Bei der Durchsicht der Settings in meinem Regal, die ich als interessant empfinde, ist mir mal wieder aufgefallen, dass die konzeptionell - ich sach mal - "avantgardistischeren" Sachen alle auf Englisch sind und es keine deutschen Übersetzungen davon gibt. Das gilt insbesondere für SF-Settings oder Settings mit SF-Elementen, die sich thematisch auf neuere SF-Literatur beziehen.
Auf Englisch gibt es da Eclipse Phase (Hard SF + Transhumanismus, deutliche Bezüge zu Richard Morgan, Kim Stanley Robinson), Mindjammer (moderne Space Opera a la Iain Banks + Transhumanismus), Numenera (Science Fantasy mit starken Anklängen an Gene Wolfe's "Book of the New Sun" und überhaupt die ganze verrücktere SF-Tradition, zu der auch Vance und Zelazny und ein Haufen neuerer Autoren wie Kameron Hurley oder Zachary Jernigan gehören), und wahrscheinlich einen Haufen mehr Zeug, den ich nicht kenne ... und wenn man den starken Literaturbezug weglässt, habe ich hier auch noch Ashen Stars stehen, und gerade auf dem Weg zu mir ist "In Flames", das auch sehr noch konzeptionell abgedrehter Posthuman-SF aussieht.
Auf Deutsch scheint es mir dagegen im SF-Bereich allgemein sehr mau auszusehen, und was es (entweder als Original oder in Übersetzung) gibt, ist vom Setting her doch sehr konventionell und stark in den Stereotypen der 50er bis 80er verhaftet. Traveller hat halt Asimov-Flair, was auch nicht schlecht ist, aber die ganze Entwicklung der SF in den letzten 40 Jahren links liegen lässt. StarSlayers sieht aus, als würde es straighte Military SF werden. Star Wars ist Star Wars, sein ganz eigenes Ding, das aber nichts mit zeitgenössischen SF-Konzepten zu tun hat. Nova muss ich mir noch ansehen, sieht aber eher nach klassischer Space Opera aus. Dann gibt's noch Shadowrun und Cyberpunk - da haben Ende der 80er halt mal Ausnahmsweise aktuelle SF-Motive auch die Rollenspielszene in D erreicht und sind haften geblieben. Aber das ist jetzt halt auch schon fast 30 Jährchen her ...
Was fehlt, sind Settings, die die Hauptmotive zeitgenössischer SF aufgreifen, also vor allem Post-/Transhumanismus, Auflösung von Kategorien wie Geschlecht oder Verwischen der Grenze zwischen Mensch und Tier (Uplift), Entwicklung ernsthaft fremdartiger Alien-Ökologien (anstelle humanoider Hunde- oder Katzenwesen mit Klingonenkultur). Das findet man alles auf die eine oder andere Art bei den eingangs genannten Settings, in deutschsprachig vorliegenden Rollenspielen scheinen mir diese Themen eigentlich gar nicht vorzukommen.
Liege ich da richtig? Habe ich was Wichtiges übersehen? Und wenn ich recht habe, woran liegt das? Sind die genannten Settings vielleicht schon einfach auf dem englischsprachigen Markt Nischenrollenspiele, und auf Deutsch wäre der Markt dann einfach viel zu klein für sie? Viele der von mir genannten SF-AutorInnen werden ja auch nicht (mehr) übersetzt. Sind solche Settings teilweise vielleicht auch einfach zu schwer spielbar? Ich weiß ja auch nie so recht, was ich mit Eclipse Phase eigentlich anfangen soll, außer darin zu lesen.
Mit fehlt ein richtiges "modernes" SF-Setting auf Deutsch - es gibt nur Nostalgiekram wie Space 1889, Sachen, die zu Nostalgiekram geworden sind wie Traveller, Cyberpunk und Shadowrun, und vielleicht noch Krieg im Weltraum, bei dem SF-Konzepte sich wenn überhaupt auf Waffentechnologie beschränken.
(Übrigens empfinde ich Numenera tatsächlich als ein glaubwürdigeres SF-Setting als Traveller, wahrscheinlich einfach, weil es näher an der SF-Literatur ist, die ich kenne und mag. Traveller enthält viele Sachen, die mich als SF-Konzepte einfach nicht interessieren und die mir auch irgendwie "überholt" vorkommen, darunter an irdische Kulturen angelehnte Star-Trek-Aliens, Weltraumimperien und derlei Zeug. Numenera enthält viel Verrücktes, zum Teil auch albernes Zeug, aber auch viele SF-Konzepte, die ich als zeitgemäß und spannend empfinde.)