@Skele-Surtur: ich kann deine Vorbehalte verstehen, auch wenn sie meiner Wahrnehmung oftmals nicht entsprechen. Die überwiegende Mehrheit der von mir gekannten Homebrew-Runden spielt eigentlich mit den selben Hausrunden +/- 1W6 - und die sind vernünftig. Aber natürlich habe ich auch schon anderes erlebt, nur eben mit zunehmendem Lebensalter immer seltener. Wer mit 40 noch immer und seit langem beim Hobby ist braucht keine Megalomania-Regeln mehr.
Ja, ich würde heute auch einige Entscheidungen anders treffen. Aber damals war ich neu im Rollenspielhobby, noch neuer beim Spielleiten, die 3e war frisch auf dem Markt und das Netz quoll über von Hausregeln, Heimgebräuen und "Guten Tipps".
Jeder, der einmal die Regeln überflogen hatte, glaubte, seine Ideen publik machen zu müssen. Ich war einerseits hoch motiviert und hab die Regeln regelrecht gefressen, daneben fehlte mir aber die Erfahrung, um gewisse Dinge richtig zu bewerten und auch die Souveränität im Umgang mit meinen Mitspielern war noch nicht optimal.
Das war sehr prägend.
Da ich Spielleiter erlebt habe, die die Spieler klein gehalten, die Regeln willkürlich gebeugt haben, Mary-Sues einsetzen und die Gruppe gelegentlich gefickt haben, wenn es ihnen in den schienengestützten Plot passte, wurde ich zum Regelfuchser, um jeder in meinen Augen, unfairen SL-Entscheidung mit blankem Regelmaterial entgegentreten zu können, wie ein Bürgerrechtler, der sich vor Staatswillkür schützen will.
Weil ich Spieler erlebt habe, die dank massivem Powergaming das Spiel an sich gerissen haben und teilweise andere SCs durch höheres Powerlevel dominierten (bis hin zur "wenn du das machst, schneid ich dich um"-Drohung), wurde ich zum Balancing-Fanatiker.
Und weil ich Spieler erlebte, die extrem seltsames 3rd-Party-Material angeschleppt haben, wurde ich zu einem entschiedenen Gegner von 3rd-Party-Material.
Natürlich sehe ich das nach 12 Jahren im Hobby viel gelassener und dank Regel 0 sind diese Probleme für mich heute nur noch Randerscheinungen bis non-existent.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich, seit dem ich mich von bestimmten Leuten getrennt habe, jemals wieder über einen Spieler richtig geärgert habe, während am Anfang regelmäßig die Rage nicht nur ein Classfeature des Barbaren, sondern auch eine gute Beschreibung meines Gemütszustandes nach der Spielrunde war.
Wichtiger als die Regeln auswendig zu kennen, ist es einen SL zu haben, dem man vertrauen kann.
Wichtiger als Balancing sind ein gemeinsamer Spielstil.
Wichtiger als die starre Begrenzung des Quellenmaterials, ist ein gesundes Augenmaß.
Aber so ganz Spurlos geht diese frühe Prägung halt doch nicht an der Festplatte vorbei. Ich bin immer noch für Balancing, für klare und verbindliche Regeln als gemeinsamem Referenzrahmen und für eine Begrenzung der Quellen auf eine überschaubare Menge.
Das Problem bei dem Quellenmaterial ist vielleicht heute nicht mehr so ausgeprägt und ich kann auch schneller und besser identifizieren, wann etwas einen näheren Blick wert ist und wann man nach den ersten Zeilen nicht mehr weiterlesen muss. Da hat mir sicher das
auch bei geholfen. Ich habe aber auch einfach die Zeit gebraucht, um zu diesem Punkt hin zu reifen, als SL, wie auch als Spieler.
Aber im Grunde läuft es wirklich darauf hinaus:
Wem die Arbeit, solche Dinger durchzuforsten und nach den Kleinoden zu suchen, die Sache nicht wert ist, der macht's nicht.
Es ist eine Frage des Aufwandes im Verhältnis zum zu erwartenden Mehrwert.