Ich war heute in Schreiblaune und habe mich mal am Thema versucht. Keine Ahnung, obs wirklich gut ist, aber ich dachte, ich teile es trotzdem mal. Laut Word sind es mit Leerzeichen 9.362 Zeichen und ohne 7.866.
Von Angesicht zu Angesicht
Alexander schlug die Augen auf als ihm das Sonnenlicht durch die halb geöffneten Jalousien ins Gesicht schien und ein Weiterschlafen unmöglich machte. Einen Blick auf die rot leuchtenden Digitalziffern des kleinen Weckers auf dem Nachtschrank später, drehte er sich im Bett herum und tastete nach seiner Frau, die - wie so oft - bereits aufgestanden war.
Der Geruch von Rührei stieg ihm in die Nase und er hörte die Kaffeemaschine in der Küche blubbern.
Nadine war gestern, wie fast an jedem Abend, früher als er ins Bett gegangen und daher bereits wach, um für das Frühstück zu sorgen. Sie machte das gern und liebte es ihn zu verwöhnen, aber irgendwie schaffte sie es damit auch immer, dass er sich ein klein wenig schlecht fühlte, weil er lange ausschlief und sie einfach machen liess.
Natürlich war das Quatsch, sagte er sich, und dieses Gefühl sei totaler Blödsinn, aber trotzdem wurde er es nicht so richtig los.
Langsam raffte er sich auf und als er über den Flur ging, bemerkte ihn seine Frau und strahlte ihn an.
“Oh, da ist ja jemand erwacht!”, flötete sie und begann damit die Frühstücksteller auf dem Tisch zu verteilen. “Guten Morgen!”
“Mmmhmm, guten Morgen.”, brummte Alexander und lächelte müde zurück, bevor er die Badezimmertür hinter sich schloss.
Genaus das war es, was er meinte. Es war keine Spur von Vorwurf in Nadines Stimme gewesen und trotzdem… Irgendetwas störte ihn an ihrem Tonfall.
Er wusch sich das Gesicht und das kühle Wasser tat gut und half ihm richtig wach zu werden. Nachdem er sich schnell rasiert hatte, runzelte er die Stirn als er die kleine, leicht gerötete Stelle an seiner rechten Wange sah. Im ersten Moment dachte er, es wäre ein Pickel oder etwas ähnliches, aber es sah mehr aus wie eine Art Flechte, denn die Haut schuppte sich ganz leicht. Vermutlich ist das gar nichts und morgen schon wieder weg, dachte er sich und zuckte die Schultern.
“Denkst Du bitte daran, heute noch das Päckchen für Linus zur Post zu bringen?”, fragte Nadine als sie zusammen beim Frühstück saßen. Alexander blickte kurz von seiner Zeitung auf und nickte.
“Ja, mach ich gleich nach dem Mittag.”
“Aber vergiss es bitte nicht. Er ist immerhin Dein Patenkind.”, beharrte seine Frau.
Er rollte still mit den Augen und brummte eine halbherzige Bestätigung. Natürlich war Linus sein Patenkind, aber der Junge war jetzt 15 und das Verhältnis zwischen Alexander und Linus´ Eltern war bei weitem nicht mehr so gut, wie es einst war. Mittlerweile schickte er lediglich zu den Geburts- und Feiertage ein Alibi-Päckchen hin und auch das nur, weil Nadine ihn immer wieder daran erinnerte. Sie selbst schickte natürlich ständig alle möglichen Päckchen an die kinder Ihrer Freunde quer durch die Republik.
Es gab Dinge, die waren ihm wichtig, aber leider musste er zugeben, dass Linus nicht dazu gehörte.
Kurz bevor sie vom Frühstückstisch aufstanden, seufzte Nadine und sah zu Boden.
“Na super, ich hab gestern Abend erst gesaugt und nun ist schon wieder alles voller Krümel. Ich komm gegen den Dreck einfach nicht an.” Alexander war es vollkommen egal, ob auf dem Boden ein paar Krümel lagen oder nicht. Er nahm das was seine Frau schon als Dreck bezeichnete einfach gar nicht wahr.
Von irgendwoher kam ein metallischen Klacken, so als wenn man einen schweren eisernen Riegel zur Seite schiebt, gefolgt vom langgezogenen Quietschen einer schweren Tür. Alexander drehte sich herum und sah sich in der Wohnung um, bevor sein Blick hinüber zu Nadine wanderte, die bereits den kleinen Handstaubsauger in der Hand hielt und sich unter den Tisch beugte, um die Krümel zu beseitigen. Sie war so auf ihre Aufgabe konzentriert, dass sie nicht einmal aufsah.
“Was war das denn?”, wunderte sich Alexander leise murmelnd.
Nadine, die die Bewegung seiner Lippen aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte, sagte laut, um den Staubsauger zu übertönen: “Hast Du was gesagt?”, aber Alexander winkte nur ab und sie wandte sich wieder den Krümeln zu.
Er ging ins Bad, um sich seines Morgenmatels zu entledigen und sich anzuziehen. Eine Hose, ein Hemd, Socken sowie eine Unterhose lagen sauber gefaltet auf dem kleinen Regal, wo Nadine sie für Ihn hingelegt hatte. Nachdem er mit den Augen gerollt und einmal geseufzt hatte, zog er sich die Hose an un das Hemd über den Kopf und gerade als er den Kopf durch den Kragen steckte, fiel sein Blick auf sein eigenes Spiegelbild.
Irgendetwas stimmte damit nicht.
Die Stelle an seiner Wange war größer geworden und hatte neben einem entzündeten Rot eine eitrige Gelbfärbung angenommen und blasse Hautschuppen schienen sich von seinem Gesicht zu schälen.
