Was müsste ein Rollenspiel leisten, dass Grausamkeiten und Tod als Lösungsmittel definitiv ausschliesst, aber dennoch auch von Otto-Normal-Rollenspielern gespielt werden soll und nicht nur von Kindern?
Es müsste Wunder wirken. Anders ausgedrückt: So geht das m.M. nach nicht.
Was aber möglich ist und das Spielerlebnis sogar intensivieren kann ist das, was auch in der realen Welt über den Einsatz von Gewalt entscheidend, nämlich die Motivation und Konsequenzen für/aus dem (Nicht-) Einsatz.
Für das Verhalten von NPCs kann man das festlegen. Das berühmt-berüchtigte Wolfsrudel als Entry-Level-Gegner zieht es womöglich nach Einschätzung seines Gegners vor, der Konfrontation mit den Helden lieber aus dem Weg zu gehen. Der Spannung tut das keinen Abbruch, denn die Bedrohung ist vorhanden und die Spieler wissen ja nicht, dass ein kampfloser Ausgang aus der Bedrohungssituation geplant ist. Viel schwieriger ist es da schon, gewisse Spieler/Charaktere davon abzuhalten, das Wolfsrudel bis zum Ar*** der Welt zu verfolgen, es doch noch stellen und abmurksen zu wollen, nur um ein paar XP abzugreifen.
Da sehe ich dann mehrere (kombinierbare) Möglichkeiten:
1.) Man kann die Konsequenzen dieser Entscheidung möglichst drastisch ausfallen lassen. Vom Weg abzuweichen und irgendwo in der Pampa zu verschwinden, nur um ein paar Wölfe zu verfolgen, ist mit Ver- und ziellosem Umherirren nicht unter 24 Stunden und Verlust geliebter Items zu ahnden.
2.) Man kann die Hemmschwelle sehr hoch setzen, indem der Einsatz von Gewalt in grundsätzlich mordsschwere Kämpfe mündet, die mit recht hoher Wahrscheinlichkeit zum Tode, wenigsten aber zu längerfristigen oder sogar permanenten Mali durch Verletzungen/Krankheiten führt. Das ist insofern von Vorteil, weil es auch Charaktere berücksichtigt, die nun einmal mit hoher Gewalttätigkeit und geringem Konsequenzbewusstsein gespielt werden müssen, auch wenn der Spieler durchaus einsichtig wäre. Aber auch ein Barbar wird friedlicher, wenn er einige Tage Spielzeit humpeln muss und für den Rest seiner Charakter-Karriere mit nur noch einem funktionierenden Auge klarkommen muss - der weitere Umgang mit Gewalt ergibt sich sozusagen auch aus dem Zustand der Charaktere.
3.) Man kann quasi jedes Setting mit dynamischen Konsequenzen ausstatten, falls es regeltechnisch nicht möglich ist, die Möglichkeiten zur Gewaltanwendung durch die Charaktere (oder die Mordlust der Spieler) einzugrenzen. Mord und Totschlag haben immer Folgen, Tote haben immer Angehörige, ein schlechter Ruf spricht sich immer herum. Wenn man irgendwann die ganze Welt zum Feind hat, macht Gewalt keinen Spaß mehr.
4.) Andersherum kann man das Lösen von Problemen ohne oder mit zumindest minimalen Gewalteinsatz auch belohnen, sei es durch Extra-XP und/oder allgemein dadurch, dass Spieler innerhalb des Settings merken, wie es sich lohnt, die Sache mal ruhig anzugehen; da reicht es womöglich schon, wenn NPCs kooperativer und hilfsbereiter auftreten und den Charakteren mit offenkundigem Respekt begegnen. Wenn fühlbar wird, dass Respekt mehr bringt als Furcht, ist da schon die halbe Miete. Die andere Hälfte ist die, dass man halbverhungert und schwer verletzt in Dörfern eher Nahrung findet, wenn man sie zuvor nicht gebrandschatzt hat.
Grundsätzlich bevorzuge ich einen "gesunden" Umgang mit Gewalt. Spielwelten sind gefährlich, weshalb Gewalt auf einen einwirkt und man nicht immer gewaltlos reagieren kann. Aber exzessiver Gewalteinsatz der Charaktere sollte dazu führen, dass selbst die beschissenste Situation recht schnell noch viel beschissener wird. Wenn Spieler vernünftig spielen, sind die Eskalation und deren Folgen dass, was sie erwarten. Falls nicht, ist es der "Erziehung" der Spieler sehr dienlich.
Was den Tod angeht, ist dieser keine unausweichliche Folge von Gewalt. Man kann immer Situationen schaffen, in denen der Einsatz von Gewalt gegen die Charaktere nicht zwingend zu deren Tod und in denen Gewalt durch die Charaktere nicht zum Tod von NSCs führt. Selbst der dümmste Ausgang kann immer noch andere, weniger endgültige Konsequenzen haben, die da Spiel sogar bereichern können. Die meisten Leute dürften eine Flucht aus Gefangenschaft und/oder das Überwinden schwerer Verletzungen dem Charaktertod vorziehen, während andersherum ein erneutes Zusammentreffen mit früheren Widersachern die Möglichkeit bietet, dass diese "dazugelernt" haben und nun erneut gute Gegner abgeben, die zu bezwingen XP, Beute und vor allem Befriedigung verschafft.