Nachdem ich jetzt lange gewartet habe, damit der Hype etwas abnimmt war ich auch endlich drin und wurde nicht enttäuscht:
Ich fand Interstellar wirklich sehr, sehr gut!
Werde ihn mir noch mindestens noch einmal anschauen, um meinen Eindruck zu prüfen, aber bis dahin bin ich geneigt zu sagen: Interstellar könnte der "2001: Odyssee im Weltraum" unserer Generation sein.
Mal sehen, ob ich nachvollziehbar begründen kann, warum ich das so sehe
Ich fange mal damit an, warum ich SciFi schaue und welchen Anspruch ich an guter, "harter" SciFi habe:
[[ACHTUNG: Ab hier leichte Spoilergefahr! Plotrelevante Dinge packe ich nochmal im Spoilertags, aber ein paar allgemeinere Punkte (kurze Beschreibungen von Bildern, allgemeine Themen im Film etc) werde ich offen schreiben!]]
Als erstes natürlich: Unterhaltung. Ein SciFi-Film darf gern spannend sein, soll mich aber durch irgendwas begeistern (Das kann Handlung sein, oder auch ungewöhnliche, beeindruckende Bilder, Musik oder unkonventionelle Ideen oder eine Kombination dieser Dinge).
SciFi hat gegenüber anderen Gattungen aber den Anspruch, eine gewisse Nachvollziehbarkeit der verwendeten Technologie zu bieten - eine Extrapolation realer Konzepte in die Zukunft ermöglicht den Menschen bisher unzugängliche Bereiche (ob räumlich, zeitlich oder auf eine andere Art) zu betreten.
Dabei dürfen im Rahmen der Fiktion gewisse Zugeständnisse gemacht werden, die aber kein Selbstzweck sein dürfen (mit der Begründung: Because awesome!).
Letzteres bricht Interstellar einige Male, was schade ist. Aber der große Knackpunkt, das schwarze Loch, ist nunmal der entscheidende Faktor - ohne die fiktionalen Effekte, die man diesem Phänomen hier zuschreibt, könnte man den Plot komplett in die Tonne treten - Und mal ehrlich: In District 9 gibt es ein ähnlich mächtig beanspruchtes Plotdevice, nämlich Alientech. Wenn das nicht Aliens (TM) wären, dann würden sich die Nerds doch reihenweise bei Dingen wie Energiewaffen mit Gensignatur und speziesübergreifenden, genetischen Mutation an den Kopf fassen und haarklein darlegen, warum der Film soundso überhaupt nicht geht, und was fürn Mumpitz das ist blablabla
Zurück zu Interstellar. Den folgenden Teil bekomme ich nicht spoilerfrei hin, also
Zeitreiseplots sind ja in SciFi Filmen auch ein typisches rotes Nerdtuch. Wie sehr wir doch alle be-Lescht sind, um abgeklärterweise ganz genau darlegen zu können, wie exakt Zeit doch funktioniert und wieso das nun totaler Schwachsinn ist, weil man ja genau weiß (!) das Zeitreise genau _so_ ja nun gar nicht geht
Interstellar ist da sehr mutig, weil es den Weg _trotzdem_ geht - aber auf eine erfrischend neue Weise: Der X-dimensionale Raum, in den Cooper durch das schwarze Loch eintritt eröffnet ihm alle Möglichkeitsräume aller Zeitlinien - und dadurch _dass_ er in das Loch fliegt, bestätigt er, dass er eben zu der Zeitlinie "Eintritt ins Schwarze Loch - Erkenntnis - Weitergabe des Wissens in die Vergangenheit - Erkenntnis dort - Bau des Hypercubes in Coopers Zukunft" gehört, und im Rahmen dieser Zeitline ist sein Handeln und die Auswirkungen über mehrer Zeitebenen in sich schlüssig.
Zumindest habe ich es mir so erklären können
Damit handelt der Film seinen Plot für meine Verhältnisse zufriedenstellend ab - kleine Ungereimtheiten wie Shuttles, die Planetengravitation überwinden können bin ich bereit zu schlucken, weil es dadurch eben abwechslungsreicher wird! Und die Planeten sind wirklich, wirklich cool, und mal was anderes als der Xte Dschungelplanet mit gleicher Atmosphäre und ähnlichen Kroppzeug wie bei uns!
