Ich bereite gerade eine BR-Kampagne vor (wobei geplant ist, auf unserem öffentlichen RSP-Abend regelmäßig One-Shots mit den gleichen Charakteren, aber wechselnden Spielern zu spielen). Vor dem Hintergrund habe ich Regeln und Setting jetzt noch einmal genau unter die Lupe genommen.
Die Regeln:
Der Kern entspricht ziemlich genau FantasyAGE – die Stuntlisten sind weitgehend identisch, die Ausrüstungsregeln ganz leicht abgespeckt (Rüstungen gibt es z.B. nur in drei Stufen mit den Schutzwerten 3/5/8, Waffen beschränken sich wertemäßig auch auf ein paar Standardvarianten). BR nimmt auch die Probleme von AGE – HP-Bloat und Rüstung führen zu langen Kämpfen auf höheren Stufen – mit und verschärft sie teilweise sogar noch, z.B. durch die Regeln zu Heroic Armor, durch die jeder SC alle paar Stufen einen Armor-Punkt bekommt (der allerdings nicht mit normaler Rüstung stackt).
Eine sehr schöne Ergänzung sind in meinen Augen die Regeln für Relationships und Corruption. Erstere geben 1x pro Session Stundpunkte dazu, wenn man sich auf eine Relationship berufen kann, letztere sorgt dafür, dass der Einfluss des Schattens sich spürbar (als so eine Art Depression) in den Spielwerten niederschlägt – es gibt auch vom Lesen her durchaus brauchbare Regeln für „Embracing Corruption“, sich also der Verderbnis zuwenden, durch die Corruption dann zu einem für Magie nutzbaren Eigenschaftswert wird und nicht mehr „belastet“. Da wieder rauszukommen, dürfte ziemlich langwierig sein, der Vorgang dafür ist mit den Regeln zu „Conviction“ verknüpft (bei der es sich um Wurfwiederhol-Gummipunkte handelt), die man wiederum sammelt, indem man seinen gewählten Zielen in Übereinstimmung mit einer von zwei festgelegten Charaktereigenschaften nachgeht.
Problematisch an Conviction: Der Pool wird mit Levelanstieg größer (wobei man zum Rückgewinn dann aber immer noch die entsprechenden Rollenspielsituationen braucht) – wer also hohe Stufe ist und die Re-Rolls tendenziell nicht mehr so sehr nötig hat, bekommt haufenweise davon, was nerven könnte … andererseits braucht man die höhere Conviction wahrscheinlich, wenn viel Corruption im Spiel ist. Das müsste ich erst mal in der Praxis erleben.
Das Magiesystem ist grundsätzlich neu und funktioniert nicht über Magiepunkte, sondern über Erschöpfungsstufen (die komischerweise sonst keine Verwendung im Regelsystem finden). Das wirkt im Großen und Ganzen ziemlich durchdacht, und es ist viel Regelmaterial da, um z.B. psychisches Eindringen zu einem interessanten Wechselspiel zu machen, bei dem man sich entscheiden kann, Ermüdung in Kauf zu nehmen, um durchzubrechen oder zu widerstehen. Problematisch ist hier, dass das System sehr viel mit Opposed Rolls arbeitet, bei denen beide Würfeln. Dazu gibt es dann noch hier und da gestaffelte Zauberanwendungen – willst du jemanden einschläfern, musst du erst in Psychic Contact mit ihm sein und dafür ggf. seinen Psychic Shield überwinden … das kann schon mal auf vier oder fünf opposed rolls hinauslaufen. Mir persönlich zu viel, es hätte hier dringend zumindest optional) einfach ein paar passive Angriffs- oder Widerstandswerte gebraucht, wie die Spellpower in FantasyAGE. Lässt sich zum Glück sehr leicht hausregeln, einfach 10+Eigenschaft (Fokus) setzen und sich auf einen Wurf pro Zauber beschränken, der dann mit allem verglichen wird.
Schön an der Magie ist, dass jede Klasse ein bisschen was lernen kann.
Schön auch die Umsetzung der „Rhydan“, intelligenter Tiere. Wirkt regelseitig gelungen, wobei die Hauptregel natürlich ist, dass man sich eben einfach fragen muss, was eine Katze mit ihren Pfoten überhaupt versuchen kann und was nicht.
Schrauben werde ich wohl (wie schon bei FantasyAGE) an den Hit Points, mein Favorit ist derzeit, dass man einfach jeden zweiten Level +Con erhält und nicht jeden Level +W6+Con. Heroic Armor werde ich sicher auch weglassen, bei Armor die drei Stufen leicht/mittel/schwer beibehalten aber auf 2/4/6 Schutzpunkte herabstufen. Dann noch ein passiver Schutzwert Willpower (Self-Discipline), und dann sollte es für mich passen.
Welt:
Hier bin ich fast restlos begeistert. Klar, das ist nicht Glorantha oder Tekumel. Aber das Setting ist einfach ungeheuer gut auf klassische Rollenspielabenteuer ausgelegt. Ich werde Blue Rose spielen, weil ich gerade Lust auf das Aventurien-Feelung der 90er habe und finde, BR macht vieles davon besser, konsequenter, stärker aufs Spiel ausgerichtet.
Features:
Ein meritokratisch-wohlmeinender Abenteureradel (wie geschaffen für sozial Aufstiegsorientierte Abenteurer). Abenteurerorganisationen wie die Sovereign‘s Finest, das Konzept herumziehender junger Adliger mit Gefolge, die Gutes Tun(TM).
Mit dem Königreich Aldis eine extrem kosmopolitische Homebase, die eine kulturelle Schablone liefert, vor deren Hintergrund es glaubwürdig ist, dass die Helden gelernt haben, gegen Diskriminierung und Ausbeutung zu sein, weshalb man bei der Konzeption der Abenteuer einfach davon ausgehen kann, dass diese Helden eben einen guten Grund haben, einzugreifen, wenn sie beispielsweise mitkriegen, wie eine religiöse Minderheit aus dem Dorf gejagt wird – anstatt dass man jetzt immer überlegt, ob das eigene moralische Empfinden als Spieler jetzt gerade auch dem entspricht, was der Charakter empfinden müsste, und dann kommt am Ende doch wieder vorne und hinten nichts raus, was Spaß macht, sondern schlimstensfalls zähes „anspruchvolles Rollenspiel“. Mit Blue Rose kann ich „ernste“ Themen anschneiden und trotzdem locker „nach Gefühl“ spielen.
Geografisch werden auch wahnsinnig viele Abenteuerspielarten abgedeckt: Es gibt die Vermächtnisse der Sorcerer Kings, die auch in Aldis Ärger machen; es gibt die spukhafte Wildnis der Shadow Barrens; Es gibt ein „Mordor“ für Kommandomissionen hochstufiger SC; es gibt die Pirateninseln mit viel moralischem Konfliktstoff (Freiheitsversprechen für Flüchtlinge, aber auch Sklaverei und böse Zauberer); und es gibt natürlich die Theokratie Jarzon, die eigentlich zu den Guten(TM) Kämpfern gegen den Schatten gehört, aber extrem restriktiv ist – perfekt, wenn man die Variante „Wir begehren gegen unterdrückerische Normen auf“ spielen will. Das Matriarchat Lar‘Tya im Süden gefällt mir auch, das dürfte vor allem vor Intrigenabenteuer gut sein.
Ich finde das extrem gut aufs Rollenpiel hin durchdacht. Das Setting wirkt rund und plausibel, auch, wenn es wie gesagt keine große Weltenschöpfungstat der Marke Glorantha oder Tekumel darstellt. Es schreit einfach danach, bespielt zu werden.