Als wir vor ewigen Zeiten mit Midgard angefangen haben, gab es noch gar kein Setting, nur die Regeln. Also haben wir unser Setting selbstgemacht. Wir hatten ein sehr großes Plakat, auf das wir mit dünnem Zeichenstift unsere Eintragungen gemacht haben. Von Abenteuer zu Abenteuer vergrößerten sich unsere Kenntnisse über unsere Welt und die Karte wurde mehr und mehr ausgefüllt. So entstand ein großes, zentrales Reich mit 11 Provinzen an einer gewaltigen Meeresbucht. Nicht allzu oft, aber ein paar mal, haben wir Aufgaben verteilt: Jeder von uns hat ein oder zwei dieser Provinzen ausgearbeitet. Wir spielten mit wechselnden Spielleitern. Manchmal spielten unsere Abenteuer in der bereits bekannten Welt, manchmal nicht. Wer als Spielleiter ein Abenteuer geleitet hat, das in die Fremde führte, hat hinterher nach kurzen Feedbacksitzungen unsere Welt ein Stück weiter definiert. Nach und nach kamen Nachbarstaaten dazu, Gegner des zentralen Reiches, Verbündete. Manchmal haben wir D&D-Abenteuer auf unsere Welt konvertiert. Aber weil unsere Welt alles andere als komplett war, haben wir, wenn es passte, auch einfach irgendwelche Details aus den Abenteuern vereinnahmt. Das ist der Grund, warum es bei uns beispielsweise auch eine "Savage Coast" gab. Toll war, dass es trotz aller Einflüsse unsere Welt war. Toll war auch, dass wir eigentlich immer genug weiße Flecken auf der Karte hatten, um dieses Mystery-Erlebnis aufrechtzuerhalten. Da gibt es diese Stellen, da weißt du nicht, was sich hinter dem nächsten Hügel eigentlich befindet. ("Dahinter liegt eine Gebirgskette mit Zwergensiedlungen? Na, wie sind die denn drauf? Lass uns mal nachsehen!"). Wie waren mit Feuereifer dabei und haben uns gefreut wie die Schneekönige über unsere Landkarte und unsere entstehende Welt.
Inwieweit das alles logisch durchdacht war, fanden wir nicht besonders wichtig. Wir haben uns darüber unterhalten, wie ein neues Element in unsere Welt passen könnte. Das war nicht sehr sophisticated, aber funktional und eine Lösung war meistens schnell gefunden.
Irgendwann erschien übrigens Midgard als Setting. Wir haben es uns angeschaut, haben uns ein bisschen gewundert und sind dann bei unserer Welt geblieben.
Die Runde existierte vielleicht 7 oder 8 Jahre. Danach wurde der Aufwand, die durch Studium und Beruf verstreuten Spieler an einen Tisch zu bringen, zu groß. Die neuen Runden von uns griffen dann auf das Midgard-Setting zurück. Ich habe nichts gegen dieses Setting (und auch nichts gegen die meisten anderen, die ich kenne), aber im Nachhinein finde ich es schon traurig, dass für eine Welterschaffung wie zu meiner Rollenspielfrühzeit heute offensichtlich keine Gelegenheit mehr ist. Ich habe aber eine Weile gebraucht, bis mir klar wurde, dass mir bei vorgefertigten Settings etwas abgeht. Der Glitter und Reiz des Neuen bei vorgefertigten Settings ist eben recht verführerisch. Du kannst schnell ungewöhnliche und reizvolle Spielerfahrungen haben. Erstmal toll! Durch die Settinginflation wird dann aber zumindest für mich relativ viel auch einfach austauschbar. Daher ist für mich das Wie viel wichtiger als das Was: Ich will irgendwann mal wieder zu diesem gemeinsam erlebten Sense-of-Wonder zurück, den es für meine Begriffe nur bei eigens erschaffenen Welten gibt.
Ah... und dann gab es ja noch eine Frage vom Strangeröffner (sorry für mein Geblubber): Ja, ich denke Settingbände sind überbewertet.
Chiarina.