neuen Gott aus der Maschine hüpfen lässt, nur um einen Konflikt zu erzeugen, an dem die Spieler Spaß haben). Mit dem gleichen Regelwerk und den gleichen Mitspielern kann man die Zielsetzung so verändern, dass der dramaturgische Bogen in den Mittelpunkt gerückt wird, dass Szenen sauber aneinander anschließen, dass die thematische Einheit gewahrt bleibt usw. Der entscheidene Unterschied sind dabei keine Freiheitsgrade (in beiden Fällen werden unterschiedliche Ebenen der Verfügungsgewalt über die Fiktion gesperrt bzw. zugelassen), es geht um das Ziel, auf dass diese Mittel ausgerichtet sind: Erleben des gemeinsamen kreativen Prozesses als Selbstzweck oder Erschaffen eines erzählerischen Endproduktes, das gewissen Anforderungen an Plausibilität und Kohärenz gerecht wird. Auch da gibt´s natürlich ein Kontinuum, in dem kaum eine Gruppe die Extrempole besetzen wird, klar.

Erklärt man aber die Freiheitsgrade, die Verfügungsgewalt über bestimmte kreative Ebenen zum Unterscheidungsmerkmal, kriegt man den übergeordenten Zweck nicht in den Blick, dem diese Mittel dienen. Oder?

Offline Crimson King

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Ebenso. Um genau zu sein, lässt sich die Rule of Cool auch als Teil der Regeln auffassen, durch die die Simulation statt finden soll.

Die entscheidende Frage ist, ob man als SL gewillt ist, den Spielern die volle Entscheidungsfreiheit zu lassen und sie mit im Rahmen des gewählten Kontexts geeigneten Konsequenzen zu konfrontieren.
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

J.W. von Goethe

Offline Arkam

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Hallo zusammen,

mir fehlt noch zwei Punkte im Gestaltungsspielraum.
Wird davon ausgegangen das der Spielbestandteil der Spieler, also Charaktere und NPCs, optimal, was genau jetzt optimal ist und wie die Unterschiede zwischen einem Spielercharakter der verschiedene Bereiche beherrschen muss und einem NPC der ja auf eine Szene spezialisiert sein kann könnte Thema für einen neuen Thread sein, aufgestellt sein müssen oder ob auch Schnörkel und vielleicht sogar der tödliche Taschenlampenfaller gestattet ist.
Wird bei den Handlungen der Charaktere davon ausgegangen das eine möglichst perfekte Lösung, also geringster Aufwand bei maximalen Erfolg, angestrebt wird oder auch das ausspielen des erdachten Charakters und eine aufwendigere Lösung bzw. gar ein zusätzlicher Konflikt sowohl in der Gruppe als auch für die Gruppe gewünscht ist.

Gruß Jochen
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Online Maarzan

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Die Sandbox ist nicht auf maximale Gestaltungsfreiheit des Spielers abgestellt, sondern der maximalen Gestaltungsfreiheit der Spieler, und damit Begrenzungen unterworfen, welche dafür sorgen, dass alle Spieler auf einer möglichst gesicherten Basis ihr Spiel angehen können, unter der entsprechenden neutralen Verwaltung des Spielleiters. Damit ist die Rule of cool als Trumpf außen vor, da der SL hier seiner Neutralität nicht gerecht wird und durch die starke Geschmacksnote von "cool" letztlich unplanbar und einseitig ins Geschehen eingreift.

Dabei möchte ich eine weitere Differenzierung zwischen Spielen hinzufügen: diejenige der Transparenz. Ob ein Spieler etwas als Railroading oder akzeptierte Beschränkung ansieht ist denke ich auch extremk davon abhängig, ob er sich bei Spielbeginn über diese Beschränkung angemessen informiert gefühlt hat.

Bezgl. Soziale Interaktion.
Sicher ist in einem Spiel ohen soziale Regeln der Spielleiter das maßgebliche Element bei der Handlungsfindung. Als Sandboxspielleiter steht er aber unter dem Mandat einer gewissen, der Spielart verpflichteten Herangehen an solche Situationen.

Die meisten Sandboxen sidn aus praktischen Gründen nicht 100% durchdesigned. Aber das Füllen der Lücken hat mit entsprechender Berücksichtigung der bestehenden Spielweltfakten und der Regeln zu erfolgen.

Bezgl. Bossanruf.
Die Spielermöglichkeiten sind genauso von der Spielweltlogik beschränkt wie für den Spielleiter. In dem Fall hätte der Scherge schnell genug verfolgt oder anderweitig neutralisiert werden müssen. Das war ihr regulärer Handlunsgspielraum.

Bezgl. "kompliziert"
Was problematisch ist, sind Spiele mit stark unorganischen und damit abstrakt zu planenden Charakterbauregeln. Ansonsten sehe ich kein Problem mit detailierteren Systemen als Basis einer Sandbox. Ich habe dabei bevorzugt als SL Rolemaster benutzt. Abstrakter sehe ich dann nur wieder als mehr Platz für Interpretationsprobleme.

Bezgl. Abenteuer
Ja, Abenteuer der klassischen Art sidn sicher nicht Sandboxtauglich. Was dem aber nahe kommt sind eben vorgefertigte Sandboxen bzw. Sandboxteile, welche Konflikte enthalten und die durch Beziehungen und Möglichkeiten vorgezeichneten Ablaufmechanismen sowie eine detaillierte Ist-/Warbeschriebung, um darauf basierend sauber extrapolieren zu können.

