@Ucelagon: Ich glaube, da sollten wir die beiden verwandten (aber nicht identischen) Konstrukte "Als Held konzipiert sein" und "Hinterher als Held dastehen" erst mal sauber trennen.
Ich gebe dir Recht: Wenn es darum geht, in einem kulturellen/genrebedingten Kontext a priori "als Held konzipiert zu sein", muß natürlich auch definiert sein, was das ist -- ein Held. Je nach Definition kommt da natürlich gerade im Cthulhu-Mythos, in dem jedes Opfer höher als erwartet ausfällt, jede Mühe am Ende vergeblich ist, kein Sieg endgültig bleibt etc. leicht eine gewisse Ironie mit rein.
Wenn es aber nur darum geht, zunächst einmal unvoreingenommen das Verhalten von Charakteren in Extremsituationen auszutesten; und wenn dann in der Nachbeurteilung herauskommt, daß da jemand selbstlos/idealistisch sein Leben, seine Gesundheit o.ä. aufs Spiel gesetzt hat, dann ist immer noch jeder Beobachter frei, den Begriff "Held" nach eigenem Verständnis anzuwenden. Und da sehe ich keine Zwangsläufigkeit -- auch nicht im Rahmen des Cthulhu-Genres --, derzufolge der Begriff ironisch belegt wäre.
Ich verstehe, glaube ich, worauf es dir ankommt. Allerdings sehe ich nicht, wo es einen Unterschied zwischen deinen beiden Bildern gibt. Natürlich ist jeder Beobachter (beim Rollenspiel normalerweise nur die Beteiligten) auch in CoC frei, ein selbstloses Opfer als Heldentum zu verstehen. Genauso möglich sind alle anderen vorstellbaren Formen Heldentum zu verstehen. Krass gesprochen wäre z.B. auch ein !realer! Befürworter von Selbstjustiz in CoC frei, seinen Delta Green Agenten, der auf Verdacht hin einen Kultisten erschießt, als Helden zu verstehen.
Worauf ich hinaus wollte ist die Überlegung, welche Rolle Heldentum (wie auch immer verstanden) innerhalb der Themenschwerpunkte, Philosophie und Ästhetik des Cthulhu-Mythos spielen kann, ohne dass es zu einem Bruch mit bestimmten Erwartungen kommt. Die Frage, die man sich also stellen muss, vor allem als Autor(in) oder SL, letztlich aber auch als Spieler(in) ist doch: Könnte diese Session/Story in einer cosmic horror/Mythos-short story stehen, die mir gefällt. Ich persönlich tue mich schwer, Geschichten, die in diese Richtung gehen (siehe Dunwich Horror) als echten cosmic horror zu mögen.
Anderes Beispiel: Ich leite zZ The One Ring, da erwarten ich und das System von meinen Mitspieler(inne)n, dass sie deine weiter unten genannte Definition von Heldentum für ihre Charaktere annehmen, weil genau das Tolkiens Konzeption von Heldentum ist. Natürlich könnte ich damit absichtlich brechen oder Elemente einbauen, die nahelegen, die Charaktere zum Schluss nicht als ebensolche Heldinnen und Helden zu sehen, aber vielen würde das vermutlich nicht gefallen, weil es sich dann nicht mehr authentisch anfühlt.
Um dem Ganzen Fleisch auf die Rippen zu geben: Wer bei CoC aus der Situation heraus sich selbst opfert, so daß ein paar Unschuldige davonkommen und friedlich ihre natürliche Lebensspanne zuende führen können, wäre für mich eindeutig ein Held, ganz ohne ironischen Beiklang; und unabhängig davon, ob das den Weltuntergang auch nur nach hinten verschiebt.
Ich wäre wie gesagt nicht ganz zufrieden, wenn nach einer CoC Session vor allem das Bild der Charaktere als Held(inn)en nach deiner Definition in den Köpfen bleibt. Ich habe nichts gegen das Trope "heldenhaftes Opfer", aber ich möchte in einer cosmic horror Session Elemente, die das dekonstruieren/entwerten/in Frage stellen.
Beispiel:
Wir hatten kürzlich eine schöne Szene in einem Delta Green one shot, bei der sich eine EPA Agentin im grande finale entschied, statt zu fliehen, nochmal an den Ort des Geschehens zurückzukehren und die letzte Infizierte, eine weitestgehend wehrlose, alte Frau, zu beseitigen. Sie wurde danach verhaftet und wird als Terroristin lebenslang eingesperrt bleiben bzw. die Todestrafe erhalten. Heldenhaft? Vielleicht. Die letzte Szene des Szenarios war dann, wie andere Delta Green Agenten die freundliche und dienstbeflissene Fahrerin der Gruppe als unbeteiligte Zeugin exekutierten. Und das alles für einen aussichtslosen Kampf gegen den Mythos im Rahmen einer Organisation, die fast schon einer Terrorgruppe ähnelt?
Oder nimm No Security, eine Szenariosammlung während der Great Depression. Wie soll man Heldentum im Kampf gegen den Mythos interpretieren, wenn die Leute um die SCs herum nicht durch irgendwelche Monster, sondern an Hunger oder rassistische Gewalttaten usw. sterben?
Oder wenn es die SCs waren, die den Horror erst entfesselt haben. Oder man SS-Leute o.Ä. spielt oder oder oder...
Und in den wirklich guten, puristischen Szenarios (nochmals: Final Revelation
) wird Heldentum zusammen mit allen anderen Formen von Sinn und Bedeutung einfach negiert.
Damit ich nicht für einen Vertreter der
no fun allowed Fraktion gehalten werde: Für das Rollenspiel Cthulhu sind ohnehin Witz und Komik meistens viel entscheidender als dieser oder jener (Nicht-)Pathos, zumindest was den Spielspaß angeht. Irgendwie ist es nämlich doch lustiger, kollaborativer SC-Suizid, wie ich es sinngemäß irgendwo gelesen habe.