Lieber Pyromancer,
tatsächlich war ich ja der Schuft, der durch einen herausfordernden Kommentar im anderen Thema bei dir den Ausschlag gegeben hatte, dieses Thema zu starten.
Leider hab ich es erst jetzt entdeckt, und komme halt jetzt hinterher wie die "alt Fasnet".
Ursprünglich war meine Aussage, dass man ein Ermittlungsabenteuer durchaus von Grund auf mit Kulissenschieberei bzw. völlig aus der hohlen Hand
aufziehen kann. Damit ist gemeint, dass der SL zuerst auch nur weiß, dass es eine Leiche gibt (oder irgend ein anderes Problem, das die Spieler interessant genug finden um zu ermitteln). Ich bin der Meinung, dass die Strategien und Techniken nicht nur auf ein Ermittlungsabenteuer anwendbar sind, sondern bei jedem beliebigen anderen Genre hilfreich bzw. anwendbar sind. Ich bleibe aber vorerst beim Ermittlungsabenteuer, weil die meisten denken, das wäre etwas Spezielles. Letzten Endes ist es aber doch nur Exploration.
Bei dieser Improvisation eines Ermittlungsabenteuers geht es nicht nur darum, irgendwelche Details nachträglich abzuändern oder neu zu erfinden (das natürlich auch) aber vor allem beziehe ich mich auf die Situation, dass der SL ohne jegliche Vorbereitung an die Sache herangeht.
Das kann entweder so sein, dass die Spieler einen SL direkt ohne Vorbereitungszeit bitten, jetzt auf der Stelle ein Krimi-Abenteuer zu leiten (Unsere Con-Runde ist aufgefallen. Leite jetzt bitte was für uns!), oder der SL aus der Situation eines völlig anderen Abenteuers plötzlich Lust hat, abzubiegen und etwas völlig anderes einzuschieben - nämlich eben die Leiche bzw. die Straftat (Postkutschenraub etc).
Wir rufen uns kurz in Erinnerung, dass die Sache klassischer Weise so abläuft, dass jemand im stillen Kämmerlein einen Kriminalfall bastelt, der in jeglichem Detail (welches im Spiel wichtig werden könnte und Relevanz besitzt) im Voraus geplant ist.
Dabei soll es nicht nur eine komplizierte und folgerichtig angelegte Vorgeschichte sein, sondern auch noch eine die für die Spieler voraussichtlich nachvollziehbar und auch noch überraschend und unterhaltsam ist.
Jetzt wollen wir aber als SL eine vergleichbare Geschichte direkt während des Spiels entstehen lassen, und zwar eine, die sich bevorzugt an den Ideen und Aktionen der Spieler anlehnt.
Der Grund dafür könnte sein, dass man als SL schon eine Menge solcher Geschichten im stillen Kämmerlein vorbereitet hat und an verschiedenen Problemen gescheitert ist.
- z.B. daran dass die Spieler einen ausgelegten Hook einfach nicht ergreifen, weil sie ihn nicht verstehen oder (noch schlimmer) weil sie ihn aus inhaltlichen Gründen partout nicht mögen.
- z.B. daran dass der SL so viele Sachen vorbereiten musste (um alle Eventualitäten abzudecken), dass er nicht mehr alles überblicken kann und Fehler begeht, die zu logischen
Ungereimtheiten oder sogar Fehlern führen
- z.B. daran, dass das Spielleiten keinen hohen kreativen Anspruch mehr hat und das eigentlich Spiel für den SL nur aus einem Abarbeiten von Punkten besteht
- z.B. daran, dass der SL bei der Vorbereitung eine Ansicht von Plausibilität hatte, die die Spieler nicht teilen und das ganze somit "unlogisch" wird
- z.B. daran, dass die Lösung von Rätseln in Bezug auf Zeitmanagement eigentlich immer ein unlösbares Problem darstellt und die Runde entweder viel zu kurz oder
viel zu lang wird.
- z-.B. daran, dass bestimmte Gedankengänge einfach gar nicht von Spielern nachvollzogen (sprich: gelöst) werden können und der SL dann so plumpe Hinweise geben muss, dass selbst den Spielern auffällt, dass sie das Abenteuer eigentlich nicht selbst gelöst sondern vom SL präsentiert bekommen haben.
- oder eben, dass es gar nicht erst zum Spiel kommt, weil der SL in seinem Leben keinen Platz mehr für lange Vorbereitung hat und lieber (beliebige Fernsehserie einfügen) guckt.
Ich will hier nicht sagen, dass es bei der Improvisation von Abenteuern keine Probleme geben kann, aber die Improvisation ermöglicht es dem SL den oben genannten Problemen entgegenzuwirken, unter anderem weil er direkt in der Spielsituation mehr Informationen über die momentanen Fähigkeiten und Erwartungen der Spieler hat als im stillen Kämmerlein.
