Ich würde gerne einmal die d00lite-Familie an Rollenspielsystemen vorstellen, von der ich im Moment sehr beeindruckt bin.
Vorausschickend muss ich zugeben, dass ich die d00lite-Regelwerke bisher nur gelesen und die Systeme noch nicht selbst gespielt habe (das ist aber nur eine Frage der Zeit, da ich wirklich von den Regeln begeistert bin).
Das d00lite-System, das die Basis für Barebones Fantasy, Covert Ops und das noch in der Testphase befindliche Sigil & Shadow darstellt, ist ein regelleichtes System, das eine Weiterentwicklung des alten Star Frontiers/Sternengarde-Systems von TSR darstellt.
d00lite verwendet ausschließlich 10-seitige Würfel. Die meisten Würfe werden als Prozentwurf durchgeführt, wobei anders als bei anderen Prozentwürfelsystem das Ergebnis „00“ tatsächlich für 00 steht und nicht für 100. Schadenswürfe werden mit W10 durchgeführt, gelegentlich auch mal als W5.
Spielercharaktere bei Barebones Fantasy (BBF) besitzen vier Attribute (Strength, Dexterity, Logic und Will), die entweder mit 5W10+30 ausgewürfelt werden oder auf die vier feste Werte (65, 60, 55, 50) verteilt werden.
Durch die Wahl einer Rasse (im Grundregelwerk sind Elf, Halbling, Mensch und Zwerg vorgesehen, der Band „Flesh & Blood“ liefert über 20 weitere SC-Rassen) werden u.U. die Attributswerte modifiziert, außerdem kann die Rasse Boni auf Fertigkeitswürfe oder besondere Fähigkeiten (Nachsicht usw.) verleihen.
Klassen gibt es bei BBF nicht. Stattdessen entsprechen die achteinhalb Fertigkeiten (die Fertigkeit „Warrior“ ist unterteilt in Nah- und Fernkämpfer) weitest gehend klassischen (A)D&D-Klassen: Cleric, Enchanter, Leader, Scholar, Scout, Spellcaster, Thief, Warrior. Jede Fertigkeit besitzt vier „Unterfertigkeiten“ oder spezifische Anwendungsbereiche (beim Scout z.B. Umgang mit Tieren, Navigation, Überleben und Spurensuche). Der Ausgangswert entspricht der Hälfte eines der Attributswerte (bei Scout etwa LOG/2). Bei der Charaktererschaffung kann eine Fertigkeit als Primär- und eine als Sekundärfertigkeit gewählt werden, was Boni auf den Ausgangswert gibt. Außerdem können Level in den Fertigkeiten gelernt werden, was auch die Chance erhöht. Grundsätzlich kann jeder Charakter jede Fertigkeit erlernen. Allerdings können lediglich die Fertigkeiten Scout, Thief und Warrior eingesetzt werden, ohne dass man dort Levels besitzt. Da bei der Charaktererschaffung in der Regel nur ein Level in einer der Fertigkeiten erlernt wird, muss sich ein neuer Charakter (zunächst) spezialisieren.
Das „3x3“-Gesinnungssystem von AD&D ist einem Moralkodex gewichen, der fünf Begriffspaare enthält (z.B. Sanftmütig/Grausam oder Mutig/Feige), bei denen festgelegt werden muss, ob der Charakter einer der Einstellungen Etwas, Sehr oder Völlig anhängt.
Jeder SC besitzt außerdem (mindestens) zwei „Descriptors“, die in etwa den Aspekten bei Fate entsprechen, etwa „Prinz im Exil“, „Atemberaubende Schönheit“ oder „Höhenangst“. Das Einbringen dieser Descriptors ins Spiel bringt zusätzliche Development Points (die Erfahrungspunkte in den d00lite-Systemen).
Die restlichen Werte entsprechen gängigen Standards: Body Points (Trefferpunkte) hängen von der Stärke ab, Damage Reduction von der Rüstung, Initiative von Geschicklichkeit usw.
Die Kampfregeln sind eher klassisch: Zu Beginn jeder Runde wird auf Initiative gewürfelt (alternativ gibt es ein System mit Karten), dann wird ein Angriffswurf auf die relevante Fertigkeit ausgeführt. Ist dieser erfolgreich, gibt es für den Angegriffenen einen Widerstandswurf (Ausweichen/Parade); misslingt dieser, würfelt der Angreifer Schaden, der (evtl. reduziert um die Damage Reduction der Rüstung) von den Body Points des Getroffenen abgezogen wird. Schilde reduzieren nicht den Schaden, sondern verbessern die Chancen für den Widerstandswurf. Es gibt Regeln für Kritische Erfolge (die auch Spezialmanöver wie Entwaffnen ermöglichen) und Patzer.
Das Magiesystem ist ähnlich einfach: Es gibt 17 Zauber, die Clerics und Spellcasters offenstehen. Grundsätzlich bedarf die erfolgreiche Anwendung eines Zaubers eines erfolgreichen Fertigkeitswurfs, oft hat das Ziel des Zaubers auch die Möglichkeit eines Widerstandswurfs. Die Zauber sind bewusst sehr allgemein gehalten, so erfasst „Transport“ – je nach Spellcaster-Level –sowohl Levitation als auch Fliegen und Teleportation.
Das Regelbuch enthält außerdem (natürlich) Regeln zur Charakterentwicklung (man gibt die erworbenen Development Points aus, um Attribute zu steigern und neue Levels in Fertigkeiten zu erwerben), zum Erschaffen magischer Gegenstände, einen Ausrüstungskatalog (inkl. magischer Gegenstände), ein Monsterhandbuch, einen netten Zufallsgenerator zur Erschaffung von Abenteuern und Dungeons und einen kurzen Überblick über das Setting „Keranak Kingdoms“, alles auf 80 Seiten.
