So, ich hab jetzt einfach mal losgelegt und etwas über die Transhumanisten geschrieben, die sich als Pilger zu den ersten Forschern nach Ymir aufmachen ... alles natürlich noch hochprovisorisch und mit einigen Unschärfen, um nicht zu viele Festlegungen über andere Settingelemente zu treffen:
Die Guibing – Eins werden mit den Ersten Forschern
Dem Transhumanismus ist es ergangen wie vielen politischen und gesellschaftlichen Bewegungen der Menschheit: Mit der Erfüllung eines Großteils seiner Versprechen sind seine Unzulänglichkeiten ans Licht getreten.
Der Fortschritt der Medizin hat der Menschheit die relative Unsterblichkeit beschert – doch es hat sich gezeigt, dass die Persönlichkeitsstrukturen des Individuums bei einer Lebensdauer von mehreren hundert Jahren zerfallen und eine regelmäßige, tiefgreifende Bewusstseinsredaktion notwendig machen. Die Verlängerung des biologischen Lebens hat den Menschen so lediglich mit der Nase darauf gestoßen, das die Kontinuität des Ichs eine Illusion ist. Das Fortleben des eigenen Körpers zu solchen Bedingungen erschien vielen der ersten Super-Alten als ein Hohn auf das alte Versprechen, wie Götter ewig zu leben.
Allerdings betrieb der Transhumanismus die Suche nach der Unsterblichkeit auch seit jeher in eine zweite, noch grundlegendere Richtung: Der menschliche Bewusstseinsinhalt sollte über das Bestehen des biologischen Leibs hinaus bewahrt und als Upload in stabilere Informationsverarbeitungssysteme übertragen werden. Die Upload-Versuche endeten über Jahrhunderte hinweg in Sackgassen – es gelang einfach nicht, eine Bewusstseinskopie zu erzeugen, die auch nur ansatzweise stabil lief, geschweige denn ihrem Original hinreichend ähnelte, um von einem Fortleben zu sprechen. Auch hier erfuhr der menschliche Wunsch nach Unsterblichkeit eine Kränkung.
Erst vor etwa sechzig Jahren, als die ersten Daten der Forschungssonden im 109-Piscium-System eintrafen, kam es zu einem unverhofften Durchbruch – denn die „Ersten Forscher“ übermittelten nicht nur gewaltige Datenmengen über das Piscium-System, sondern auch die Matrix für eine starke künstliche Intelligenz. Diese Matrix trug die Bezeichnung Kind.
Kind ermöglichte erstmals die Übertragung eines vollständigen menschlichen Bewusstseins in einen anderen synthetischen oder gezüchteten Körper. Der Vorgang erwies sich als langwierig und fehleranfällig, und ein Upload in Computersysteme war mittels der Kind-Matrix zwar möglich, erzeugte aber eine KI, deren Persönlichkeit sich rasend schnell von der des menschlichen Originals wegentwickelte und in einem Großteil der Fälle kollabierte oder den Freitod durch Selbstlöschung wählte. Dennoch, die Hoffnung darauf, dass Menschen eines Tages über ein unsterbliches Bewusstsein verfügen würden, rückte wieder in greifbare Nähe.
In dieser Situation entstand ein lockerer Zusammenschluss von Diskussionsgruppen unter dem Oberbegriff Guibing. Die Guibing griffen den schon fast vergessenen Begriff des Transhumanismus auf und nahmen ihn beim Wort; sie erklärten, dass die Hoffnung auf persönliche Unsterblichkeit des Bewusstseins in einer für die Menschen noch als menschlich erkennbaren Form tatsächlich illusorisch sei – sowohl die Erfahrungen mit Super-Alten als auch mit Bewusstseins-Uploads hätten das gezeigt. Tatsächliche Unsterblichkeit – im Sinne einer angepeilten Existenz für die Gesamtlebensdauer des Universums – sei nur in Form immer wieder zu vollziehender grundlegender Transformationen zu erlangen. Im Zuge dieser Transformationen würde der jeweils einzelne Mensch zwar in eine Weise verschwinden, die sich vom Tod nicht nennenswert unterscheide; immerhin könne er aber durch eine Teilhabe an ihnen dazu beitragen, dass eine Wesenheit entstehe, die es ohne das menschliche Bewusstsein nicht hätte geben können. Maßstab für den Erfolg einer Unsterblichkeits-Technologie könne deshalb nicht sein, wie gut und originalgetreu sie ein menschliches Individuum bewahrten, sondern einzig und allein, wie gut ihre Chancen seien, eine bewusstseinsartige Struktur hervorzubringen, die erstens deutlich länger bestehen würde als die Vorgängerstruktur und zweitens das Entwicklungspotenzial habe, früher oder später eine weitere Transformation zu durchlaufen.
Die Guibing gingen davon aus, dass eine solche Struktur nur durch eine Verschmelzung nicht nur mehrerer Bewusstseine, sondern mehrer Arten des Bewusstseins entstehen könne (Daher der Name Guibing, Chinesisch für: Verschmelzung). Der entscheidende Hinweis darauf war für sie, dass menschliche Bewusstseinstransfers nur mithilfe der KI-Matrix Kind erfolgreich verliefen.
Viele feierten die Guibing als längst überfälliges philosophisches Fundament für die Entwicklung, in der die Menschheit begriffen war; noch mehr warfen ihnen vor, lediglich den alten Wein der Religion aus neuen Schläuchen einzuschenken. Unabhängig davon, ob dieser Vorwurf stimmte, wurde die Guibing in der Folge für viele zur Religion.
Bereits der zweiten Siedlerwelle, die nach 109-Piscium aufbrach, gehörte eine kleine Gruppe Guibing an – Menschen, die den „Ersten Forschern“ persönlich gegenübertreten wollten, in der Hoffnung, eine Verschmelzung mit dieser echten KI herbeiführen zu können und so in der Zukunft der Menschheit aufzugehen. Bislang haben sich die Hoffnungen der Guibing im 109-Piscium-System nicht erfüllt – die „Ersten Forscher“ schweigen zu ihrem Ersuchen. Das hindert weitere Guibing-Pilger – von denen viele bereits der ersten und zweiten Generation von Synth- und Zuchtkörperwechslern angehören – jedoch nicht daran, sich ebenfalls auf den Weg zu machen ...