Der Unterschied der spontanen Improvisation zur klassischen Methode ist:
- Der SL hat deutlich weniger Zeit, um kreativ zu werden. Er muss unter Stress neue Ideen generieren. Der damit verbundene Adrenalinstoß ist für Kreativität oft gar kein Nachteil sondern eher ein Vorteil. Das kommt aber auch auf den Menschen an. Man muss das vielleicht gewöhnt sein oder eine Veranlagung dafür haben. Manche Menschen blockieren unter Stress und sind mit dem Abarbeiten vorgefertigter Punkte besser bedient.
- Der SL kann besser auf die tatsächlichen Interessen der Spieler eingehen bzw. ihre momentanen Interessen besser einschätzen.
Ich habe mir jetzt etwa eine Stunde Gedanken gemacht, um der Frage in deinem Startposting konstruktiv und konkret nachzugehen und ich habe bestimmt genug im Kopf um eine weitere Stunde an diesem Posting zu schreiben (und doch nur an der Oberfläche zu kratzen), aber im Prinzip ist dieses Thema eigentlich keine Suche nach irgendwelchen Techniken. Diese Techniken gibt es natürlich auch, aber das was du willst ist ja eine Anleitung wie man Improvisiert bzw. unter hohem Zeit- und Erwartungsdruck kreativ wird. Und das hat eigentlich gar nichts mit Ermittlungsabenteuern zu tun, sondern sind Fähigkeiten, die auf andere Abenteuer genauso anwendbar sind.
Das wäre in etwa, wie wenn du in einem Forum fragen würdest, wie man sich auf Geburtstagsparties gut benimmt. Erstens hat das nur peripher mit Geburtstagsparties zu tun und zweitens ist das Thema so umfangreich (und auch nicht nur von klar kommunizierbaren Verhaltensweisen abhängig), dass es ein Forenposting definitiv sprengt und eher etwas für ein (mehrtägiges?) Seminar wäre.
In meinem Job habe ich z.B. gelernt, bei Kunden während einer Besprechung von Werbemedien gleich auf einem Blatt Ideen aufzuskizzieren, um bestimmte generelle Marschrichtungen abzuklopfen (und mich gegen die Konkurrenz abzuheben). Dazu könnte ich vielleicht erklären, wie man schnell, präzise und effektvoll zeichnet und ich könnte dir auch was über die ganzen Grafikdesignmedien erzählen, die es so gibt und wie sie gestaltet werden über die Psychologie von Kunden und Workflow in Agenturen. Das würde eine recht lange Liste werden, aber am Ende wären wir immer noch nicht beim Punkt, der dich befähigen würde das zu machen, weil man manche Dinge einfach (lange Zeit) trainieren muss, um dahinter zu kommen.
Um den Bogen zurück zu schlagen: Beim meinen Beispielen und beim Improvisieren von Ermittlungsabenteuern kommt es darauf an, in kurzer Zeit eine richtige und möglichst gut verwendbare Entscheidung zu treffen. Das hat mit Positivismus im Denken zu tun. Mit dem Offenhalten von zukünftigen Möglichkeiten. Mit dem psychologischer Beeinflussung von Spielern. Mit Konsens usw.
Zusätzlich geht es bei einem Ermittlungsabenteuer um Dramatik, um verschiedene Aufbaumodelle von Kriminalgeschichten und natürlich auch um rollenspielerische Techniken.
Das sind alles Dinge, die man wahrscheinlich nicht studiert hat als SL aber doch trainieren kann, um zu einem guten Spielerlebnis zu kommen.
Zuallererst würde ich ganz konkret empfehlen die Idee der Improvisation sofort zur Seite zu legen, wenn man als SL irgendwelche Vorbehalte oder Abneigungen dagegen hat.
Das zu probieren, ohne es wirklich zu wollen, führt vermutlich mit ungleich höherer Wahrscheinlichkeit in ein Debakel oder ein platte langweilige Erfahrung.
Vorbereitete Texte in DSA-Abenteueren vorzulesen kann jeder Trottel, echte Kreativität erfordert aber Hingabe.
Der SL sollte das machen, weil er Spaß daran hat Ideen zu versprühen und es ihm ein spannendes, erwartungsfrohes Gefühl vermittelt, die Investigation zusammen mit den Spielern zu erarbeiten (was übrigens auch nicht nur für klassisches Spiel mit einem SL funktioniert sondern auch mit anderen Spielen, die die Erzählrechte ständig neu verteilen). Das ist insofern wichtig, als dass die ganze Sache mit der Kreativität ein Stück von der eigenen Stimmung wiederspiegelt und meistens seelenlos bleibt, wenn man nicht dahinter steht.
