Ich habe mir mal Gedanken dazu gemacht und einen kleinen Text dazu verfasst. Er entstand vor der gestrigen Entwicklungen hier im Thread. Sollte er also nicht mehr ganz aktuell sein, bitte ich um Verständnis.
Katharsis im Rollenspiel
Gibt es das? - Ja.
Ich nutze es sogar bewusst, bei meinen Treffenrunden, weil ich dort den Platz und die entsprechenden Leute vorfinde.
Muss man es machen? Nein. Natürlich nicht. Aber man kann, wenn man mag. Wenn jemand Rollenspiel nur aus Spaß an der Freude betreiben möchte, als Eskapismus verwendet, dann ist das sein gutes Recht.
Ich dagegen mag es, mich manchmal anders damit zu beschäftigen. Und das mache ich nicht nur beim Rollenspiel so, sondern auch beim Filme schauen. Ist nun Rollenspiel dafür besser geeignet?
Was kann Rollenspiel besser als andere?
Die grundsätzliche Frage danach ist müßig, weil demnach alle Medien in Frage gestellt werden könnten, die ähnlich sind. Warum Bücher lesen, wenn der Film es genauso gut kann? Warum Filme schauen, wenn das Theater es kann? Usw.
Der Spieler hat beim Rollenspiel mehr als eine Funktion. Er zum einen das eingebaute Publikum, wenn auch in einem anderem Sinn als wie beim Film (Filme sind scheinbar rentabler, wenn es eine Gruppe von Menschen gibt, die die Vorlage schon kennen, mögen und voraussichtlich deswegen ins Kino gehen). Zum anderen, und viel wichtiger, er ist Akteur. Daher ist der Vorteil des Rollenspiels, dass man aktiver ist. Direkt involviert und beim Entstehungsprozess beteiligt.
Dazu kommt noch die Identifikation und Rollenauswahl. Bei Filmen, Büchern usw. ist man in der Regel eng an bestimmte Figuren gebunden, aber nicht unbedingt jene, die einen mehr interessieren. Im Rollenspiel hat man hier mehr Freiräume. Sie sind nicht grenzenlos, aber es gibt sie.
Hier zeigt sich auch die Option, dass man sich Figuren aussucht, deren Innenleben für einen speziellen Aspekt stehen. Für eine Erfahrung oder Weltbild, welches man normalerweise nicht teilt.
Die Katharsis erfolgt also auch durch die Rolle. Die bewusste Auswahl. Das Darstellen. Oder dadurch, das man sich aktiv mit einem Sachverhalt auseinander setzen muss.
In diesem Sinne denke ich auch nicht, dass die Atmosphäre oder das Spielsystem eine Rollen spielt, sondern...
Das Thema ist entscheidend
Alle Medien können einen katharischen Effekt auslösen. Und auch wenn ihre Präsentation eine gewichtige Rolle spielt, so ist das Thema in meinen Augen das Entscheidende.
Mag die Atmosphäre noch so gut sein, der thematische Inhalt ist das gewichtige Element, um eine Katharsis zu erreichen. In sofern ist es auch unwichtig, welches Setting oder mit welchen Regeln ich spiele. Es kann sogar so sein, dass es der Gruppe noch nicht einmal bewusst darum geht, und dennoch passiert es, weil das Thema dafür gesorgt hat.
Jetzt ist es gleichfalls so, dass es leichter fällt zum Ziel zu kommen, wenn man sich diesem Bewusst ist. Aber selbst das ist nichts, was anderen auferlegt werden muss. Ich kann als SL Themen abhandeln, die mich insbesondere Interessieren, die Spieler selbst aber erleben einfach nur eine Actionrunde. Ebenso kann ein Spieler während eines Spiels ein Aha-Erlebnis haben und keinem anderen war dies bewusst. Auch kann ich mir als Spieler explizit die Rollen aussuchen, die einen für mich wichtigen Aspekt stehen oder mir eine neue Sicht der Dinge geben. Oder ich kann mich eindeutig zu meiner eigenen Einstellung positionieren und dies im Rollenspiel austesten (wobei es vielleicht jetzt ernsthafter und verkrampfter klingt, als es sein sollte).
