Hallo Freunde,
seit dem letzten GROSSEN (und eigentlich schon davor) treibt mich eine Frage um, die ich hier gerne diskutieren würde. Sind vor allem Beobachtungen über meine persönlichen Spielvorlieben, aber auch Dinge, die ich in theoretischen Texten (z.B. Blake Snyders "Save the Cat") wieder finde. Zur Sache:
Ich habe festgestellt das mir persönlich die Geschichten und auch Spielrunden am meisten geben und Spaß machen, die von "normalen" Leuten handeln. Mit "normal" meine ich hierbei Leute wie du und ich, deren Konflikte nicht aus einem wie auch immer gearteten Superhelden-, Fantasy- oder Science-Ficition-Einfluss herrühren, sondern die persönliche Konflikte aus ihnen selbst sind. Diese Leute leben nicht in magischen Welten und bekämpfen keine Monster. Sie leben im hier und jetzt, sie könnten die Straße runter wohnen. Auch historische Epochen sind möglich, solange die Protagonisten mit den Problemen ihrer Zeit und ihren inneren Umtrieben zu kämpfen haben. Diese können auch ins Extreme ausschlagen (Drogen, Gewalt, Unterdrückung, etc.), aber es sind Probleme, die nicht durch phantastische Elemente zusätzlich aufgeladen werden müssen, um zu wirken. Es sind normale Leute mit menschlichen Problemen.
Wenn ich meine besten Runden Revue passieren lasse, dann stelle ich fest, dass sie sämtlich diese Elemente enthalten haben: Das Familienbegräbnis, bei dem einander entfremdete Angehörige wieder an einen Tisch kommen. Der neunzigste Geburtstag einer reichen Erbtante, bei der die Protagonisten beschließen, Tantchen um die Ecke zu bringen und so hinter ihre finsteren Machenschaften kommen. Ja, selbst in Runden die phantastische Elemente haben, waren die Nicht-Phantastischen das Reizvollste für mich: Der von meinem SL realistisch gehaltene Krieg in Ussura bei 7te See, der vier gestandene Montaigner an ihre physischen und psychischen Grenzen bringt. Das Beziehungschaos und der Umgang mit den neuen Kräften und Pflichten in unseren Teenage-Werwolf-Runden. Das kalte Hassliebe-Verhältnis zwischen einem jungen Drachenblütigen und seinem Vater bei "Exalted". Das alles hätte auch ohne phantastische Elemente genau so gut funktioniert...
Und wer mir jetzt mit Eskapismus kommt: Mir fällt vor allem auf, dass diese "Geschichten über normale Menschen" ein riesiges Genre sind, dass auf der Welt ständig und von allen konsumiert wird. Unzählige Romane erzählen solche Geschichten; und wenn man in die Aufstellung der diesjährigen Oscar-Nominierungen guckt, dann gibt es eigentlich nur einen Film mit phantastischen Elementen, der in der engeren Auswahl ist. Alles andere sind, um es mit "Philomena" zu sagen, "Human Interest Stories".
Jetzt könnte man natürlich sagen: "Joah, so normale Leute sind ja für einen One-Shot ganz nett, aber für längerfristige Runden tragen sie nicht." Da halte ich dagegen, dass das TV voll von seriellen, sich über die Länge entwickelnden Geschichten ist, die sich im Kern um normale Leute drehen: Breaking Bad, Mad Men, Broadwalk Empire, The Tudors, Sons of Anarchy, Prison Break, Grey's Anatomy... die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Und es scheint auch nicht so zu sein, dass diese Serien sich schlechter zum von Rollenspielern viel geschätzten Eskapismus eignen: Leute konsumieren sie tagtäglich zur Entspannung und da sind auch Rollenspieler darunter. Eine Menge Rollenspieler.
Ich will hier wirklich keinen Spielstil über den anderen erheben: Jeder soll das spielen, was ihm Spaß macht. Ich habe eben nur gelernt, dass die ganzen phantastischen Spezialeffekte als Selbstzweck nicht für mich funktionieren - oder besser, nicht mehr. Das sind bunte Girlanden, hinter denen man die echten Probleme, die uns auch was angehen, versteckt. Abenteuer sind langweilig, wenn sie nicht Entwicklungen auf einer persönlichen Ebene widerspiegeln. Fantasywelten sind langweilig, wenn sie nicht zur Behandlung von Alltagserfahrungen taugen. Zumindest erkenne ich das jetzt langsam für mich...
Nun zu euch: Habt ihr längerfristige Runden ganz ohne phantastische, Superhelden-, Horror- oder SciFi-Elemente gehabt? Haben sie funktioniert? Woran liegt für euch der Reiz solcher Spiele? Und warum stoßen sie euch ab? Warum werden sie im Rollenspielbereich nicht mehr gespielt?