Ansonsten gibt es ein paar konkrete Sachen, die ich zu guter Letzt nur anreißen möchte (falls es überhaupt ein Leser bis hierher geschafft hat):
- Viele Protagonisten auftauchen lassen und viele Details erschaffen ist immer gut. Eine Improvisation mit breiter Basis ist eine auf der man später mehr aufbauen kann.
Das hilft z.B. beim Foreshadowing, welches ja eigentlich keines ist sondern erst später zu einer sinnvollen Verknüpfung wird, wie alles das auftaucht. Also arbeiten und sprühen!
Beispiel: Neben der Leiche liegt eine Waffe, ein Stoffstück und ein Blumenstrauß mit einer Karte dran "Liebe Irene, alles gute zum Geburtstag, dein Karl."
Der SL weiß zu der Zeit weder wer Irene ist (sie wird vielleicht nie auftauchen, aber wenn es passt eben doch) und auch nicht wer Karl ist (kann die Leiche sein, oder der Täter oder sonstwer). Es muss erst weiter festgeklopft werden, wenn die Spieler den Namen der Leiche herausfinden (ja oder nein). Bis dahin vergeht aber vielleicht noch jede Menge Zeit in der sich der SL mehr überlegen kann. Theoretisch kann der SL mit einem Würfelwurf festlegen ob Karl die Leiche ist oder nicht - und mit dem Ergebnis weiter assoziieren.
Vielleicht haben die Spieler am Tisch schon fest angenommen, dass die Leiche vermutlich dieser Karl sein wird. Dabei stellt sich auch die Frage, ob der SL einen unerwarteten Twist reinbringen will (weil noch genug Zeit ist) oder lieber bald zum Ende kommen will. Man kann die Komplexität und die Spieldauer sehr damit steuern.
- Spielelemente schriftlich festhalten. Bei der Improvisation geht es ja darum, immer mehr Informationen zu verwalten. Viele davon werden später nie wieder wichtig sein und ein bloßer Eintrag bleiben.
Im Prinzip ähnelt dieser Aufschrieb dem kleinen Notizblock in der Brusttasche des Inspektors, der sich mit immer mehr und immer dichteren Hinweisen füllt, bis sich ein Bild zu formen beginnt und am Schluss auf eine oder mehrere klare Folgerungen hindeutet.
Dort stehen aber auch Sachen, die dem SL eingefallen sind, die die Spieler eventuell noch nicht entdeckt haben.
Wichtig dabei ist, dass sich der SL nicht selbst überfordert und die Sache so einfach hält, dass es nicht zu logischen Widersprüchen kommt. Das ist ein knallharter Erfahrungswert.
Ich selbst schreibe mir immer Überschriften auf (Orte, Personen und Institutionen) und schreibe dann einfach stichwortartig alles drunter.
Wenn ich später in der Geschichte etwas passendes brauche, schau ich erst mal in die Liste und wenn ich nichts passendes finde taucht es eben neu auf.
- Aus Erfahrung schöpfen. Natürlich haben wir alle mehr oder weniger viele Kriminalgeschichten kennen gelernt. Bevor irgend etwas aus dem Ruder läuft, kann man ja immer noch auf den Erfahrungsschatz vorgefertigter Geschichten zurückgreifen. Einzelne Elemente oder ganze Passagen rausnehmen.
Auch bei Personen ist es gut sich eine vorgefertigte bekannte Person zu nehmen (Bekanntenkreis, Rolle in einem Film, Buch, Comic usw.). Man braucht sich nur das Gesicht zu merken und weiß alles andere ohne auf den Aufschrieb zu schauen. Man tut sich dann auch leichter, die Person zu spielen.
- Logische Ungereimtheiten. Die tauchen manchmal auf, aber meine Erfahrung sagt mir, dass die durch die Änderung eines der Spieler nicht bekannten Elements oder Hinzufügen eines neuen Elements immer relativierbar sind. Ich kann mich an keinen richtigen Fehler erinnern, der sich nicht durch Nachdenken hätte lösen lassen. Das Problem dabei ist vielmehr, dass die Lösung nicht zu abstrus werden sollte. Wobei die Toleranz der Spieler in dieser Beziehung höher ist als man denken mag, solange die Lösung ihnen gefällt. Wir akzeptieren ja auch unrealistische oder unwahrscheinliche Szenen in Filmen, wenn sie gut gemacht sind bzw. gut verkauft werden.
Ich höre jetzt einfach mal mittendrin auf, weil ich noch ein Leben außerhalb dieses Forums habe (behaupte ich jetzt einfach mal so
).
Vielleicht einfach Fragen stellen, wenn ich unverständlichen Quark geschrieben haben sollte. Ansonsten würde ich über solche Themen aber auch lieber auf einem Con richtig mit Leuten reden oder mal eine Proberunde spielen, weil das dann alles viel klarer wird. Das sind ja auch alles Dinge, die ich unbewusst mache und nur sehr schwer bzw. gar nicht lehrbuchmäßig formulieren kann.