Ein paar Wissenschaftlern beim Auswerten von Sondendaten zugucken kann ich bei "Europa Report" immer noch
Soviel zum Plot. Aber was ist mit dem Anspruch, Fragen zu stellen, die über den reinen Plot hinausgehen? Themen, die über Zeiten hinweg für Menschen immer eine Rolle gespielt haben?
Mal sehen, was hätten wir da:
- unbequeme Wahrheiten (die Ausbeutung der Erde, die Situation der Menschen, die Wahrheit über die Mission, Selbsttäuschung über eigene Objektivität)
- wie viel Wahrheit verträgt der Mensch?
- Wie geht der Wissende (=Wissenschaftler) mit der Wahrheit verantwortungsvoll um?
- Wie können wir uns als Menschheit helfen, wenn wir nicht mal bereit sind, über unsere persönlichen (eigene, Familie) Probleme hinauszudenken und zu handeln?
Nicht alle Fragen werden zufriedenstellen beantwortet, aber einige der Themen finden sich über den Film verteilt in mehreren kleinen, privaten wie auch in der übergreifenden Handlung wieder.
Und die Erkenntnis
dass nicht irgendeine göttliche/außerirdische Kraft den Menschen hilft, sondern allein der Mut und die Entschlossenheit und Verstand derjenigen, die über ihre persönlichen Bedürfnisse hinaus handeln und gegen alle äußeren Blockaden zu ihren Erkenntnissen stehen
ist für mich die mutigsten Aussage, die man in der heutigen Zeit im Blockbusterbereich erwarten kann. Und dafür danke ich Nolan.
Um nochmal den Bogen zu 2001 zu spannen: Ein zentraler Punkt des Films war Mißtrauen (der Menschen, die HAL gebaut haben und damit HALs Verhalten erzwungen) und die Gefahr, damit an unser eigenen Menschlichkeit zu scheitern. Das psychadelische Ende des Films ist ebenso ein Kind seiner Zeit, wie die Kalter Krieg-Thematik von 2010.
Und zumindest 2001 ist in seiner Langatmigkeit und Epik aus heutiger Sicht ästhetisch überholt - Kino hat sich weiterentwickelt und man darf erwarten, dass auch in anspruchsvolleren Produktionen gern auch Spannung aufgebaut und großartige Bilder und Effekte genutzt werden. Dies tut Interstellar - aber meiner Empfindung nach angenehm pointiert.
Die Musik kam mir - ganz im Gegensatz zu anderen offenbar! - überhaupt nicht aufdringlich vor, im Gegenteil: Es waren sehr viele überraschend ruhige Szenen zu sehen (Der stille Andockvorgang war großartig!) die sich auch z.T. viel Zeit gelassen haben (der Vorbeiflug am Saturn!).
Interstellar ist für mich der mutigste und mit seinen Themen und Präsentation zeitgemäßeste und ansprechendste SciFi-Film der letzten Jahre.
PS:
Noch Ein kleiner Ausflug zu "Europa Report", der hier ja gern als Referenz für Hard SciFi genannt wird: So sehr mir der Film gefallen hat, aber Europa Report ist nun mal ein einziges, fettes One-Trick-Pony. Die ganze Nummer funktioniert nur, weil der found-footage-Stil hier eingesetzt wird, um eine Dokumentation über eine lange Weltraumreise darzustellen und das Ganze dadurch absolut glaubhaft wirkt. Als Zuschauer hatte ich mittendrin wirklich das Gefühl, dass die jetzt wirklich "da oben" sein könnten - das macht für mich die ganze Faszination des Films aus.
Storytechnisch ist Europa Report aber eher flach, eindimensional und im Grunde genommen sehr langweilig und wird nur noch durch den "Twist" am Ende ein bisschen gerettet.
Will sagen: Hard SciFi und spannend gehen nun mal kaum zusammen - Gegenbeispiele willkommen!