Für Method Acting muss ich ja die persönlichen Motive, die Psychologie meines Charakters kennen. Ich muss mich in seinen emotionalen Zustand versetzen, das auch mit Hilfe persönlicher Erfahrungen. Letzteres geht natürlich nur eingeschränkt. Als ich meinen Charakter "Viktor der Bestatter" gebastelt habe, konnte ich weder ein paar Monate als Totengräber in einem von Untoten bedrohten transylvanischen Bergdorf arbeiten noch mich aus Leichenteilen rekonstruieren lassen. Da müssen zum Teil Fremderfahrungen her: Klischees, aber auch im weitesten Sinne ähnliche emotionale Erfahrungen (Wut, Trauer etc.)
Daraus bildet sich dann ein in sich konsistentes Gesamtwerk. Ein Charakter, der eine innere Logik hat. Bei dem sich das Handeln aus dem Innenleben erklärt. Dieses Innenleben wiederum kann ich dann in Aspekte gießen oder aber aus den Aspekten das Innenleben ableiten. Das gibt da ganz hilfreiche Wechselwirkungen.
Und das hat wiederum Auswirkungen darauf, was beispielsweise Viktor in der Spielwelt kann, welche Eigenschaften und Fähigkeiten er hat. Und gerade an dieser Stelle muss ich ein in sich konsistentes Wesen in Stücke brechen und auf ein Regelsystem setzen, das häufig unfähig ist, meinen Charakter abzubilden. Und damit meine ich nicht ein Mal nur so eher schräge Charaktere wie eben Viktor. Das scheitert auch schon an anderen Stellen.
Als Beispiel nenne ich mal Fertigkeitenlisten. Bei Fate sorgen die Aspekte, die Fatepunkte und die sehr weiten Fähigkeiten dafür, dass ich kann, was ich will und nicht kann, was ich nicht will. Krasses Gegenbeispiel: Pathfinder. Ich habe mir einen Charakter überlegt. Jetzt kommt das Klassensystem. Das gibt mir einen bestimmten Satz an Fähigkeiten, die zum guten Teil einfach nicht passen. Gut, dann vielleicht die Klasse. Hm, auch nicht. Also vielleicht eine Mischung, also Homebrew-Klasse. Da breche ich dann aber mit dem System und ich baue meinen Charakter trotz des Systems. Bei Fate baue ich ihn schon im Einklang mit dem System.
Ein großes Problem ist dabei ja sowieso, dass man für Method Acting am besten einen Charakter mit Erfahrungen spielt. Kein leeres Blatt Papier, das die meisten gesichtslosen Stufe 1-Charaktere regeltechnisch oft sind. Der kann schon bestimmte Dinge und andere eben nicht. Da kommt mir auch der kompetente SC in Fate sehr entgegen.
Außerdem ist dabei schon das Zusammenspiel der Gruppe mit drin. Keine Tavernentruppe, sondern eben ein glaubhaftes System von gegenseitigen Abhängigkeiten. Seeeeehr hilfreich, um den emotionalen Zustand seines Charakters zu wecken.
Und dann geht es ins eigentliche Spiel (ja, Character building is gameplay, aber das würde jetzt zu weit führen...)
Im Spiel kommen für mich in den meisten Rollenspielen irgendwann Stellen, an denen es bricht, weil eben der Charakter einen bestimmten Satz an Erfahrungen hat, auf eine bestimmte Art reagieren würde und so weiter. Bei den meisten Systemen kommt irgendwo ein Bruch. Entweder ist der Charakter in Bereichen inkompetent, die er eigentlich kann, weil es die Klasse vorgibt oder weil eben nur so und so viele Fertigkeitenpunkte für eine abartig gestaltete Fertigkeitenliste zur Verfügung stehen (Call of Cthulhu, ich schaue dich an und was du mit meinem Ingenieur gemacht hast). Es geht noch nicht mal darum, einen Supermann zu gestalten, es geht darum, dass ich wahlweise spielrelevante Fähigkeiten habe, um im normalen Spiel mitzumischen oder völligen Quark in den oft benutzten, damit ich ein Mal alle paar Wochen zeigen kann, dass ich Ahnung von Geologie habe. Das ist kein Problem für die Immersion, das ist eine verdammte Bombe.
Bei Fate kann ich diese Brüche auf der einen Seite sehr gut über das Ausspielen meiner Aspekte in Kombination mit den Fertigkeiten verhindern. Und das Metagespräch ist für mich dabei überhaupt kein Hindernis, weil ich dabei eben auch die emotionalen Zustände und Motive klar formulieren kann. Die Mechanik läuft halt mit, ohne dass ich in regelmäßigen Abständen handwedeln und mich auf so richtige Metadebatten einlassen muss. Die freie Gestaltung, das Player Empowerment ist kodifiziert. Ich erläutere, was ich tue, denke, fühle und was darum passendes geschehen könnte, zahle oder nehme den Fatepunkt und fertig. Deshalb muss ich ja als Viktor nicht plötzlich weniger sauer auf meinen Schöpfer sein.
Ja, ich weiß, vieles davon gab es schon früher. Vieles kann man über Hausregeln erledigen. Vieles ist nicht jedermans Geschmack. Vieles kann eine gute Gruppe kompensieren. Fate erfindet das Rad nicht neu. Aber es ist das erste Mal, dass mir jemand ein für mich persönlich rundes Rad in die Hand gedrückt hat, bei dem ich ab Werk eine wirklich ruhige Fahrt habe.