Mich hat das Regelwerk eigentlich sofort begeistert. Seit Savage Worlds (SW) – dem BBF in einigen Punkten ähnelt – habe ich nicht mehr so spontan den Wunsch verspürt, ein System zu leiten. Ich mag regelleichte Systeme und Erfolgswahrscheinlichkeiten sind für Spieler bei Prozentwürfen viel leichter zu überblicken als beim Verwenden verschiedener Würfeltypen. BBF ist auch im Kampf nicht so miniaturenfixiert wie SW, die Initiativeregeln ähneln sich (gerade wenn man BBF mit den Initiativekarten spielt), aber Mehrfachaktionen sind bei BBF leichter planbar.
BBF kommt mit sehr schönen eingebauten „Mook“-Regeln: Der Standard-Kanonenfutter-NSC besitzt nur eine „Berufsbeschreibung“ und einen einzigen Prozentwert, der für alle Fertigkeitswürfe eingesetzt wird, würfelt nicht auf Initiative, hat einheitliche Body Points und eingeschränkte Aktionsmöglichkeiten. Sehr sehr cool.
Noch deutlich besser als BBF ist allerdings Covert Ops (das hat LushWoods hier (
http://www.tanelorn.net/index.php/topic,93068.msg1947591.html#msg1947591) sehr schön beschrieben). CO hat dieselben Basisregeln wie BBF, die natürlich für ein Agenten-Rollenspiel modifiziert wurden. Statt verschiedenen Rassen gibt es Berufshintergründe (Künstler, Arzt, Soldat), die die Ausgangswerte modifizieren und natürlich ist die Fertigkeitsliste etwas anders ausgestaltet, aber vom Grundkonzept her identisch.
CO ist allerdings regeltechnisch noch einmal etwas „crunchiger“ als BBF:
Eine tolle Idee ist die Einführung von „Bones“. Das sind Gummipunkte, die zum einen das können, was solche Punkte auch in anderen Systemen tun: Würfe wiederholen, Schaden erhöhen usw. Man kann sie aber auch einsetzen, um bei einer Aktion (egal ob erfolgreich oder nicht) unglaublich cool auszusehen oder um sicherzustellen, dass man in der aktuellen Runde garantiert nicht stirbt. Das ermöglicht natürlich besonders cinematische Aktionen.
Schön ist auch das Konzept, dass die Spieler selbst einen Teil der Development Points vergeben.
Außerdem gibt es eine längere Liste von Kampfmanövern, die den waffenlosen Kampf etwas taktischer gestalten (und mit Zusatzregeln aus dem Game Masters‘ Operations Manual (GMOM) auch auf den Kampf mit Nahkampfwaffen und sogar den Einsatz von Schusswaffen ausgeweitet werden).
Das GMOM ist ein absolutes Highlight von CO. Hier werden Designentscheidungen der Autoren erklärt und dargestellt, wie man diese Konzepte sinnvoll beibehält, wenn man Hausregeln entwickelt (z.B. durch Einführung neuer Fertigkeiten).
Man merkt CO an, dass es eine Weiterentwicklung von BBF ist. Allerdings lassen sich alle neuen Regelelemente (Bones, Kampfmanöver, Verfolgungsjagden usw.) problemlos in BBF integrieren, da die Regelwerke völlig kompatibel sind.
Die aktuellste Entwicklung der d00lite-Familie ist Sigil & Shadow (S&S), ein Urban Fantasy-Regelwerk (das sich derzeit in der Endphase der Entwicklung befindet). S&S liefert bewusst nur einen sehr vagen Hintergrund, ist aber stark inspiriert von der Welt der Dunkelheit, Cthulhu und Buffy/Angel. Man kann sowohl einen menschlichen Charakter spielen („Illuminated“), als auch einen, der mit übernatürlichen Kräften ausgestattet ist wie etwa einen Vampir („Shadowed“). Einem Team-Up von Buffy und Angel oder Fox Mulder und Harry Dresden steht also nichts entgegen.
S&S basiert auf CO (viele Textpassagen sind wortwörtlich übernommen), variiert aber einige der Regeln, insbesondere was Body Points und Waffenschaden angeht.
Gut gefällt mir der Versuch, ein Balancing zwischen „Illuminated“ und „Shadowed“ Charakteren herzustellen: Während Illuminateds ihre Bones zu denselben Zwecken einsetzen können wie in CO, können Shadowed dies nicht. Sie brauchen Bones, um ihre übernatürlichen Fähigkeiten zu aktivieren (die sonst nur auf halber Kraft laufen).
S&S enthält PSI-Kräfte, ein sehr schönes Freeform-Magiesystem und Regeln für Ritualmagie, die auch diejenigen anwenden können, die sonst mit Magie nichts am Hut haben.
Das d00lite-System ist einfach, verständlich und so leicht zu verändern, dass man praktisch jede Art von Hintergrund damit bespielen kann. Es ist sicherlich eher ein altmodisches System, hat sich aber auch ein paar nette Ideen aus hippen Indie-Systemen abgeguckt.
Ich bin total begeistert und werde es voraussichtlich verwenden, um eine „The Strange“- oder Torg-Kampagne zu leiten und könnte mir vorstellen, die bisherige Fantasy-Kampagne von Pathfinder auf BBF umzustellen.