Szenenaspekte sind für mich vor allem eine Gedankenstütze als Spielleiter. Wenn ich mir eine Szene überlege, dann schreibe ich zwei, drei Aspekte nieder, die sie auf den Punkt bringen. Wenn die Szene ins Spiel kommt gebe ich den Spielern basierend darauf eine kurze Beschreibung der Szene und werfe je nachdem was mir gerade spontan einfällt noch weitere Details in den Raum. Manches davon bleibt bei den Spielern automatisch "hängen", manches nicht – das ist halb so wild.
Wenn etwas nicht "hängen" bleibt sagt mir das, dass es die Spieler offenbar einfach nicht berührt hat oder schlicht nicht interessiert. Wenn das ein essentielles Element der Szene war, dann habe ich als Spielleiter offenbar irgendetwas falsch gemacht, und kann wenn's wirklich wichtig ist nochmal darauf hinweisen – zum Beispiel, indem einer der NPCs damit interagiert. Wenn es nicht wirklich essentiell, sondern bloß "Color" gewesen wäre kann ich das Detail immer noch unter den Tisch fallen lassen, halb so tragisch.
Bei NPC-Aspekten ist das genauso. Sie sind für mich als Spielleiter eher eine Gedankenstütze. Wenn ich einen Charakter vorstelle geb' ich den Spielern keine trockene Liste der Aspekte, sondern versuche ihn – auf Basis dieser Aspekte – lebendig vorzustellen. Einiges davon wird bei den Spielern hängen bleiben und "angespielt" werden, anderes nicht.
Auch bei den Charakteraspekten ist das nicht anders. Die sind vor allem eine Gedankenstütze für die Spieler selbst – als Spielleiter muss ich die nicht alle wortwörtlich auswendig kennen. Ich notiere mir das High Concept und den Trouble-Aspekt, die anderen Aspekte lass ich mir zwar sagen, werde aber nicht versuchen, sie rund um die Uhr im Gedächtnis zu haben. Die werde ich eher beachten, wenn ich Brainstorming für neue Spieleabende mache – da sind Aspekte als Anknüpfungspunkte Gold werd.
Ansonsten liegt es weitgehend bei den Spielern, ihre Aspekte zu invoken oder selbst zu compellen, um neue Fate-Punkte zu bekommen. Als Spielleiter invoke und compelle ich vor allem High Concept und Trouble, ansonsten versuch' ich mir einfach vor Augen zu halten, wer der Charakter ist, was seine "Trigger" sind, und versuche Input für Selbst-Compels zu geben...sowas wie "hm, hattest du nicht wahnsinnige Angst vor Rauch und Feuer...?" Der Aspekt mag eigentlich sowas wie "Traumatisierter Überlebender von Pompeii" sein, aber die wortwörtliche Formulierung ist mir als Spielleiter halb so wichtig, solang ich ein grobes "Gespür" für den Charakter habe.
Ist ja in anderen Rollenspielen nicht anders – in GURPS werde ich als Spielleiter nicht versuchen, mir alle Vor- und Nachteile aller Charaktere auswendig zu merken, sondern versuche mir eher ein allgemeines "Bild" von ihm/ihr zu machen.
Kurz gesagt, die Aspekte können bei Fate ruhig ein bisschen in den Hintergrund rücken, ohne das System zu "brechen". Klar, man kann "by the book" mit Aspekten auf Karteikärtchen spielen, auch da habe ich selten erlebt, dass die Zahl der Aspekte wirklich überhand nimmt.
Für Runden, die sich mit der "Metaebene" weniger anfreunden könne (oder denen das Aspekte mitschreiben schlicht zu mühsam ist) würde ich aber empfehlen, Aspekte einfach "implizit" mit Charakter- und Szenenbeschreibungen einzuführen. Mit dem, was davon bei den Spielern "hängen" bleibt, zeigen sie mir, was sie an der Szene interessiert. Sichtbar niederschreiben würde ich wirklich nur absolut essentielle Aspekte, von denen ich unbedingt will, dass sie in einer Szene eine Rolle spielen – maximal ein bis zwei pro Szene. Und natürlich Aspekte, auf denen noch Free Invocations liegen, um sich diese in Erinnerung zu halten (z.B. durch Vorteil Erschaffen or Konsequenzen) – das werden aber auch selten besonders viele auf einmal sein.
Wie Anastylos gesagt hat – wenn sich ein Aspekt nicht förmlich "aufdrängt" ist er nicht wichtig genug. Klar, dadurch kann sich eine Szene potentiell in eine komplett andere Richtung entwickeln als ursprünglich geplant, weil sie das Spotlight auf andere Details lenken (und diese damit quasi zu Aspekten "befördern") aber hey, ist doch cool! Klar ändert sich das Spielgefühl ein wenig, weil der Spielleiter das Spiel nicht mehr so stark "vorstrukturieren" kann wie mit klar definierten, niedergeschriebenen Szene-Aspekten, aber das muss ja nicht schlecht sein.
"Implizite" Aspekte fühlen sich am Spieltisch natürlich auch anders an, weil sie beim Invoken anders angesprochen werden. Anstelle von "der Schurke hat doch die Konsequenz Gebrochenes Bein, oder? Ich invoke den Aspekt für +2 auf meine Verteidigung" sagst du sowas wie "Der Schurke hat sich doch vorhin das Bein gebrochen, das wird ihn im Kampf doch bestimmt behindern, oder? Einem humpelnden Gegner kann ich sicherlich leichter ausweichen [Fatepunkt hochhalt]".
Ich persönlich finde das sogar positiv, weil dadurch die Metaebene reduziert wird, die "Immersion" wird weniger durchbrochen – was ja bei Fate ein häufig gehörter Kritikpunkt ist.
Klar, wenn ich Fate mit der Mechanik im Vordergrund spiele ist das wahr. Fate kann aber auch problemlos mit weitgehend "impliziter" Mechanik gespielt werden – ich würde sogar so weit gehen, "rules-speak" so sehr als möglich vom Spieltisch zu verbannen.
Anstatt zu Fragen, ob ich einen Aspekt invoken kann, erzähle ich was "in game" passiert (fiction first) und schiebe einen Fate-Punkt rüber – ich muss mich nicht explizit auf die Regeln beziehen, um sie anzuwenden. Ich muss nicht mechanisch sagen, dass ich den Aspekt "Brennendes Haus" compelle, sondern ich erzähle sowas wie: "Das Haus brennt lichterloh, es darf dich also nicht wundern als du siehst, dass der Ausgang durch die Flammen bereits eingestürzt ist. Dumm gelaufen, du musst dir wohl einen anderen Weg raus suchen [Fate-Punkt rüberschieb]!"
Voraussetzung ist natürlich, dass die Spieler die Regeln halbwegs kennen, bevor wir zum Spielen beginnen, damit nicht bei jeder Aktion Regeln erklärt werden müssen.