Immersion, Immersion, Immersion... ständig ist hier die Rede von Immersion. Bevor ich Anfälle bekomme, wenn ich das Wort wieder lese, habe ich dann gerade doch noch mal nachgesehen, was das eigentlich bedeutet:
Wikipedia:
Immersion beschreibt die Überführung in einen Bewusstseinszustand (Eindruck), bei dem sich die Wahrnehmung der eigenen Person in der realen Welt vermindert und die Identifikation mit dem Selbst (dem Avatar) in der virtuellen Welt vergrößert. […] Im Unterschied zur passiven, filmischen Immersion erlaubt die virtuelle Realität eine Interaktion mit der virtuellen Umgebung, und dadurch kann eine wesentlich höhere Intensität der Immersion erreicht werden. Man spricht von einer immersiven, virtuellen Umgebung […] wenn es dem Benutzer ermöglicht wird, direkt mit dieser zu interagieren. […] Im Pen-&-Paper-Rollenspiel […] ist die Immersion ein zentrales Thema. Es geht darum, dem Spieler ein möglichst glaubhaftes und intensives Erlebnis der Spielwelt zu bieten. Beim P&P-Rollenspiel wird dies in erster Linie durch die Erzählkunst des Spielleiters bewerkstelligt. Des Weiteren durch ein Regelwerk, welches die Spielwelt möglichst glaubhaft in Werte, Spielregeln und Hintergrundgeschichten fasst.
Zunächst meine zwei kleinen Fragezeichen zu dem Artikel:
1. Inwiefern hat die Erzählkunst des Spielleiters mit der Immersion zu tun? Ich kann mir Spielleiter vorstellen, die in Sachen Erzählkunst ganz vorn dabei sind, bei denen ich aber trotzdem eher den Eindruck bekomme, dass ich einer Romanlesung zuhöre. Für die Immersion ist in meinen Augen doch weniger wichtig, wie künstlerisch hochwertig der Spielleiter zu erzählen vermag, sondern, inwieweit er den Spielern die Möglichkeit gibt, mit ihrer virtuellen Umwelt zu interagieren.
2. Inwiefern hat ein Regelwerk mit der Immersion zu tun? Ein Regelwerk, dem es gelingt eine Spielwelt glaubhaft in Werte, Spielregeln und Hintergrundgeschichten festzuhalten, verhindert vielleicht, dass ein Spieler die Regeln reflektiert, aber das ist doch noch keine Garantie für Immersion!
Nun zu der von mir erlebten Spielrealität, konkret zur Frage: Wie kommt denn Immersion zustande? Meine Antwort: Bei mir eigentlich gar nicht.
Hier ein paar Beispiele:
Spielleiterbeschreibungen: Ja, es gibt schöne Beschreibungen. Irgendwann fragt aber sicherlich ein Spieler dazwischen: Kann Eirik auf den Wandteppichen irgendwelche Wappen erkennen, mit denen er etwas anfangen kann? Immersion unmöglich. Ich stelle mir vor, wie mir ein Spielleiter vor dem Spiel zur Einstimmung salbungsvoll ins Ohr flüstert: „Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise […]“. Ich würde anfangen zu lachen und die Sache für einen netten Witz halten. Immersion erzeugt so etwas bei mir nicht (das gilt auch für neue Texte).
Dialoge: Funktionieren vielleicht ein paar Stationen lang. Dann kommt die Idee auf, einen Wurf auf Menschenkenntnis zu machen. Immersion unmöglich.
Dramatische Handlungen: Sind besonders anfällig, durch Anwendung bestimmter Regelmechanismen entschieden zu werden. Immersion unmöglich.
Kerzen: Immer, wenn jemand Kerzen anzündet, fühle ich mich wohler. Ich fühle mich aber nicht am Hofe König Artus´.
Hintergrundmusik: Das finde ich meistens völlig bescheuert. Immer wenn so etwas erklingt, fragt mein Anti-Immersions-Trieb: Äh, bitte, wer erzeugt jetzt noch diese Klänge?
Battlemaps und Ticksysteme: Was ist daran glaubhaft? Mein Charakter ist weder ein statisches Zinnfigürchen, noch muss er warten, bis er dran ist.
Ich scheine immersionsimpotent zu sein. Damit komme ich zur Gegenfrage: Will ich das überhaupt, diese Immersion?
Tatsache ist: Ich will ein spannendes Spiel, eine spannende Handlung. Ich will auch als Spieler einen Teil zur Handlung betragen und echte Entscheidungen fällen. Ich will einen Charakter verkörpern und mich reizt es, mich in eine Figur hineinzuversetzen, die anders ist als ich selbst. Nur: Es reicht mir völlig, wenn ein Mitspieler sagen kann: "Ja, so wie Chiarina ihn hier darstellt könnte sich jemand wie Fridtjof in dieser Situation verhalten". Es ist nicht mein Ziel, jemandem vorzugaukeln, ich sei Fridtjof! Ein intensives Spielgefühl entsteht bei mir eigentlich nie dadurch, dass ich mich in einer virtuellen Welt verliere und "sich die Wahrnehmung der eigenen Person in der realen Welt vermindert". Ich bin mir eigentlich permanent absolut bewusst darüber, dass ich auf einem gemütlichen Sofa mit ein paar netten Leuten sitze und meine Mitspieler immer noch dabei sind Pizza zu essen. Ein intensives Spielgefühl entsteht eher dadurch, dass ich mir der Differenz zwischen meiner Realität und der künstlich erschaffenen Alternativwelt bewusst bin. Wenn ich das Gefühl bekomme: Das war ungewöhnlich, das war eine Situation, in der ich im realen Leben noch nie war, etc., dann ereignen sich unvergessliche Momente. Mit Immersion hat das bei mir nicht viel zu tun.
Schlimm?
Chiarina.