Ich denke prinzipiell schon, dass das klassische explizite Kampfsystem als Minispiel neben dem sonstigen Rollenspiel technisch überholt ist. Das heißt nicht, dass detaillierte taktische Kämpfe oder detailliert durch Regeln oder Würfel bestimmte Spielsituationen überholt sind. Das ist schlichtweg eine Frage des persönlichen Geschmacks. Der eine möchte eben regelarmer spielen, ein anderer legt Wert auf die harten, detaillierten Regeln.
Man könnte hier aber auch einfach ein generisches Konfliktsystem anbieten, dass Regeln für alle Situationen vom Schleichen über das Reden bis eben zum Kampf usw. anbietet und je nach aktuellem Bedarf eben die Konflikte ultrafein (jede einzelne Aktion wird simuliert) oder mit einem/keinem Wurf eher erzählerisch löst.
Dass das die meisten klassischen Systeme nicht machen kiegt an folgenden Punkten:
1.) Rollenspieler sind konservativ. Sie haben grundsätzliche Rollenspielkonzepte mühsam über Jahre gelernt und sich mit ihnen angefreundet. Wenn man diese grundsätzlich verändert stößt man auf massive Widerstände. Allein, dass du diese eigentliche selbstverständlichkeit hier explizit hinterfragen musst, zeigt das sehr deutlich. Das heißt nicht, dass es nicht auch Leute gibt, die Kampfsysteme in ihrem Spielstil brauchen, aber es als Tradition und grundsätzliche Notwendigkeit anzusehen ist schlicht reine konservative Gewöhnung - mehr nicht. Aber mal ehrlich: Wenn man ein neues Regelwerk in die Hände nimmt. Wie oft beobachtet man sich selbst dabei, nachzublättern wie die klassischen Konzepte wie Kampf usw. geregelt sind, anstatt sich einfach mal auf fundamentale neue Konzepte einzulassen. Ich nehme mich da selbst nicht aus.
2.) Spieldesigner sind entweder extrem konservativ oder so avantgardistisch, dass sie kaum einer versteht: Das liegt in der Natur der Sache. Der Ablauf ein Spiel zu entwerfen, es zu testen, zu balancen und anschließend didaktisch so zu verpacken, dass es Spieler verstehen und auch spielen wollen ist so kompliziert und fehleranfällig, dass man als Designer entweder ein geniales neues Konzept schreibt, dann aber das Spiel nicht vermittelt bekommt oder aber man arbeitet Hand in Hand mit der Community und hat Angst zu sehr von den Traditionen abzuweichen, weil man nicht weiß, ob das bisherige Spieler vergraulen würde. FATE ist im Grunde ein super rares Beispiel dafür, dass beides geglückt ist. Man hat ein paar neue Gedanken in mehreren FATE-Regelwerken über einen langen Zeitraum an eine breite Spielerschaft herangetragen und man sieht an den vielen Versuchen hier im Tanelorn, Neulingen FATE zu erklären, wie schwierig es ist die gewachsenen Erwartungen klassischer Spieler zu durchbrechen und die Spieler bei Neuerungen mitzunehmen. Da man sich diesen Aufwand eigentlich nur aus Idealismus leisten kann gibt es eben viele "klassische" Systeme, die sich konzeptionell kaum bewegen und auf der anderen Seite die Avantgarde, die von Traditionalisten nicht verstanden und sogar bekämpft wird, weil man traditionelle Konzepte gefärdet sieht.
Stellt euch mal vor, DSA würde aus aktuellen Computerspielen lernen und neben dem Klassischen Kampfsystem auch ein Schleichsystem und Redesystem detailliert ausbauen, wie das mittlerweile die Computerspiel tun und somit zusätzliche Handlungsmöglichkeiten anbieten, die das Spiel ja eigentlich bereichern müssten. Ich geh jetzt bewusst nicht davon aus, dass DSA ein allgemeines abstraktes Konfliktsystem bauen würde - denn das würde offensichtlich überfordern - sondern den Fall von zusatzregeln: Was würde passieren?
Zunächst wäre die Gefahr, dass das System nicht funktioniert. Denn es ist zwar schwer ein neues Rollenspiel zu entwerfen, aber viel schwieriger ist es ein ganz neues Subsystem zu bauen, dass es vorher noch nicht gab und das auch die Spieler noch gar nicht kennen bzw sich noch nicht vorstellen können.
Selbst wenn man das Geld hätte, z.B. ein Schleich-System effektiv zu testen und die Fehler auszumärzen, wäre immer noch die Frage ob die traditionsbewusste Spielerschaft es überhaupt annehmen würde. Denn mit so einer Änderung ändern sich klassische Denkmuster. Selbst Klassiker wie der typische Endkampf müssen komplett hinterfragt werden oder alternativen angeboten werden. Über diese Alternativen hat aber bisher noch keiner groß nachgedacht.
Das bedeutet praktisch, dass sich viele angebrachten oder in der Spielpraxis als Sinnvoll erachtete Lösungen nur sehr langsam, wenn überhaupt Einzug in die Spiele erhalten.
Sowohl die Möglichkeit die Regeln nur als Bausteine für die detaillierte gemeinsame Fiktion zu nehmen als auch die nicht vorhandene Notwendigkeit eines ausgewiesenen Kampfsystems gehören dazu. Das heißt aber nicht, dass wir in nächster Zeit allzu viele Spiele sehen werden, die in der Hinsicht etwas anders machen.