Auch wenn ich bei 13th_Age-Interessierten mit Sicherheit nicht im Verdacht stehe, 13th_Age allgemein ablehnend gegenüber zu stehen, habe ich durchaus in letzter Zeit Fragezeichen gesetzt, die man als Hinterfrage der Kampagnentauglichkeit deuten könnte.
Das meinte ich allerdings konkret für den Fall, dass man ein nicht-charakterzentriertes Kampagnenspiel ohne kollaboratives Storytelling in einer stark kanonischen Fantasywelt betreiben möchte, mithin die klassische Bahnfahrt auf der man das ein oder andere mal umsteigen darf. Es geht also um eine reine Geschmacksfrage.
Klar kann ich einen Golarion-Adventurepath oder die 3e Forgotten Realms mit 13th_Age bespielen. Diese Settings und deren Abenteuer leben aber bei vielen Leuten auch davon, dass 3e-immanente Regelmechanismen wie Stufen und Zugriff auf bestimmte Spells den Hintergrund teilweise zentral mitbestimmen - sozusagen die pseudosimulationistische Wechselwirkung zwischen System und Setting: In dem Ort könnt Ihr nur Cure-Light-Wounds bekommen, weil die haben nur einen Cleric Lvl 1. Es gibt Leuten, den macht so etwas Spaß - für deren Kampagnen ist 13th_Age sicherlich nicht tauglich.
Wen es aber nicht stört, erzählerische Lösungen statt vermeintlichem Simulationismus ggf. gemeinsam am Spieltisch zu entwickeln, der erhält mit 13th_Age sicherlich alles um viele Kampagnen zu spielen. Gerade durch die OUTs und backgrounds ist 13th_Age für langdauerndes Kampagnenspiel um die Charaktere herum konzipiert.
Die von Dir fragend eingeworfenen "Gegenargumente" verfangen nach meiner Erfahrung nicht.
1) Ikonen: nein - Ikonen sind ein unendliches Werkzeug. Selbst wenn man entgegen dem Buch aus 13 sehr differenzierten und vielschichtigen Organisationen bzw. thematisch zusammenhängenden Mächten mit vielen Ausprägungen 13 NSC machen würde, könnte man ein sehr langes Kampagnenspiel betreiben. Schließlich lassen diese sich auch beliebig austauschen und wieder durch neue ersetzen. Auf späteren Stufen erhält man weitere Icon-Relationship-Points und es gibt die Möglichkeit weitere permanente oder temporäre Punkte durch bestimmte Powers oder Items zu erlangen. Die Erweiterungsregeln für Kampagnenspiel (siehe Pelgrane-blog) für Strongholds und Dominions mal ganz abgesehen.
2) Regelgerüst: hmm - das müsstest Du mal etwas konkretisieren. Vereinfacht in welches Sinn? Meinst Du, weil Du nicht 1000 Stellschrauben pro Charakter wie bei Pathfinder sondern 100 hast oder fehlende taktische Möglichkeiten? Zu ersterem: ich erlaube meinen Spielerinnen und Spielern ggf. massives Retraining und multiclassing. Taktische Möglichkeiten: unbedingt die Zusatzregeln (siehe Pelgrane blog) zu Dicey Stunts verwenden; überhaupt die ganzen stunts verwenden (dann hat auch skill escalator einen Anwendungsbereich).
3) Fehlende Fertigkeitenlisten: da hat sich noch keiner beschwert - zumal die Backgrounds tausend Mal so flexibel sind und einfach immer wieder für Erheiterung am Spieltisch sorgen und zugleich helfen den Kampagnenhintergrund immer weiter auszudefinieren. Denke dabei daran: die Punkte zwischen den backgrounds können sich verschieben und neue backgrounds hinzugewonnen werden. Mach die Spieler bei der Backgroundwahl darauf aufmerksam, dass es sinnvoll ist nach Möglichkeit den background (Koch) mit einem Ort (Kaiserherberge von New Port), vielleicht einer Spezialisierung (hausgemachtes Gulasch) und einem Rang (Meister) zu verknüpfen (Meisterkoch der Kaiserherberge von New Port - bestes Gulasch, alles hausgemacht - kurzum: Weltmeistergulasch).
4) Zehnstufig: jetzt sind wir beim Quark angekommen - von zehn Stufen im Vergleich etwa zu 20 Pathfinder oder 30 D&D4-Stufen zu Sprechen ist natürlich Augenwischerei. Ja: ein Modifikator skaliert von +1 bis +10 und zu jedem Wert werden gewisse Fähigkeiten freigeschalten. Wenn ich aber von einem zehn-stufigen System spreche, könnte ich D&D 5 als fünfstufiges System bezeichnen (+2 bis +6). Dies 13th_Age als Nachteil auszulegen kann schon deshalb nicht gelingen, weil ich ja durch die incremental advances einen sehr feingliedrigen, graduellen Übergang zwischen den Stufen habe. Im Gegensatz zu wirklichen "Stufen"-Systemen wie etwa D&D 4 erhalte ich ja nach jeder Sitzung ein Talent/Feat/Power der Stufe auf die ich zuarbeite. Ich steige also ständig auf - mit den incremental advances müsste man eigentlich von 30 sprechen oder von mir aus auch zehn Stufen mit jeweils 4 Zwischenstufen - das schöne bei den incrementals: man kann ein Talent, Feat erstmal ein paar Sitzungen ausprobieren, bevor man sich dann beim Level-up festlegt. Das lässt sich auch sehr schön erzählerisch verwursten. Die Untergliederung konsequent am Spieltisch durchzuziehen ist meiner Erachtens auch wichtig, so denn man Wert auf eine organische Charakterentwicklung legt. Der Machtzuwachs zwischen ganzen 13th_Age-Stufen ist immens. Dies nicht nur aber auch deshalb, weil die Schadenwürfel idR mit der Stufe (wörtlich) vervielfacht werden.
Wenn Dich an obigem nichts stört, dann ist also 13th_Age dann was für Dich, wenn Du
- eine eigene Welt bespielen möchtest und dabei gerne auch auf kreativen Input Deiner Spieler zurückgreifst
- Charakterzentriertes Kampagnenspiel betreiben möchtest
- wegen der OUTs Du vor langdauerndem Kampagnenspiel nicht zurückschreckt - die Spieler wollen ja das OUT verwirklichen
- Du mehr Lust auf erzählerische Lösungen als auf eine (vermeintliche) Simulation hast
- Lust auf ganz viel Handwedelei und spontan-kreatives Impro-Spielleiten hast.
Handwedelei: was neoavatar sagt.