Bezgl. Taschenlampenfallenlasser
Der Grundcharakter des Taschenlampenfallenlassers ist unsandboxig, wenn damit ein bewußt initiiertes Versagen gemeint ist. Wenn ein schwacher Charakter es nach Regeln versemmelt, ist das hingegen so. Entsprechend solte aber dann auch am Anfang bei der Gruppenzusammenstellung ein Auge auf die Grundkompetenz für das angestrebte Spiel geworfen werden. 
Storytellertraumatisiert und auf der Suche nach einer kuscheligen Selbsthilferunde ...

Eulenspiegel

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Die entscheidende Frage ist, ob man als SL gewillt ist, den Spielern die volle Entscheidungsfreiheit zu lassen und sie mit im Rahmen des gewählten Kontexts geeigneten Konsequenzen zu konfrontieren.
Als SL habe ich damit eher weniger Probleme. Die imho wichtigere Frage ist: Möchte ich als Spieler in die Verantwortung genommen werden? Möchte ich als Spieler mich mit dem ganzen Meta-Zeug belasten und so viel OT denken?

Als SL habe ich kein Problem mit Spielen, die auf Player Empowerment wert legen.
Als Spieler dagegen hasse ich Spiele, bei denen von den Spielern PE verlangt wird.

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Hm, okay. Ich habe immer den Eindruck, dass die Leute im Theorieforum weniger gemeinschaftlich Theoriebildung betreiben als vielmehr Haare in der Suppe finden wollen, aber mit konstruktiven Vorschlägen euphemstisch ausgedrückt ...  geizen. Der Geist, die grundlegende Idee wird weitgehend ignoriert und sich stattdessen an Kleinigkeiten abgearbeitet. Aber irgendwie ist das ja immer so und geht ja nicht nur mir so. Gelernt habe ich aber immerhin, dass die Skala mit Gestaltungsfreiraum noch nicht passend bezeichnet wird. Aber den Rest mach ich dann mal weiter im stillen Kämmmerlein aus. Bin damit raus und überlasse den Thread für was auch immer.
« Letzte Änderung: 1.02.2015 | 22:37 von Wellentänzer »

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Nimm Weltensimulation vs. Literatur. Das dürften zwar nicht die beiden einzigen Pole in der Gesamtsicht auf Rollenspiele sein, aber ich glaube, dass Du damit genau den Bereich hast, den Du untersuchen willst.

EDIT:
Bevor ich es vergesse. Als dritten Pol würde ich persönlich dann Improtheater sehen. Ob es noch mehr Pole gibt, weiss ich nicht.
« Letzte Änderung: 2.02.2015 | 12:22 von 6 »
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Offline sangeet

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Die grundsätztliche Frage ist doch:

Wenn der Spieler entscheidungen Trifft, aufgrund der Weltbeschreibung des Spielleiters, dann hat er ja ein Interface, d.h. die Beschreibung, die nach gusto des SL's  gefärbt ist, d.h. das ganze ist schon besetzt, und hat eine vorauswahl.
Eine Sandbox wird es dann wenn der Spieler sagt: Hier gibt es doch bestimmt NPC X,Y, oder hier in der nähe ist doch ein See?` (Und der GM dann sagt, ja klar - nur eine paar stunden Fussweg entfernt.)


Prinzipiell ist die Frage der Freiheit an sich ja nicht beantwortet, da wir ja in interaktion mit der Umwelt stehen.

http://www.ttn-institut.de/node/512

Wenn man mal vom Hexcrawl absieht, kann man ja auch eine Sandbox einfach mit unterschiedlichen Factions aufziehen, die unterschiedliche, sich mit den Spielern überschneidene Interessen haben. D.h. meiner meinung nach lassen sich auch intensive "Plots" mit einem Sandboxing Konzept umsetzen lassen. Man muss nur die Parameter für die Sandbox so wählen, das daraus eine Interessante Geschichte werden könnte.

(PS, "Der Innere Feind ist in der 2nd und 3rd Edition jeweils eine Soziale Sandbox)
« Letzte Änderung: 2.02.2015 | 13:20 von sangeet »
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Wenn man mal vom Hexcrawl absieht, kann man ja auch eine Sandbox einfach mit unterschiedlichen Factions aufziehen, die unterschiedliche, sich mit den Spielern überschneidene Interessen haben. D.h. meiner meinung nach lassen sich auch intensive "Plots" mit einem Sandboxing Konzept umsetzen lassen. Man muss nur die Parameter für die Sandbox so wählen, das daraus eine Interessante Geschichte werden könnte.

Ich habe mal die wichtigen Punkte bei dem Zitat markiert. Es geht Wellentänzer ja nicht darum, dass vielleicht irgendeine Geschichte als Plot da raus kommt, sondern, dass Du als SL eine bestimmte Geschichte im Kopf hast und versuchst die so effektiv wie möglich zu präsentieren oder mit den Spielern zu erleben. Sobald Du diese Geschichte als SL vor Augen hast, musst Du zwingend die Sandbox und deren Weltensimulation daran anpassen. Wenn etwas für die Geschichte wichtig ist, dann muss das auch passieren. Die Regeln für die Weltensimulation werden dabei meistens im Wege stehen.

Allerdings kannst Du Abstriche bei beiden Konzepten in Kauf nehmen, um damit den jeweils anderen Pol entgegen zu kommen. Je mehr Weltensimulation, desto weniger Literatur. Umgekehrt genauso. Genau darum ging es Wellentänzer.
« Letzte Änderung: 2.02.2015 | 13:27 von 6 »
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Offline sangeet

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Kennt einer von den Sandbox Experten diesen Ansatz?

http://www.sinenomine-pub.com/?page_id=395
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