Langsam trat er näher an den Spiegel und betrachtete die Stelle, um leicht mit dem Finger darüber zu kratzen. Weitere Hautschuppen lösten sich und die Haut um die Stelle fühlte sich seltsam pergamentartig an, tat aber überhaupt nicht weh.
Ein Hautarzt würde sich das nach dem Wochenende mal ansehen müssen, dachte Alexander und nahm ein Pflaster aus dem Spiegelschrank, um es darüber zu kleben.
“Hast Du Dich beim rasieren geschnitten?”, fragte Nadine als sie etwas später aus dem Bad kam und wie immer perfekt aussah.
Alexander tastete nach dem Pflaster in seinem Gesicht und nickte.
“Ja, man sollte sich nicht rasieren, wenn man abgelenkt ist.”, erwiederte er mit einem schiefen Lächeln.
“Abgelenkt? Na woran hast Du denn wieder gedacht?”
“Ach, nur Kram von der Arbeit.”, log er. “Nur Kram von der Arbeit.”
Nadine stemmte ihre kleinen Hände in die Hüften. “Na, nun entspann Dich mal. Wochenende ist Familienzeit.”
Und wieder so ein unterschwelliger Vorwurf. “Wochenende ist Familienzeit.” hatte sie gesagt, aber eigentlich meinte sie “Du arbeitest Du zu viel”. oder “Nie bist du für mich da.”, da war er sich sicher. Gott, wie ihm ihre ständige Nörgelei auf die Nerven ging.
Am Mittag waren sie zum Essen mit Daniel und Regina verabredet, Freunden von ihr, die sie im Yoga-Kurs kennengelernt hatte. Die beiden waren ganz okay, aber so langweilig, wie ein Pärchen nur sein konnte. Er war Informatiker im öffentlichen Dienst sie war irgendwas im Büro. Normalerweise hatte Alexander kein großes Problem damit, zwei Stunden mit inhaltlosem Smalltalk über das Wetter, Politik und die Lage an der Börse zu verbringen, aber an diesem Tag hätte er sich bei der Vorstellung daran übergeben können.
“Willst Du wirklich den roten Pullover anziehen?”, fragte Nadine, kurz bevor ihre Gäste eintreffen sollten. Nadine hatte gleich nach dem Frühstück angefangen zu kochen und es duftete herrlich nach Knoblauch und Tomaten. “Ich finde den neuen dunkelblauen, den ich Dir zu Ostern geschenkt habe viel schöner. Dieses olle Ding können wir vielleicht langsam mal ausmustern, oder?”
Alexander mochte seinen roten Pullover. Ja, er war vielleicht alt, aber für sein Verständnis sah er immer noch gut aus. Um Diskussionen zu vermeiden, schnappte er sich den blauen Pullover aus dem Schrank, trottete ins Bad und schloss die Tür hinter sich.
Erneut fiel sein Blick in den Spiegel und Alexander erschrak. Die Haut um sein rechtes Auge hing scheinbar schlaff herunter und sah brüchig und trocken aus und das Auge selbst hatte eine grässliche rötlich-gelbe Färbung angenommen.
Ein kurzer Schrei entwich seiner Kehle und sein Herz begann in seiner Brust zu Hämmern. Was zur Hölle war das? Irgendeine Krankheit? Ebola? Nein, er fühlte sich nicht schlecht. Genau genommen fühlte er sich sogar ziemlich gut.
“Alles okay, Schatz?”, rief seine Frau durch die Tür, die offenbar seinen Schrei gehört hatte.
“A-Alles gut!”, antwortete Alexander hastig, der sich nicht noch mehr Vorwürfe darüber anhören wollte, wie er denn nun wieder aussah und warum sie denn nun extra wegen ihm wieder ins Krankenhaus fahren müssen, wo sie doch eigentlich zum Essen verabredet waren und sie so lange dafür in der küche gestanden hatte.
Er tastete mit seiner Hand über die schlaffe Haut und diese zerbröckelte unter der Berührung.
Das was darunter zum Vorschein kam, war noch viel erschreckender als er befürchtet hatte. Eine zweite Hautschicht befand sich darunter. Dunkel und knotig und feucht glänzend. Sein entzündetes rotes Auge, aus dem etwas Eiter in einem dünnen Rinnsal über sein Gesicht lief funkelte ihn in.
“Daniel und Regina sind bestimmt bald da. Brauchst Du noch lange?”, dröhnte Nadines Stimme durch die Tür, doch Alexander antwortete nicht. Seine Finger gruben sich in seine noch rosige Haut auf der linken Seite seines Gesichtes und ein stechender Schmerz durchzuckte seinen ganzen Körper als er zog und zerrte und sich die Haut langsam aber sicher und feucht schmatzend von seinem Schädel löste.
“Schatz?”, rief seine Frau. “Beeilst Du dich bitte?”
Die Überreste seines Gesichtes klatschten blutig in das Waschbecken, seine Hände zu Klauen gekrümmt und blutverschmiert. Alexander sah auf, sah in den Spiegel und blickte dem Monster in die Augen. Zum ersten Mal in seinem Leben erkannte er sich selbst und lachte kehlig, als ein ihn bisher unbekanntes Gefühl von Freiheit und Macht durchströmte.
Die Tür zum Badezimmer ging auf und Nadine betrat den Raum.
“Sag mal, was machst Du denn hier eigentlich so lange? Gehts Dir nicht gut?”, fragte sie ihn und sah ihren Ehemann an. Diesmal mit echtem Vorwurf in der Stimme, aber ohne jede Spur von Entsetzen.
“Oh doch.”, lächelte Alexander und seine Augen wanderten zu der verführerisch spitzen Nagelfeile die auf dem kleinen Brettchen unter dem Spiegelschrank lag. “Es geht mir sogar sehr gut.”