Das aufschlußreiche Umfragethema "Grognards" hat mich zu der Überlegung gebracht, daß ich die Biographien alter Rollenspielveteranen interessant fände: Womit ging ihr Rollenspiel los, wie hat es sich entwickelt, was waren die Glanzlichter und wohin wird es wohl gehen?
Da ich wohl oder übel auch einer dieser Grognards/Veteranen bin (obwohl ich selbstverständlich seit langem nur zarte 29,5 Jahre alt bin), fange ich mal an:
1986-1993: Genesis
Ich begann autodidaktisch mit DSA 1, das ich einem Kumpel für 10 Mark abgekauft hatte, und kam dann schnell zu DSA 2. Ich mußte von Anfang an den Spielleiter machen und fand in meinem dörflichen Umfeld zwar willige, aber selbstredend völlig unerfahrene Spieler. So waren die ersten Schritte für alle Seiten zwar exotisch und aufregend, jedoch auch mächtig holperig bis hin zur Verzeifelung; das gab sich dann aber recht schnell, so daß wir mit Hilfe des reichhaltigen DSA-Abenteuermateriales lange und gemütliche "Old-School-Frischlingskampagnen" spielten. (Dafür bin ich DSA heute noch dankbar und halte nichts von Rollenspielen, die massenhaft Quellenbücher, aber keine oder nur wenige Abenteuer und Kampagnen veröffentlichen.)
Ein Seitenblick zu Midgard war und blieb unbefriedigend; ich mag Midgard bis heute nicht.
1993-2003: Goldenes Zeitalter
Mit meinem Umzug in eine Großstadt und dem Entdecken eines öffentlichen Spielezirkels begann für mich ein goldenes Rollenspielzeitalter, das mit AD&D anfing und sich dann krakenartig über massenhaft Systeme ausbreitete. Haufenweise neugierige, interessierte Studi-Spielekumpels mit tausend Ideen, Systemen und Abenteuern sorgten für 2-4 Runden wöchentlich. Teilweise erarbeiteten wir ein Setting/System nur für 1-2 Sitzungen, um uns dann aus Neugier heraus gleich dem nächsten zuzuwenden.
Selbstredend führten wir hunderte Stunden lang Diskussionen über Mechanismen, Hausregeln, Eigenkreationen und "Realismus im Rollenspiel", denn das, was bis dahin auf dem Markt war, sagte uns nicht in allen Facetten zu. Jeder bastelte daher an "seinem" System, das natürlich alles besser machen würde. Erst mit Agone und Tribe 8 endete meine Suche nach meinen perfekten Systemen (die nicht allein bleiben sollten), so daß ich fürderhin und bis heute kein Interesse mehr am Eigenbau hatte.
AD&D folgten u.a. als Glanzlichter Call of Cthulhu, Mutant Chronicles, DSA 3, 7te See und nebenbei immer wieder BattleTech. Doch erst mit Agone, Tribe 8 und Star Wars d6 erreichten wir ein Kampagnenniveau, das wir bis dahin so noch nicht kannten: Langjährige Erfahrungen, pure Spiellust und enorme Spielleitermühen zahlten sich aus.
2003-2007: d20-Boom
Dem goldenen Zeitalter folgte der d20-Boom, den wir nach und nach voll mitmachten, auch wenn wir wöchentlich nicht mehr so viel spielten wie vorher. Das System fanden (und finden) wir erstklassig, die Settingvielfalt war beeindruckend. Sicherlich wurde das Systemgefühl etwas "einseitig genormt", aber durch unsere guten Systemkenntnisse konnten wir uns fließend und flott durch alle Settings bewegen; das war angenehm, zeitsparend und abwechselungsreich.
Diese Zeit gehörte D&D3(.5) und d20 mit Midnight, den Forgotten Realms und Eberron. Judge Dredd als besonderes Schmankerl kam hinzu, auch Mutant Chronicles d20 fand bei uns seine Fans.
Darüber hinaus wurden Rollenspielforen mitsamt Forumsrollenspielen populär, so daß sich viele meiner Rollenspielaktivitäten ins Netz verlagerten.