Ich stimme dem zu, dass die Atmosphäre und das Umfeld zu einem besseren Ergebnis führen, aber sie sind meiner Meinung nach nur ergänzende Elemente. Nicht zwingend notwendige. Wichtiger sind schon eher die Spieler und die Einstellung zum Spiel als ganzes.
Und hierbei meine ich nicht, dass alle verkrampft versuchen, eine Katharsis zu erspielen, sondern eine möglicherweise Eintretende nicht ablehnen oder versuchen, sie zu vermeiden. Am besten ist es also, das man eine Gruppe hat, die sich auf das Thema und den Umgang damit einlässt. Mit anderen Worten, es hängt von der inneren Einstellung ab.
In diesem Zusammenhang kommt es nun zu dem Aspekt, dass das Thema berührend sein muss. Das kann sehr gezielt geschehen, durch die entsprechende Themen- oder Rollenauswahl, es kann aber auch zufällig oder durch eine entsprechende Entwicklung passieren (hier vermeide hier absichtlich die Betonung auf eine gewollte Präsentation, weil es dann zu verkrampft und mit Zwängen daher kommen wird; ganz so, als wolle jemand die anderen belehren). Letztendlich muss mich das Thema irgendwie angehen.
Präsentation
Ergänzend dazu kann die Präsentation angepasst werden. Das Setting kann ebenso dazu gehören, wie der Ort an dem man spielt oder die Hilfsmittel, die man verwendet. Und natürlich kann das Spielsystem dazu beitragen, zu einem gutem Ergebnis zu kommen. Aber wie schon gesagt, in meinen Augen sind dies alles zweitrangige Aspekte und auch ein Grund, warum Leute ähnliche Erfahrungen mit ganz unterschiedlichen Spielen, Welten und Leuten gemacht haben.
Schlussendlich liegt es am Thema und der persönlichen Einstellung zum Spielen und dessen Ziel.
Anhang:
Warum habe ich so etwas wie kathartische Erfahrungen eher beim Filme schauen oder Bücher lesen gehabt als im Rollenspiel?
Meine Vermutungen dazu:
1. Es liegt sicherlich auch daran, dass man sich auf mehr als nur das eigene Spiel, innere Spiel, konzentriert. Damit es jedoch gelingt, muss ich in den Flow kommen und das kann im Spiel mit anderen schon einmal schwierig werden. Kann aber auch davon unterstützt werden. Nämlich dann, wenn andere mich mitziehen. Dazu heißt es aber, dass ich mich frei machen muss. Und das führt zu...
2. Sich wirklich öffnen. Ich muss mich für die kommenden und entstehenden Erfahrungen öffnen. Das heißt jedoch auch, sich unangenehmen Dingen zu stellen. Und sich anderen gegenüber darzustellen. Nur ist damit eine Angst verbunden. Und diese ist doppelt geprägt. Zum einen könnte ich tatsächlich etwas von mir preisgeben, was ich nicht will. Zum anderen könnte ich etwas vertreten, das ich nicht bin, aber andere könnten es von mir denken. In beiden Fällen werde ich diesen Ansatz, zu verstecken versuchen.
Wenn ich ein Buch oder Film konsumiere, habe ich diese Ängste nicht. Oder weniger, wenn ich nicht gerade mit jemanden zusammen schaue. Und dann hängt es auch davon ab, ob er dieser Person traue.
Beispielgag dazu: Der harte Typ, der beim Film weint. Im Kino darauf angesprochen, aber äußert, ihm sei etwas ins Auge gekommen.
Letztendlich ist wohl so etwas wie Scham und Angst. Diese wird natürlich durch eine Öffentlichkeit verstärkt. Es kann aufgehoben werden, wenn man sich wohlfühlt. Aber das ist nicht immer gegeben.