Ich weiß, dieser Thread ist alt, aber das Thema ist sehr interessant und bewegt mich auch, und ich bin erst kürzlich nach längerer
-Abstinenz auf diesen Thread gestoßen. Ich frage mich auch schon seit einiger Zeit, warum zu einem "guten Rollenspielabend" immer auch ein "zünftiger Kampf" gehören "muss". Ich bin nämlich der Meinung, dass das gar nicht so sein muss. Es gibt genug spannende Geschichten, in denen die Helden keine Gewalt anwenden, oder sich nur wehren, wenn sie angegriffen werden, und sich damit zufrieden geben, dass der Gegner (z. B. ein Raubtier, das um ihr Nachtlager herumschleicht) die Flucht ergreift (dafür reichen bekanntlich bei normalen Tieren in der Regel Fackeln, Peitschen und ähnliche Dinge), bzw. auf andere Weise daran gehindert wird, seinen Plan umzusetzen (etwa indem man das Artefakt vernichtet, dass er zum Endsieg braucht). Ich kann mir zum Beispiel eine Kampagne vorstellen, in der die SCs Enthüllungsjournalisten oder Mitglieder einer NGO sind, die Skandalen auf der Spur sind und Beweise sammeln - und dabei
ganz bewusst auf Gewalt verzichten. Nennt es ruhig "Greenpeace: Das Rollenspiel", warum nicht? Ich denke, es ist durchaus sehr spannend, wie man beispielsweise einen Plan austüftelt, die Sicherheitsmaßnahmen auf dem Konzerngelände zu überlisten und die Proben/Dokumente/was auch immer für Beweisstücke da rauszuholen, ohne erwischt zu werden - und auch ohne selbst Bluttaten zu begehen. (Da hat Ludovico ja ein Szenario vorgeschlagen.) Oder denkt an MacGyver, der seine Probleme intelligent löst und selten Gewalt anwendet. Warum geht das nicht auch im Rollenspiel?
Ich denke, die Kampfzentrierung der meisten Rollenspiele ist, wie Evil Batwolf richtig sagt, eine "Erblast", die das Rollenspiel seinen Anfängen im Wargaming zu verdanken hat. In einem Wargame wird eben hauptsächlich gekämpft, das ist ja gerade der Kern des Spiels, und alle Nicht-Kampf-Aktionen wie Spionage oder Brücken bauen sind, wie im echten Militär, "Kampfunterstützung". Und so ähnlich war es dann auch in D&D. Es spielt auch sicher der Aspekt eine Rolle, auf den scrandy hingewiesen hat, dass das Rollenspiel aus den USA stammt, dem Land des "right to bear arms", das, ohne jetzt antiamerikanisch klingen zu wollen, ein anderes Verhältnis zur Gewalt hat als die Länder Europas, mit einer ca. 10-mal so hohen Verbrechensrate und mehr Menschen in Gefängnissen als an den Universitäten.
So viel zu den Ursachen des Problems (wie ich es mal nenne, für manche Rollenspieler ist es kein Problem). Nachdem wir nun wissen, woher es kommt, denke ich, können wir es um so besser hinterfragen. Was wäre eine Gruppe von Leuten, die wie eine "typische" SC-Gruppe loszieht, um einen Bösewicht zu erledigen, in der wirklichen Welt? Helden oder Lynchmörder? Wir haben ja aus gutem Grund auf dieser Seite des Atlantiks das Gewaltmonopol des Staates, das freilich nur in einem demokratischen Rechtsstaat das Problem löst, und den gibt es in vielen Rollenspielwelten nun mal nicht. Aber das ändert, denke ich, an der moralischen Bewertung von Gewaltakten nicht allzu viel, wenn es auch - trotz Abwesenheit des Rechtsstaates - eine gewaltfreie Lösung gibt.
Natürlich ziehen sich viele Rollenspieler aus der Affäre, in dem sie sagen, "Aber wir kämpfen ja nur gegen Monster! Orks sind doch keine Menschen, oder doch?" Vorsicht. Das riecht für mich irgendwie nach Rassismus. Auch wenn es hier Wesen betrifft, die es in der wirklichen Welt nicht gibt, erregt diese Ausrede bei mir ein ungutes Gefühl, denn es ist erst 70 Jahre her, als ähnliches über Juden, Slaven und was weiß ich noch hier in diesem Land gesagt - und in die Tat umgesetzt wurde. In diesem Zusammenhang sei auf Chiarions Beitrag verwiesen, "Monsters are people too". Mal abgesehen vom Ethischen: ein realistisches "Monster" hat seinen Überlebenswillen und exististert nicht nur um von Spielercharakteren abgemurkst zu werden.
Es geht mir nicht darum, den Kampf komplett aus dem Rollenspiel zu verbannen und beispielsweise Rollenspiele ohne Kampfregeln zu basteln. Aber es sollte doch erlaubt sein, über Alternativen nachzudenken.
EDIT: Hinzu kommt, dass mir Kämpfe im Rollenspiel auch keinen großen Spaß machen. Würfeln, Würfeln, gegenwürfeln, Punkte abstreichen, nächste Runde, das ist nicht meine Definition von Spielspaß