2007-2009: Ruhephase
Dem d20-Boom folgte eine längere Ruhezeit. Es wurden weniger Runden offline und online, und durch Umzüge waren wir gezwungen, teilweise auf Teamspeak auszuweichen. Das funktionierte zwar nicht schlecht, ersetzte das Spiel am Tisch jedoch nicht zufriedenstellend. Offline spielten wir viel Earthdawn und das Unisystem, online und über TS brachte das brillant-schräg geleitete DSA Old School viel Humor zurück ins Spiel.
Nichtsdestoweniger köchelte das Rollenspiel nach fast 15 Jahren Intensivspielzeit auf Sparflamme. Setting- und Systemmüdigkeit breiteten sich aus, obwohl die alten Truppen mit gelegentlichen Wechseln weitgehend bestehen blieben; man spielte nur seltener zusammen. (Mit einigen Spielern zocke ich schon seit 1993 mindestens monatlich!)
2009-2014: Spätblüte
2009 erwachten die alten Leidenschaften wieder mit dem Zufallstreffer Warhammer FRS 2, dem ich mich bis dahin durch böse Erfahrungen mit WFRS 1 lange Zeit verwehrt hatte. WFRS 2 jedoch überzeugte uns mit seinem tollen System und seiner großartigen Welt. Keiner von uns konnte und wollte sich diesem Faszinosum entziehen, und es wurde erneut eifrig jedes verfügbare Abenteuer gespielt. Ausflüge zu Schattenjäger und Freihändler brachten leider keinen Gewinn, aber WFRS 2 wurde das neue "System unserer Herzen", mit dem wir seitdem auch in anderen Settings spielen.
Die Spielrundendichte hielt und hält sich konstant bei ca. drei bis vier verschiedenen Runden mit jeweils einem Termin pro Monat und wechselnden Settings/Systemen/Spielleitern.
2012-2013 wendete ich mich im Trend des großen Vereinfachens ("Erzählspiel") der eher leichteren Systemkost zu, allen voran dem erfreulichen Dragon Age, dem unerwartet enttäuschenden Savage Worlds und dem entspannten Einsamer Wolf Mehrspielersystem. Auch Pendragon wurde wiederbelebt, wenn auch in größeren Abständen und mit ständigen Regelgrübeleien zwischen den Versionen 2, 4, 5, 5.1 und den ganzen Zusatzbüchern.
2013 kehrte ich aber etwas systemgelangweilt zu meinen Interessenwurzeln zurück und wendete mich wieder regelintensiveren Systemen zu, da für mich die regeltechnische Simulation in virtuellen Welten stets ein wichtiger Denk- und Spaßfaktor im Rollenspiel war und ist. So fand ich (nach jahrzehntelangem Widerstand) schließlich doch noch zu Shadowrun (Vers. 4.1), entdeckte mit größter Begeisterung MG Traveller und wendete mich aus einer Laune heraus 13M Rolemaster zu, das mich ganz überraschend in seinen Bann schlug. Der nächste Kandidat wird Splittermond sein, aber zunächst muß Rolemaster (in zweifacher Hinsicht) gemeistert werden.
Ausblick für die Zukunft:
Unser Rundensystem mit drei bis vier unterschiedlichen Runden, monatlich jeweils einem Termin und wechselnden Settings, Systemen und Spielleitern hat sich bewährt. Die Spieler fahren sogar bis zu 150 km (eine Strecke), um Teil unserer Runden zu bleiben. Spielerpool (8 Leute), Gruppenharmonie und -zusammenhalt sind hervorragend, ebenso die Motivation, Neues kennenzulernen. In seltenen Fällen gibt es sogar noch einen Spielerneuzugang, der gut zu uns paßt.
Wir sind zwar in puncto Systeme recht saturiert, aber die jüngsten Beispiele (Traveller, Rolemaster, Splittermond) schließen nicht aus, daß immer mal wieder etwas Neues auf den Spieletisch kommt.
Was an mir bisher weitgehend (wertungsfrei) vorbeiging:
Moderne Hypesysteme (FATE, FUDGE, Liquid), Superheldenrollenspiel, Hero System, GURPS, Ars Magica, Fading Suns, D&D 4, WFRS 3, viele Indies.
Was mich nicht (mehr) am Spieltisch sehen wird:
Midgard, Savage Worlds, DSA 4, L5R, WoD & Storyteller, viele Indies.