Wenn Du eine Kopie eines Originals erstellst, die glaubt, sie sei das Original, dann ist sie das Original. Da sehe ich sehr wohl die wahrscheinlichste Variante drin. Der Clou in der Geschichte liegt daran: wenn Original und Kopie gemeinsam existieren, dann wird das Original ein eigenes Bewusstsein entwickeln und seine Löschung als Ende der Existenz empfinden. D.h. beim Far Cast oder Egotransfer muss das Original erst sediert und dann ohne Wiedererlangung des Bewusstseins gelöscht werden. Und die Kopie darf nicht das Bewusstsein erlangen, bis das Original gelöscht ist, um die Kontinuität des Egos zu gewährleisten.
Da landest du halt schnell bei einer ganzen Reihe Grundprobleme:
Erst einmal die Variante, dass das Original fortlebt, ohne zu wissen, dass eine Kopie erstellt wurde und die Kopie sich selbst für das Original hält oder zumindest davon ausgeht, dass das Original nicht mehr existiert. Sind sie in dem Moment, in dem sie voneinander erfahren, plötzlich rückwirkend nicht mehr "sie selbst" gewesen? Oder wäre es nicht viel schlüssiger, sie ab dem Moment der Erstellung einer Kopie als getrennte Persönlichkeiten zu betrachten, sodass das Identitätsparadoxon erst gar nicht entsteht? Das würde aber wieder implizieren, dass, wenn im Zuge der Erstellung einer Kopie das Original zerstört wird, um die nicht-verzweigte Kontinuität zu gewährleisten, in Wirklichkeit genau das Gegenteil geschieht: nämlich schlicht und einfach ein Mord an der Originalperson (bzw. ihr Selbstmord).
EP geht ja noch einen etwas anderen Weg und bringt über das Forking die Idee rein, dass ein transhumanistischer Begriff des Individuums eine gewisse Verzweigung ermöglicht; da wird es wieder interessant, finde ich, die Grenzen des Individuums werden hier halt schwimmend, besonders, wenn man die Möglichkeit der Re-Integration einbezieht. Im Prinzip könnte man, wollte man wirklich radikal sein, einfach erklären, dass sich der Begriff des Individuums in so einem Setting mehr oder weniger aufgelöst habe und die Leute sich wahrscheinlich nicht mehr so sehr für ihr Fortbestehen als Person interessieren, sondern für das Fortbestehen der Informationsmuster, aus denen sie bestehen. Das wäre gewissermaßen ein extrem radikaler, aufs ich zurückgewendeter Egoistisches-Mem-Darwinismus; gleichzeitig gruselig und verheißungsvoll und dadurch auch thematisch spannend.
EP geht für mich allerdings eher den Mittelweg: irgendwie können Personen schon noch Individuen bleiben und sich als kontinuierlich erleben, trotz Upload, Forking, wechselnder (und physisch ganz unterschiedlich konfigurierter) Sleeves. Und das ist es, was ich mir unter der EP-Prämisse halt beim besten Willen nicht vorstellen kann und was ich ehrlich gesagt als Scheitern des Settings an seinen radikalen Prämissen sehe.
MJ vertritt dagegen die Position eines nüchternen Skeptizismus: Etwas, was sich als kontinuierliches Individuum empfindet, kommt sozusagen definitionsgemäß an sein Ende, sobald ein extremer Bruch in der Kontinuität eintritt - und jeder Upload des Bewusstseins und/oder jedes vollständige Auswechseln des Körpers ist ein solcher. Das Individuum ist nicht allein der Informationsgehalt seines Bewusstseins, sondern eine Gesamtgestalt, deren Kontinuierlichkeit eben genau darin besteht, dass Materie und Information einem
langsamen Stoffwechselprozess unterliegen.
Insofern kommt MJ vielleicht weniger radikal rüber, ist für mich in Bezug auf den Umgang mit Upload (Thanogrammen) eine sehr viel glaubwürdigere Gesellschaftsvision; nicht die einzig Mögliche natürlich - es ist halt die Vision, die ihre Position aus dem von mir Eingangs geschilderten Problem herleitet. Denkbar ist z.B. wie gesagt auch die Vision "Auflösung des Individuums".
Noch eine Kleinigkeit zu EP: In einer der Stories im Buch argumentiert eine Figur sinngemäß zum Thema Sleeve-Wechsel so: "jedes Muster, das hinreichend Christoph-ähnlich ist, ist Christoph." Das finde ich einen interessanten Gedanken, für mich greift er aber gerade beim Morph-Wechsel nicht: Wenn du "das Muster Christoph" nämlich nicht nur als einen Informationsgehalt des Gehirns begreifst, sondern als eine notwendig körperliche Gesamtperson, dann gleich das Gesamtmuster "Christophs Erinnerungen im Krabbenroboter-Körper" halt nur ganz entfernt dem Gesamtmuster "Christoph in dem Körper, in dem er geboren und aufgewachsen ist."
Und da sind wir wieder bei der Religion: Ich halte eben die Vorstellung, die Person sei ein Informationsmuster im Gehirn für kein bisschen weniger Glaubenssache als die Vorstellung, die Person sei irgendwas körperloses, was von Gott kommt und den Körper nur bewohnt. Beides scheint mir vor allem dem Zweck zu dienen, den Menschen über seine Sterblichkeit hinwegzutrösten, mal mit einer magischen und mal mit einer technischen Begründung.